Mit oder ohne „bei“: Der Wert liegt bei[?] unter 10 Prozent?

Frage

Könnten Sie mir bitte sagen, welcher der beiden folgenden Sätze korrekt ist?

Der Wert liegt bei unter 10 Prozent.
Der Wert liegt unter 10 Prozent.

Antwort

Guten Tag Frau F.,

im Prinzip reicht in den folgenden Fällen eine Formulierung ohne bei:

Der Wert liegt unter 10 Prozent.
Der Wert liegt über 10 Prozent.
Der Wert liegt zwischen 10 und 15 Prozent.

Die Präposition bei kommt dann zum Zug, wenn unmittelbar ein Zahlenwert folgt:

Der Wert liegt bei 10 Prozent.

Ebenso zum Beispiel:

Die Temperatur liegt unter 20 Grad.
Die Temperatur liegt über 20 Grad.
Die Temperaturen liegen zwischen 18 und 25 Grad.

Die Temperatur liegt bei 20 Grad.

Man kommt also bei Formulierungen dieser Art immer mit nur einer Präposition aus.

Soweit die „Logik“ und die Deutlichkeit eines einfachen Systems. Wie so oft hält sich aber die Sprache hier weder an die Logik noch an ein genau abgegrenztes System. In der Sprachrealität werden unter und über in solchen Angaben häufig  mit bei kombiniert (was, ehrlich gesagt, auf Anhieb auch in meinen Ohren ganz akzeptabel klingt):

Der Wert liegt bei über 10 Prozent.
Die Temperatur liegt bei unter 20 Grad.

Das kommt so oft vor, dass ich es zwar als zu wortreich, stilistisch weniger gelungen und nicht empfehlenswert bezeichnen würde, aber nicht als grundsätzlich falsch. Und wer zweifelt, weicht einfach auf zum Beispiel übersteigen oder höher/tiefer sein als aus.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Und auch schreibt man am Satzanfang besser nicht „und auch“

Frage

Irgendwie kommt mir folgender Satz komisch vor:

Und auch brauche ich Informationen …

Dabei ist „und“ Position 0, „auch“ Position 1 und das Verb steht auf Position 2 – alles in Ordnung – oder? Der Satz „Auch brauche ich mehr Geduld und Toleranz“ scheint mir richtig zu sein. Mit einem „Und“ davor hört es sich falsch an. Warum?

Antwort

Guten Tag Herr H.,

Ihre Beispielsätze klingen mit und am Anfang tatsächlich seltsam. Richtig ist, dass sie ohne und so lauten:

Auch brauche ich Informationen …
Auch brauche ich mehr Geduld und Toleranz.

Weiter gilt, dass mit und selbstständige Sätze miteinander kombiniert werden können. Dabei kann man und nach einem Punkt an den Anfang des zweiten Satzes stellen. Da es eine Konjunktion ist, gehört es nicht zum Satz und nimmt die Position 0 ein:

Und auch brauche ich Informationen …
Und auch brauche ich mehr Geduld und Toleranz.

Das müsste theoretisch richtig sein, so klingt es aber nicht. Warum? Es ist unnötig doppelt ausgedrückt. Und und auch haben hier am Satzanfang dieselbe Funktion und drücken ungefähr dasselbe aus. Am Satzanfang hat allein stehendes auch (fast) die gleiche Funktion wie und, nämlich Sätze miteinander zu verknüpfen. Wir haben es bei den beiden Sätzen oben also mit einer doppelten Verknüpfung zu tun.

Wenn man auch ins Satzinnere verschiebt, hat es offenbar eine weniger starke verbindende Funktion, denn dann ist die Kombination mit und möglich:

Und ich brauche auch Informationen …
Und ich brauche auch mehr Geduld und Toleranz.

Und wenn man auch am Satzanfang durch ein anderes Wort ersetzt, wird es noch besser:

Und weiter/zusätzlich brauche ich Informationen …
Und außerdem brauche ich mehr Geduld und Toleranz.

Man sollte also Und auch am Satzfang vermeiden, da und und auch dort ungefähr die gleiche Funktion haben. Es reicht, eines von beiden zu wählen. Häufig ist es sowieso besser, mit Wörtern wie außerdem, weiter oder zusätzlich anzuschließen.

Ist Und auch am Satzanfang immer zu vermeiden? Es wäre natürlich viel zu schön, wenn es so einfach wäre. Die Einschränkung gilt dann, wenn auch allein an erster Stelle steht, das heißt, wenn nach ihm gleich das Verb folgt. Wenn auch Teil des Satzgliedes ist, das an erster Stelle vor dem Verb steht, ist Und auch möglich:

Und auch ich finde, dass es so nicht weitergehen kann.
Und auch mit der Wahlbeteiligung war die Kommission zufrieden.

Ganz ohne weiteren Zusammenhang, sehen diese Sätze vielleicht nicht allzu schön aus, aber im richtigen Kontext können sie gut passen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

„Ferienhäuser, -wohnungen und Wohnmobile“: Ergänzungsstrich und Komma in Aufzählungen

Frage

Ich habe eine Frage zu Ergänzungsstrichen. Müssen in Aufzählungen wie dieser die ersten beiden Begriffe mit einem „und“ verbunden werden oder kann man so formulieren?

Wir vermieten Ferienhäuser, -wohnungen und Wohnmobile.

Oder muss es so heißen:

Wir vermieten Wohnmobile, Ferienhäuser und -wohnungen.

Antwort

Guten Tag Herr O.,

es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, hier ohne und zu formulieren, aber es „holpert“ ein bisschen, und wenn man es ausspricht, ist nicht leicht verständlich, was genau gemeint ist. Es ist besser, Aufzählungen dieser Art ohne Weglassung zu formulieren oder alle Teile mit zum Beispiel und oder sowie zu verbinden:

besser nicht:
Wir vermieten Ferienhäuser, -wohnungen und Wohnmobile.
sondern:
Wir vermieten Ferienhäuser, Ferienwohnungen und Wohnmobile.

besser nicht:
Export-, Importfirmen und Produzenten sind vertreten.
sondern:
Export- und Importfirmen sowie Produzenten sind vertreten.
Exportfirmen, Importfirmen und Produzenten sind vertreten.

besser nicht:
ein-, mehrfarbig oder schwarzweiß
sondern:
ein- oder mehrfarbig oder schwarzweiß
einfarbig, mehrfarbig oder schwarzweiß

Nicht immer ist es also besser, so viel wie möglich abzukürzen. Wiederholung kann verdeutlichend sein.

In Aufzählungen wie den folgenden können aber dennoch problemlos Ergänzungsstrich und Komma kombiniert werden. Alle Elemente haben einen gemeinsamen Wortteil:

Wir vermieten Ferienhäuser, -wohnungen und -zimmer.
Export-, Import- und Produktionsfirmen sind verteten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Inklusive meiner, mir, mich oder ich?

Die Wörter einschließlich und inklusive rufen immer wieder die Frage auf, welcher Fall ihnen folgen soll. Deshalb nicht zum ersten (und nicht zum letzten?) Mal hier im Blog:

Frage

Ist inklusive mir korrekt oder muss es anders heißen? Muss eventuell ein anderes Objektpronomen hin wie zum Beispiel meiner?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

die Präposition inklusive verlangt standardsprachlich ebenso wie einschließlich den Genitiv, wenn er ersichtlich ist (vgl. hier und hier). Es müsste also heißen:

inklusive meiner / einschließlich meiner
Es hat viele, inklusive/einschließlich meiner, tief berührt.

Das klingt aber sehr gehoben, veraltet oder unnatürlich. Etwas weniger gehoben, aber für den alltäglichen Sprachgebrauch kaum passender sind:

inklusive/einschließlich meiner selbst
inklusive/einschließlich meiner Person
Es hat viele, inklusive/einschließlich meiner selbst, tief berührt.

Häufig wird hier der Dativ gewählt, aber das gilt im Allgemeinen als umgangssprachlich:

inklusive/einschließlich mir
Es hat viele, inklusive/einschließlich mir, tief berührt.

Das ist noch nicht alles: Seltener werden inklusive und einschließlich auch als Konjunktion verwendet. Der Fall des nachfolgenden Wortes hängt dann nicht mehr von inklusive oder einschließlich, sondern vom Verb ab:

Es hat viele, inklusive/einschließlich mich, tief berührt
Viele, inklusive/einschließlich ich, finden das problematisch.

Diese Verwendung als Konjunktion ist aber in der Standardsprache nicht vorgesehen.

Wenn es nicht gehoben sein soll und nicht umgangssprachlich sein darf, weicht man am besten auf eine andere Formulierung aus. Zum Beispiel:

Es hat viele, auch mich, tief berührt.
Viele Menschen, ich eingeschlossen, finden das problematisch.
Ich misstraue allen, auch mir (selbst).

Eine Frage stellt sich mir jedes Mal ein bisschen dringender, wenn es wieder um inklusive und einschließlich geht: Wäre es nicht an der Zeit, in Wörterbüchern und Grammatiken dem tatsächlichen Sprachgebrauch zu folgen und bei einschließlich und inklusive anzugeben, dass sie auch mit dem Dativ oder auch als Konjunktion verwendet werden können? Bis es so weit ist, würde ich aber in formelleren Zusammenhängen statt einerseits einschließlich/inklusive meiner oder andererseits einschließlich/inklusive mir auf eine Formulierung mit zum Beispiel auch ich, auch mich oder auch mir ausweichen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das bekommene Geschenk und erhaltenes Geld?

Frage

Ist es richtig, über ein „bekommenes“ oder „erhaltenes“ Geschenk zu sprechen, also im Sinne von „Ich bedanke mich für das bekommene Geschenk“? ChatGPT behauptet, ja. Allerdings kommt mir diese Formulierung komisch und falsch vor, ohne dass ich mir erklären kann, wieso. […]

Die Alternative wäre, jedes Mal einen Relativsatz zu verwenden, also: „Das Geschenk, welches ich bekommen habe…“ Das führt dann aber je nach Satzbau zu einer sehr umständlichen Formulierung.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

die Partizipien bekommen und erhalten können gebeugt vor einem Substantiv stehen. Formulierungen dieser Art kommen eher selten vor und ich halte sie in  Fällen wie diesen für stilistisch unschön:

das bekommene Geschenk
eine bekommene Mail
das erhaltene Geld

Bei Geschenk, also Ihrem Beispiel, ist es oft unnötig, auszudrücken, dass es bekommen oder erhalten worden ist. Es reicht dann:

Ich bedanke mich für das Geschenk.

Wenn angegeben werden soll, von wem oder wofür das Geschenk ist oder war, drängt sich erhalten oder bekommen schon eher auf. Aber auch dann sind andere Formulierungen besser, die manchmal, aber nicht immer umständlicher sind:

das von dir bekommene Geschenk
→ dein Geschenk / das Geschenk von dir

Ähnlich auch:

eine von den Steuerbehörden erhaltene Mail
→ eine Mail der Steuerbehörden

das von meinem Opa bekommene Geld
→ das Geld, das mir mein Opa gegeben hat

Wenn aber bekommen und erhalten anderweitig erweitert oder verneint sind, klingen die gebeugten Varianten häufig gar nicht so unüblich:

zu Unrecht erhaltenes Geld zurückzahlen
eine Rechnung für nicht erhaltene Waren anfechten
ein nie wirklich in den Griff bekommenes Problem

Gebeugtem erhalten begegnet man auch im Amtsdeutschen und ähnlichem Jargon:

auf Grund erhaltener Information
gemäß erhaltener Weisung

Ich bin mit Ihnen einverstanden, dass eine Formulierung wie das bekommene Geschenk ungewöhnlich und unschön klingt. Man kann daraus aber nicht schließen, dass die Partizipien bekommen und erhalten grundsätzlich nie vor einem Substantiv stehen können. Häufig gibt es bessere Formulierungen, doch manchmal ist es ganz einfach üblich, bekommen und erhalten so zu verwenden. Es ist eine Frage des Stils, nicht der Grammatik.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Billig und günstig

Frage

Seit einiger Zeit wird das Wort „billig“ durch „günstig“ ersetzt, was mich jedesmal schaudern macht. Da ist dann von „günstigen Ostern“ oder „günstig serviert“ (Supermarkt-Prospekt) die Rede. […] Woher kommt diese Wortwandlung und bin ich der einzige der sich daran stört?

Antwort

Guten Tag Herr R.,

manchmal wird die Verwendung von günstig im Sinne von billig als umgangssprachlich bezeichnet. In zum Beispiel Duden werden aber keine stilistischen Angaben gemacht:

a) durch seine Art oder [zufällige] Beschaffenheit geeignet, jemandem einen Vorteil oder Gewinn zu verschaffen, die Vorzüge einer Person oder Sache zur Geltung zu bringen, ein Vorhaben oder das Gedeihen einer Sache zu fördern: […]

b) billig, preiswert:  […]

[Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Eintrag „günstig“]

Es ist also üblich, das Wort günstig auch in Bezug auf Preise und Kosten zu verwenden. Dazu, wo genau die Bedeutung billig von günstig herkommt, finde ich leider keine Angaben. Es ist aber gut verständlich, denn ein niedriger Preis ist für Käufer und Käuferinnen oder zumindest deren Geldbeutel vorteilhaft, also günstig. In dieselbe Richtung weisen auch Wortbildungen wie preisgünstig und kostengünstig. In diesem Sinne könnte günstig auch einfach als Verkürzung dieser Begriffe angesehen werden.

Weiter umgeht günstig wie zum Beispiel auch preiswert oder preisgünstig die negative Beibedeutung, die billig haben kann. Etwas, was billig ist, kann qualitativ schlecht sein. Bei günstig schwingt diese Bedeutung nicht mit. Deshalb klingt in einen Reklamepropekt günstige Ostern besser als billige Ostern. Ersteres kostet vergleichsweise wenig, Letzteres kann auch einen eher dürftigen, ärmlichen Eindruck machen. Als Gebrauchtwagen kann eine Ferrari vielleicht günstig sein, wirklich billig wird er aber nie. Bei billigen Luxusuhren würde ich zu noch größerer Vorsicht raten als bei günstigen Angeboten. Und ich habe – vielleicht ganz zu Unrecht – mehr Vertrauen in die Qualität günstiger Schuhe als in die Qualität billiger Schuhe.

Ob Sie sich als Einziger an der Verwendung von günstig im Sinne von preislich vorteilhaft stören, weiß ich natürlich nicht, aber ich kannte diese Kritik bis jetzt nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wusstest du oder hast du gewusst, dass…?

Frage

Sagt man „Wusstest du, dass …?“ oder besser „Hast du gewusst, dass …?“?

Antwort

Guten Tag Herr M.,

richtig ist beides. Allgemein hört und liest man häufiger Wusstest du , dass… Die Formulierung Hast du gewusst, dass… ist im südlichen deutschen Sprachraum gebräuchlicher als anderswo. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass „im Süden“ das Perfekt häufiger als „im Norden“ für die Vergangenheit verwendet wird (vgl. hier).

Es mag einige Wusstest-du-Sagende und manche Hast-du-Gewusst-Fragende verwundern, dass beides als richtig gilt.

Wusstest du, dass beides richtig ist?
Hast du gewusst, dass beides richtig ist?

Ob auch alle einverstanden sind, ist eine andere Frage.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist „ich bin geboren“ korrekt?

Ein Dauerbrenner unter den Sprachfragen: Viele kennen die folgende Frage bestimmt, denn sie taucht regelmäßig an verschiedenen Orten auf.

Frage

Ich würde Sie gern fragen, ob „Ich bin geboren“ korrekt ist, da ich ja eigentlich geboren wurde, und ob es einen Unterschied zwischen Zeit – und Ortsangaben gibt.

Antwort

Guten Tag Frau K.,

üblich ist sowohl „ich wurde geboren“ als auch „ich bin geboren“. Rein formal geht es dabei um das Vorgangspassiv mit werden und das Zustandspassiv mit sein. Ganz so einfach und eindeutig ist die Lage aber nicht:

Strenge Sprachhüter und -hüterinnen halten die Form ich bin geboren bei allen Arten von Angaben für falsch oder umgangssprachlich. Gemäß Duden, „Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle“, ist ich bin geboren nur bei Ortsangaben möglich, jedoch nicht bei Zeitangaben und anderen Angaben. In der Sprachrealität sind aber auch in standardsprachlichen und amtlichen Texten beide Varianten für die Angabe von Geburtsort und Geburtsdatum üblich:

Wann und wo wurden/sind Sie geboren?
Ich wurde/bin in Leipzig geboren.
Sie wurde/ist am 1. 1. 2001 geboren.
Er wurde/ist 1980 in Wien geboren.

Wenn Sie ganz sicher sein wollen, dass niemand Ihnen einen „Fehler“ vorwirft, verwenden Sie wurde geboren. Sonst ist auch die Wendung ist geboren für Angaben zu Geburtsort oder Geburtsdatum möglich und gebräuchlich. Bei anderen Angaben verwendet man besser wurde. Das gilt insbesondere in Biografien, Nachrufen, historischen und literarischen Beschreibungen usw.:

Er wurde als Sohn einer Pianistin und eines Sängers geboren.
Sie wurde in eine reiche Familie geboren.

Hoffentlich zweifeln Sie nun etwas weniger, wenn Sie angeben wollen, wann und wo Sie geboren wurden oder geboren sind.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist „ein gewalttätiges Gottesbild“ grammatisch korrekt?

Frage

Da lese ich: „Zum Gottesverständnis des alten Orients gehört ein gewalttätiges Gottesbild.“ Ich stutze, denn hier wird behauptet, dass ein Bild gewalttätig sei. Ein gewalttätiges Bild ist mir noch nie untergekommen. Freilich wäre denkbar, dass ein ein schweres Standbild aus Stein umfällt und einen daneben stehenden Menschen erschlägt. Allenfalls in diesem Sinn könnte ich mir „ein gewalttätiges Bild“ vorstellen. Aber in diesem Fall soll ja wohl gesagt werden, dass Gott gewalttätig ist, nicht dessen Bild. […]

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

ein Attribut bezieht sich auf das Grundwort einer Zusammensetzung oder auf die gesamte Zusammensetzung. Es bezieht sich nicht auf das Bestimmungswort einer Zusammensetzung. In Ihrem Beispiel gilt:

gewalttätig = Attribut
Gottesbild = Zusammensetzung
Bild = Grundwort
Gott(es) = Bestimmungswort

Nach der genannten Regel wäre hier also von einem gewalttätigen Bild Gottes die Rede, nicht – so wie es sehr wahrscheinlich gemeint ist – von einem Bild eines gewalttätigen Gottes.

Die Verbindung gewalttätiges Gottesbild kann allerdings dann richtig sein, wenn Gottesbild als Ganzes mit gewalttätig charakterisiert wird und gewalttätig im Sinne von durch Gewalttätigkeit gekennzeichnet gemeint ist (vgl. z. B. eine gewalttätige Region, gewalttätige Zwischenfälle, heftige Sprache mit gewalttätigen Bildern). Es bleibt für mich aber ein Zweifelsfall.

In gewissen Fällen sind Formulierungen möglich und akzeptiert, in denen sich ein Attribut eigentlich auf das Bestimmungswort bezieht, im Gebrauch aber einen Bezug auf das ganze Wort als eine Einheit hat. Beispiele sind:

das katholische Pfarrhaus
die flektierbaren Wortarten
ein atlantischer Tiefausläufer
die erweiterte Vorstandssitzung
eine deutsche Touristengruppe

Gemeint ist nicht nur das Haus des katholischen Pfarrers, sondern auch das Pfarrhaus der katholischen Gemeinde; nicht nur ein Ausläufer eines atlantischen Tiefs, sondern auch ein vom Atlantik kommender Tiefausläufer; nicht nur eine Gruppe deutscher Touristen, sondern auch eine aus Deutschland stammende Touristengruppe.

Formulierungen dieser Art scheinen aber ausgeschlossen zu sein, wenn das Attribut gar nicht zum Grundwort passen kann. Beispiele, von denen einige in diesem Zusammenhang häufiger zitiert werden, sind:

der dreistöckige Hausbesitzer
die hölzerne Spielzeugmacherin
das kleine Kindergeschrei
schwere Unwetterwarnungen.

Diese Verbindungen sind nicht akzeptabel oder sogar unverständlich.

Der Übergang zwischen akzeptierten/akzeptablen und nicht akzeptierten/nicht akzeptablen Verbindungen dieser Art ist fließend. So ist ein deutscher Sprachexperte vielmehr ein Sprachexperte mit deutscher Staatsangehörigkeit als ein Experte in deutscher Sprache. Dahingegen finde ich die Verbindung ein deutscher Sprachblog für einen Blog zur deutschen Sprache wenn auch nicht eindeutig, so doch relativ unproblematisch. Ich vermute allerdings, dass nicht alle zum gleichen Urteil kommen.

Im Zweifelsfall vermeidet man deshalb besser solche Formulierungen. Gilt dies auch für „ein gewalttätiges Gottesbild“? – Diese Verbindung gehört eher zur Gruppe der nicht akzeptablen Formulierungen. Nur wenn man dem Adjektiv gewalttätig neben der wörtlichen Bedeutung auch eine übertragene Bedeutung durch Gewalttätigkeit gekennzeichnet zuerkennt, kann es als Attribut zu Gottesbild verwendet werden. Ich zweifle aber, ob diese Lesung von gewalttätig hier tatsächlich passt. Ich würde in diesem Fall auf zum Beispiel ein Bild eines gewalttätigen Gottes ausweichen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

„Von Montag bis Donnerstag“ und „ab Montag bis Donnerstag“

Frage

Ich habe eine Frage, die mich seit längerer Zeit beschäftigt. Ist dieser Gebrauch korrekt: „Heute ist ab 8 Uhr bis 12 Uhr geöffnet.“ oder „Die Angebote sind ab Montag bis Freitag gültig.“

Aus meiner Sicht erfüllt „ab“ als temporale Präposition den Zweck einen Anfangspunkt anzugeben, jedoch KEINEN Endpunkt. Es müsste „von-bis“ heißen. Auf zahlreichen Anzeigen, Plakaten und Prospekten findet man jedoch „ab-bis“.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

Ihr Zweifel ist berechtigt. Im Allgemeinen gibt man mit ab (wie mit von … an) einen Zeitpunkt an, der Anfangspunkt eines zeitlichen Ablaufs oder Zustandes ist:

Das Geschäft ist erst ab 8 Uhr geöffnet.
Ab dem 1. Februar sind wir wieder erreichbar.
Die Angebote sind ab Montag vier Tage lang gültig.

Mit von … bis … werden der Anfangs- und der Endpunkt eines zeitlichen Ablaufs oder Zustandes angegeben:

Das Geschäft ist heute von 8 bis 12 Uhr geöffnet.
Wir sind von Montag bis Freitag erreichbar.
Die Angebote sind von Montag bis Donnerstag gültig

In den meisten Fällen, in denen ab … bis … steht, wäre es deshalb besser, von … bis … zu verwenden.

Das ist aber keine festzementierte Regel. Wenn der Anfangspunkt betont wird und der Endpunkt als zusätzliche Information gemeint ist, sind auch Formulierungen mit ab … bis … gut vertretbar:

Ein Geschäft darf erst ab 8 Uhr und bis spätestens 17 Uhr geöffnet sein.
Wir sind ab nächstem [o. nächsten] Montag bis zum Monatsende täglich erreichbar.
Die Angebote sind ab Montagmorgen gültig, und dies bis Donnerstagabend.

Die Verbindung ab … bis … ist also nicht ausgeschlossen, es ist aber in den in der Regel stilistisch besser, sie nicht anstelle von von … bis … zu verwendet. Es ist also meist besser von Montag bis Donnerstag als ab Montag bis Donnerstag zu sagen und zu schreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp