Des Öfteren?

Frage

Bei dem Mehrwortausdruck „des Öfteren“ hat mein Analysierer Probleme mit dem Wort „Öfteren“. Mir persönlich kam es nicht unvertraut vor, ich konnte aber auf Anhieb keine Erklärung für diese Wortform finden. […] Bei „des Weiteren“ hat mein Tool kein Problem, „Weiteren“ als substantiviertes Adjektiv im Komparativ mit der Flexionsendung „-en“ zu erkennen. Aber „oft“ ist ein Adverb und Adverbien gelten doch als unflektierbar? […]

Antwort

Guten Tag Herr H.,

die Form öfteren in des Öfteren kann wie weiteren in des Weiteren als Genitivform analysiert werden (es sind Adverbialgenitive). Bei des Öfteren handelt es sich um eine feste Wendung, die auf die Verwendung des Komparativs öfter als Adjektiv zurückgeht. Standardsprachlich ist diese Verwendung nicht mehr gebräuchlich, in der Umgangssprache kommt sie aber noch vor:

ihre öfteren Besuche
nach öfterer Wiederholung

Auch die heute nur selten vorkommende Superlativform öftesten geht auf die adjektivische Verwendung von oft bzw. öfter zurück:

die am öftesten gehörte Antwort
So tituliert er sich am liebsten und am öftesten.

Im heutigen Standarddeutschen werden oft und öfter nur als Adverbien und entsprechend ungebeugt verwendet. Die Superlativform am öftesten kommt – wie gesagt – nur selten vor. Normalerweise wird hierfür am häufigsten verwendet.

Daneben kam und kommt manchmal noch die Form öfterer (statt öfter) vor. Dieser doppelte Komparativ lässt sich dadurch erklären, dass öfter häufig nicht vergleichend, sondern verstärkend verwendet wird und dann (fast) die gleiche Bedeutung hat wie einfaches oft:

Das haben wir schon oft / öfter gehört.
Sie war oft / öfter in Talkshows zu sehen.

Zu dem so als Positiv empfundenen öfter wurde eine Komparativform öfterer und eine Superlativform öfterst gebildet.

Die Männchen schreien stärker, volltönender und öfterer als die Weibchen
und dieses ist der öfterste Fall

Diese Formen gelten standardsprachlich als nicht korrekt.

Im heutigen Standarddeutschen gibt es also nur das Adverb oft mit seiner Komparativform öfter (und dem Superlativ am häufigsten). Adjektivisch gebeugte Formen trifft man auch an, aber sie sind veraltet oder gelten als umgangssprachlich. Ausnahme: des Öfteren.

Ihr Analysierer hat wahrscheinlich deshalb Mühe mit mit der Form Öfteren, weil sie nicht nach heute geltenden Regeln gebildet wurde. Sie setzt ein Adjektiv oft voraus, das es in der heutigen Standardsprache nicht gibt.

Viel mehr zur Geschichte von oft und seinen Steigerungsformen finden Sie hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Warum es zu unser aller Bestem und nicht zu unser aller Besten ist

Frage

Eine Freundin und ich sind uns unsicher, wie es richtig heißen muss: „Das ist zu unser aller Bestem“ oder „Das ist zu unser aller Besten“? Unser Tipp ist, dass „unser aller Bestem“ korrekt ist, da man hier ja […] den Dativ verwendet.

Antwort

Guten Tag Herr U.,

richtig ist hier tatsächlich:

zu unser aller Bestem

Ein (substantiviertes) Adjektiv wird schwach gebeugt, wenn ein Artikelwort vor ihm steht, dessen Endung den Fall schon angibt:

das Beste für uns alle
zum (= zu dem) Besten der Kinder
zu unserem Besten

Ein (substantiviertes) Adjektiv wird stark gebeugt, wenn kein Artikelwort vor ihm steht, dessen Endung den Fall schon angibt:

nichts Bestes
für dein Bestes
zu Susannes Bestem

Das bringt uns zum Unterschied zwischen zu unserem Besten und zu unser aller Bestem:

