Wenn (es) jemanden nach etwas verlangt

Frage

Ich habe nirgends im Internet die reflexive Form des Verbs „verlangen“ gefunden. Beispiel: „Es verlangt mich nach Liebe“. […]

Ich las jetzt den Satz: „Sie nahmen sich, wonach ihnen verlangte.“ Richtig müsste es doch heißen: „… wonach es sie verlangte.“ Aber warum? Mit welcher Begründung?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

im Satz Es verlangt mich nach Liebe steht nicht eine reflexive Verwendung von verlangen (nicht *sich verlangen), sondern eine unpersönliche Verwendung des Verbs mit einem Akkusativ:

jemanden verlangt (es) nach jemandem/etwas

Die Bedeutung dieser Wendung ist: jemand sehnt sich nach jemandem/etwas, jemand hat ein Bedürfnis nach etwas.

Beispiele:

Es verlangt mich nach Liebe.
Mich verlangt (es) nach Liebe.

Es verlangt mich nach dir.
Mich verlangt (es) nach dir.

Es verlangte ihn nach Ruhe.
Ihn verlangte (es) nach Ruhe.

Es verlangt sie nicht danach, dieses Risiko einzugehen.
Sie verlangt es nicht danach, dieses Risiko einzugehen.

Siehe auch die Angaben im DWDS (Bedeutung 5).

Wie die Beispiele zeigen, gehört diese Verwendung von verlangen eher zum gehobenen Sprachgebrauch. Ich verwende diese Konstruktion jedenfalls in meinem „normalen“ Leben nie.

Der Satz, den Sie zitieren, müsste also tatsächlich mit dem Akkusativ und nicht mit dem Dativ stehen:

Sie nahmen sich, wonach es sie verlangte.

Dieser Satz steht übrigens besser mit es, weil ohne es undeutlich wird, ob es sich bei sie um einen Akkusativ Plural oder um einen Nominativ Singular handelt (das könnte sich nur aus dem weiteren Kontext ergeben).

Wenn man sich weniger gehoben ausdrücken möchte, gibt es andere Möglichkeiten wie zum Beispiel

Ich sehne mich nach dir.
Er verlangte nach Ruhe.
Sie nahmen sich, wonach sie sich sehnten.1

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Bei dieser Umformung kommt die Vermutung auf, dass mit „Sie nahmen sich, wonach ihnen verlangte“ etwas anderes gemeint war: „Sie nahmen sich (alles), was sie wollten/begehrten.“ Wenn dies tatsächlich zutrifft, ist nicht nur ihnen, sondern die ganze Wendung jemanden sehnt es nach etwas nicht richtig gewählt.

Die Adjektivendung, wenn Fische auf andere unter bestimmten Oberflächen versteckte(n?) Objekte zielen

Frage

Ich habe eine Frage zur Wortgruppenflexion. Welche der beiden Versionen ist richtig („versteckte“ vs. „versteckten“):

Die Fische zielen auf Flaschen und andere unter bestimmten Oberflächen versteckte Objekte.
Die Fische zielen auf Flaschen und andere unter bestimmten Oberflächen versteckten Objekte.

Kann man den Einschub „unter der Oberfläche“ ausklammern? Nach was richtet sich die Flexion von „versteckte“? Bei der Flexion von Adjektiven in solchen komplexeren Gruppen komme ich jedes Mal an meine Grenzen. […] Über ein paar allgemeine Tipps oder eine Art Bauplan für solche Wortgruppen wär ich sehr dankbar!

Antwort

Guten Tag Frau R.,

richtig ist hier zweimal die starke Endung e:

Die Fische zielen auf Flaschen und andere unter bestimmten Oberflächen versteckte Objekte.

Vor einem Substantiv wird andere gleich gebeugt wie ein Adjektiv. Ein auf ander- folgendes Adjektiv hat in der Regel die gleiche Endung wie ander-. Dies gilt in einfachen wie in (sehr) komplexen Wortgruppen:

Die Fische zielen auf andere Objekte.

Die Fische zielen auf versteckte Objekte.

Die Fische zielen auf unter bestimmten Oberflächen versteckte Objekte.

Die Fische zielen auf andere versteckte Objekte.

Die Fische zielen auf andere unter bestimmten Oberflächen versteckte Objekte.

Wenn Sie unsicher sind, wie Adjektive bzw. adjektivisch verwendete Partizipien in komplexen Wortgruppen gebeugt werden sollten, können Sie einfach alle vom Partizip abhängigen Erweiterungen weglassen. Sie sehen dann meist besser, welche Endung stehen sollte. Dabei muss übrigens nicht unbedingt ein wirklich sinnvoller Satz entstehen.

In Ihrem Beispielsatz ist die Erweiterung unter bestimmten Oberflächen von versteckt abhängig (wo versteckt?). Um die Beugung von versteckt zu testen, lassen Sie diese Erweiterung weg. Das Wort versteckt wird in der komplexen Formulierung  gleich gebeugt wie in der vereinfachten Variante:

auf andere unter bestimmten Oberflächen versteckte Objekte (zielen)
auf andere versteckte Objekte (zielen)

Verunsichernde Wortgruppen dieser Art finden sich vor allem bei adjektivisch verwendeten Partizipien. Hier noch ein paar Beispiele:

Die Reaktion vieler nach der uninteressanten Vorstellung sehr enttäuschter Zuschauerinnen und Zuschauer war äußerst negativ.
(Die Reaktion vieler enttäuschter Zuschauerinnen und Zuschauer …)

Die Reaktion dieser nach der uninteressanten Vorstellung sehr enttäuschten Zuschauerinnen und Zuschauer war äußerst negativ.
(Die Reaktion dieser enttäuschten Zuschauerinnen und Zuschauer …)

Die Feuerwehr räumte zwei durch einen Unfall, der sich im Nebel ereignet hatte, ineinander verkeilte Fahrzeuge von der Kreuzung.
(Die Feuerwehr räumte zwei verkeilte Fahrzeuge von der Kreuzung.)

Die Feuerwehr räumte alle durch einen Unfall, der sich im Nebel ereignet hatte, ineinander verkeilten Fahrzeuge von der Kreuzung.
(Die Feuerwehr räumte alle verkeilten Fahrzeuge von der Kreuzung.)

Kurz gesagt: Ein adjektivisch verwendetes Partizip wird in einer komplexen Wortgruppe gleich gebeugt, wie wenn es ohne eine von im abhängige Erweiterung steht. Wenn Sie diese Erweiterung(en) weglassen, sehen Sie besser, welche Endung gewählt werden sollte. Ich hoffe, dass dieser „Trick“ Ihnen in vielen Fällen weiterhelfen kann.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Nominativ in „als strategischer Fehler bezeichnet werden“

Frage

Welche der beiden Varianten ist richtig und warum?

Ihre Kandidatur für das Stadtpräsidium muss als strategischer Fehler bezeichnet werden.
Ihre Kandidatur für das Stadtpräsidium muss als strategischen Fehler bezeichnet werden.

Der erste Satz klingt für mich richtig. Wenn ich den Satz umformuliere, tauchen jedoch Zweifel auf:

Ich muss ihre Kandidatur als strategischen Fehler bezeichnen.

Antwort

Guten Tag Herr J.,

richtig ist hier, was für Sie richtig klingt:

Ihre Kandidatur für das Stadtpräsidium muss als strategischer Fehler bezeichnet werden.

Warum steht hier der Nominativ und nicht wie in Ihrem dritten Beispielsatz der Akkusativ? – Das liegt daran, dass als nicht mit einem festen Fall steht. Die als-Gruppe steht im gleichen Fall wie das Wort, auf das sie sich bezieht. Hier steht Kandidatur (der Kern der Wortgruppe ihre Kandidatur für das Stadtpräsidium) im Nominativ. Die als-Gruppe bezieht sich auf das Subjekt des Satzes:

Wer oder was muss als strategischer Fehler bezeichnet werden?

Wenn man den Satz vom Passiv ins Aktiv umsetzt, lautet er so:

Ihre Kandidatur für das Stadtpräsidium muss man als strategischen Fehler bezeichnen.

Die als-Gruppe steht dann wie „Kandidatur“ im Akkusativ. Sie bezieht sich auf das Akkusativobjekt:

Wen oder was muss man als strategischen Fehler bezeichnen?

Dies gilt auch für Verben wie (an)sehen als, auszeichnen als, empfehlen als, darstellen als, empfinden als, hinstellen als, legitimieren als, präsentieren als, preisen als, rühmen als, werten als. Zum Beispiel:

Man sieht ihn als ehrlichen Mann an.
Er wird als ehrlicher Mann angesehen.

Man empfindet das als großen Einbruch in die Privatsphäre.
Das wird als großer Einbruch in die Privatsphäre empfunden.

Man bezeichnet das Buch als ihren größten Erfolg.
Das Buch wird als ihr größter Erfolg bezeichnet.

Diese Verben haben noch eine Gemeinsamkeit: Wenn sie reflexiv verwendet werden, steht die als-Gruppe heute meistens im Nominativ. Sie bezieht sich auf das Subjekt und nicht auf das Reflexivpronomen:

Er sieht sich als ehrlicher Mensch an.
Napoleon empfand sich als der wiedergekehrte Karl der Große.
Der Betrieb bezeichnet sich als deutscher Marktführer.

Wie „meistens“ oben angibt, ist der Akkusativ selten, aber nicht falsch. Wer sich als eherlichen Menschen ansieht und nicht als ehrlicher Mensch, macht also zumindest sprachlich gesehen keinen Fehler. (Die Beispiele stehen übrigens alle im männlichen Singular, weil die Formen des Nominativs und des Akkusativs sich im weiblichen und sächlichen Singular und im Plural nicht voneinander unterscheiden. Dann stellt sich die Frage der Übereinstimmung nur theoretisch.)

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Werden meine Haare grau oder wird mein Haar grau?

Frage

Ich wüsste gerne wie es richtig ist:

Claras lange braune Haare sind sehr schön.
Claras langes braunes Haar ist sehr schön.

Oder ist beides richtig?

Antwort

Guten Tag Frau H.,

beides ist hier möglich, gebräuchlich und korrekt. Das Wort Haar hat im Singular zwei Bedeutungen:

  1. einzelnes Haar
  2. Gesamtheit der Haare (Sammelbezeichnung)

Wenn es sich um eine Gesamtheit von Haaren handelt, kann man unterschiedslos die Mehrzahl Haare oder die Sammelbezeichnung Haar verwenden:

Claras lange braune Haare sind sehr schön.
Claras langes braunes Haar ist sehr schön.

Mit der Mehrzahl sind alle einzelnen Haare gemeint, mit der Einzahl die Gesamtheit der Haare. In den meisten Fällen gibt es dabei keinen Unterschied:

die Haare kämmen
das Haar kämmen

die Haare wachsen lassen
das Haar wachsen lassen

Männer mit vielen Brusthaaren
Männer mit viel Brusthaar

Das Haar des Pudels ist lockig
Die Haare des Pudels sind lockig

blonde / gewellte / frisch gewaschene / kurzgeschnittene / echte Haare
blondes / gewelltes / frisch gewaschenes / kurzgeschnittenes / echtes Haar

Nicht immer kommt beides gleich häufig vor: In der Regel rauft man sich die Haare und nur sehr selten rauft sich jemand das Haar.

Ich konnte nirgendwo Informationen dazu finden, ob es bei der Verwendung von die Haare und das Haar regionale Unterschiede gibt. Bei einzelnen Sprechenden scheint es aber deutliche Vorlieben zu geben. So verwende ich eigentlich nie das Haar für die Gesamtheit der Haare. Ich sage immer, dass meine Haare grau werden, und nie, dass mein Haar grau wird, auch wenn Letzteres ebenfalls korrekt und gebräuchlich ist. Älter werde ich so oder so.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Eine bessere Version unser/unserer selbst – unser oder unserer?

Frage

Einerseits heißt es „eine bessere Version von uns selbst werden“. Wenn man andererseits den von-Dativ nicht verwenden möchte, heißt es dann im Genitiv richtig „eine bessere Version unser selbst werden“ oder „eine bessere Version unserer selbst werden“? […]

Antwort

Guten Tag Herr B.,

der Genitiv des Personalpronomens wir ist unser. Der Genitiv von wir selbst lautet enstprechend unser selbst:

eine bessere Version unser selbst werden

Auch die Genitivform euer des Personalpronomens der zweiten Person Mehrzahl führt häufiger zu Zweifeln:

eine bessere Version euer selbst werden

Andere Formulierungen mit den Genitivformen unser bzw. euer:

Wir müssen uns stärker unser selbst bewusst werden.
ein Medium, durch das wir unser selbst gewahr werden können
Werdet ihr euer selbst nicht überdrüssig?

Neben unser und euer kommen auch die Formen unserer/unsrer und euerer/eurer vor:

eine bessere Version uns[e]rer selbst werden
eine bessere Version eu[e]rer selbst werden
Wir müssen uns stärker uns[e]rer selbst bewusst werden.
Werdet ihr eu[e]rer selbst nicht überdrüssig?

Auch ohne selbst:

Erbarmt euch unser/uns[e]rer!
Sie werden sich euer/eu[e]rer annehmen.

Siehe auch die Angaben zur Flexion der Personalpronomen in der LEO-Grammatik.

Die Formen uns[e]rer und eu[e]rer sind eigentlich Genitivformen der Possessive unser und euer; vgl.:

das Haus uns[e]rer Freunde
das Alter eu[e]rer Kinder

Obwohl uns[e]rer und eu[e]rer auch in standardsprachlichen Texten als Personalpronomen vorkommen, werden sie nicht von allen als korrekt akzeptiert. Sie haben sich wahrscheinlich deshalb (beinahe) etablieren können, weil die gebeugten Formen unser und euer des Personalpronomens irgendwie endungslos wirken. Sie sind ja mit den ungebeugten Formen unser und euer des Possesivs identisch; vgl.:

unser Freund
euer Kind

Der vermeintlichen Endungslosigkeit wird dann abgeholfen, indem man wie beim Possessiv eine Genitivendung -er anfügt, obwohl das Personalpronomen bereits eine Genitivendung -er hat:

eine bessere Version uns[e]rer selbst
eine bessere Version eu[e]rer selbst

Die Gentivformen der Personalpronomen wir und ihr kommen selten vor, weil viele zweifeln – oder viele zweifeln, weil die Formen selten vorkommen. Sie klingen auch recht gehoben. Wie dem auch sei, häufig werden Formulierungen dieser Art vermieden. Auch ich verwende die Genitivformen unser und euer nie. Und damit sind wir wieder ganz am Anfang Ihrer Frage:

eine bessere Version von uns selbst werden
Habt Erbarmen mit uns!
Sie werden sich um euch kümmern.

Wahre Anhänger und Anhängerinnen des Genitivs werden hier aber trotz Seltenheit, eventueller Zweifel und formaler Gehobenheit Formulierungen mit unser und euer verwenden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Aus aktuellem Anlass: Wie Charles III. dekliniert wird

„Die Königin ist tot, lang lebe der König!“ Dieser Satz, der die unmittelbare Thronübernahme im Vereinigten Königreich symbolisiert, soll mir hier als Entschuldigung dafür dienen, dass der heutige Blogartikel – für britische Begriffe wahrscheinlich ziemlich respektlos – nicht das Staatsbegräbnis Elisabeths II. behandelt, sondern den Namen ihres Nachfolgers. Wie wird Charles III. dekliniert?

Im Prinzip ist es gar nicht so kompliziert, aber um es genauer zu erklären braucht man mehr Worte, als ich anfangs gedacht hatte. Das liegt unter anderem daran, dass der Name Charles auf ein s endet. Das wirft im Genitiv die Frage auf, ob ein Apostroph stehen muss oder nicht. Bei Zweifel ist es am einfachsten, im Genitiv für Charles die deutsche Entsprechung Karl einzusetzten (so wie das bei Herrschernamen allgemein üblich war): Wenn Karl ein s erhält, schreibt man Charles mit einem Apostroph.

Fangen wir mit dem Namen an, wenn er ohne Title verwendet wird (die mit III. geschriebene Variante wird jeweils gleich ausgesprochen):

Charles der Dritte / Charles III.
für Charles den Dritten / für Charles III.
mit Charles dem Dritten / mit Charles III.
die Mutter Charles’ des Dritten / die Mutter Charles’ III.
Charles’ des Dritten Mutter / Charles’ III. Mutter

vgl.
die Mutter Karls des Dritten / die Mutter Karls III.
Karls des Dritten Mutter / Karls III. Mutter

Kommt der Titel König hinzu, bleibt der Titel ungebeugt und wird der Rest des Namens gleich gebeugt wie ohne Titel:

König Charles der Dritte / König Charles III.
für König Charles den Dritten / für König Charles III.
mit König Charles dem Dritten / mit König Charles III.
die Mutter König Charles’ des Dritten / die Mutter König Charles’ III.
König Charles’ des Dritten Mutter / König Charles’ III. Mutter

vgl.
die Mutter König Karls des Dritten / die Mutter König Karls III.
König Karls des Dritten Mutter / König Karls III. Mutter

Das ist noch nicht ganz alles, denn man kann den Titel auch mit Artikel verwenden. Dann wechseln Titel und Name bei der Beugung die Plätze: Der Titel wird gebeugt und der Name bleibt unverändert:

der König Charles der Dritte / der König Charles III.
für den König Charles den Dritten / für den König Charles III.
mit dem König Charles dem Dritten / mit dem König Charles III.
die Mutter des Königs Charles des Dritten / die Mutter des Königs Charles III.

vgl.
die Mutter des Königs Karl des Dritten / die Mutter des Königs Karl III.

Der Vollständigkeit halber habe ich oben alle Fälle aufgeführt. Zu Unsicherheiten führt aber vor allem der Genitiv. Wenn man einmal weiß, wo Karl ein s erhält, weiß man auch, wann man Charles mit einem Apostroph schreibt:

die Mutter Karls/Charles’ des Dritten
Karls/Charles’ des Dritten Mutter
die Mutter König Karls/Charles’ des Dritten
König Karls/Charles’ des Dritten Mutter
die Mutter des Königs Karl/Charles des Dritten

Die Namen weiblicher Monarchen werden im Prinzip gleich gebeugt. Genaueres behandle ich besser ein anderes Mal. Der Artikel ist so schon viel zu umfangreich. Nur kurz das Wichtigste zum Genitiv:

der Sohn Elisabeths der Zweiten
Elisabeths der Zweiten Sohn
der Sohn Königin Elisabeths der Zweiten
Königin Elisabeths der Zweiten Sohn
der Sohn der Königin Elisabeth der Zweiten

Mehr zu diesem Thema finden Sie hier unter „Enge Apposition“.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Konjunktiv II: Bräuchte es auch „wöllte“ und „söllte“?

Frage

Ich höre immer mehr die Verbform „wöllte“ statt „wollte“ (als Konjunktiv). Dies scheint mir eine Analogie-Bildung zu „könnte“ zu sein, ist aber wohl (noch?) nicht korrekt. Wann kommt dann „söllte“? Was meinen Sie?

Antwort

Guten Tag Herr D.,

es ist tatsächlich anzunehmen, dass die Form wöllte eine Analogiebildung zu könnte, dürfte, müsste und wüsste ist. Durch den Umlaut unterscheiden sich diese Konjunktivformen deutlich vom Indikativ konnte, durfte, musste und wusste. Bei wollen und sollen hingegen wird nicht umgelautet (die Antwort auf die Frage nach dem Warum muss ich Ihnen an dieser Stelle schuldig bleiben). Dadurch gibt es bei wollen und sollen wie bei den regelmäßig konjugierten Verben keinen Unterschied zwischen dem Indikativ Präteritum und dem Konjunktiv II (Konjunktiv Präteritum): Die Form lautet in beiden Fällen wollte bzw. sollte.

Indikativ Präteritum Konjunktiv II (Präteritum)
durfte dürfte
konnte könnte
musste müsste
wusste wüsste
sollte sollte
wollte wollte

Es ist deshalb gar nicht so erstaunlich, dass die Formen wöllte und seltener auch söllte gebildet werden. Sie sind nicht nur in Übereinstimmung mit den entsprechenden Formen der anderen Modalverben (sowie von wissen), sondern auch ganz praktisch, weil sie den Konjunktiv so schön deutlich angeben.

Üblich und akzeptiert sind wöllte und söllte aber dennoch nicht. Ob oder wann es ihnen einmal gelingen wird, in die Standardsprache einzudringen, ist schwierig zu sagen. Vorläufig kommen sie dafür noch nicht häufig genug vor.

Eine andere Form, die mit den Modalverben verwandt ist, hat dies schon geschaft: bräuchte. In vielen Wörterbüchern und Grammatiken gilt bräuchte neben der regelmäßigen Form brauchte als standardsprachlich akzeptierte Konjunktivform.

Indikativ Präteritum Konjunktiv II (Präteritum)
brauchte brauchte/bräuchte

Während also die Verwendung von bräuchte mittlerweile mehr oder weniger problemlos ist (es gibt immer noch strengere Sprachhüter und -hüterinnen, denen diese Form gar nicht zusagt), sollte man die Formen wöllte und söllte (noch?) vermeiden, so praktisch sie auch sein mögen.

Diese Formen zeigen sehr schön, dass vieles, was in der Sprache als richtig gilt, weniger mit Logik und Effizienz als vielmehr mit allgemeinem Gebrauch und Konsens zu tun hat: Wenn es konnte/könnte, durfte/dürfte und musste/müsste heißt (Indikativ/Konjunktiv), müsste es logischerweise und praktischerweise auch wollte/wöllte und sollte/söllte sein. Gebräuchlich und akzeptiert sind aber nur wollte/wollte und sollte/sollte. Bei brauchte/brauchte bzw. brauchte/bräuchte ist heute sogar beides (mehr oder weniger) akzeptiert.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Komplizierte Verbformen: „bis es eingeführt sein werden wird“?

Frage

Gestern Abend habe ich im Fernsehen [eine Politikerin] gesehen. Sie sagte:

… bis dies eingeführt sein werden wird

Äh, was?? Gehe ich recht in der Annahme, dass wir es hier mit einer Passiv-Konstruktion 3. Person Singular im Futur 2 Indikativ im Nebensatz zu tun haben? Wäre es nicht besser so: „… bis dies eingeführt sein wird“ oder „… bis dies eingeführt worden ist“? Haben Sie noch eine andere Idee?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

die Form, die Sie gehört haben, gibt es nicht. Es ist aber nicht erstaunlich, dass der Politikerin die Verbformen durcheinandergeraten sind. Gerade in der gesprochenen Sprache sind solche Anhäufungen von Verbformen oft schwierig zu meistern, auch für Menschen, die das Deutsche im Allgemeinen gut beherrschen.

Gemeint war wahrscheinlich Folgendes:

 … bis dies eingeführt worden sein wird

Das ist tatsächlich die 3. Person Singular Futur II Indikativ Passiv des Verbs einführen. Solche Formen kommen relativ selten vor, nicht zuletzt, weil sie so komplex sind. Oft ist es einfacher und nicht weniger präzise, das Futur durch das Präsens zu ersetzen (das ist im Deutschen fast immer möglich) oder das Aktiv anstelle des Passivs zu verwenden:

… bis dies eingeführt worden ist
… bis dies eingeführt ist

… bis man dies eingeführt haben wird / eingeführt hat
… bis wir dies eingeführt haben werden / eingeführt haben

Es gibt also verschiedene einfachere Formulierungen. Doch beim freien Sprechen kommt man nicht immer sofort auf die ideale Formulierung, vor allem wenn der Inhalt des Gesagten auch noch stimmen sollte.  Wir sollten deshalb der Politikerin diesen Verbformen-Ausrutscher nicht übel deuten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wonach richtet sich das Verb bei Subjekten mit „nicht (nur) … sondern (auch) …“?

Frage

Mal wieder ein Kongruenzproblem, für das ich in den einschlägigen Nachschlagewerken keine befriedigende Lösung finde. Es geht um diesen Satz: „Es wird so sein, dass nicht die Mutter die Blicke auf sich ziehen wird, sondern ihre Kinder.“ In der Leo-Grammatik steht zwar, dass sich die Personalform des Verbs nach dem ihm am nächsten stehenden Subjekt richtet, aber das kann hier ja nicht gelten. Wie würde hier die Regel lauten? Ist der Satz so korrekt?

Antwort

Guten Tag Herr H.,

nach der „Regel“, die Sie in der LEO-Grammatik gefunden haben, richtet sich das Verb bei einem mehrteiligen Subjekt mit nicht (nur)  – sondern (auch) tatsächlich nach dem Teil des mehrteiligen Subjekts, der am nächsten beim Verb steht:

Nicht nur die Bank, sondern auch die Lieferbetriebe erheben zusätzliche Gebühren.
Nicht nur die Lieferbetriebe, sondern auch die Bank erhebt zusätzliche Gebühren.

Nicht die Mutter, sondern ihre Kinder werden die Blicke auf sich ziehen.
Nicht die Kinder, sondern ihre Mutter wird die Blicke auf sich ziehen.

So weit ist die Lage übersichtlich. Ihr Beispielsatz ist deshalb komplizierter, weil er zwei verschiedene Phänomene in sich birgt:

1) Das mehrteilige Subjekt steht in einem Nebensatz:

Stimmt es, dass nicht nur die Bank, sondern auch die Lieferbetriebe zusätzliche Gebühren erheben?
Stimmt es, dass nicht nur die Lieferbetriebe, sondern auch die Bank zusätzliche Gebühren erhebt?

Es wird so sein, dass nicht die Mutter, sondern ihre Kinder die Blicke auf sich ziehen werden.
Es wird so sein, dass nicht die Kinder, sondern ihre Mutter die Blicke auf sich ziehen wird.

Auch hier gilt, dass das Verb sich nach dem Teil des mehrteiligen Subjekts richtet, der ihm am nächsten steht.

2) Die sondern-Gruppe wird vom anderen Subjektteil getrennt an des Schluss des Satzes ins Nachfeld verschoben. In einem Hauptsatz ist das immer noch relativ problemlos:

Nicht nur die Bank erhebt zusätzliche Gebühren, sondern auch die Lieferbetriebe.
Nicht nur die Lieferbetriebe erheben zusätzliche Gebühren, sondern auch die Bank.

Nicht die Mutter wird die Blicke auf sich ziehen, sondern ihre Kinder.
Nicht die Kinder werden die Blicke auf sich ziehen, sondern ihre Mutter.

1) + 2) Problematischer wird es erst, wenn die sondern-Gruppe wie in Ihrem Beispiel in einem Nebensatz steht und von der nicht-Gruppe getrennt ins Nachfeld ausgelagert wird. Dann steht die sondern-Gruppe direkt nach dem abschließenden Verb des Nebensatzes. Gemessen am reinen Wortabstand steht sie nun zwar näher beim Verb, sie ist aber trotzdem „weiter weg“, weil sie sozusagen aus dem Satz ausgelagert worden ist. Das Verb richtet sich dann nach dem Subjektteil, der vor ihm im Mittelfeld steht:

Stimmt es, dass nicht nur die Bank zusätzliche Gebühren erhebt, sondern auch die Lieferbetriebe?
Stimmt es, dass nicht nur die Lieferbetriebe zusätzliche Gebühren erheben, sondern auch die Bank?

Es wird so sein, dass nicht die Mutter die Blicke auf sich ziehen wird, sondern die Kinder.
Es wird so sein, dass nicht die Kinder die Blicke auf sich ziehen werden, sondern ihre Mutter.

Die Angabe, die Sie in der LEO-Grammatik gefunden haben, müsste eigentlich für Fälle wie diesen präzisieren, dass mit „näher“ nicht immer der reine Wortabstand gemeint ist. Wie die Antwort auf Ihre Frage vielleicht zeigt, kann es aber manchmal eher verwirrend als hilfreich sein, wenn man ganz präzise sein will. Deshalb für den Allgemeingebrauch einfacher: In den meisten Fällen richtes sich das Verb bei mehrteiligen Subjekten mit nicht (nur) – sondern (auch) nach dem Teil des Subjekts, das ihm am nächsten steht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Zwei alte Genitivformen: „des“ und „wes“

Frage

In diesem Gedicht von Morgenstern ist mir nicht ganz klar, worauf „des“ sich bezieht. Könnten Sie mir dabei helfen?

Für viele

Wieviel Schönheit ist auf Erden
Unscheinbar verstreut;
Möchte ich immer mehr des inne werden;
Wieviel Schönheit, die den Taglärm scheut,
In bescheidnen alt und jungen Herzen!
Ist es auch ein Duft von Blumen nur,
Macht es holder doch der Erde Flur
Wie ein Lächeln unter vielen Schmerzen.

Christian Morgenstern

Ist das vielleicht ein Genitiv oder ein „dies“?

Antwort

Guten Tag Herr D.,

die Form des ist hier eine alte Variante von dessen. Man findet sie vor allem noch in Zusammensetzungen und Wendungen wie deswegen, deshalb und des ungeachtet. Es ist der Genitiv des Pronomens der oder das:

Möchte ich immer mehr des inne werden, wieviel Schönheit …
= Möchte ich immer mehr dessen innewerden, wie viel Schönheit …
= Möchte ich mir immer mehr dessen bewusst werden, wie viel Schönheit …

Auch in älteren Redewendungen und Sprichwörtern kann man der Form des noch begegnen:

Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Hier kommt auch gleich das nahe verwandte Wort wessen mit seiner alten Varianten wes vor. Es ist das wes, das auch in zum Beispiel weshalb und weswegen oder in Wesfall, der deutschen Bezeichnung für Genitiv, zu finden ist.

In modernerem Deutsch werden diese Sprichwörter mit wovon und davon bzw. wessen und dessen formuliert:

Wovon das Herz voll ist, (davon) strömt der Mund über.
Wessen Brot ich esse, dessen Lied singe ich.

„Wer starke Emotionen verspürt, möchte auch gerne darüber reden und sie anderen mitteilen“, ist die Bedeutung des ersten Sprichwortes. Weniger positiv zu verstehen ist in der heutigen Zeit das zweite Sprichwort, das eine ziemlich opportunistische Lebenshaltung oder Berufseinstellung beschreibt: „Wer mich bezahlt, dessen Interessen vertrete ich auch.“

Und seien Sie sich des oder – im heutigen Deutschen – dessen bewusst, dass es genügt, wenn Sie die Formen des und wes erkennen können. Verwendet werden sie nicht oder kaum mehr.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp