Ein Personendatum, gibt es das?

Frage

Ich wurde gefragt, ob es einen Singular für „personenbezogene Daten“ gibt und habe das verneint. Im Speziellen ging es hier darum, ob man sagen könne, ein Nachname sei ein „personenbezogenes Datum“.

Für mich klingt das absurd. Ich würde immer sagen, ein Nachname ist eine personenbezogene Information oder ähnliches. Aber vielleicht liege ich auch falsch.

Als Begründung hatte ich geantwortet, dass „Daten“ sich in diesem Kontext nicht auf die Pluralform von „Datum“ (ein Name ist kein Datum) bezieht, sondern hier gleichbedeutend mit zum Beispiel „Fakten/Angaben/Informationen“ ist. Mit dieser Bedeutung ist das Wort „Daten“ ein Pluralwort.

Antwort

Guten Tag Frau S.,

die Antwort lautete hier „Jein“. Ihre Begründung ist im Prinzip korrekt. Daten mir der Bedeutung Angaben, Informationen ist ein Pluralwort. Der Singular Datum wird im Allgemeinen nur für einen Kalendertag oder einen Zeitpunkt verwendet. Siehe zum Beispiel die Angaben in DWDS unter Daten und Datum.

So sind auch Zusammensetzungen wie Eckdaten, Konjunkturdaten, Kontaktdaten, Kundendaten, Messdaten, Nutzerdaten, Stammdaten, Unternehmensdaten, Wetterdaten, Vorratsdaten, Zugangsdaten u.v.a.m. nur im Plural gebräuchlich. Auch das Wort Personendaten und die Verbindung personenbezogene Daten werden im Allgemeinen nur im Plural verwendet. So weit herrscht Einigkeit zwischen Ihnen, mir und den Wörterbüchern.

Und nun kommt das Aber: Fachsprachlich wird selten auch der Singular Personendatum bzw. personengebundenes Datum verwendet (sagt auch ein Wörterbuch, siehe hier):

Weil die Religionszugehörigkeit aber ein besonderes Personendatum ist, ist eine unmittelbare gesetzliche Grundlage notwendig.

Am Begriff des Personendatums hat sich auch mit der DSGVO nichts geändert.

Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass die Wohnadresse ohne Namensnennung kein personenbezogenes Datum ist.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, eine dynamische IP-Adresse sei in Verbindung mit dem Zeitpunkt des über sie vorgenommenen Zugriffs ein personenbezogenes Datum, sofern der Nutzer der Website während des Vorgangs seine Personalien angegeben habe […]

Ich kannte diesen Singular auch nicht und hielt ihn zunächst für falsch. Ich würde sowieso empfehlen, Personendaten und personenbezogene Daten nur im Plural zu verwenden und im Singular eine andere Formulierung zu wählen:

Der Nachname ist eine personenbezogene Angabe/Information.
Der Nachname gehört zu den personenbezogenen Daten.

In einem rein fachsprachlichen Kontext – zum Beispiel unter Datenschutzbeauftragten oder juristischen Fachleuten – ist der Singular Personendatum bzw. personenbezogenes Datum offenbar nicht völlig ungebräuchlich. Auch für andere Fachbegriffe der Form -daten kommt wahrscheinlich fachsprachlich gelegentlich der entsprechende Singular -datum vor. Außerhalb eines solchen fachlichen Kontextes wirkt ein Singular wie Personendatum oder personenbezogenes Datum aber irritierend.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Kann man Wörter silbifizieren?

Frage

Gibt es den Begriff „silbifizieren“ (ein Wort in Silben zerlegen)? Ich finde (zumindest) im Duden dazu keinen Eintrag?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

als Fachausdruck kommt seltener das Substantiv Silbifizierung vor, wenn es um die Aufteilung in Silben geht. Noch seltener wird das dazugehörende Verb silbifizieren verwendet. In einem Text, der sich nicht an linguistisch Geschulte oder stark linguistisch Interessierte richtet, würde ich den Ausdruck vermeiden oder wenigstens erklären. Im Allgemeinen passen Silbentrennung und Wendungen wie in Silben zerlegen, in Silben trennen, in Silben aufteilen, in Silben unterteilen oder in Silben gliedern problemlos.

Manchmal trifft man auch auf das Wort Syllabifikation, aber es dürfte eine direkte Übernahme aus dem Englischen sein (syllabification = Silbentrennung). Es sieht mit seinem y recht gelehrt aus, doch wenn es gelehrt sein soll, dann wählt man doch besser Silbifizierung.

Die Duden-Wörterbücher decken übrigens wie andere Wörterbücher nicht den gesamten deutschen Wortschatz ab und könnten dies auch gar nicht tun. Der Umfang und die Offenheit des sich ständig bereichernden und verändernden Wortschatzes lassen eine vollständige Auflistung aller (möglichen) Wörter gar nicht zu. Man kann also auch dann Wörter silbifizieren, wenn silbifizieren nicht im Duden steht. Meistens ist aber, wie gesagt, eine Formulierung wie in Silben zerlegen noch ein bisschen besser.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Mosaik

Der Urlaub ist vorbei. Schön war’s auf Sizilien. Wir haben unter anderem viele Mosaiken gesehen. Am eindrücklichsten fanden wir die Mosaikböden in der Villa Romana del Casale (4. Jh. n. Chr.), die ganz zu Recht ein UNESCO-Weltkulturerbe ist.

Der Weg dorthin war etwas länger als geplant, weil die Navigations-App eine „schnellste“ Route vorschlug, die vieles, aber bestimmt nicht die schnellste war. Nach vielen Kurven und Schlaglöchern, aber auch bunten Blumenwiesen und schönen Landschaften trafen wir dann doch ein. Und es hat sich gelohnt!

Irgendwann tauchte zwischen all diesen Steinchenbildern die Frage auf, was Mosaik eigentlich bedeutet. Mit dem Adjektiv mosaisch (= von Moses stammend) konnte es nicht zu tun haben, aber wir wussten auch nicht, womit sonst. Ich habe es inzwischen nachgeschlagen. Das Wort Mosaik lässt sich über viele Schritte zurückführen auf griech. Mūsa (Μοῦσα), lat. Mūsa = Muse (eine der als Beschirmerinnen der Künste geltenden Göttinnen und daher Gesang, Lied, Dichtung, Kunst und Wissenschaft, feine Bildung). Eine Beschreibung dieser Schritte erspare ich uns, weil sie ziemlich komplex und nicht sehr spannend sind. Wer mehr wissen möchte, lese alles hier nach.

Ein Mosaik ist also, grob gesagt, ein musisches Werk. Nebenbei habe ich auch gelernt, dass das Wort Museum ebenfalls nach den Musen benannt ist: griech. mūsé͞ion (μουσεῖον), lat. mūsēum = Musensitz.

So viel zur Wortgeschichte. Ich kann nur noch empfehlen, die Villa Roman del Casale zu besuchen, wenn Sie einmal „zufällig“ auf Sizilien sind. Es lohnt sich unbedingt, auch wenn man nicht weiß, woher das Wort Mosaik stammt. Eindrücklich sind sie sowieso.

Und nun wieder frisch und munter an die Arbeit!

Dr. Bopp

Warum ist der Gründonnerstag grün?

Am heutige Gründonnerstag, an dem des letzten Abendmahls Jesu und seiner Jünger gedacht wird, kommt in mir wieder einmal die Frage auf, warum der Gründonnerstag eigentlich so heißt, wie er heißt. Diese Wissenslücke wollte ich endlich schließen.

Die kurze Antwort lautet: Herkunft ungewiss. Bei der längeren Antwort kommen verschiedene Erklärungsversuche zum Zug. Ich nenne hier die am häufigsten erwähnten:

Vielfach wird davon ausgegangen, dass grün in Gründonnerstag sich auf die Farbe der frischen Kräuter, Salate und Frühjahrsgemüse bezieht, die man offenbar an diesem Tag zu essen pflegte. Eine andere Erklärung führt grün auf ahd. grīnan, mhd. grînen (heute greinen) zurück, das lachend oder weinenden den Mund verziehen bedeutete. Das Wort habe sich auf die weinenden Büßer bezogen und sei dann im Volksmund zu grün uminterpretiert worden. Eine weitere Theorie führt grün auf die Farbe der liturgischen Gewänder zurück, die an diesem besonderen Tag getragen wurden. Seit langem werden aber in der katholischen Kirche am Gründonnerstag weiße Gewänder getragen. Ob sie früher (auch) grün waren, scheint nicht belegt zu sein.

Wie bei Ostern (siehe hier) gibt es also keine wirklich spannende oder wenigsten eindeutige Erklärung für den Namen Gründonnerstag. Interessanter ist vielleicht, wie der Tag in anderen Sprachen heißt:

Grün ist der Gründonnerstag auch noch im Tschechischen (Zelený čtvrtek) und Slowakischen (Zelený štvrtok), weiß ist er im Niederländischen (Witte Donderdag), groß/hoch zum Beispiel im Polnischen (Wielki Czwartek), Slowenischen (Veliki četrtek), Kroatischen (Veliki četvrtak) und Ungarischen (Nagycsütörtök), rein in den skandinavischen Sprachen (Skærtorsdag, Skärtorsdagen, Skjærtorsdag, Skírdagur) und heilig in den romanischen Sprachen (Jeudi saint, Giovedì santo, Jueves Santo, Dijous Sant, Quinta-feira Santa usw.). Im Englischen ist er neben heilig (Holy Thursday) auch der Donnerstag der Fußwaschung (Maundy Thursday).

Das ist eine breite, aber nicht vollständige Palette von Bezeichnungen.  Einigen davon begegnet man auch im Deutschen: hoher Donnerstag, heiliger Donnerstag, weißer Donnerstag und daneben auch Palmdonnerstag. Damit ist hoffentlich auch denen recht getan ist, die aus einer Gegend oder Familie stammen, in der der Gründonnerstag nicht grün ist.

Frohe Ostertage!

Billig und günstig

Frage

Seit einiger Zeit wird das Wort „billig“ durch „günstig“ ersetzt, was mich jedesmal schaudern macht. Da ist dann von „günstigen Ostern“ oder „günstig serviert“ (Supermarkt-Prospekt) die Rede. […] Woher kommt diese Wortwandlung und bin ich der einzige der sich daran stört?

Antwort

Guten Tag Herr R.,

manchmal wird die Verwendung von günstig im Sinne von billig als umgangssprachlich bezeichnet. In zum Beispiel Duden werden aber keine stilistischen Angaben gemacht:

a) durch seine Art oder [zufällige] Beschaffenheit geeignet, jemandem einen Vorteil oder Gewinn zu verschaffen, die Vorzüge einer Person oder Sache zur Geltung zu bringen, ein Vorhaben oder das Gedeihen einer Sache zu fördern: […]

b) billig, preiswert:  […]

[Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Eintrag „günstig“]

Es ist also üblich, das Wort günstig auch in Bezug auf Preise und Kosten zu verwenden. Dazu, wo genau die Bedeutung billig von günstig herkommt, finde ich leider keine Angaben. Es ist aber gut verständlich, denn ein niedriger Preis ist für Käufer und Käuferinnen oder zumindest deren Geldbeutel vorteilhaft, also günstig. In dieselbe Richtung weisen auch Wortbildungen wie preisgünstig und kostengünstig. In diesem Sinne könnte günstig auch einfach als Verkürzung dieser Begriffe angesehen werden.

Weiter umgeht günstig wie zum Beispiel auch preiswert oder preisgünstig die negative Beibedeutung, die billig haben kann. Etwas, was billig ist, kann qualitativ schlecht sein. Bei günstig schwingt diese Bedeutung nicht mit. Deshalb klingt in einen Reklamepropekt günstige Ostern besser als billige Ostern. Ersteres kostet vergleichsweise wenig, Letzteres kann auch einen eher dürftigen, ärmlichen Eindruck machen. Als Gebrauchtwagen kann eine Ferrari vielleicht günstig sein, wirklich billig wird er aber nie. Bei billigen Luxusuhren würde ich zu noch größerer Vorsicht raten als bei günstigen Angeboten. Und ich habe – vielleicht ganz zu Unrecht – mehr Vertrauen in die Qualität günstiger Schuhe als in die Qualität billiger Schuhe.

Ob Sie sich als Einziger an der Verwendung von günstig im Sinne von preislich vorteilhaft stören, weiß ich natürlich nicht, aber ich kannte diese Kritik bis jetzt nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Warum „freventlich“ und nicht „frevlig“?

Frage

Meine Frage betrifft das Wort „freventlich“. Warum wird es nicht analog zu „Ekel – eklig“ gebildet, also „Frevel – frevlig“?

Antwort

Guten Tag Frau H.,

warum genau ein Wort so und nicht anders gebildet wurde, ist oft nicht zu sagen. Meist kann man nur versuchen, zu erklären, wie ein Wort entstanden ist, aber nicht genau sagen, warum es so passiert ist.

Bei freventlich handelt es sich um eine alte Wortbildung, die einige besondere Merkmale aufweist: eine Dissimilation, einen Gleitlaut und – wenn die Frage nach frevlig hinzukommt – Blockierung (Blocking).

Im DWDS findet man diese Angaben zur Herkunft von freventlich:

freventlich Adj. spätmhd. vrevenlich, durch Dissimilation aus mhd. vrevellich ‘mutig, verwegen, rücksichtslos’ (vgl. ahd. fravallīhho Adv. ‘unverschämt, widerspenstig, hartnäckig’, 9. Jh.) entstanden und im 16. Jh. mit Gleitlaut -t- zwischen n und l versehen.

Mit ein paar Worten mehr ausgedrückt steht dort ungefähr dies: Im Mittelhochdeutschen gab es das Adjektiv vrevellich (zu vrevel). Durch Dissimilation ist im Spätmittelhochdeutschen daraus vrevenlich geworden. Von Dissimilation spricht man, wenn einer von zwei gleichen oder ähnlichen Lauten in einem Wort sich ändert, wodurch die Laute sich stärker voneinander unterscheiden . Hier wurde das erste l zu einem n dissimiliert: vrevellich → vrevenlich.

Im 16. Jahrhundert wurde (zur Erleichterung der Aussprache) der Gleitlaut -t- zwischen das n und das l eingeschoben: vrevenlich → vreventlich. Dieser Gleitlaut findet sich auch zum Beispiel in wesentlich und versehentlich.

So viel zur Entstehung des heute eher veralteten Wortes freventlich. Nun noch zum nicht bestehenden Adjektiv frevlig:

Neben freventlich gibt es frevelhaft und frevlerisch als Adjektive zu Frevel. Das könnte erklären, warum nicht auch noch frevelig oder frevlig verwendet wird. Das Wort kann zwar gebildet werden, es ist aber neben den anderen nicht notwendig. Es wird durch die Anwesenheit von bereits drei anderen Ableitungen blockiert.

Blockierung ist übrigens keine exakte Wissenschaft, das heißt, es lassen sich keine genauen Blockierungsregeln formulieren. Zu Ekel gibt es auch ekelhaft und ekelerregend. Das ist oder war aber offenbar nicht genug, um das Wort eklig zu blockieren.

Es ist manchmal erstaunlich, wie viele Phänomene bei der Entstehung eines Wortes eine Rolle spielen. Die hier genannten zeigen aber vor allem, was vorgegangen ist. Warum genau der Wortgebrauch so und nicht anders ist, erklären sie weniger gut.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Passiv und passivisch

Frage

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Unterschied zwischen „passiv“ und „passivisch“ erhellen könnten.

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

außerhalb der Linguistik oder ohne Bezug auf die Sprache kommt passivisch kaum vor. Ich beschränke die Antwort deshalb auf die Verwendung der beiden Adjektive in der Sprachwissenschaft. Um es gleich vorwegzunehmen: Einen eindeutigen Unterschied gibt es nicht.

Das Adjektiv passivisch ist eine Ableitung des Substantivs Passiv:

passiv →  Passiv → passivisch

Im Allgemeinen wird in der Sprachwissenschaft passivisch verwendet, wenn im Passiv stehend, das Passiv betreffend gemeint ist:

die passivischen Formen des Verbs
eine Satz im Aktiv mit passivischer Bedeutung
die passivische Adjektivendung „-bar“

Die sprachwissenschaftliche Terminologie wäre aber nicht die sprachwissenschaftliche Terminologie, wenn man nicht an jeder zweiten Ecke einer Ausnahme begegnete. So wird des Öfteren passiv verwendet, wo man nach dem oben Gesagten passivisch erwarten würde:

die passiven Formen des Verbs
eine Konstruktion mit passiver Bedeutung

Wenn ein Bezug zum grammatischen Passiv gemeint ist, kommen daneben oft Zusammensetzungen mit Passiv- vor:

die Passivformen des Verbs
eine Passivkonstruktion

Das Adjektiv passiv wird in der Sprachwissenschaft häufig in Verbindungen wie der passive Wortschatz verwendet. Der passive Wortschatz ist der Teil des Wortschatzes, den ein Mensch versteht, selbst aber nicht aktiv gebraucht (ebenso zum Beispiel: passive Sprachkompetenz, passive Sprachkenntnisse, passive Sprachbeherrschung usw.).

Eine eindeutige Unterscheidung gibt es wie gesagt nicht. Wenn Sie passivisch verwenden, wenn es um das Passiv geht, und passiv, wenn von Sprachkenntnissen und Sprachbeherrschung die Rede ist, dann liegen Sie in der Regel richtig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Verlangt es sie oder ihnen nach etwas?

Frage

Ich habe nirgends im Internet die reflexive Form des Verbs „verlangen“ gefunden. Beispiel: „Es verlangt mich nach Liebe.“ Oder ist das eine transitive Form des Verbs mit Akkusativobjekt (mich)?

Ich las jetzt den Satz: „Sie konnten nicht finden, wonach Ihnen verlangte.“ Richtig müsste es doch heißen „… wonach es sie verlangte“. Aber warum?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

im Satz „Es verlangt mich nach Liebe“ handelt es sich nicht um eine reflexive Verwendung von verlangen, sondern um eine unpersönliche Verwendung dieses Verbs mit einem Akkusativ (vgl. die Angaben verlangen im DWDS [Bedeutung 5]):

jemanden verlangt (es) nach jemandem/etwas

Es verlangt mich nach Liebe.
Mich verlangt (es) nach Liebe.
Nach Liebe verlangt (es) mich.

Das unpersönliche es, das hier die Funktion eines formalen Subjekts hat, kann wegfallen, außer wenn es am Satzanfang steht (siehe Beispiele oben). Die Konstruktion gilt als gehoben. Man begegnet ihr also im Alltag nicht allzu häufig. Gemeint ist mir ihr übrigens nicht, dass man etwas fordert, sondern dass man sich nach etwas sehnt, etwas begehrt.

Der Satz, den Sie zitieren, müsste also tatsächlich mit dem Akkusativ und nicht mit dem Dativ stehen:

Sie konnten nicht finden, wonach es sie verlangte.

In diesem Satz lässt man das es besser nicht weg, weil sonst undeutlich sein könnte, ob es sich bei sie um einen Akkusativ Plural oder um einen Nominativ Singular handelt. Ohne es möglich ist zum Beispiel:

Ich kann nicht finden, wonach (es) mich verlangt.
Er konnte nicht finden, wonach (es) ihn verlangte.
Ihr konnten nicht finden, wonach (es) euch verlangte.

Ein Blick ins Internet zeigt, dass Formulierungen mit dem Dativ relativ häufig vorkommen:

*Es verlangte ihm nach Abwechslung.
*Mir verlangte es nach etwas Trinkbarem.
*… wonach ihnen verlangte.

Wenn man sich einer gehobenen (und vielleicht ein bisschen veralteten) Wendung bedient, kann man das aber besser so tun, wie es in den Wörterbüchern steht, auch in älteren1:

Es verlangte ihn nach Abwechslung.
Mich verlangte es nach etwas Trinkbarem.
… wonach es sie verlangte.

Und im Zweifelsfall kann man natürlich auch auf sich (Akk.) nach etwas sehnen ausweichen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Eintrag verlangen, Abschnitt 5)

Der reflektierte Mensch oder der reflektierende Mensch

Frage

Neulich habe ich den Spruch gehört: „Lieber ein reflektierter Atheist als ein unreflektierter christlicher Fundamentalist.“ Meine Frage dazu: Müsste es nicht heißen „ein reflektierender Atheist“ und ein „nicht reflektierender christlicher Fundamentalist“ ?

Antwort

Guten Tag Herr Z,

zuerst habe ich mich vor allem gewundert, denn mir war diese Verwendung von reflektiert bis zu Ihrer Frage nie aufgefallen. Schon nach einem kurzen Blick ins Internet musste ich aber feststellen, dass Formulierungen wie ein reflektierter Mensch, eine reflektierte Führungskraft und die reflektierte Theologin offenbar keine Seltenheit sind. Sind sie korrekt?

Das Partizip reflektiert kann eigentlich nicht so verwendet werden. Das Verb reflektieren bedeutet unter anderem1:

über etwas reflektieren = über etwas nachdenken
etwas reflektieren = etwas erwägen, überdenken

Wenn (über) etwas reflektiert worden ist, ist darüber nachgedacht worden, hat jemand es gründlich überdacht:

ein reflektiertes Urteil = ein (gut) durchdachtes Urteil
die reflektierte Nutzung digitaler Medien = die (gut) durchdachte Nutzung …

Das adjektivisch verwendete Partizip reflektiert steht also vor dem, worüber nachgedacht oder reflektiert wird. Es bezieht sich auf das Akkusativobjekt bzw. das Präpositionalobjekt. Es bezieht sich nicht auf das zum Verb reflektieren gehörende Subjekt: Die Person, die reflektiert, ist nicht die reflektierte Person, sondern die reflektierende Person. Man kann es mit der Person vergleichen, die nachdenkt oder überdenkt. Das ist nicht die nachgedachte oder überdachte Person, sondern die nachdenkende oder überdenkende Person.

Das gilt auch dann, wenn reflektierend nicht einen einmaligen Vorgang beschreibt, sondern als Charaktereigenschaft gemeint ist. Ein reflektierender Mensch kann eine Person sein, die gerade nachdenkt, aber auch eine Person, die dies regelmäßig oder immer tut.

Ähnliches gilt für die mit un- verneinte Form unreflektiert. Wenn man etwas unreflektiert tut, tut man es ohne nachzudenken, spontan. Unreflektiert ist das, worüber nicht nachgedacht wird oder nicht nachgedacht worden ist (zum Beispiel: unreflektiertes Handeln, unreflektierte Meinungen, unreflektierte Verehrung).  Eine Person, die nicht oder gar nie nachdenkt, ist nicht eine unreflektierte Person, sondern eine nicht reflektierende Person.

Der langen Rede kurzer Sinn ist, dass Sie recht haben. Der Spruch sollte besser so lauten:

Lieber ein reflektierender Atheist als ein nicht reflektierender christlicher Fundamentalist.

ABER (ohne ein Aber geht es kaum je): Wenn man einmal darauf achtet, begegnet man viel häufiger, als ich es erwartet hätte, Formulierungen, in denen von reflektierten oder unreflektierten Personen die Rede ist. Es könnte also sein, dass das Partizip reflektiert auf dem Wege ist, sich zu einem selbständigen Adjektiv mit eigener Bedeutung zu entwickeln: reflektiert = immer/häufig über vieles reflektierend/nachdenkend. Es wäre nicht das erste und sicher nicht das letzte Partizip, dass sich „verselbständigt“ (man denke hier zum Beispiel an schreiende Farben und ausgekochte Kriminelle). Vorläufig ist es aber noch nicht ganz so weit, so dass ich empfehlen würde, von reflektierenden und nicht reflektierenden Menschen statt von reflektierten und unreflektierten Menschen zu sprechen. Auf die hier unweigerlich aufkommende Bemerkung über Menschen vor dem Spiegel gehe ich nicht weiter ein1.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Die anderen Bedeutungen von „reflektieren“ sind hier – außer für humoristisch gemeinte Einlagen – nicht relevant.

Das (nicht ganz so) Bizarre an „bizarr“

Manchmal möchte ich einfach wissen, woher ein Wort kommt. Diesmal ist es das ungewöhnlich klingende Adjektiv bizarr. Hat das bi- vielleicht etwas mit dem lateinischen bi- = zwei-, doppelt- zu tun wie in zum Beispiel bilateral, bivalent oder Bikarbonat? Es ist aber nicht sehr einleuchtend, wie dies zur Bedeutung absonderlich, seltsam, ungewöhnlich von bizarr passen könnte. Noch unklarer ist, wie sich der Rest des Wortes erklären ließe. Mit der Roman- und Filmfigur Zorro kann zarr kaum etwas tun haben, auch wenn der degenfechtende Maskenträger mit seinem geritzten Z nicht ganz unbizarr ist. Es bleibt also nur der Blick in die einschlägigen Wörterbücher.

Das Bizarre an bizarr ist: Niemand weiß, woher es kommt. Das Wort bizarr lässt sich zwar über das französische bizarre auf das italienische bizzarro zurückführen, sein weiterer Ursprung ist aber abgesehen von verschiedenen Mutmaßungen ungewiss. Erstaunlich ist auch, dass die Kernbedeutung absonderlich, seltsam, ungewöhnlich des Wortes durch die Jahrhunderte und über die Sprachgrenzen hinweg größtenteils unverändert geblieben ist.*

Wirklich bizarr ist bizarr deswegen nicht. Es ging im Titel  oben vor allem um das Wortspiel. Schade ist, dass ich nicht mehr über dieses schöne Wort erfahren kann. Ich hatte mich schon auf eine interessante bis abenteuerliche Wortgeschichte gefreut, die zur bizarren Form des Wortes passt (nicht unbedingt etwas mit einem doppelten Zorro oder so, aber dennoch). Wer sich beim Lesen des Titels auch gefreut hat und nun ebenfalls enttäuscht ist, möge mir den „Teaser“ verzeihen.

* Natürlich gibt es wie immer Ausnahmen: Im Spanischen ist eine besondere frühere Teilbedeutung erhalten geblieben: bizarro = stattlich, mutig, tapfer.