Im Gegensatz zu unserem ist die Wendung unser aller kein Possessivartikel. Es ist der Genitiv von wir alle:

Nom.: wir alle
Akk.: uns alle
Dat.: uns allen
Gen.: unser aller

Als solches ist es ein Genitivattribut zum substantivierten Adjektiv Bestes:

zu wessen Bestem?
zum Besten aller
zum Besten unser aller

Wenn ein Genitivattribut vorangestellt wird, fällt der Artikel weg (hier: zum → zu). Es steht dann kein gebeugtes Artikelwort mehr vor dem substantivierten Adjektiv, so dass die starken Endungen zum Zug kommen:

unser aller Bestes
für unser aller Bestes

Also auch im Dativ:

zu unser aller Bestem

wie zum Beispiel auch:

zu Susannes Bestem
zu Herrn U.s Bestem

Mehr zu unser aller und unser beider finden Sie in diesem (nicht mehr ganz taufrischen) Blogartikel.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Café Huber im Genitiv und im Plural

Frage

Ich möchte „Café Huber“ deklinieren, und zwar Genitiv und Plural. Kann man beim Gesamtbegriff das -s weglassen?

Antwort

Guten Tag Frau W.,

der Genitiv des Namens Café Huber kann mit und ohne Genitiv-s gebildet werden (vgl. hier und hier):

des Cafés Huber
des Café Huber

Ebenso zum Beispiel:

des Hotels Central
des Hotel Central

des Bahnhofs Altona
des Bahnhof Altona

des Theaters an der Wien
des Theater an der Wien

Ich halte allgemein die Varianten mit Genitiv-s für besser und entsprechend für empfehlenswert. Da aber die Tendenz, bei Eigennamen mit Artikel die Genitivendung wegzulassen, sehr stark ist, kann man die endungslose Variante nicht mehr als falsch bezeichnen.

Nicht richtig ist es, bei Namen dieser Art das Genitiv-s ganz am Ende anzuhängen:

nicht: *des Café Hubers
nicht: *des Hotel Centrals
nicht: *des Bahnhof Altonas

So viel zum Genitiv. Bei der Pluralbildung bin ich eigentlich überfragt, denn ohne Kontext ist es nur schwer vorstellbar, was gemeint ist. Ein Beispiel könnte sein, dass es irgendwo zwei Cafés mit demselben Namen gibt. Dann könnte man wie folgt formulieren (auch hier mit und ohne Endung, aber der Fall ist so selten, dass es weder Regeln noch allgemeine Tendenzen gibt):

die beiden Cafés Huber
die beiden Café Huber

Meist ist es wahrscheinlich besser, je nach Kontext anders zu formulieren. Zum Beispiel:

die Lokale/Cafés mit dem Namen »Café Huber«
die Cafés der Huber-Kette

Man kann also jemanden zu einem Besuch des Cafés Huber oder des Café Huber einladen. Und wenn es deren zwei gibt, sollte man angeben, in welches der beiden Cafés Huber, der beiden Café Huber oder der beiden Cafés mit dem Namen Huber man einlädt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Direktor des Amsterdamer Rijksmuseum(s): (fremdsprachige) Eigennamen mit Artikel im Genitiv

Frage

Es geht um die Beugung von Eigennamen, und zwar im Speziellen solchen, die aus anderen Sprachen stammen wie dem Englischen etwa oder dem Niederländischen. Würden Sie bei „Direktor des Amsterdamer Rijksmuseum(s)“ ein Genitiv-s verwenden oder nicht? Oder bei „Musik des (fiktiven) Westminster Trio(s)“? […] „Museum“ und „Trio“ sind auch deutsche Wörter, weswegen es mir wehtut, diese nicht zu beugen, nur weil sie zu einem nichtdeutschen Eigennamen gehören. Wie sehen Sie das? Oder gibt es gar eine Duden-Regel, die mir entgangen ist?

Antwort

Guten Tag Herr H.,

es gibt im Deutschen eine Tendenz, Eigennamen im Genitiv ungebeugt zu lassen, wenn sie mit einem Artikel o. Ä. stehen. Das gilt für alle Namen, nicht nur für solche, die aus einer anderen Sprache kommen.

Im heutigen Deutschen gilt dies praktisch immer für Personennamen:

die Werke des jungen Goethe
das Spielzeug des kleinen Mark
die Liebe des Otto Weidt

Bei geografischen Namen kommen häufig sowohl die gebeugte als auch die ungebeugte Form vor:

die Hauptstadt des Irans / des Iran
die Berge des Engadins / des Engadin
die Geschichte des modernen Europas / des modernen Europa
die Sehenswürdigkeiten des kaiserlichen Wiens / des kaiserlichen Wien

Dies gilt allerdings nicht für alle geografischen Namen. Nach der Art eines kleinen gallischen Dorfes widerstehen einige männliche und sächliche Namen noch tapfer der Endungslosigkeit. Praktisch immer mit einer Genitivendung stehen zum Beispiel:

die Mündung des Rheins
die Hauptstadt des Baskenlandes
die größte Insel des Mittelmeers

Auch für viele Namen anderer Art gilt, dass sie im Genitiv mit oder ohne Endung verwendet werden:

Besuch des Praters / des Prater in Wien
der Eingang des Kopenhagener Tivolis / des Kopenhagener Tivoli
die Gäste des Hiltons / des Hilton in Malta
die Filialleiterein des Aldis / des Aldi in unserer Stadt

Das erstreckt sich auch auf Namen mit „gewöhnlichen“ Wörtern:

die Direktorin des Frankfurter Zoos / des Frankfurter Zoo
die Besucher des Nationalparks Hohe Tauern / des Nationalpark Hohe Tauern
der Neubau des Kunsthauses Zürich / des Kunsthaus Zürich

Bei der letzten Gruppe halte ich die gebeugte Version für besser. Ich kann aber die ungebeugte Version nicht (mehr) als grundsätzlich falsch bezeichnen (siehe auch hier).

Das gilt ähnlich auch für anderssprachige Namen, die deutschen Namen gleichen und (fast) wie deutsche Namen ausgesprochen werden:

der Direktor des Amsterdamer Rijksmuseums / des Amsterdamer Rijksmuseum
die Musik des Westminster Trios / des Westminster Trio

Namen, die eindeutig nur fremdsprachig sind, werden häufig nicht gebeugt, sie können aber auch mit Genitiv-s stehen:

die Direktion des Louvre / des Louvres
die Gemäldesammlung des Prado / des Prados
das Atrium des New Yorker MoMA / des New Yorker MoMAs

Wie Sie sehen, geht es hier mehr um Tendenzen als um Regeln. Daran kann oder könnte auch der Duden nichts ändern.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Schwach oder stark: keine 100 gebrauchte/gebrauchten Fahrzeuge?

Frage

Wie dekliniere ich hier richtig:

In fünf Jahren wird es keine 200 000 neu geschaffene / geschaffenen Sozialwohnungen geben.

Aktuell werden keine 100 gebrauchte / gebrauchten Fahrzeuge dieses Typs im Netz angeboten.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

nach der gebeugten Form keine wird ein Adjektiv schwach gebeugt, das heißt, es hat die Endung en:

keine neuen Sozialwohnungen
keine neu geschaffenen Sozialwohnungen
keine 200 000 neu geschaffenen Sozialwohnungen
In fünf Jahren wird es keine 200 000 neu geschaffenen Sozialwohnungen geben.

keine gebrauchten Fahrzeuge
keine 100 gebrauchten Fahrzeuge
Aktuell werden keine 100 gebrauchten Fahrzeuge dieses Typs im Netz angeboten.

Das gilt auch, wenn keine umgangssprachlich vor einer Zahlenangabe die Bedeutung nicht oder nicht einmal hat. Vor allem wenn keine für (noch) nicht einmal steht, kommt manchmal allerdings auch die starke Endung e vor wie nach nicht oder einer unverneinten Zahlenangabe:

Aktuell werden keine 100 gebrauchte Fahrzeuge diese Typs im Netz angeboten. [??]
Vgl. : Aktuell werden nicht einmal 100 gebrauchte Fahrzeuge diese Typs im Netz angeboten.
Vgl. : Aktuell werden 100 gebrauchte Fahrzeuge diese Typs im Netz angeboten.

Die Fragezeichen in eckigen Klammern sollen angeben, dass ich Formulierungen wie keine 100 gebrauchte nicht empfehlen würde, auch wenn sie vielleicht manchen gar nicht so falsch in den Ohren klingen. Und wenn es unbedingt richtig sein soll, ist nicht einmal hundert ohnehin besser als keine 100.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wenn (es) jemanden nach etwas verlangt

Frage

Ich habe nirgends im Internet die reflexive Form des Verbs „verlangen“ gefunden. Beispiel: „Es verlangt mich nach Liebe“. […]

Ich las jetzt den Satz: „Sie nahmen sich, wonach ihnen verlangte.“ Richtig müsste es doch heißen: „… wonach es sie verlangte.“ Aber warum? Mit welcher Begründung?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

im Satz Es verlangt mich nach Liebe steht nicht eine reflexive Verwendung von verlangen (nicht *sich verlangen), sondern eine unpersönliche Verwendung des Verbs mit einem Akkusativ:

jemanden verlangt (es) nach jemandem/etwas

Die Bedeutung dieser Wendung ist: jemand sehnt sich nach jemandem/etwas, jemand hat ein Bedürfnis nach etwas.

Beispiele:

Es verlangt mich nach Liebe.
Mich verlangt (es) nach Liebe.

Es verlangt mich nach dir.
Mich verlangt (es) nach dir.

Es verlangte ihn nach Ruhe.
Ihn verlangte (es) nach Ruhe.

Es verlangt sie nicht danach, dieses Risiko einzugehen.
Sie verlangt es nicht danach, dieses Risiko einzugehen.

Siehe auch die Angaben im DWDS (Bedeutung 5).

Wie die Beispiele zeigen, gehört diese Verwendung von verlangen eher zum gehobenen Sprachgebrauch. Ich verwende diese Konstruktion jedenfalls in meinem „normalen“ Leben nie.

Der Satz, den Sie zitieren, müsste also tatsächlich mit dem Akkusativ und nicht mit dem Dativ stehen:

Sie nahmen sich, wonach es sie verlangte.

Dieser Satz steht übrigens besser mit es, weil ohne es undeutlich wird, ob es sich bei sie um einen Akkusativ Plural oder um einen Nominativ Singular handelt (das könnte sich nur aus dem weiteren Kontext ergeben).

Wenn man sich weniger gehoben ausdrücken möchte, gibt es andere Möglichkeiten wie zum Beispiel

Ich sehne mich nach dir.
Er verlangte nach Ruhe.
Sie nahmen sich, wonach sie sich sehnten.1

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Bei dieser Umformung kommt die Vermutung auf, dass mit „Sie nahmen sich, wonach ihnen verlangte“ etwas anderes gemeint war: „Sie nahmen sich (alles), was sie wollten/begehrten.“ Wenn dies tatsächlich zutrifft, ist nicht nur ihnen, sondern die ganze Wendung jemanden sehnt es nach etwas nicht richtig gewählt.

Die Adjektivendung, wenn Fische auf andere unter bestimmten Oberflächen versteckte(n?) Objekte zielen

Frage

Ich habe eine Frage zur Wortgruppenflexion. Welche der beiden Versionen ist richtig („versteckte“ vs. „versteckten“):

Die Fische zielen auf Flaschen und andere unter bestimmten Oberflächen versteckte Objekte.
Die Fische zielen auf Flaschen und andere unter bestimmten Oberflächen versteckten Objekte.

