Warum man „heraus“ und nicht „herraus“ schreibt

Frage

Kinder einer vierten Klasse stolpern über die Schreibweise des Wortes „heraus“. Sie argumentieren, es müsse mit zwei r geschrieben werden, da „her“ eine Vorsilbe sei und dann das Wort „raus“ folge: „herraus“. Wie ist zu erklären, dass der zweite Wortteil die Präposition „aus“ meint?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

Kinder können Fragen stellen, die sowohl intelligent also auch gar nicht so einfach zu beantworten sind. Sie könnten vielleicht mit dem Argument anfangen, dass die Form „raus“ eine umgangssprachliche Verkürzung von „heraus“ ist. Diese Verkürzung kommt nur bei Präpositionen vor, die mit einem Vokal beginnen:

ran = heran
rauf = herauf
raus = heraus
rein = herein
rüber = herüber
rum = herum
runter = herunter

Bei anderen Präpositionen, die mit her kombiniert werden, gibt es diese Verkürzung nicht:

herab
herbei
hervor

Wenn man her mit der verkürzten Form raus verbinden würde, wäre das sozusagen doppelt gemoppelt. Die Form raus bedeutet schon heraus und ist aus heraus entstanden. Man kann also nicht noch einmal her vor raus stellen, denn das entspräche herheraus.

Weiter zeigen Formen wie herab, herbei und hervor dass her bei der Bildung solcher Formen mit einer Präposition verbunden wird:

herab = her+ab
herbei = her+bei
hervor = her+vor

Ebenso:

heraus = her+aus
herauf = her+auf
herein = her+ein
usw.

Auch ein Vergleich mit den entsprechenden Formen mit hin könnte zeigen, dass nicht mit raus, sondern mit aus kombiniert wird:

hinaus = hin+aus
hinauf = hin+auf
hinein = hin+ein
usw.

Ob man Kinder einer vierten Klasse mit solchen Argumenten überzeugen kann, weiß ich allerdings nicht. Das muss ich der Fachkompetenz ihrer Lehrkraft überlassen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Zusammengeschrieben oder nicht: Rumverschnitt oder Rum Verschnitt?

Frage

Vor einigen Tagen haben wir in unserem Freundeskreis über die korrekte Schreibung von „Rum Verschnitt“ bzw. „Rumverschnitt“ gesprochen. Es herrschte eine Unsicherheit, denn die Motiviertheit zur getrennten Schreibung beider Lexeme äußerte sich bei manchen u. a. bei der Betonung. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Determinativkomposita wurde die 2. Komponente genauso stark oder noch stärker betont. Dies würde darauf hindeuten, dass es sich hier um eine Aneinanderreihung handelt. […] Auch die Bedeutung lässt mehrere Interpretationen zu. Wie würden Sie sich dazu positionieren?

Antwort

Guten Tag Herr S.,

weder bei der Betonung noch bei der Bedeutung und auch nicht bei der Beugung spricht etwas gegen die Zusammenschreibung Rumverschnitt. Hier ein paar Worte zu den einzelnen Aspekten:

• Betonung: In Zusammensetzungen liegt die Hauptbetonung bei „neutraler“ Aussprache auf dem ersten Element (Tíschbein, Rásenmäher, Kúndendienst, Verkéhrsverbund). Das gilt auch bei der normalen Aussprache von Rumverschnitt. Es wird gleich betont wie zum Beispiel Rumgemisch oder Rumfabrik. Man kann anders betonen, wenn der zweite Teil besonders hervorgehoben werden soll, aber normalerweise ist es Rúmverschnitt.

• Bedeutung: In sogenannten Determinativkomposita bestimmt das erste Glied der Zusammensetzung das zweite Glied näher (Tischbein = Bein eines Tisches, Rasenmäher = Mäher für Rasen, Verkehrsverbund = Verbund im Verkehrsbereich). Ein Rumverschnitt ist ein Verschnitt (eine Mischung verschiedener Alkohole), bei dem Rum beteiligt ist und der wie Rum schmeckt oder schmecken soll. Der erste Teil der Zusammensetzung (Rum) gibt genauer an, um was für einen zweiten Teil (Verschnitt) es sich handelt. Ähnlich wird eine Mischung von Wein verschiedener Sorten, Jahrgänge oder Lagen u. a. Weinverschnitt genannt.

• Beugung: Auch die Wortbeugung zeigt, dass es sich um ein „gewöhnliches“ Kompositum handelt, bei dem nicht nur ein Teil, sondern die ganze Zusammensetzung gebeugt wird (die Tischbeine, des Rasenmähers, die Kundendienste). Der Genitiv Singular von Rumverschnitt ist des Rumverschnitts, nicht des Rums Verschnitt. Der Plural ist nicht die Rums Verschnitt oder die Rum Verschnitt, sondern die Rumverschnitte.

Substantivverbindungen, bei denen das Bestimmungswort nachgestellt ist, kommen im Deutschen nur selten vor, hauptsächlich bei Eigennamen und Ähnlichem. Sie werden in der Regel getrennt geschrieben, zum Beispiel: Bahnhof Tíérgarten – des Bahnhofs Tiergarten; der Whiskey Cóla – zwei Wiskey(s) Cola.

Wie bei allen Komposita ist bei Rumverschnitt im Prinzip auch die Schreibung mit „verdeutlichendem“ Bindestrich möglich: Rum-Verschnitt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das „emotional safety model“ und die „clean water projects“ auf Deutsch

Frage

Ich übersetze gerade ein Buch, in dem der Autor ein „emotional safety model“ (seine Bezeichnung) vorstellt. Ein „emotionales Sicherheitsmodell“ […] ist m. E. ein Sicherheitsmodell, dessen Eigenschaft es ist, emotional zu sein […] Geht dann „Emotionale-Sicherheit-Modell“? Da befürchte ich dann aber, dass Leser versucht sein wird, das fehlende -s als Fehler meinerseits anzusehen. „Modell für emotionale Sicherheit“? – Auch nicht schön, aber mir gehen da die Optionen aus, denn der deutsche Begriff sollte auch nicht zu lang oder umständlich sein.

Antwort

Guten Tag Frau W.,

unter „emotionales Sicherheitsmodell“ verstehe auch ich ein emotionales Modell der Sicherheit und nicht ein Modell der emotionalen Sicherheit. Es ist also keine gelungene Übersetzung für „emotional safety model“. Zusammensetzungen wie „das Emotionale-Sicherheit[s]-Modell“ sind im Deutschen nicht oder kaum üblich. Ausnahmen sind zum Beispiel „Armesünderglocke“, „Armeleuteessen“, „Rote-Armee-Fraktion“, „Erste-Hilfe-Kurs“.

Meiner Meinung nach wählen Sie deshalb besser „Modell der emotionalen Sicherheit“ oder „Modell für emotionale Sicherheit“. Das ist nicht ganz so griffig kurz wie das englische Original, es entspricht aber einer gebräuchlichen Struktur. Vgl. zum Beispiel:

Taktik der verbrannten Erde – scorched earth policy
Theorie der großen Abweichungen – large deviations theory
Projekte für sauberes Trinkwasser – clean water projects

Zusammensetzungen dieser Art ([Adjektiv+Substantiv]+Substantiv) sind im Englischen einfach zu bilden, im Deutschen kommen sie nur mit Zahlwörtern und einigen Adjektiven ohne Endung regelmäßig vor:

Vierzimmerwohnung, Fünfprozentklausel
Vielvölkerstaat, Allradantrieb
Gelbrandkäfer, Rotschwanzbussard

In vielen anderen Fällen müssen wir auf umständlichere Formulierungen wie „Modell der emotionalen Sicherheit“ für „emotional security model“ ausweichen oder andere Konstruktionen wählen wie „Bürgerrechtsgesetz“ für „Civil Rights Act“ oder „lizenzfreie Bilder“ für „public domain pictures“. Auch meine Rolle als „linguistic problem solver“ ist auf gut Deutsch nicht „sprachlicher Problemlöser“ oder „Sprachliche-Probleme-Löser“, sondern „Löser sprachlicher Probleme“, „Sprachproblemlöser“ oder besser einfach „Sprachberater“. Auch auf dieser Ebene funktioniert die Methode der Eins-zu-eins-Übersetzung also sehr häufig nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wieder einmal das Fugenelement: Zedernüsse oder Zedernnüsse?

Frage

Mir ist gerade das Wort „Zedernüsse“ über den Weg gelaufen. Ich würde „Zedernnüsse“ bevorzugen (analog zu beispielsweise „Zedernholz“ oder „Fichtennadeln“ ). Zahlreiche Produktverpackungen tragen allerdings den Namen mit einfachem n. Was ist korrekt?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

allgemein gültige Regeln dafür, ob bei der Substantivzusammensetzung ein Fugenelement wie n oder s verwendet wird, gibt es nur wenige. Eine allgemeine Faustregel sagt, dass (mehr oder weniger) neue Zusammensetzungen gleich gebildet werden wie andere Zusammensetzungen mit dem gleichen Wort an erster Stelle. Wörter wie „Fichtennadeln“ und „Tannenzapfen“ helfen hier also nicht weiter, denn sie haben ja ein anderes Wort an erster Stelle. Aussagekräftiger sind Bildungen wie „Zedernholz“ und „Zedernwald“. Demnach ist es auch „Zedernnuss“, so wie Sie es bevorzugen.

Eine andere „Regel“ in diesem Bereich lautet: Richtig ist, was üblich ist. Ein kurzer Blick ins Internet zeigt, dass „Zedernuss“ und „Zedernüsse“ häufiger vorkommt als „Zedernnuss“ und „Zedernnüsse“. So findet sich zum Beispiel auch in Wikipedia ein Eintrag mit dem Titel „Zedernussöl“. Das Fehlen eines Fugenelementes ist hier erklärbar: Vor dem n von „-nüsse“ ist bei normaler Aussprache nicht zu hören, ob das Wort ein Fugen-n hat oder nicht.

Was ist also richtig? Ich würde „Zedernnüsse“ wählen und empfehlen. Ich halte aber „Zedernüsse“ nicht für grundsätzlich falsch, weil es häufig vorkommt und nur gegen eine Faustregel, nicht gegen eine allgemein gültige Regel verstößt. Ob mit oder ohne Fugen-n, wichtig ist vor allem, dass das Zeder[n]nussöl schmeckt!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Fremdwörter verkleinern: Kakäuchen, Pülchen, Platöchen

Frage

Wenn man so viel Zeit mit seiner Familie verbringt, stößt man zwangsläufig auf Wörter, die man sonst nicht hört. Manchmal fragt man sich dann auch, wie man die schreibt. Konkret geht es mir um den Diminutiv von „Kakao“, den wir alle „Kakäuchen“ aussprechen, aber unterschiedlich schreiben würden. Im Prinzip betrifft diese Problematik eine ganze Reihe von Fremdwörtern mit Umlaut im Diminutiv, z. B. auch „Pool“ und “Plateau”. […] Gibt es eine Regel oder Empfehlung für die korrekte Schreibung solcher Ableitungen?

Antwort

Guten Tag Herr D.,

die Verkleinerungsformen, um die es Ihnen hier geht, sind in der Standardsprache nicht gebräuchlich, erst recht nicht in der geschriebenen Standardsprache. Da die Formen kein Standarddeutsch sind, gibt es auch keine Standardschreibung für die Diminutivbildung bei Substantiven mit fremdsprachlichen Buchstabenkombinationen.

Einfach ist es, wenn der Diminutiv ohne Umlaut gebildet wird, weil man dann in der Regel einfach ein -chen anhängen kann:

Computer – Computerchen
Smartphone – Smartphonchen
Bungalow – Bungalowchen
Kakao – Kakaochen
Pool – Poolchen
Plateau – Plateauchen

Auch wenn man den Diminutiv mit Umlaut bildet, was eigentlich viel üblicher ist, geht das bei Fremdwörtern häufig problemlos:

Computer – Compüterchen
Smartphone – Smartphönchen
Blog – Blögchen
Automat – Automätchen
Katastrophe – Kataströphchen
Virus – Virüschen

Schwieriger wird es dann, wenn der Vokal, der umgelautet wird, anders als im Deutschen üblich geschrieben wird. Dann ist es am besten, die Schreibung einzudeutschen, um das Ganze noch einigermaßen lesbar zu halten:

Kakao – Kakäuchen
Pool – Pülchen
Plateau – Platöchen
Bungalow – Bungalö[w]chen
Depot – Depöchen
Couch – Käutschchen
Bon – Böngchen

Und manchmal bleibt den Schreibenden einfach nur die Improvisation:

Orange – Orängchen, Orängschchen, Orängelchen
Superman – Supermännchen

Wenn man ungebräuchliche Diminutivformen von Fremdwörtern verwenden und sie auch noch aufschreiben will, sollte man versuchen, eine möglichst einfach lesbare Form zu finden. Oft ist das eine mehr oder weniger eingedeutschte Schreibung. Die einzig richtige Schreibweise gibt es in Fällen wie diesen häufig nicht, weil es keine festen Regeln gibt und diese Formen nicht gebräuchlich und eingebürgert sind.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Gesinnt und gesonnen

Heute wieder einmal eine Frage, die zu den großen Favoriten in Sprachrubriken u. Ä. gehört. Viele, die sich regelmäßig mit Sprachfragen und sprachlichen Zweifelsfällen beschäftigen, kennen sie wahrscheinlich und werden hier entsprechend nicht viel Neues erfahren. Aber nicht alle kennen die Antworten in allen Zweifelsfällen.

Frage

Ich bin unsicher im Umgang mit den Wörtern „gesonnen/gesinnt“. Zwar bin ich mir bewusst, dass „gesinnt“ ein schlichtes Adjektiv und gerade kein Partizip ist. Deshalb ist das vielfach anzutreffende „wohlgesonnen“ auch falsch. Gleichwohl trifft man bisweilen auf die – mir korrekt erscheinende – Formulierung „gesonnen sein, etwas zu tun“. Handelt es sich bei „gesonnen“ um ein Partizip? Und falls ja, von welchem Verb stammt es? Welcher Bedeutungsunterschied besteht zum Adjektiv „gesinnt“? […]

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

das Adjektiv „gesinnt“ hat zwar die Form eines Partizips, aber es ist tatsächlich kein echtes Partizip, sondern ein sogenanntes Pseudopartizip oder Scheinpartizip. Bei Pseudopartizipien fehlt das entsprechende Verb. Wenn sie direkt von Substantiven abgeleitet werden, geschieht dies mit Affixen, die sonst nur in der Verbbeugung oder der Verbableitung vorkommen (ge-, be-, ver-, zer- und -t; vgl. hier):

geblümt
gelockt (mit Locken)
behaart
verwitwet
zernarbt

So ist auch „gesinnt“ als direkte Ableitung von „Sinn“ anzusehen. Es gab das Wort „gesinnet“, „gesint“ mit der Bedeutung „mit Verstand, Weisheit begabt“ bereits im Mittelhochdeutschen. Heute kommt „gesinnt“ noch in der Wendung „irgendwie gesinnt sein“ vor. Sie drückt „eine bestimmte Gesinnung, Einstellung habend” aus:

irgendwie gesinnt sein = eine bestimmten Einstellung haben

Ich bin anders gesinnt als ihr.
Er war ihr immer treu gesinnt.
ein übel gesinnter, mürrischer Kerl
Sie sind dir wohlgesinnt.

Das Wort „gesonnen“ hingegen ist – oder war – ein echtes Partizip. Es gehörte zum starken Verb „(ge)sinnen/(ge)sann/gesonnen = gewillt sein, entschlossen sein“. Heute wird es noch in Verbindung mit „sein“ verwendet:

gesonnen sein, etwas zu tun = gewillt/entschlossen sein, etwas zu tun

Ich bin nicht gesonnen, euren Vorschlag anzunehmen.
Wir sind gesonnen, unsere Hochschulen und ihre Autonomie zu verteidigen.

Im Prinzip sieht es also so aus:

irgendwie gesinnt sein = eine bestimmte Einstellung haben
gesonnen sein, etwas zu tun = gewillt/entschlossen sein, etwas zu tun

Auf dieser Unterscheidung baut auch das Urteil auf, dass es nur „wohlgesinnt“ heißen dürfe und dass „wohlgesonnen“ falsch sei. Das Wort drückt ja aus, dass man eine wohlwollende Einstellung hat, und das passt nach dem oben Gesagten zu „gesinnt“, aber nicht zu „gesonnen“.

Ganz so einfach ist es aber nicht, denn so schön die Unterscheidung auch ist, es halten sich lange nicht alle daran – auch nicht in (sonst) standardsprachlichen Texten.

Die allgemeinen Duden-Wörterbücher geben bei „wohlgesonnen“ an, es sei umgangssprachlich für „wohlgesinnt“, aber im Spezialwörterbuch „Duden – Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle“ steht, dass „wohlgesonnen“ inzwischen auch als standardsprachlich korrekt anzusehen sei. Beim Adjektiv „gesonnen“ gibt Duden an, dass es umgangssprachlich auch „gesinnt“ bedeuten könne. Im DWDS steht ebenfalls, dass „gesonnen“ im Sinne von „gesinnt“ verwendet wird, aber ohne die Angabe, dass es umgangssprachlich sei. Wirklich eindeutig ist die Situation auch in den Wörterbüchern nicht.

Kurzum: Am besten sollten Sie gesonnen sein, nur „freundlich gesinnt“ und „wohlgesinnt“ zu verwenden – dies nur schon um dem negativen Urteil wenig nachsichtig Gesinnter zu entgehen. Ich finde aber auch, dass man etwas verständnisvoller gesinnt sein kann und „freundlich gesonnen“ und „wohlgesonnen“ auch gelten lassen darf. Dasselbe ohne Wortspielereien: standardsprachlich besser „freundlich gesinnt“ und „wohlgesinnt“, aber in der Sprachrealität nicht (mehr) grundsätzlich falsch „freundlich gesonnen“ und „wohlgesonnen“.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist dreimonatlich dreimal monatlich?

Es ist keine Frage der höheren Mathematik, aber ein bisschen aufpassen muss man bei der Formulierung schon.

Frage

Ist der Satz „Die Radiosendung wird dreimonatlich ausgestrahlt“ synonym mit „Die Radiosendung wird dreimal monatlich ausgestrahlt”?

Antwort

Guten Tag Frau Z.,

die Antwort lautet nein: „dreimonatlich“ und „dreimal monatlich“ haben nicht die gleiche Bedeutung:

Die Radiosendung wird dreimonatlich ausgestrahlt
dreimonatlich = alle drei Monate, einmal in drei Monaten

Die Radiosendung dreimal monatlich ausgestrahlt
dreimal monatlich = jeden Monat dreimal, dreimal pro Monat

Eine Radiosendung, die dreimal monatlich ausgestrahlt wird, ist also neunmal häufiger zu hören, als eine Radiosendung, die dreimonatlich ausgestrahlt wird.

Auch bei anderen Zahlenangaben gibt es diese Unterscheidung:

zweimonatlich = alle zwei Monate, einmal in zwei Monaten
zweimal monatlich = jeden Monat zweimal, zweimal pro Monat

fünfmonatlich = alle fünf Monate, einmal in fünf Monaten
fünfmal monatlich = jeden Monat fünfmal, fünfmal pro Monat

Etwas, das zweimal monatlich geschieht, kommt viermal häufiger vor als etwas, das zweimonatlich geschieht. Fünfmal monatlich ist schon fünfundzwanzigmal häufiger also fünfmonatlich!

Nur bei „(ein)monatlich“ und „einmal monatlich“ muss man nicht aufpassen, denn einmal in einem Monat und jeden Monat einmal läuft aus das Gleiche hinaus.

Und wer nun ein bisschen verwirrt ist, weicht einfach auf vielleicht nicht ganz ohne Grund häufiger vorkommenden Wendungen wie „alle drei Monate“ („dreimonatlich“) und “dreimal pro Monat” („dreimal monatlich“) aus.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wenn der Vorteil eigentlich ein Nachteil ist: übervorteilen

Frage

Schon seit Längerem beschäftigt mich die Frage nach der Bedeutungsherkunft des Verbes „übervorteilen“. Zunächst scheint seine Bedeutung kontraintuitiv: Übervorteilen klingt danach, als bekomme man zu viel des Vorteils. Nach einer Benachteiligung klingt es gerade nicht. […] Ich hoffe, Sie können etwas Licht in mein Dunkel bringen.

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

die Bedeutung „jemanden benachteiligen, betrügen“ des Verbs „übervorteilen“ ergibt sich tatsächlich nicht gleich aus seiner Form. Ich hatte mir bis vor Kurzem vorgestellt, dass „über“ in „übervorteilen“ irgendwie eine negative Bedeutung hat (wie in „überfragen“ oder „sich überessen“) oder dass die übervorteilende Partei es so einrichtet, dass sie den ganzen Vorteil übernimmt. Richtig geraten? – Nein. Auch des Sprachlers Intuition liegt bei solchen Fragen häufig daneben. Um Ihnen eine fundierte Antwort geben zu können, habe ich in die Wörterbücher geschaut. Dort habe ich eine überraschende Erklärung gefunden:

Das Verb „übervorteilen“ hat seine Bedeutung in einer Zeit erhalten, in der „Vorteil“ auch etwas Negatives sein konnte. Eine der vielen Bedeutungen, die „Vorteil“ hatte, war gemäß dem Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm „unredlicher Gewinn, Lug und Trug …“:

[…] im engeren sinne bezeichnet es unredlichen gewinn, lug und trug im erwerbsleben: irs geytz, wuchers und allen vorteyl und finantzerey (Luther); beschisz, vorteil, betrug (Zwingli); so von zinsen und wucher leben in allerley vorteil und buberey (Eberlin v. Günzburg) […]
(Siehe Grimm, Vorteil, Bedeutung 7)

Auch die Ableitung „vorteilisch“ war alles andere als positiv:

wer vortailisch ist, prauchet vil tüeck und hinderlist
(Wer „vorteilisch“ ist, braucht viel Tücke und Hinterlist)
Siehe Grimm, vorteilisch)

Das hatte ich nicht erwartet. Die größte Überraschung war für mich aber das Verb „bevorteilen“: Bis vor nicht allzu langer Zeit hatte es nämlich nicht die heutige positive Bedeutung. Nach dem Grimmschen Wörterbuch bedeutete es noch Ende des 19. Jahrhunderts “beeinträchtigen, betrügen“:

dies wort ist kein gegensatz von benachtheiligen und drückt nicht aus einen in vortheil bringen, sondern das umgedrehte.
(Siehe Grimm, bevortheilen)

Das Verb „bevorteilen“ wurde demnach nicht vom positiven „Vorteil“, sondern von „Vorteil” mit der Bedeutung „unredlicher Gewinn, Lug und Trug“ abgeleitet. Es wurde also in gleicher o. ähnlicher Weise wie „betrügen“ und „benachteiligen“ gebildet. Später wurde “bevorteilen” umgedeutet, sehr wahrscheinlich weil wir heute „Vorteil“ nur noch im positiven Sinne kennen. Wenn man heute bevorteilt wird, wird man begünstigt.

Und hiermit sind wir endlich wieder bei „übervorteilen“. Auch dieses Verb wurde wie „bevorteilen“ vom negativ beladenen „Vorteil“ abgeleitet. Es bedeutete ungefähr „jemanden mit Lug und Trug überwinden, überlisten“. Das Verb „über-vorteil-en“ wurde somit wie sein Bedeutungsnachbar „über-list-en“ gebildet.

Leicht dramatisierend könnte man also sagen, dass das Wort „Vorteil“ im Laufe seiner Geschichte auch eine sehr negative Bedeutung erhalten hatte, die später wieder verlorenging. Nur im Verb „übervorteilen“ hat die Bedeutung „Lug und Trug, unredlicher Gewinn“ noch ihre Spuren hinterlassen. Auch wortgeschichtlich ist ein Vorteil also manchmal ein Nachteil (gewesen).

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Unfallhilfswagen oder Unfallhilfewagen?

Es wurde hier schon öfter erwähnt: Die Fugenelemente in Zusammensetzungen gehören zu den kniffligen Phänomenen für Deutschlernende, und auch von Geburt an Deutschsprachige können immer wieder verunsichert werden. Das liegt daran, dass es nur wenige feste Regeln und dennoch keine allzu große Freiheit gibt.

Frage

In München sind Autos der städtischen Verkehrsgesellschaft MVG mit der Aufschrift „Unfallhilfswagen“ unterwegs. Für mich klingt das, als ob der Wagen den Unfall unterstützt (wie „Hilfsorganisation“ oder „Hilfsverb“). Wäre nicht „Unfallhilfewagen“ (mit Fugen-e statt Fugen-s) besser, analog zur „Hilfeleistung“, die ja auch etwas anderes ist als eine „Hilfsleistung“?

Antwort

Guten Tag Herr S.,

die Art des Fugenelementes in einer Zusammensetzung sagt in der Regel nichts oder nur wenig über die Gesamtbedeutung der Zusammensetzung aus. So bin ich zum Beispiel nicht sicher, inwieweit „Hilfsleistung“ wirklich eine andere Bedeutung hat als „Hilfeleistung“. Ich kann Bedeutungsunterschiede konstruieren (z. B. „Hilfsleistungen“ sind finanzieller Art), ich vermute aber, dass „Hilfsleistung“ oft einfach eine weniger gebräuchliche Variante von „Hilfeleistung“ ist und ohne Bedeutungsunterschied gegen dieses ausgetauscht werden kann (siehe auch unten zum „e“ in „Hilfeleistung“).

Die meisten Zusammensetzungen mit „Hilfe“ an erster Stelle werden mit einem Fugen-s gebildet, und dies unabhängig von der Bedeutung, die „Hilfe” in der Zusammensetzung hat (vgl. Hilfsarbeiter = ungelernter Arbeiter, Hilfsbrücke = vorübergehend angelegte Ersatzbrücke vs. Hilfsaktion = Aktion für Hilfe an Notleidende, Hilfsdienst = Organisation für Hilfe in Notfällen).

Eine Gruppe von Ausnahmen sind Zusammensetzungen mit Verbalabstrakta, bei denen der Einfluss des zugrundeliegenden Verbs noch fühlbar ist: „Hilfeleistung“, „Hilfestellung“, „Hilfeersuchen“. Auch dort, wo das Wort „Hilfe“ gemeint ist, wird nicht mit s verbunden: „Hilferuf“, „Hilfeschrei“, „Hilfefunktion“ (häufig über die Schaltfläche „Hilfe“ aufrufbar[?]).

Dies alles gilt für einfaches “Hilfe”. Es geht mir hier vor allem darum, aufzuzeigen, dass die Wahl zwischen Fugen-s und Fugen-e wenig mit der Bedeutung oder mit Bedeutungsunterschieden zu tun hat.

Bei Zusammensetzungen mit Wörtern wie „Berghilfe“, „Nothilfe“, „Opferhilfe“, „Pflegehilfe“, „Staatshilfe“, „Unfallhilfe“ usw. an erster Stelle ist die Lage noch unklarer. Hier scheinen Verbindungen mit Fugen-e üblicher zu sein: „Berghilfegelder“, „Nothilfepass“, aber auch “Opferhilfswerk” (unter dem Einfluss von „Hilfswerk“, „Hilfswerk für Opfer“?). Die geringe Anzahl Beispiele lässt hier keinen klaren Schluss zu.

Dann gilt der Grundsatz, dass richtig ist, was üblich ist. Zum Beispiel in München und bei der Bahn ist offensichtlich „Unfallhilfswagen“ (wie „Unfallhilfsdienst“?) üblich. Das Wort hat es übrigens in dieser Form auch in Wikipedia geschafft.

Spontan hätte übrigens auch ich „Unfallhilfewagen“ gesagt, aber als falsch kann ich, wie erläutert, „Unfallhilfswagen“ nicht bezeichnen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Rindfleisch, die Rindsleber und das Fugen-s

Frage

Meine Frau und ich würden gerne wissen: Warum „Rindfleisch“ ohne Fugen-s, aber „Rindsleber“ mit? Vielen Dank!

Antwort

Guten Tag Herr S.,

bei den Fugenelementen gibt es einige wenige feste Regeln (zum Beispiel: immer „s“ nach u. a. „-heit“, „-keit“, „-ung“, „-tion“ und substantivieren Infinitiven; vgl. hier und hier). Neben den allgemeinen Regeln und Tendenzen gilt, grob gesagt, dass richtig ist, was üblich ist. Das klingt und ist nicht sehr klar.

Damit man bei Unsicherheit nicht ganz verloren ist, gibt es diese Faustregel: Beim Fugenelement in einer neuen oder unbekannten Zusammensetzung geht man gleich vor wie bei bekannten Zusammensetzungen mit dem gleichen Wort an erster Stelle:

Blumengruß (nicht *Blumegruß, *Blumgruß)
wie Blumenladen, Blumenstängel, Blumenwiese usw.

Gartenpflege (nicht *Gartenspflege)
wie Gartenanlage, Gartenbau, Gartencenter usw.

Baumzählung (nicht *Baumeszählung, *Bäumezählung)
wie Baumkrone, Baumstamm, Baumstruktur

Es handelt sich hier aber nur um eine Faustregel, die oft, aber bei weitem nicht immer ein zuverlässiges Resultat ergibt. Das zeigt auch Ihre Frage nach „Rindfleisch“ und „Rindsleber“ sehr gut. Hier kommen „erschwerend“ sogar noch regionale Unterschiede hinzu:

In Verbindung mit „Fleisch“ heißt es:

Rindfleisch, Kalbfleisch, Lammfleisch
aber: Schweinefleisch, Hühnerfleisch

Wenn die verschiedenen Fleischstücke benannt werden, verwendet man im Allgemeinen bei all diesen Fleischsorten ein Fugenelement, allerdings nicht überall das gleiche:

Rindsleber, Schweinsbraten (eher im Süden)
Rinderleber, Schweinebraten (eher im Norden)
Kalbssteak, Lammskeule (überall)

Die Antwort auf die Frage, warum das so ist, muss ich Ihnen schuldig bleiben. Viel weiter als das bereits erwähnte „Richtig ist, was üblich ist“ komme ich leider auch nicht. Wenn Deutsch Ihre Muttersprache ist, haben Sie damit meistens keine Probleme, denn Sie wissen, was üblich ist, ohne darüber nachdenken zu müssen. Für Deutschlernende hingegen sind die Fugenelemente neben den Fällen, den trennbaren Verben und der Wortstellung in Haupt- und Nebensatz eine weitere schier unerschöpfliche Quelle von Zweifel und Frustration. Das ist etwas dramatisiert, aber einfach ist es wirklich nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp