Morbus helveticus, Heimweh und Auffahrt

Frage

Wie schreibe ich folgenden Begriff korrekt: „Schweizer Krankheit“ oder „Schweizerkrankheit“? Oder sind beide Schreibweisen gleichermaßen möglich? Im WWW finden sich genauso viele Belege für „Schweizer Krankheit“ wie für „Schweizerkrankheit“ .

Antwort

Guten Tag Herr B.,

es gibt hier offenbar keine gefestigte Schreibung. Möglich und vertretbar ist beides:

Schweizer Krankheit = schweizerische Krankheit
Schweizerkrankheit = Krankheit der Schweizer
(Morbus helveticus = Heimweh)

Welches der beiden mit Morbus helveticus gemeint ist, lässt sich nicht eindeutig festlegen. Vergleiche hierzu ähnlich aufgebaute Krankheitsbegriffe und deren Schreibung in den Wörterbüchern:

französische/Französische Krankheit o. Franzosenkrankheit
(Morbus gallicus = Syphilis)
englische/Englische Krankheit
(Morbus Anglorum = Rachitis)

Sie können also Schweizer Krankheit oder Schweizerkrankheit schreiben. Es empfiehlt sich allerdings, innerhalb eines Textes oder einer Textreihe immer die gleiche Variante zu verwenden.

Der Begriff ist eine Bezeichnung für (krankhaftes) Heimweh, das Ende des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich zum ersten Mal in der Schweiz beschrieben wurde. Dass die „Krankheit“ Schweizerkrankheit oder Schweizer Krankheit genannt wurde, soll an den vielen im Ausland engagierten Schweizer Söldnern gelegen haben, die daran litten.

Dass es gerade hier zu unterschiedlichen Schreibungen kommt, hat zwar nicht damit zu tun, es sieht aber wie ein Symptom einer anderen Schweizer „Krankheit“ aus: andere Rechtschreibgepflogenheiten als im Rest des deutschen Sprachraumes. So genießt man in der Schweiz zum Beispiel die Aussicht auf den Genfersee und wohnt man an der Baslerstrasse statt auf den Genfer See und an der Basler Straße (siehe diesen uralten Blogartikel zum Tessinerbrot).

Der morgige Tag zeigt übrigens, dass es auch bei der Wortwahl gewissen Eigenheiten gibt: Während man morgen im Allgemeinen Christi Himmelfahrt feiert und viele sich ein verlängertes Himmelfahrtswochenende gönnen, nennt man dies in der Schweiz Auffahrt und Auffahrtswochenende (mit Auffahrt ist also selbst in Schweizer Wintersportregionen nicht die Bergfahrt in einer Bergbahn vor der Skiabfahrt gemeint).

Schöne Himmelfahrt oder eben Auffahrt!

Dr. Bopp

Hexenbutter

Beim Wandern in der freien Natur fiel unser Auge auf etwas leuchtend Gelboranges, das ich zuerst als ein vor Kurzem weggeworfenes Stück Orangenschale ansah. Bei näherer Betrachtung war sofort klar, dass es etwas anderes sein musste. Aber was?

Mit Hilfe dieses Fotos und der online verfügbaren Suchhilfen kamen wir zum Schluss, dass es sich um Folgendes handeln musste: Gelbe Lohblüte oder Hexenbutter (Fuligo septica). Das ist eine Art Schleimpilz, der offenbar häufig vorkommt, mir aber vorher nie bewusst unter die Augen gekommen ist.

Hier geht es mir weniger ums Botanische (siehe dazu z. B. Wikipedia) als vielmehr um den Namen. Schon die Tatsache, dass es sich um einen „Schleimpilz“ handelt, ruft fantasievollste Assoziationen mehr oder weniger angenehmer Art auf. Noch schöner ist aber „Hexenbutter“. Die weiche, fast unnatürlich hellleuchtende Masse im Wald muss ein Klecks Butter sein, der von oder für Hexen gemacht wurde. Was denn sonst?!

Die Gelbe Lohblüte wird in verschiedenen Sprachen Hexenbutter genannt. Zum Beispiel:

dt.: Hexenbutter
nl.: heksenboter
poln.: masło czarownicy
lett.: ragansviests

Auch in anderen Sprachen ließ man der Fantasie bei der Namensgebung den freien Lauf. In den skandinavischen Sprachen heißt Fuligo septica ins Deutsche übersetzt „Trollbutter“. Nördliche Wälder werden von Trollen bewohnt, die offenbar wie die hiesigen Hexen auch hin und wieder ein wenig Butter im Wald verschütten.

dän.: troldsmør
nor.: trollsmør
schwe.: trollsmör

Damit ist das Repertoire aber noch lange nicht ausgeschöpft. Hier noch ein paar schöne Beispiele:

lett.: Hexenspucke (raganu spļāviens)
nor.: Trollspucke (trollspytt)
fin.: Parabutter (paranvoi [von einem Para, d.h. einem Fabelwesen, verschüttete Butter])
eng: Rühreischleim (scrambled egg slime)
engl: Hundekotzschleimpilz (dog vomit slime mold)
frz.: Hundekotze (vomi de chien)
port.: Hundekotze (vômito-de-cão)

Auch der lateinische Name ist, wenn man ihn wörtlich nimmt, nicht allzu schmeichelhaft:

lat.: Verwesungsruß (fuligo septica)

Daneben gibt es aber auch Namen, die sich weder an der Folklore noch an der eher unangenehmen Konsistenz dieses Schleimpilzes orientieren, sondern an seiner Farbe und Schönheit:

poln.: Schaumblüte (wykwit piankowaty)
ung.: Rainfarn-Schleimpilz (cservirág nyálkagomba)
frz.: Lohblüte (fleur de tan)
dt.: Gelbe Lohblüte

Was es nicht alles auf einem Nachmittagsspaziergang im Wald zu entdecken gibt!

Genuszuteilung: warum der Superlativ und das Diminutiv?

Frage

Kennen Sie eine Erklärung dafür, dass es bspw. „der Superlativ“ heißt, aber nicht „der Diminutiv“, sondern „das Diminutiv“? Mir kommt hier die Zuordnung unterschiedlicher grammatischer Geschlechter unlogisch vor.

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

diese Substantive sind eine besondere Art substantivierte Adjektive. Sie wurden aus dem Lateinischen übernommen, wo sie als Adjektiv zu einem bestimmten Substantiv gehören. Häufig wird das Geschlecht des betreffenden Substantivs auf das substantivierte Adjektiv übertragen:

(casus [m.]) nominativus → der Nominativ
(modus [m.]) coniunctivus → der Konjunktiv
(gradus [m.]) superlativus → der Superlativ

(nomen [n.]) substantivum → das Substantiv
(pronomen [n.]) reflexivum → das Reflexiv
(nomen [n.]) diminutivum → das Diminutiv

Die weiblichen Substantive auf -ative kommen vielfach aus dem Französischen. Auch hier kann man in der Ursprungssprache häufig ein (in diesem Fall weibliches) Wort hinzudenken, nach dem sich die Form und das Wortgeschlecht der Substantivierung richtet:

(la proposition [f.]) alternative → die Alternative
l’initiative [f.] → die Initiative
(l’assemblée [f.] ) législative → die Legislative

Ganz unlogisch und willkürlich ist die Zuteilung des Genus bei Wörtern dieser Art also nicht. So einfach oder eben komplex kann die Wortgeschichte sein.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Von Rumkugeln und Jamaikanern

Frage

Warum heißen Rumkugeln heutzutage Jamaicaner?

Antwort

Guten Tag J.,

Rumkugeln heißen vielerorts auch heute noch einfach Rumkugeln. Andere Bezeichnungen wie Streuselkugeln oder Jamaikaner kommen aber auch vor. Eine eindeutige Antwort, warum das so ist, muss ich Ihnen schuldig bleiben. Es gibt (mindestens) zwei Erklärungsmöglichkeiten:

Wenn die Rumkugeln Rum enthalten, kann Jamaikaner ein Kurzname für (echte) Jamaika-Rumkugeln sein. Dabei ist mit Jamaika-Rumkugeln gemeint, dass die Rumkugeln mit echtem Jamaika-Rum gemacht wurden.

Wenn die Kugeln keinen Rum enthalten, kann die Bezeichnung Jamaikaner genau aus diesem Grund gewählt worden sein. Ohne Rum ist eine Rumkugel ja eigentlich keine Rumkugel. Mit der Bezeichnung Jamaikaner (oder einem anderen „rumlosen“ Namen) wird nicht oder weniger stark der Eindruck geweckt, dass die Kugeln Rum enthalten.

Ich vermute, dass häufig die zweite Erklärung zutrifft. Nach dem deutschen Jugendschutzgesetz dürfen nämlich Rumkugeln mit mehr als einem Prozent Alkohol nicht an Jugendliche verkauft werden. Um diese Hürde zu umgehen, wird auf alkoholfreie Varianten (mit oder ohne Rumaroma) ausgewichen, die dann eigentlich einen anderen Namen tragen sollten.

Wenn Sie genau wissen wollen, ob die Süßigkeit Rum, Rumaroma oder keines von beidem enthält, informieren Sie sich am besten vor dem Kauf. Am besten schmecken meiner Meinung nach „natürlich“ die echten Rumkugeln (vorausgesetz, man hat das jeweils geltende gesetzliche Mindestalter erreicht …).

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Dr. Bopp zügelt

Seit dem letzten Blogartikel ist es schon ein Weilchen her. Das liegt daran, dass wir gerade zügeln. Wir zügeln nicht etwa ein Pferd oder unsere Zunge, sondern in eine andere Stadt.

Deutschsprachige Schweizer und Schweizerinnen sowie andere, die die Deutschschweiz gewohnt sind, verstehen nun, worum es geht. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich Schweizer Wurzeln, und meine Familie wohnt in der Schweiz. Für alle anderen folgt hier die Erklärung:

Neben dem überall gebräuchlichen Verb zügeln gibt es in der Schweiz des Verb zügeln mit der Bedeutung umziehen. Dr. Bopp zieht also um (und dies nicht zum ersten Mal; siehe hier). Dieses zügeln kommt nicht vom allgemeindeutschen zügeln, sondern leitet sich direkt von ziehen/Zug ab. Zügeln im Sinne von umziehen wird nicht nur in den schweizerdeutschen Dialekten verwendet, sondern häufig auch im (eher informellen) schweizerischen Standarddeutsch. So finden sich zum Beispiel auf der deutschschweizerischen Website des schwedischen Möbelriesen diese Sätze:

Mit diesem Ratgeber kannst du deinen Umzug optimal planen. Freu dich auf viele Tipps rund ums Thema Zügeln.

Warum den Arbeitsplatz bei schönem Wetter nicht einfach ins Freie zügeln?

Wenn Schweizerinnen und Schweizer umziehen, dann zügeln sie. Dies tun sie an einem bestimmten Zügeltermin mit einem Zügelwagen oder Zügelauto und häufig auch mit Hilfe von Zügelleuten einer Zügelfirma. Auch bei uns haben – auf gut Schweizerisch gesagt – Zügelleute (die übrigens nicht wussten, dass sie anderswo so genannt werden) das eigentlichen Zügeln übernommen. Am alten Ort einpacken und in der neuen Wohnung einräumen mussten wir aber selbst. Da man in der Regel viel mehr Möbel, Dinge, Zeug und anderes hat, als man vorher je vermuten würde, ist das sehr zeitraubend. Das erklärt, warum ich den Blog und die Beantwortung von Fragen in den letzen Tagen etwas vernachlässigt habe: Ich hatte zügelfrei.

Mittlerweile ist alles eingeräumt und hängt das meiste, wo es hängen soll (außer den Lampen, den leidigen Lampen!). Die ziemliche stressige Züglerei haben wir also fast hinter uns, und ich kann mich zwar noch leicht ermüdet, aber mit frischem Mut wieder mit Sprachfragen beschäftigen. Und wer das Wort noch nicht kannte, hat nun einen schönen Helvetismus* gelernt.

*typisch schweizerischer sprachlicher Ausdruck

Nicht immer ist „(sich) erhellen“ sehr erhellend

Frage

Ich verwende in einer Publikation die beiden Sätze:

Dieser Zusammenhang erhellt [sich] auch aus dem im ersten Kapitel Gesagten.
Dass weitere Interpretationen möglich sind, erhellt [sich] bereits daraus, dass …

Ich hatte hier ursprünglich die reflexive Form verwendet, die Herausgeber haben nun allerdings vorgeschlagen, das „sich“ jeweils wegzulassen.

Eine Internet-Recherche führt zu keinem völlig eindeutigen Befund. Allgemein scheint eher das Weglassen als korrekt erachtet zu werden. […] Ist nur eine Variante richtig oder ggf. beides möglich?

Antwort

Guten Tag Herr K.,

das „Problem“ mit erhellen ist, dass das Verb zwei verschiedene Verwendungsarten mit zwei verschiedenen Konstruktionen hat:

a) deutlich, verständlich werden; sich [als Folgerung] ergeben (intransitiv)
b) deutlich machen, erklären (transitiv)

Es sieht so aus, als ob Sie in den beiden Sätzen das Verb erhellen mit der ersten Bedeutung verwenden. Mit dieser Bedeutung steht erhellen ohne sich:

Dieser Zusammenhang erhellt auch aus dem im ersten Kapitel Gesagten.
Dass weitere Interpretationen möglich sind, erhellt bereits daraus, dass …

Diese Verwendung von erhellen ist eher gehoben und formal.

Man kann aber auch sagen, dass Sie erhellen mit der zweiten Bedeutung, deutlich machen, erklären, verwenden. Dann muss es in den beiden Sätzen reflexiv sein (sich erhellen = sich erklären, sich verdeutlichen):

Dieser Zusammenhang erhellt sich auch aus dem im ersten Kapitel Gesagten.
Dass weitere Interpretationen möglich sind, erhellt sich bereits daraus, dass …

Es gibt also zwei Verbvarianten. Welche der beiden Sie verwenden (sollten), ist unklar. In einem gehobeneren oder formaleren Kontext würde man intransitives erhellen (deutlich werden; sich ergeben) ohne sich erwarten, insbesondere in Verbindung mit (dar)aus. Man kann aber auch das andere erhellen (deutlich machen; erklären) mit sich verwenden. Beides ist vertretbar.

Um der möglichen Verwirrung vorzubeugen, würde ich entweder – entgegen Ihrer Sprachintuition –  erhellen ohne sich verwenden oder auf eine andere Konstruktion ausweichen. Zum Beispiel:

Dieser Zusammenhang ergibt sich auch aus dem im ersten Kapitel Gesagten.
Dass weitere Interpretationen möglich sind, verdeutlicht/erklärt sich bereits daraus, dass …

Aus dem hier Gesagten erhellt, dass dass Verb erhellen mit seinen Varianten nicht immer so deutlich erhellend ist. Und es erhellt, warum das so ist. Wer das noch versteht, muss sprachlich hell sein.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Gewöhnlich, gemein, ordinär und vulgär

Wörter können im Laufe der Zeit eine andere Bedeutung annehmen. Das kommt interessanterweise vor allem bei negativ beladenen Wörtern vor (Bedeutungsverbesserung ist seltener als Bedeutungsverschlechterung). Letzthin sind mir die beiden Wörter ordinär und vulgär wieder einmal aufgefallen.

Dank dem bisschen Latein, das mir noch aus frühen Schulzeiten geblieben ist, weiß ich, dass ordinär auf ordinarius zurückgeht, das die Bedeutung ordentlich, regelmäßig, gewöhnlich hatte (ein Blick ins Wörterbuch Latein zeigt, dass es sogar vorzüglich bedeuten konnte). Das Wort vulgär kommt weit zurück ebenfalls aus dem Lateinischen (vulgarius), wo es gewöhnlich, alltäglich, allgemein bedeutete. Es gehört zum Substantiv vulgo = Volksmasse, breite Masse, einfaches Volk.

Beide Wörter hatten also ursprünglich die Bedeutung gewöhnlich. Im heutigen Sprachgebrauch sind aber ordinäre Scherze oder ordinäre Personen nicht mehr gewöhnlich, sondern unfein und unanständig. Vulgäre Witze und vulgäre Menschen sind erst recht nicht gewöhnlich oder allgemein, sondern „auf abstoßende Weise derb und ordinär“.

Das gleiche Los war dem Wort gemein beschieden: Heute bedeutet es vor allem niederträchtig und unverschämt. Ursprünglich war seine Bedeutung u. a. gemeinsam, gemeinschaftlich, allgemein, gewöhnlich. Das kann man noch in gemeinsam, gemeinschaftlich und allgemein oder Gemeinde und Gemeinbesitz erkennen. Auch die Gemeine Stubenfliege und die Gemeine Grasnelke sind weder niederträchtig noch besonders unverschämt, sondern einfach gewöhnliche Vertreterinnen ihrer Art. (Die Stubenfliege kann allerdings häufig sehr nervig und unverschämt sein, aber sie hat ihren Namen nicht dieser Eigenschaft zu verdanken.)

Die Wörter ordinär, vulgär und gemein erhielten ihre negative Bedeutung, weil gewöhnlich oft als nicht gut genug oder nicht wertvoll genug gilt. Diese negative Nebenbedeutung wird dann im Laufe der Zeit zur Hauptbedeutung. Das passiert – wenn man genauer hinschaut – auch schon mit dem Wort gewöhnlich: Wenn von der neuen Freundin oder einem Heiratsakandidaten gesagt wird, sie bzw. er sei schon etwas gewöhnlich, ist das je nach Spitzzüngikeit der beurteilenden Person ein leicht negatives bis absolut vernichtendes Urteil. Gewöhnlich wird eben oft als nicht gut genug empfunden.

Fronleichnam

Heute haben viele in katholischen Gebieten frei. Man feiert Fronleichnam zum Gedenken der wirklichen Gegenwart Christi bei der Eucharistie. Man möge mir bitte verzeihen, falls ich dies nicht ganz richtig formuliere. Da ich weder aus katholischem Haus komme noch aus einer katholischen Region stamme und auch jetzt nicht in einem katholischen Gebiet wohne, ist mir dieser Feiertag eigentlich mehr oder weniger unbekannt. Ich habe heute auch keinen freien Tag. Erst wenn es hier an einem Donnerstag nach Pfingsten zu ungewöhnlichen Staus kommt und die Läden besonders voll sind, dämmert es mir jeweils: Das muss ein katholischer Feiertag sein. Heute ist dies, wie gesagt, Fronleichnam.

Um meine Unwissenheit wenigstens ein bisschen zu reduzieren, wollte ich wissen, woher dieser ungewöhnliche Name stammt. Ich kenne Fron nur im Zusammenhang mit Fronarbeit und Frondienst, also der Arbeit, die Bauern oder Leibeigene ihren Grundherren oder Feudalherren schuldig waren. Leichnam ist ein schönes Wort mit der Bedeutung Leiche, toter Körper. Da dies kaum die Bedeutungen sein können, die zusammen den Namen für dieses Kirchenfest ergeben, musste ich weitersuchen.

Der Name ist schon alt und stammt aus der Zeit, in der man das Fest zu feiern begann (seit dem 13. Jh.). Das Wort vron war eigentlich ein Adjektiv und bedeutete den geistlichen oder weltlichen Herrn betreffend, ihm gehörend. Das erklärt die Begriffe Fronarbeit und Frondienst: Arbeit bzw. Dienst für den Herrn. Das Wort Leichnam (bzw. sein Vorläufer) bezeichnete ursprünglich nicht nur den toten, sondern bis ins 17 Jahrhundert auch den lebenden Körper (wie heute noch niederländisch lichaam, isländisch líkami, norwegisch u. dänisch legeme). Kurz zusammengefasst: Fronleichnam bedeutet des Herren Körper. Und genau dies wird ja gefeiert: die wirkliche Gegenwart des Leibes (und Blutes) Christi bei der Eucharistie.

Wer frei hat, genieße den freien Tag! Und wer arbeitet, aber dies „trotzdem“ gelesen hat: Wieder etwas dazugelernt!

Zur Wortgeschichte siehe hier und hier.

Bösling

Frage

[…] [Meine ursprünglich russischsprachige Freundin] nennt mich immer noch mal „Liebling“. Als sie anfangs mal Ärger mit mir hatte, weil ich was „verbockt“ hatte, nannte sie mich (halb liebevoll) „Bösling“, und war bass erstaunt, als ich ihr erklären musste, dass es dieses Wort im Deutschen nicht gibt. Ich würde es sehr gerne „einführen“. Wo kann ich das bei Experten via Internet „einleiten“.

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

das Wort Bösling kommt mir gar nicht so unbekannt vor, und dies nicht nur als Familienname. Tatsächlich taucht es hin und wieder im Internet und in großen Textsammlungen auf. Meist hat es dann die Bedeutung Bösewicht oder Fiesling. (Das sind sozusagen seine „offiziellen“ Konkurrenten.) Man kann also nicht sagen, dass es das Wort Bösling im Deutschen „gar nicht gibt“. Es kommt nur nicht so oft vor, dass es den Eingang in die Wörterbücher geschafft hätte.

Wenn ein Wort nicht in den Wörterbüchern steht, bedeutet dies nicht, dass es dieses Wort grundsätzlich nicht gibt oder dass man es nicht verwenden dürfte. Es bedeutet häufig nur, dass es (noch?) nicht in die Wortsammlungen aufgenommen worden ist. Die meisten Wörterbücher arbeiten mit großen, möglichst aktuellen Textsammlungen unterschiedlichster Art. Wenn ein Wort darin über längere Zeit relativ häufig vorkommt, wird es zum Aufnahmekandidaten und, nach Prüfung durch die Redaktion, vielleicht zum Wörterbucheintrag. Bei Duden werden daneben offenbar auch Anfragen zu „fehlenden“ Wörtern berücksichtigt.

Ihre Freundin kann Sie also problemlos „Bösling“ nennen (ob Sie es verdient haben, sei dahingestellt). Sie macht dabei keinen Fehler und sie verwendet auch kein unmögliches Wort. Die meisten Deutschsprachigen werden auch auf Anhieb verstehen, was mit dieser (scherzhaften) Bezeichnung gemeint ist.

Wenn Sie das Wort beim Einzug ins Wörterbuch unterstützen möchten, müssen Sie es möglichst oft benutzen und andere dazu bewegen, dies auch zu tun. Eine offizielle Instanz, bei der man neue Wörter beantragen könnte, gibt es nicht. Dieser Blogartikel hilft vielleicht auch ein kleines Bisschen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Wort „tätowieren“ – eine englisch-französische Koproduktion aus Polynesien

Man sieht es immer Sommer noch besser als jetzt: Tätowierungen sind allgegenwärtig. Dennoch scheinen Fremdsprachige – auch wenn sie viel mit der deutschen Sprache zu tun haben – den Wörtern tätowieren und Tätowierung kaum je bewusst zu begegnen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Tätowierung heute vor allem Tattoo heißt und man sich nicht tätowieren, sondern ein Tattoo stechen lässt. Auch im Straßenbild sieht man selten etwas mit Tätowierung oder Tätowierstudio, sondern vor allem Tattoo-Shops und Tattoo-Studios.

Wie komme ich darauf: Ich wurde gefragt, was das deutsche Wort für to tattoo ist. Darüber wunderte ich mich leicht, denn ich hätte erwartet, dass dies dem Fragesteller mit seinen so guten Deutschkenntnissen bekannt ist. Noch mehr gewundert habe ich mich aber über die erste, leicht ungläubige Reaktion: „Mit ä und w?!“ Fremdsprachige stellen oft die besten Fragen. Ich hatte keine Ahnung, wie dies zu erklären ist. Inzwischen habe ich in die etymologischen Wörterbücher (vgl. hier) geschaut und Folgendes gefunden:

Dem Wort tätowieren liegt das polynesische Wort tatau für tätowieren und Tätowierung zugrunde. Dieses Wort gelangte mit den Engländern unter der Form tattow (heute: tattoo) nach Europa. Die englische Aussprache des a in tattow könnte den Umlaut ä im Deutschen erklären und auch das w kommt von dort. Wir waren natürlich nicht die Einzigen, die dieses Wort übernahmen. So gelangte es auch als tatouer ins Französische. Das französische Wort dürfte einen Einfluss auf die Schreibung im Deutschen gehabt haben.

In dieser Weise entstand aus polynesischem tatau unter gemeinsamem Einfluss des Englischen und des Französischen das deutsche Verb tätowieren.

Es gibt übrigens noch eine direktere Entlehnung: tatauieren. Dieses Wort kommt aber nur selten und vor allem in Fachsprachen vor. Vielleicht wird auch Tätowierung mit der Zeit durch Tattoo in ein Schattendasein gedrängt.