Kann man den Einschub „unter der Oberfläche“ ausklammern? Nach was richtet sich die Flexion von „versteckte“? Bei der Flexion von Adjektiven in solchen komplexeren Gruppen komme ich jedes Mal an meine Grenzen. […] Über ein paar allgemeine Tipps oder eine Art Bauplan für solche Wortgruppen wär ich sehr dankbar!

Antwort

Guten Tag Frau R.,

richtig ist hier zweimal die starke Endung e:

Die Fische zielen auf Flaschen und andere unter bestimmten Oberflächen versteckte Objekte.

Vor einem Substantiv wird andere gleich gebeugt wie ein Adjektiv. Ein auf ander- folgendes Adjektiv hat in der Regel die gleiche Endung wie ander-. Dies gilt in einfachen wie in (sehr) komplexen Wortgruppen:

Die Fische zielen auf andere Objekte.

Die Fische zielen auf versteckte Objekte.

Die Fische zielen auf unter bestimmten Oberflächen versteckte Objekte.

Die Fische zielen auf andere versteckte Objekte.

Die Fische zielen auf andere unter bestimmten Oberflächen versteckte Objekte.

Wenn Sie unsicher sind, wie Adjektive bzw. adjektivisch verwendete Partizipien in komplexen Wortgruppen gebeugt werden sollten, können Sie einfach alle vom Partizip abhängigen Erweiterungen weglassen. Sie sehen dann meist besser, welche Endung stehen sollte. Dabei muss übrigens nicht unbedingt ein wirklich sinnvoller Satz entstehen.

In Ihrem Beispielsatz ist die Erweiterung unter bestimmten Oberflächen von versteckt abhängig (wo versteckt?). Um die Beugung von versteckt zu testen, lassen Sie diese Erweiterung weg. Das Wort versteckt wird in der komplexen Formulierung  gleich gebeugt wie in der vereinfachten Variante:

auf andere unter bestimmten Oberflächen versteckte Objekte (zielen)
auf andere versteckte Objekte (zielen)

Verunsichernde Wortgruppen dieser Art finden sich vor allem bei adjektivisch verwendeten Partizipien. Hier noch ein paar Beispiele:

Die Reaktion vieler nach der uninteressanten Vorstellung sehr enttäuschter Zuschauerinnen und Zuschauer war äußerst negativ.
(Die Reaktion vieler enttäuschter Zuschauerinnen und Zuschauer …)

Die Reaktion dieser nach der uninteressanten Vorstellung sehr enttäuschten Zuschauerinnen und Zuschauer war äußerst negativ.
(Die Reaktion dieser enttäuschten Zuschauerinnen und Zuschauer …)

Die Feuerwehr räumte zwei durch einen Unfall, der sich im Nebel ereignet hatte, ineinander verkeilte Fahrzeuge von der Kreuzung.
(Die Feuerwehr räumte zwei verkeilte Fahrzeuge von der Kreuzung.)

Die Feuerwehr räumte alle durch einen Unfall, der sich im Nebel ereignet hatte, ineinander verkeilten Fahrzeuge von der Kreuzung.
(Die Feuerwehr räumte alle verkeilten Fahrzeuge von der Kreuzung.)

Kurz gesagt: Ein adjektivisch verwendetes Partizip wird in einer komplexen Wortgruppe gleich gebeugt, wie wenn es ohne eine von im abhängige Erweiterung steht. Wenn Sie diese Erweiterung(en) weglassen, sehen Sie besser, welche Endung gewählt werden sollte. Ich hoffe, dass dieser „Trick“ Ihnen in vielen Fällen weiterhelfen kann.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Nominativ in „als strategischer Fehler bezeichnet werden“

Frage

Welche der beiden Varianten ist richtig und warum?

Ihre Kandidatur für das Stadtpräsidium muss als strategischer Fehler bezeichnet werden.
Ihre Kandidatur für das Stadtpräsidium muss als strategischen Fehler bezeichnet werden.

Der erste Satz klingt für mich richtig. Wenn ich den Satz umformuliere, tauchen jedoch Zweifel auf:

Ich muss ihre Kandidatur als strategischen Fehler bezeichnen.

Antwort

Guten Tag Herr J.,

richtig ist hier, was für Sie richtig klingt:

Ihre Kandidatur für das Stadtpräsidium muss als strategischer Fehler bezeichnet werden.

Warum steht hier der Nominativ und nicht wie in Ihrem dritten Beispielsatz der Akkusativ? – Das liegt daran, dass als nicht mit einem festen Fall steht. Die als-Gruppe steht im gleichen Fall wie das Wort, auf das sie sich bezieht. Hier steht Kandidatur (der Kern der Wortgruppe ihre Kandidatur für das Stadtpräsidium) im Nominativ. Die als-Gruppe bezieht sich auf das Subjekt des Satzes:

Wer oder was muss als strategischer Fehler bezeichnet werden?

Wenn man den Satz vom Passiv ins Aktiv umsetzt, lautet er so:

Ihre Kandidatur für das Stadtpräsidium muss man als strategischen Fehler bezeichnen.

Die als-Gruppe steht dann wie „Kandidatur“ im Akkusativ. Sie bezieht sich auf das Akkusativobjekt:

Wen oder was muss man als strategischen Fehler bezeichnen?

Dies gilt auch für Verben wie (an)sehen als, auszeichnen als, empfehlen als, darstellen als, empfinden als, hinstellen als, legitimieren als, präsentieren als, preisen als, rühmen als, werten als. Zum Beispiel:

Man sieht ihn als ehrlichen Mann an.
Er wird als ehrlicher Mann angesehen.

Man empfindet das als großen Einbruch in die Privatsphäre.
Das wird als großer Einbruch in die Privatsphäre empfunden.

Man bezeichnet das Buch als ihren größten Erfolg.
Das Buch wird als ihr größter Erfolg bezeichnet.

Diese Verben haben noch eine Gemeinsamkeit: Wenn sie reflexiv verwendet werden, steht die als-Gruppe heute meistens im Nominativ. Sie bezieht sich auf das Subjekt und nicht auf das Reflexivpronomen:

Er sieht sich als ehrlicher Mensch an.
Napoleon empfand sich als der wiedergekehrte Karl der Große.
Der Betrieb bezeichnet sich als deutscher Marktführer.

Wie „meistens“ oben angibt, ist der Akkusativ selten, aber nicht falsch. Wer sich als eherlichen Menschen ansieht und nicht als ehrlicher Mensch, macht also zumindest sprachlich gesehen keinen Fehler. (Die Beispiele stehen übrigens alle im männlichen Singular, weil die Formen des Nominativs und des Akkusativs sich im weiblichen und sächlichen Singular und im Plural nicht voneinander unterscheiden. Dann stellt sich die Frage der Übereinstimmung nur theoretisch.)

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Werden meine Haare grau oder wird mein Haar grau?

Frage

Ich wüsste gerne wie es richtig ist:

Claras lange braune Haare sind sehr schön.
Claras langes braunes Haar ist sehr schön.

Oder ist beides richtig?

Antwort

Guten Tag Frau H.,

beides ist hier möglich, gebräuchlich und korrekt. Das Wort Haar hat im Singular zwei Bedeutungen:

  1. einzelnes Haar
  2. Gesamtheit der Haare (Sammelbezeichnung)

Wenn es sich um eine Gesamtheit von Haaren handelt, kann man unterschiedslos die Mehrzahl Haare oder die Sammelbezeichnung Haar verwenden:

Claras lange braune Haare sind sehr schön.
Claras langes braunes Haar ist sehr schön.

Mit der Mehrzahl sind alle einzelnen Haare gemeint, mit der Einzahl die Gesamtheit der Haare. In den meisten Fällen gibt es dabei keinen Unterschied:

die Haare kämmen
das Haar kämmen

die Haare wachsen lassen
das Haar wachsen lassen

Männer mit vielen Brusthaaren
Männer mit viel Brusthaar

Das Haar des Pudels ist lockig
Die Haare des Pudels sind lockig

blonde / gewellte / frisch gewaschene / kurzgeschnittene / echte Haare
blondes / gewelltes / frisch gewaschenes / kurzgeschnittenes / echtes Haar

Nicht immer kommt beides gleich häufig vor: In der Regel rauft man sich die Haare und nur sehr selten rauft sich jemand das Haar.

Ich konnte nirgendwo Informationen dazu finden, ob es bei der Verwendung von die Haare und das Haar regionale Unterschiede gibt. Bei einzelnen Sprechenden scheint es aber deutliche Vorlieben zu geben. So verwende ich eigentlich nie das Haar für die Gesamtheit der Haare. Ich sage immer, dass meine Haare grau werden, und nie, dass mein Haar grau wird, auch wenn Letzteres ebenfalls korrekt und gebräuchlich ist. Älter werde ich so oder so.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Eine bessere Version unser/unserer selbst – unser oder unserer?

Frage

Einerseits heißt es „eine bessere Version von uns selbst werden“. Wenn man andererseits den von-Dativ nicht verwenden möchte, heißt es dann im Genitiv richtig „eine bessere Version unser selbst werden“ oder „eine bessere Version unserer selbst werden“? […]

Antwort

Guten Tag Herr B.,

der Genitiv des Personalpronomens wir ist unser. Der Genitiv von wir selbst lautet enstprechend unser selbst:

eine bessere Version unser selbst werden

Auch die Genitivform euer des Personalpronomens der zweiten Person Mehrzahl führt häufiger zu Zweifeln:

eine bessere Version euer selbst werden

Andere Formulierungen mit den Genitivformen unser bzw. euer:

Wir müssen uns stärker unser selbst bewusst werden.
ein Medium, durch das wir unser selbst gewahr werden können
Werdet ihr euer selbst nicht überdrüssig?

Neben unser und euer kommen auch die Formen unserer/unsrer und euerer/eurer vor:

eine bessere Version uns[e]rer selbst werden
eine bessere Version eu[e]rer selbst werden
Wir müssen uns stärker uns[e]rer selbst bewusst werden.
Werdet ihr eu[e]rer selbst nicht überdrüssig?

Auch ohne selbst:

Erbarmt euch unser/uns[e]rer!
Sie werden sich euer/eu[e]rer annehmen.

Siehe auch die Angaben zur Flexion der Personalpronomen in der LEO-Grammatik.

Die Formen uns[e]rer und eu[e]rer sind eigentlich Genitivformen der Possessive unser und euer; vgl.:

das Haus uns[e]rer Freunde
das Alter eu[e]rer Kinder

Obwohl uns[e]rer und eu[e]rer auch in standardsprachlichen Texten als Personalpronomen vorkommen, werden sie nicht von allen als korrekt akzeptiert. Sie haben sich wahrscheinlich deshalb (beinahe) etablieren können, weil die gebeugten Formen unser und euer des Personalpronomens irgendwie endungslos wirken. Sie sind ja mit den ungebeugten Formen unser und euer des Possesivs identisch; vgl.:

unser Freund
euer Kind

Der vermeintlichen Endungslosigkeit wird dann abgeholfen, indem man wie beim Possessiv eine Genitivendung -er anfügt, obwohl das Personalpronomen bereits eine Genitivendung -er hat:

eine bessere Version uns[e]rer selbst
eine bessere Version eu[e]rer selbst

Die Gentivformen der Personalpronomen wir und ihr kommen selten vor, weil viele zweifeln – oder viele zweifeln, weil die Formen selten vorkommen. Sie klingen auch recht gehoben. Wie dem auch sei, häufig werden Formulierungen dieser Art vermieden. Auch ich verwende die Genitivformen unser und euer nie. Und damit sind wir wieder ganz am Anfang Ihrer Frage:

eine bessere Version von uns selbst werden
Habt Erbarmen mit uns!
Sie werden sich um euch kümmern.

Wahre Anhänger und Anhängerinnen des Genitivs werden hier aber trotz Seltenheit, eventueller Zweifel und formaler Gehobenheit Formulierungen mit unser und euer verwenden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp