Die Anzahl Sekunden seit Mitternacht

Frage

Das Wort Mitternacht wird ja im allgemeinen ohne Artikel verwendet: Es ist Mitternacht. Wenn ich jetzt aber den Sachverhalt die Anzahl Sekunden, die vergangen ist, seit es das letzte Mal Mitternacht war verkürzt ausdrücken möchte, komme ich nicht umhin, einen Artikel zu benutzen: die Anzahl Sekunden seit der letzten Mitternacht. Der Artikel hört sich hier fehl am Platze an. Eine Formulierung wie die Anzahl Sekunden seit Mitternacht lässt aber meiner Meinung nach eine Interpretation bzgl. dessen zu, „welche“ Mitternacht gemeint ist. Daher halte ich die Konkretisierung letzte Mitternacht für notwendig.

Außerdem habe ich mal gehört, dass Deutsch sich besonders gut als Wissenschaftssprache eignet, weil in ihr Sachverhalte sehr exakt ausgedrückt werden können, wobei andere Sprachen, wie Englisch oder Russisch eine vergleichbare Eindeutigkeit entweder gar nicht erreichen, oder nur durch umständliche und lange Formulierungen.

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

es ist mir auch schon zu Ohren gekommen, dass das Deutsche besonders gut für wissenschaftliche und technische Beschreibungen geeignet sei. Ich kann das aber einfach nicht so recht glauben, denn auch das Deutsche besteht wie andere Sprachen aus viel mehr Mehrdeutigkeiten und „Ungenauigkeiten“ als präzise definierten Begriffen und Relationen. Außerdem waren das Russische und das Englische doch wissenschaftlich genug, um eine Technik hervorzubringen, mit der Menschen in den Weltraum geschickt werden können. Auch in Frankreich, im Land, das man mit Chic und guter Küche, aber (zu Unrecht!) nicht mit Wissenschaft assoziiert, fuhren zum Beispiel die TGVs um einiges früher als in deutschen Landen die ICEs. Der deutsche Sprachraum hat ebenfalls viele technische und wissenschaftliche Leistungen hervorgebracht, aber ob dabei die Struktur der Sprache einen Vorteil gegenüber anderen geliefert hat, wage ich zu bezweifeln.

Zu Ihrer Frage: Das Wort Mitternacht wird im Prinzip ohne Artikelwort verwendet. Eine Formulierung wie letzte Mitternacht klingt deshalb ungewöhnlich, aber ausgeschlossen ist sie nicht. Wendungen wie die Anzahl Sekunden seit letzter Mitternacht oder die Anzahl Sekunden seit der letzten Mitternacht sind jedenfalls gut verständlich.

Aber auch die Formulierung die Anzahl Sekunden seit Mitternacht finde ich eigentlich präzise genug. Kaum jemand nimmt wohl an, dass damit Mitternacht vor zwei oder drei Tagen gemeint sein könnte. Mathematisch-logisch ist das natürlich möglich, aber im konkreten Sprachgebrauch – auch unter Technikern und Wissenschaftlern; nur bei Juristen wäre ich da vorsichtiger – eher eine Spitzfindigkeit. Außerdem gibt die Anzahl der Sekunden an, ab „welcher“ Mitternacht gemessen worden ist. Wenn es weniger als 86.400 Sekunden sind, kann es sich nur um die letzte Mitternacht gehandelt haben. Aber wenn Sie wirklich präzise formulieren wollen, gibt es Möglichkeiten wie diese:

die Anzahl Sekunden seit der letzten Mitternacht
die Anzahl Sekunden seit 00.00 Uhr des betreffenden Tages

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

In keinster Weise

Frage

In „keinster Weise“, sehr geehrter Herr Dr. Bopp, glaube ich Sie zu überfordern, wenn ich frage ob kein so steigerbar ist, wie es im z.B. Deutschen Bundestag oft gesteigert wird.

Antwort

Sehr geehrter Herr S.,

das Wort kein hat im Prinzip keine Steigerungsformen. Im Standarddeutschen kann man deshalb nur sagen in keiner Weise. In der Umgangssprache – und offenbar auch im Bundestag – hört man allerdings oft die nachdrücklichere Form in keinster Weise. Im Standarddeutschen sollte man diese Form höchstens bewusst scherzhaft übertreibend verwenden, denn sie gilt dort allgemein als nicht korrekt. Irgendwie klingt die Wendung in keinster Weise auch etwas gar gewichtig. Das könnte ihre häufigere Verwendung in Debatten im Bundestag erklären …

Wenn man es mit Nachdruck sagen will, sagt man wohl besser in gar keiner Weise oder ganz schlicht und einfach überhaupt nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Was kann womit kollidieren?

Frage

Kann eine Auto mit einer Wand kollidieren? Oder können nur zwei Schiffe kollidieren? Ist der erste Satz korrekt?

Antwort

Sehr geehrter Herr O.,

eigentlich kann nur Bewegliches mit Beweglichem kollidieren. Die Bedeutung von kollidieren ist zusammenprallen. Normalerweise kollidieren Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe:

Das Fahrradfahrer kollidierte mit einem von rechts kommenden PKW.
Der Dampfer kollidierte mit einem Handelsschiff.
Die Boeing wäre beinahe mit einer aufsteigenden Cessna kollidiert.
Zwei Güterzüge sind außerhalb des Bahnhofs kollidiert.

Auch andere bewegliche „Einheiten“ aller Art können kollidieren:

Die Titanic kollidierte mit einem Eisberg.
Das Hubble-Weltraumteleskop fotografierte kollidierende Galaxien.
Das Mädchen rannte um den Tisch und kollidierte mit dem kleinen Bruder.

Dann gibt es natürlich auch noch – im übertragenen Sinne – kollidierende Meinungen, Interessen, Anliegen, Lösungsmodelle usw.

Man hört und liest aber auch öfters, dass Autos mit Mauern und Schiffe mit Schleusentoren kollidieren. Das ist nach der eigentlichen Bedeutung von kollidieren zumindest zweifelhaft. Es ist so richtig oder falsch, wie wenn ein Auto mit einer Mauer zusammenprallt. Man versteht es, aber stilistisch ist es doch viel besser, zu sagen, dass ein Auto auf eine Mauer prallt oder dass ein Schiff gegen ein Schleusentor prallt.

Stilistisch einwandfrei kann allerdings die Aussage eines übermäßig Beschwipsten sein, wenn er sagt, dass er auf dem Gehsteig mit einem Laternenpfahl kollidiert sei. Der Laternenpfahl musste wohl beweglich sein, denn sonst hätte er ihm ja ausweichen können.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die aktuellsten Nachrichten

Wieder einmal zu einem „Dauerbrenner im Grammatikland“:

Frage

Nach Zwiebelfisch [= Kolumnist Bastian Sick] „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ kann man optimal und aktuell nicht steigern. Wenn etwas aktuell ist, dann ist das andere eben nicht aktuell. Auf Canoonet werden diese Wörter aber mit Steigerungsformen angegeben. Wer liegt hier richtig?

Antwort

Sehr geehrte Frau F.,

wenn man die wörtliche Definition solcher „absoluter“ Adjektive nimmt, hat Herr Sick natürlich recht. Wenn etwas aktuell ist, dann kann etwas anderes nur ebenfalls aktuell oder nicht (mehr) aktuell sein. Das Optimale ist das Bestmögliche, besser geht also nicht mehr. Und absolut bedeutet ja, dass es darüber hinaus nichts mehr geben kann. Steigerungsformen sind also bei der wörtlichen Bedeutung solcher Adjektive nicht möglich.

Das ist aber ein wenig flexible und sehr einengende Sicht auf die Möglichkeiten der Sprache. Nehmen wir zum Beispiel aktuell: Wenn die aktuellen Nachrichten der ARD eine halbe Stunde älter sind als die aktuellen Nachrichten des ZDF, darf ich dann nicht sagen, dass die Nachrichten des ZDF aktueller sind als diejenigen der ARD? Und wenn die Nachrichten von SAT und RTL usw. noch älter sind, hat dann das ZDF in diesem Moment nicht die aktuellsten Nachrichten? Nach der strengen, wörtlichen Auslegung der Bedeutung von aktuell stimmt das vielleicht nicht: Nur das ZDF hat aktuelle Nachrichten, alle anderen nicht mehr, obwohl sie behaupten, dass Sie aktuellen Nachrichten hätten. Ich glaube aber nicht, dass – außer strengen Grammatikern und deren Anhänger –  jemand hier einen Fehler entdecken kann. Die Steigerungsformen aktueller und aktuellste drücken hier genau aus, was gemeint ist, nämlich dass alle Fernsehstationen aktuelle Meldungen haben und dass diejenigen des ZDF die neuesten oder eben die aktuellsten sind.

Im Allgemeinen gilt, dass man absolute Adjektive auch in einem übertragenen Sinne oder bewusst übertreibend verwenden kann – und wie ich finde auch darf. Wenn es neben beste auch allerbeste gibt, weshalb darf es dann neben optimal im verstärkenden oder übertreibenden Sinne nicht auch optimalste geben? Diese Steigerungsform verdient zugegebenermaßen meistens nicht den Schönheitspreis, aber sie ist nach der Grammatik des Deutschen möglich, weil das Deutsche die bewusste Übertreibung und die Verstärkung des Superlativs (z.B. allerbeste) kennt und zulässt. Die Frage lautet meistens nicht, ob solche Steigerungsformen korrekt sind, sondern vielmehr, ob man sie stilistisch schön, gut oder akzeptabel findet. Man sollte also ihren Gebrauch nicht, wie Herr Sick es tut, von vornherein verurteilen.

Das schönste Beispiel einer solchen Übertreibung habe ich einmal von einer englischsprachigen Linguistin gelesen, an deren Namen ich mich leider nicht erinnere. Sie schrieb sinngemäß das Folgende:

Wer einmal im neunten Monat mit Drillingen schwanger war, wird nie mehr behaupten, dass eine Frau nicht schwangerer sein kann als eine andere.

Ganz so weit würde ich nicht gehen, aber das Beispiel zeigt, dass Wörter nicht nur im engen Käfig ihrer wörtlichen Definition benutzt werden, sondern auch in vielen anderen Kontexten und Bedeutungen.

Sehen Sie hierzu auch einen früheren Blogeintrag und diese Grammatikseite zu den absoluten Adjektiven.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Liebe Freundinnen und Freunde

Frage

Kann man anstatt Liebe Freundinnen und Freunde kürzer Liebe FreundInnen (mit großem I) schreiben? Die gleiche Frage stellt sich auch für RätInnen, GenossInnen usw.

Antwort

Sehr geehrter Herr R.,

nach der amtlichen Rechtschreibung ist diese Verwendung eines Großbuchstabens im Wortinnern nicht vorgesehen. Es gibt aber verschiedene Alternativen, wie man Frauen und Männer in einem Ausdruck erwähnen kann. Am besten finde ich, wenn möglich nicht abzukürzen:

Liebe Kolleginnen und Kollegen
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gesucht
die Rätinnen und Räte
Freundinnen und Freunde

Wenn Sie zum Beispiel aus Platzgründen abkürzen müssen oder wollen, gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Schrägstrich

    Liebe Kolleginnen/Kollegen
    Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen gesucht
    die Rätinnen/Räte
    Freundinnen/Freunde

  • Schrägstrich und Ergänzungsstrich

    Mitarbeiter/-innen gesucht
    250 Schüler/-innen

    Diese Schreibweise sollte nur dann verwendet werden, wenn das erste Wort keine Endung hat. Also besser nicht:

    Kollegen/-innen
    Räte/-innen
    Freunde/-innen

  • Klammern

    Liebe Kolleg(inn)en
    Mitarbeiter(innen) gesucht

    Diese Schreibweise verwenden Sie der Lesbarkeit zuliebe besser nicht, wenn die Wörter unterschiedliche Endungen haben. Also besser nicht:

    Rät(inn)e(n)
    Freund(inn)e(n)

  • Großes I im Wortinnern
    Diese Variante ist, wie bereits gesagt, offiziell nicht anerkannt. Sie sollte vor allem dann nicht verwendet werden, wenn die Wörter wie z.B. Freund-e und Freundinn-en unterschiedliche Endungen haben.

    Liebe KollegInnen
    MitarbeiterInnen gesucht

Bei Freundinnen und Freunde gibt es also nur eine gute Möglichkeit, abzukürzen:

   Liebe Freundinnen/Freunde

Eine Anrede wie Liebe Freundinnen und Freunde würde ich persönlich aber immer ausschreiben. Das sieht irgendwie viel höflicher, netter oder respektvoller aus. Und wenn man sieht, wie kompliziert das Abkürzen sein kann, ist Ausschreiben ohnehin zu empfehlen …

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Muss ich es selbst oder selber tun?

Frage

Ich bin ganz unsicher bei der Verwendung von selber und selbst. Ich frage mich, wann ich welches benutzen kann oder ob es ganz egal ist. Vielleicht sollte auch eines der beiden überhaupt nicht benutzt werden.

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

die Wörter selbst und selber haben die gleiche Bedeutung und Anwendung. Im Unterschied zu selbst, das von allen als standardsprachlich angesehen wird, gilt selber eher als umgangssprachlich. Es kommt aber auch in standardsprachlichen Texten vor. Auch hier gilt wieder einmal, dass Sie besser selbst als selber verwenden, wenn Sie ganz sicher sein wollen, dass bestimmt kein „wohlmeinender“ Zeitgenosse Ihre Wortwahl kritisiert. Hier einige Anwendungsbeispiele:

Ich habe es selbst gemacht.
Ich habe es selber gemacht.

Man sollte nicht sich selbst belügen.
Man sollte nicht sich selber belügen.

Es ging wie von selbst.
Es ging wie von selber.

Hast du den Pullover selbst gestrickt?
Hast du den Pullover selber gestrickt?

Ja, das ist ein selbst gestrickter oder selbstgestrickter Pullover.
Ja, das ist ein selber gestrickter oder selbergestrickter Pullover.

Wenn das Pronomen als Substantiv verwendet wird, verwendet man nur Selbst:

ein Teil meines Selbst
dein wahres Selbst

Auch das Adverb selbst mit der Bedeutung sogar kann nicht durch selber ersetzt werden. Also nur:

Selbst er wusste nicht mehr weiter.
Selbst hier spielst du den Clown!

Sehen Sie auch diese Grammatikseite und diese Angaben zur Rechtschreibung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Praxisgebühr(en)befreiung

Frage

Wie heißt es richtig: Praxisgebührenbefreiung oder Praxisgebührbefreiung?

Sind folgende Ausdrücke akzeptabel?

Der Patient ist praxisgebührenbefreit bis…
Der Patient ist praxisgebührbefreit bis…

Antwort

Sehr geehrte Frau G.,

beide Begriffe kommen vor und beide Wörter sind korrekt nach den deutschen Wortbildungsregeln gebildet. Praxisgebührbefreiung ohne en scheint allerdings üblicher zu sein.

Wenn Sie diese Variante wählen, können Sie entsprechend auch praxisgebührbefreit bilden. Diesen Ausdruck finde ich aber stilistisch so unschön, dass ich Ihnen dringend eine andere Formulierung empfehlen möchte:

Der Patient ist bis … von der Praxisgebühr befreit.

Oder, wenn es in eine Tabelle o. Ä. passen muss:

Der Patient ist von der Praxigebühr befreit bis: …

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wenn es buchstäblich Bindfäden regnet

Gestern las ich in einem Ferienbericht aus den Azoren, dass es dort einen Tag lang buchstäblich Bindfäden geregnet habe. Ich kann mir zwar vorstellen, dass es ausgiebig, sehr stark, heftig, sintflutartig oder eben Bindfäden regnet, aber auch auf den Azoren wird es wohl kaum je buchstäblich Bindfäden regnen. Darüber hätte man gerade im Sommerloch sicher in der Zeitung oder im Wetterbericht nach den Abendnachrichten etwas erfahren. Und was hätten die armen Azorer mit all den Bindfäden anfangen müssen?

Es geht um das Wort buchstäblich, das so viel wie im wahrsten Sinne des Wortes, regelrecht, ohne zu übertreiben bedeutet. Beispiele sind:

Er hat den Zirkus buchstäblich aus dem Nichts erschaffen.
Bei Rettungseinsätzen zählt buchstäblich jede Sekunde.

Weiter kann buchstäblich angeben, dass das nachfolgend Gesagte wörtlich und nicht etwa in einem übertragenen Sinne gemeint ist:

Schokolade ist buchstäblich in aller Munde.
Mit dauernd gekippten Fenstern heizen Sie buchstäblich zum Fenster hinaus.
Madonna hebt buchstäblich ab. (Sie plant einen Flug ins All …)
LOrfeo“ war buchstäblich atemberaubend. (Ein paar Zuschauer waren während der Vorstellung ohnmächtig geworden.)
Schreiender Junge erschreckt Hühner buchstäblich zu Tode. (Die Hühner sind vor Stress tatsächlich tot umgefallen.)

Vergleichen Sie nun die folgenden Sätze, bei denen eine gut gelungene einer weniger empfehlenswerten Verwendung von buchstäblich gegenübergestellt wird:

Teppiche werden schließlich buchstäblich mit Füßen getreten.

Dagegen ist nichts einzuwenden. Die Frage ist aber, wie Folgendes buchstäblich geschehen kann:

Menschenrechte werden hier buchstäblich mit Füßen getreten.

Zwei weitere Beispiele:

Sie haben mir den Müllcontainer buchstäblich vor die Haustüre gestellt.
In Aachen liegt die niederländische Sprache buchstäblich vor der Haustür.

Wie die niederländische Sprache, so seltsam sie manchmal klingen mag, im wörtlichen Sinne vor Aachener Haustüren liegen soll, ist mir ein Rätsel.

Eine Frau, die einmal spät abends nach Hause kam, wurde von einem Bären, der aus dem Hauseingang flüchtete, buchstäblich überrannt.
Die Zwerge wurden von Orks – der Höllenbrut Mordors und Isengards – buchstäblich überrannt.

Von Bären und Orks kann man, wenn man Pech hat, tatsächlich buchstäblich überrannt werden. Bei den nächsten zwei Sätzen mag man aber wieder hoffen, dass das Überrennen nicht ganz so buchstäblich erfolgte:

Einzige Medienfakultät Deutschlands wurde buchstäblich überrannt.
Dennoch wird die Kursleitung von Anmeldungen buchstäblich überrannt.

Ich könnte noch lange so weitermachen. Es geht mir nicht darum, dass buchstäblich nur buchstäblich verstanden werden könnte. Es ist ein Wort, das auch mit einer rein verstärkende Funktion verwendet werden darf. Die Beispiele sollen nur aufzeigen, dass man vorsichtig sein sollte, wenn man buchstäblich vor in übertragenem Sinne verwendete Ausdrücke stellt. Man riskiert dann nämlich, unfreiwillig humorvoll zu sein. Achten Sie darauf, wenn Sie einmal meinen, es regne schon so lange buchstäblich Bindfäden, dass Ihnen bald buchstäblich der Himmel auf den Kopf falle.

Die indirekte Rede und der Konjunktiv

Frage

Ich habe eine Frage zur indirekten Rede: Wenn ich die Ausführungen im aktuellen Duden richtig verstehe, muss man in den Fällen, bei denen der eigentlich zu verwendende Konjunktiv Präsens mit dem Indikativ Präsens identisch ist, den Konjunktiv Präteritum verwenden. Stimmt das? Dieses ständige hätten stört mein Sprachgefühl, aber vielleicht liege ich da ja falsch und meine Kollegen, die das haben stört, richtig.

Beispiel:
Er sagte: „Wir haben uns getroffen.“
Er sagte, sie haben sich getroffen. ODER Er sagte, sie hätten sich getroffen.

Antwort

Sehr geehrte Frau F.,

die indirekte Rede wird mit Hilfe von zwei Mitteln ausgedrückt:

  • Konjunktiv
  • Nebensatz

In der indirekten Rede verwendet man im Prinzip den Konjunktiv I (Konjunktiv Präsens). Der Satz Er sagt: Ich habe sie getroffen“ wird dann in der indirekten Rede zu:

Er sagte, er habe sie getroffen.
Er sagte, dass er sie getroffen habe.

Der Konjunktiv gibt an, dass es sich nicht um die eigenen, sondern um die Worte von jemand anders handelt. Wenn nach Verben wie sagen, behaupten, erklären, erzählen, fragen usw. ein mit dass, ob oder einem Fragewort eingeleiteter Nebensatz folgt, kann das darin Ausgedrückte eigentlich nichts anderes als indirekte Rede sein. Deshalb ist der Konjunktiv nicht mehr unbedingt notwendig und wird in einem solchen Nebensatz auch der Indikativ verwendet:

Er sagte, dass er sie getroffen hat.

Einige strengere Grammatiker, bezeichnen die die Verwendung des Indikativs auch im Nebensatz als falsch oder umgangssprachlich. Diese Meinung teile ich nicht. In einem nicht eingeleiteten Nebensatz ist allerdings von der Verwendung des Indikativs abzuraten. Also nicht: Er sagte, er hat sie getroffen, denn das stimmt mit der direkten Rede überein: Er sagte: „Er hat sie getroffen.“

Wenn der Konjunktiv I mit dem Indikativ Präsens zusammenfällt, ist die Kennzeichnung der indirekten Rede durch den Konjunktiv nicht mehr möglich:

Nicht: Er sagte, sie haben einander getroffen

Sie müssen dann wie vom Duden angegeben auf den Konjunktiv II (oder in bestimmten Fällen auf die würde-Form) ausweichen.

Er sagte, sie hätten einander getroffen.
Er sagte, dass sie einander getroffen hätten.

Im Nebensatz ist dieses hätten allerdings nicht unbedingt notwendig, denn dort ist ja – wie oben erwähnt – auch der Indikativ möglich:

Er sagte, dass sie einander getroffen haben.

Ein weiteres Beispiel:

nicht: Sie sagten, sie verlieren die Geduld.
sondern: Sie sagten, sie verlören die Geduld
dafür gebräuchlicher: Sie sagten, sie würden die Geduld verlieren.

Oder mit einem Nebensatz:

Sie sagten, dass sie die Geduld verlören/verlieren würden.
Sie sagten, dass sie die Geduld verlieren.

Wenn Sie Ihrem Sprachgefühl folgend in solchen Fällen lieber nicht den Konjunktiv II (Konjunktiv Präteritum) oder die würde-Form verwenden, können Sie also immer erwägen, die indirekte Rede in einem Nebensatz auszudrücken.

Mehr Angaben finden Sie hier:
Indirekte Rede
insbesondere:
Indirekte Rede und Konjunktiv
Stilistische Kriterien

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Kann ich Sie zurückrufen?

Frage

Ich muss öfter Telefonnotizen schreiben. Dabei kommt es häufig zu folgender Formulierung: Frau R., bitte Herrn P. zurückrufen/zurück rufen. Welche Schreibweise ist die Richtige?

Antwort

Sehr geehrte Frau H.,

man schreibt zurückrufen auch im Sinne von bei jemandem wieder anrufen, der angerufen hat zusammen: bitte zurückrufen.

Etwas anderes ist, dass man im Standarddeutschen in diesem Sinne eigentlich nicht jemanden zurückrufen kann. Nach zum Beispiel Duden und Wahrig verwendet man zurückrufen in dieser Bedeutung nur ohne Ergänzung:

Frau R., Herr P. hat angerufen, bitte zurückrufen.

Andere Formulierungen:
Frau R., Herr P. bittet um Rückruf.
Frau R., bitte Herrn P. anrufen.

Wendungen wie Frau R., bitte Herrn P. zurückrufen oder Kann ich Sie in 10 Minuten zurückrufen? gelten als umgangssprachlich oder als „Jargon im Bürowesen“. Sie werden allerdings häufig und auch außerhalb des Bürowesens verwendet. Wenn Sie also ein eher ungezwungenes Verhältnis zu Ihren Kollegen und Kolleginnen haben, ist eine als umgangssprachlich geltende Formulierung aus dem Jargon sicher nicht völlig fehl am Platz. Und wenn Sie jemand deswegen kritisiert, sind Sie jetzt gewappnet.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp