Was ist „einen Euro“ in „Der Wert beträgt einen Euro“?

Frage

Im Duden steht, dass der adverbiale Akkusativ verwendet wird bei: Zeitdauer, Strecke, Gewicht. Alter kommt dazu. Wie ist es mit Wert? Beispiel: „Der Wert beträgt ungefähr einen Euro“.

Antwort

Guten Tag Frau K.,

bei Verben wie dauern, kosten, betragen, messen und wiegen, deren Ergänzung eine Zeit- oder Maßangabe ist, handelt es sich bei der Ergänzung um einen Adverbialakkusativ (= eine Wortgruppe mit einem Substantiv im Akkusativ als Kern, die die Funktion einer Adverbialbestimmung hat):

Die Sitzung dauerte einen halben Tag.
Ein einfaches Ticket kostet einen Euro zwanzig.
Der Wert beträgt einen Euro.
Die Strecke misst einen Kilometer.
Ein Sack Kohlen wiegt einen Zentner.

Die Maßangabe ist obligatorisch und sie steht im Akkusativ, sie gilt aber „trotzdem“ nicht als Akkusativobjekt, sondern als Adverbialbestimmung. Das liegt daran, dass man diese Angaben anders als ein Akkusativobjekt nicht durch ein Personalpronomen ersetzen kann:

nicht: Die Sitzung dauerte ihn.
nicht: Ein einfaches Ticket kostet ihn.
nicht: Der Wert beträgt ihn.
nicht: Die Strecke misst ihn.
nicht: Ein Sack Kohlen wiegt ihn.

Es ist auch nicht möglich, Formulierungen dieser Art in eine Konstruktion mit einem als Adjektiv verwendeten Partizip umzuformen:

nicht: Die einen Tag gedauerte Sitzung.
nicht: Ein einen Euro zwanzig gekostetes einfaches Ticket.
nicht: Der einen Euro betragene Wert.
nicht: Die einen Kilometer gemessene Strecke.
nicht: Ein einen Zentner gewogene Sack Kohlen.

Es ist aber möglich, wie bei anderen Adverbialbestimmungen mit wie … zu fragen:

Wie lange dauerte die Sitzung?
Wie viel kostet ein einfaches Ticket?
Wie viel beträgt der Wert?
Wie viel misst die Strecke?
Wie viel wiegt ein Sack Kohle?

Dasselbe gilt übrigens auch für Verbindungen wie alt sein oder wert sein, die auch mit einer obligatorischen Ergänzung im Akkusativ stehen. Auch hier handelt es sich um einen Adverbialakkusativ (vgl. hier)

Unsere Küken sind schon einen Monat alt.
Das Bild ist diesen großen Betrag nicht wert.

Nicht alles, was im Akkusativ steht und (obligatorisch oder fakultativ) zu einem Verb gehört, ist also ein Akkusativobjekt. Manchmal ist es auch ein adverbialer Akkusativ. Das gilt vor allem für Zeit-, Maß-, Mengen- und – als abschließende Antwort auf Ihre Frage – auch für Wertangaben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Passiv und passivisch

Frage

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Unterschied zwischen „passiv“ und „passivisch“ erhellen könnten.

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

außerhalb der Linguistik oder ohne Bezug auf die Sprache kommt passivisch kaum vor. Ich beschränke die Antwort deshalb auf die Verwendung der beiden Adjektive in der Sprachwissenschaft. Um es gleich vorwegzunehmen: Einen eindeutigen Unterschied gibt es nicht.

Das Adjektiv passivisch ist eine Ableitung des Substantivs Passiv:

passiv →  Passiv → passivisch

Im Allgemeinen wird in der Sprachwissenschaft passivisch verwendet, wenn im Passiv stehend, das Passiv betreffend gemeint ist:

die passivischen Formen des Verbs
eine Satz im Aktiv mit passivischer Bedeutung
die passivische Adjektivendung „-bar“

Die sprachwissenschaftliche Terminologie wäre aber nicht die sprachwissenschaftliche Terminologie, wenn man nicht an jeder zweiten Ecke einer Ausnahme begegnete. So wird des Öfteren passiv verwendet, wo man nach dem oben Gesagten passivisch erwarten würde:

die passiven Formen des Verbs
eine Konstruktion mit passiver Bedeutung

Wenn ein Bezug zum grammatischen Passiv gemeint ist, kommen daneben oft Zusammensetzungen mit Passiv- vor:

die Passivformen des Verbs
eine Passivkonstruktion

Das Adjektiv passiv wird in der Sprachwissenschaft häufig in Verbindungen wie der passive Wortschatz verwendet. Der passive Wortschatz ist der Teil des Wortschatzes, den ein Mensch versteht, selbst aber nicht aktiv gebraucht (ebenso zum Beispiel: passive Sprachkompetenz, passive Sprachkenntnisse, passive Sprachbeherrschung usw.).

Eine eindeutige Unterscheidung gibt es wie gesagt nicht. Wenn Sie passivisch verwenden, wenn es um das Passiv geht, und passiv, wenn von Sprachkenntnissen und Sprachbeherrschung die Rede ist, dann liegen Sie in der Regel richtig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Welcher Artikel gehört zu Bodypump?

Frage

Was für einen Artikel verlangt Bodypump? Ich habe die folgenden Sätze gesehen: Ich gehe ins Bodypump. Ich gehe in die Bodypump-Stunde. Ich gehe zum Bodypump. Welcher Satz ist eigentlich richtig?

Antwort

Guten Tag Herr C.,

die Sätze sind alle richtig:

Ich gehe ins Bodypump.
Ich gehe zum Bodypump.
Ich gehe in die Bodypump-Stunde.

Die Bezeichnung Bodypump wird wie zum Beispiel Pilates, Spinning, Zumba und Aerobics, aber auch „Traditionelleres“ wie Karate, Judo, Fußball, Tennis usw. meistens ohne Artikel verwendet:

Bodypump ist eine neue Art, fit zu bleiben.
Wir bieten Bodypump für Anfänger an.
Was man mit Bodypump alles erreichen kann.

Es steht selten mit Artikel. Dann ist es sächlich:

ins (= in das) Bodypump gehen
Sie geht regelmäßig zum Bodypump.
Er hat sich beim Bodypump verletzt.

Kurzum, Bodypump steht wie viele Sportarten usw. meistens ohne Artikel. Man spricht also höchst selten einfach von das Bodypump. Wenn das Wort mit Artikel o. Ä. erscheint, ist es sächlich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Im Jahr 2100 (zweitausendeinhundert oder einundzwanzighundert?)

Frage

Wie schreibt man die Jahreszahlen ab 2100 in Worten? Wie spricht man sie aus? Zum Beispiel 2113: „zweitausendeinhundertdreizehn“ oder „einundzwanzighundertdreizehn“? Welche Variante ist korrekt?

Antwort

Guten Tag K,

es gibt keine verbindliche Regel, wie man solche Jahreszahlen aussprechen muss. Es gibt aber einige allgemein bekannte Konventionen:

Es ist üblich, die Jahreszahlen zwischen 1100 (elfhundert) und 1999 (neunzehnhundertneunundneunzig) mit Hunderterzahlen anstatt mit (ein)tausend…hundert auszusprechen. Für zum Beispiel 1905, 1789 oder 1291 sagt man entsprechend neunzehnhundertfünf, siebzehnhundertneunundachzig und zwölfhunderteinundneunzig. Es ist aber nicht grundsätzlich falsch, tausendneunhundertfünf oder im Jahr tausendzweihunderteinundneunzig zu sagen, es ist nur nicht üblich.

Ab 2000 zählt man nicht mehr mit Hunderterzahlen, sondern man geht wieder zum „normalen“ Tausendersystem über. Für 2005 sagt man zweitausendfünf, nicht zwanzighundertfünf. (Daneben hört man auch öfter das wahrscheinlich zum Teil englisch inspirierte zwanzig fünf.) Das gilt auch für Jahreszahlen ab 2100 wie zweitausendeinhundert, zweitausendeinhundertfünf, zweitausendeinhundertdreizehn usw. Auch hier ist einundzwanzighundertfünf oder einundzwanzighundertdreizehn nicht grundsätzlich falsch, aber (vorläufig?) nicht üblich. Was im 22. Jahrhundert gebräuchlich sein wird, wissen wir jetzt natürlich noch nicht.

Für Jahreszahlen wie 2100, 2105 und 2113 sagen Sie also am besten:

zweitausendeinhundert
zweitausendeinhundertfünf
zweitausendeinhundertdreizehn

Dann noch zu dieser Frage: Warum heißt es üblicherweise neunzehnhundertfünf, aber zweitausendfünf und zweitausendeinhundertfünf? Das hat unter anderem mit sprachlicher Effizienz zu tun:

neunzehnhundertfünf = 5 Silben
tausendneunhundertfünf = 6 Silben

zweitausendfünf = 4 Silben
zwanzighundertfünf = 5 Silben
(zwanzig fünf = 3 Silben)

zweitausendeinhundertfünf = 7 Silben
einundzwanzighundertfünf = 7 Silben
(einundzwanzig fünf = 5 Silben)

Von 1100 bis 1999 und von 2000 bis 2099 ist die Silbenanzahl der üblichen Variante geringer als die der jeweiligen Alternative. Ab 2100 gibt es keinen „Silbengewinn“, so dass es sich eigentlich nicht lohnt, von der normalen Zählung abzuweichen. (Vielleicht wird sich bis dann – oder dann erst recht – die Zählweise einundzwanzig fünf durchsetzen.)

Es kann auch noch andere Gründe geben: Vor allem, aber nicht nur im älteren Sprachgebrauch trifft man bei Angaben zwischen 1100 und 1999 häufig die Hunderterzählweise an, auch wenn es sich nicht um Jahreszahlen handelt:

ein Konzert vor zwölfhundert Leuten
ein Grundstück von fünfzehnhundert Quadratmetern
Sie ließen eine Flotte in die See gehen, die mit neunzehnhundert Mann Seetruppen bemannt war.

Ob diesen Angaben die „Silbeneffizienz“ zu Grunde liegt oder ob es sich wie bei Dutzend um eine ältere Zählweise handelt (wirklich regelmäßig zählen wir ja auch heute noch erst ab zwanzig), weiß ich leider nicht. Vielleicht spielt auch beides eine Rolle. Bei Jahreszahlen größer als 2000 waren und sind Angaben mit Hunderterzahlen jedenfalls nicht allgemein gebräuchlich. Ob sich das bis zur nächsten Jahrhundertwende noch ändern wird, weiß ich natürlich nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wusstest du oder hast du gewusst, dass…?

Frage

Sagt man „Wusstest du, dass …?“ oder besser „Hast du gewusst, dass …?“?

Antwort

Guten Tag Herr M.,

richtig ist beides. Allgemein hört und liest man häufiger Wusstest du , dass… Die Formulierung Hast du gewusst, dass… ist im südlichen deutschen Sprachraum gebräuchlicher als anderswo. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass „im Süden“ das Perfekt häufiger als „im Norden“ für die Vergangenheit verwendet wird (vgl. hier).

Es mag einige Wusstest-du-Sagende und manche Hast-du-Gewusst-Fragende verwundern, dass beides als richtig gilt.

Wusstest du, dass beides richtig ist?
Hast du gewusst, dass beides richtig ist?

Ob auch alle einverstanden sind, ist eine andere Frage.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist „ich bin geboren“ korrekt?

Ein Dauerbrenner unter den Sprachfragen: Viele kennen die folgende Frage bestimmt, denn sie taucht regelmäßig an verschiedenen Orten auf.

Frage

Ich würde Sie gern fragen, ob „Ich bin geboren“ korrekt ist, da ich ja eigentlich geboren wurde, und ob es einen Unterschied zwischen Zeit – und Ortsangaben gibt.

Antwort

Guten Tag Frau K.,

üblich ist sowohl „ich wurde geboren“ als auch „ich bin geboren“. Rein formal geht es dabei um das Vorgangspassiv mit werden und das Zustandspassiv mit sein. Ganz so einfach und eindeutig ist die Lage aber nicht:

Strenge Sprachhüter und -hüterinnen halten die Form ich bin geboren bei allen Arten von Angaben für falsch oder umgangssprachlich. Gemäß Duden, „Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle“, ist ich bin geboren nur bei Ortsangaben möglich, jedoch nicht bei Zeitangaben und anderen Angaben. In der Sprachrealität sind aber auch in standardsprachlichen und amtlichen Texten beide Varianten für die Angabe von Geburtsort und Geburtsdatum üblich:

Wann und wo wurden/sind Sie geboren?
Ich wurde/bin in Leipzig geboren.
Sie wurde/ist am 1. 1. 2001 geboren.
Er wurde/ist 1980 in Wien geboren.

Wenn Sie ganz sicher sein wollen, dass niemand Ihnen einen „Fehler“ vorwirft, verwenden Sie wurde geboren. Sonst ist auch die Wendung ist geboren für Angaben zu Geburtsort oder Geburtsdatum möglich und gebräuchlich. Bei anderen Angaben verwendet man besser wurde. Das gilt insbesondere in Biografien, Nachrufen, historischen und literarischen Beschreibungen usw.:

Er wurde als Sohn einer Pianistin und eines Sängers geboren.
Sie wurde in eine reiche Familie geboren.

Hoffentlich zweifeln Sie nun etwas weniger, wenn Sie angeben wollen, wann und wo Sie geboren wurden oder geboren sind.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Verlangt es sie oder ihnen nach etwas?

Frage

Ich habe nirgends im Internet die reflexive Form des Verbs „verlangen“ gefunden. Beispiel: „Es verlangt mich nach Liebe.“ Oder ist das eine transitive Form des Verbs mit Akkusativobjekt (mich)?

Ich las jetzt den Satz: „Sie konnten nicht finden, wonach Ihnen verlangte.“ Richtig müsste es doch heißen „… wonach es sie verlangte“. Aber warum?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

im Satz „Es verlangt mich nach Liebe“ handelt es sich nicht um eine reflexive Verwendung von verlangen, sondern um eine unpersönliche Verwendung dieses Verbs mit einem Akkusativ (vgl. die Angaben verlangen im DWDS [Bedeutung 5]):

jemanden verlangt (es) nach jemandem/etwas

Es verlangt mich nach Liebe.
Mich verlangt (es) nach Liebe.
Nach Liebe verlangt (es) mich.

Das unpersönliche es, das hier die Funktion eines formalen Subjekts hat, kann wegfallen, außer wenn es am Satzanfang steht (siehe Beispiele oben). Die Konstruktion gilt als gehoben. Man begegnet ihr also im Alltag nicht allzu häufig. Gemeint ist mir ihr übrigens nicht, dass man etwas fordert, sondern dass man sich nach etwas sehnt, etwas begehrt.

Der Satz, den Sie zitieren, müsste also tatsächlich mit dem Akkusativ und nicht mit dem Dativ stehen:

Sie konnten nicht finden, wonach es sie verlangte.

In diesem Satz lässt man das es besser nicht weg, weil sonst undeutlich sein könnte, ob es sich bei sie um einen Akkusativ Plural oder um einen Nominativ Singular handelt. Ohne es möglich ist zum Beispiel:

Ich kann nicht finden, wonach (es) mich verlangt.
Er konnte nicht finden, wonach (es) ihn verlangte.
Ihr konnten nicht finden, wonach (es) euch verlangte.

Ein Blick ins Internet zeigt, dass Formulierungen mit dem Dativ relativ häufig vorkommen:

*Es verlangte ihm nach Abwechslung.
*Mir verlangte es nach etwas Trinkbarem.
*… wonach ihnen verlangte.

Wenn man sich einer gehobenen (und vielleicht ein bisschen veralteten) Wendung bedient, kann man das aber besser so tun, wie es in den Wörterbüchern steht, auch in älteren1:

Es verlangte ihn nach Abwechslung.
Mich verlangte es nach etwas Trinkbarem.
… wonach es sie verlangte.

Und im Zweifelsfall kann man natürlich auch auf sich (Akk.) nach etwas sehnen ausweichen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Eintrag verlangen, Abschnitt 5)

Ist „ein gewalttätiges Gottesbild“ grammatisch korrekt?

Frage

Da lese ich: „Zum Gottesverständnis des alten Orients gehört ein gewalttätiges Gottesbild.“ Ich stutze, denn hier wird behauptet, dass ein Bild gewalttätig sei. Ein gewalttätiges Bild ist mir noch nie untergekommen. Freilich wäre denkbar, dass ein ein schweres Standbild aus Stein umfällt und einen daneben stehenden Menschen erschlägt. Allenfalls in diesem Sinn könnte ich mir „ein gewalttätiges Bild“ vorstellen. Aber in diesem Fall soll ja wohl gesagt werden, dass Gott gewalttätig ist, nicht dessen Bild. […]

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

ein Attribut bezieht sich auf das Grundwort einer Zusammensetzung oder auf die gesamte Zusammensetzung. Es bezieht sich nicht auf das Bestimmungswort einer Zusammensetzung. In Ihrem Beispiel gilt:

gewalttätig = Attribut
Gottesbild = Zusammensetzung
Bild = Grundwort
Gott(es) = Bestimmungswort

Nach der genannten Regel wäre hier also von einem gewalttätigen Bild Gottes die Rede, nicht – so wie es sehr wahrscheinlich gemeint ist – von einem Bild eines gewalttätigen Gottes.

Die Verbindung gewalttätiges Gottesbild kann allerdings dann richtig sein, wenn Gottesbild als Ganzes mit gewalttätig charakterisiert wird und gewalttätig im Sinne von durch Gewalttätigkeit gekennzeichnet gemeint ist (vgl. z. B. eine gewalttätige Region, gewalttätige Zwischenfälle, heftige Sprache mit gewalttätigen Bildern). Es bleibt für mich aber ein Zweifelsfall.

In gewissen Fällen sind Formulierungen möglich und akzeptiert, in denen sich ein Attribut eigentlich auf das Bestimmungswort bezieht, im Gebrauch aber einen Bezug auf das ganze Wort als eine Einheit hat. Beispiele sind:

das katholische Pfarrhaus
die flektierbaren Wortarten
ein atlantischer Tiefausläufer
die erweiterte Vorstandssitzung
eine deutsche Touristengruppe

Gemeint ist nicht nur das Haus des katholischen Pfarrers, sondern auch das Pfarrhaus der katholischen Gemeinde; nicht nur ein Ausläufer eines atlantischen Tiefs, sondern auch ein vom Atlantik kommender Tiefausläufer; nicht nur eine Gruppe deutscher Touristen, sondern auch eine aus Deutschland stammende Touristengruppe.

Formulierungen dieser Art scheinen aber ausgeschlossen zu sein, wenn das Attribut gar nicht zum Grundwort passen kann. Beispiele, von denen einige in diesem Zusammenhang häufiger zitiert werden, sind:

der dreistöckige Hausbesitzer
die hölzerne Spielzeugmacherin
das kleine Kindergeschrei
schwere Unwetterwarnungen.

Diese Verbindungen sind nicht akzeptabel oder sogar unverständlich.

Der Übergang zwischen akzeptierten/akzeptablen und nicht akzeptierten/nicht akzeptablen Verbindungen dieser Art ist fließend. So ist ein deutscher Sprachexperte vielmehr ein Sprachexperte mit deutscher Staatsangehörigkeit als ein Experte in deutscher Sprache. Dahingegen finde ich die Verbindung ein deutscher Sprachblog für einen Blog zur deutschen Sprache wenn auch nicht eindeutig, so doch relativ unproblematisch. Ich vermute allerdings, dass nicht alle zum gleichen Urteil kommen.

Im Zweifelsfall vermeidet man deshalb besser solche Formulierungen. Gilt dies auch für „ein gewalttätiges Gottesbild“? – Diese Verbindung gehört eher zur Gruppe der nicht akzeptablen Formulierungen. Nur wenn man dem Adjektiv gewalttätig neben der wörtlichen Bedeutung auch eine übertragene Bedeutung durch Gewalttätigkeit gekennzeichnet zuerkennt, kann es als Attribut zu Gottesbild verwendet werden. Ich zweifle aber, ob diese Lesung von gewalttätig hier tatsächlich passt. Ich würde in diesem Fall auf zum Beispiel ein Bild eines gewalttätigen Gottes ausweichen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Semikolon bei Aufzählungen

Erwarten Sie hier keine ehernen Gesetze. Bei der Verwendung des Semikolons (Strichpunkts) in Aufzählungen haben Sie eine recht große Freiheit.

Frage

Wie verhält es sich, wenn innerhalb einer Aufzählung bei einem Aufzählungsglied ein weiteres Komma vorkommt? Die Frage habe ich mir gestern bei folgendem Satz gestellt:

Man kann sich mit anderen im Forum austauschen, neue Düfte entdecken; verschiedene Sammlungen anlegen, um seine Parfüms zu organisieren; interessante Artikel lesen und vieles mehr.

Ich habe Semikolons gesetzt, damit klar ist, dass es sich bei „verschiedene Sammlungen anlegen, um seine Parfüms zu organisieren“ um ein einzelnes Aufzählungsglied handelt. Eigentlich wäre das ja auch ohne Semikolons klar. Ist das Semikolon da eine passende Lösung?

Antwort

Guten Tag Herr V.,

die Aufzählung in Ihrem Satz ist auch ohne Semikolon oder Strichpunkt gut lesbar und verständlich:

Man kann sich mit anderen im Forum austauschen, neue Düfte entdecken, verschiedene Sammlungen anlegen, um seine Parfüms zu organisieren, interessante Artikel lesen und vieles mehr.

Sie können die Aufzählung aber auch mithilfe von Semikolons gliedern. Dabei gilt: Wenn das Semikolon in Aufzählungen verwendet wird, steht es üblicherweise zwischen allen gleichrangigen Elementen der Aufzählung. Sie sollten also zwischen allen Aufzählungsgliedern ein Semikolon verwenden:

Man kann sich mit anderen im Forum austauschen; neue Düfte entdecken; verschiedene Sammlungen anlegen, um seine Parfüms zu organisieren; interessante Artikel lesen und vieles mehr.

In der Rechtschreibregelung steht das folgende Beispiel für eine mögliche Verwendung des Semikolons bei Aufzählungen:

Unser Proviant bestand aus gedörrtem Fleisch, Speck und Rauchschinken; Ei- und Milchpulver; Reis, Nudeln und Grieß.

Andere Beispiele sind:

Die Abfahrtzeiten sind: Berlin Flughafen BER, 22.35; Halle, 00.30; Bayreuth Hbf 03.00; Nürnberg ZOB 4.10.

Satzzeichen mit mehr als einem Namen sind zum Beispiel: das Komma oder der Beistrich; das Semikolon oder der Strichpunkt; der Doppelpunkt oder das Kolon (veraltet); die Anführungszeichen oder Gänsefüßchen (umgangssprachlich).

Sie hat zu Hause einen Mann, der wegen seiner Hobbys „kaum Zeit hat“; zwei Pubertierende, die sich lieber langweilen, als auch nur das Geringste aufzuräumen; drei Katzen, die ganzjährig haaren, und einen Fulltime-Job, der sie vollständig in Anspruch nimmt. Sie fühlt sich zu Recht nicht allein für die Hausarbeit verantwortlich.

In keinem der Beispiele sind die Semikolons obligatorisch, das heißt, überall sind auch Kommas möglich. Es liegt in Ihrem Ermessen, wann Sie Semikolons für die Verdeutlichung komplexerer Aufzählungen verwenden möchten. Sie sollten dabei ggf. nur dafür sorgen, dass zwischen allen gleichrangigen Elementen der Aufzählung ein Semikolon steht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wortstellung am Nebensatzende: wie es hätte sein sollen / sein sollen hätte / sein hätte sollen

Frage

Schon seit einer Weile quäle ich mich mit dem Thema Verbstellung im Nebensatz. Ich habe schon mehrere Bücher gewälzt und denke, den Ersatzinfinitiv verstanden zu haben.

… dass sie hätte mitmachen können.
… dass er hatte kochen müssen.

So weit, so gut. Es scheint auch so zu sein, dass in Österreich „mitmachen hätte können“ (das verwenden alle, sogar die Profs an der Germanistik) oder seltener „mitmachen können hätte“ verwendet wird. Am „richtigsten“ ist aber „hätte mitmachen können“. Liege ich so weit richtig? Kann ich das als Regel formulieren?

Problematisch wird es für mich jetzt bei „werde“ und „würde“. Da liegt ja kein Ersatzinfinitiv vor.

… dass er genug sparen können würde.
… dass sie helfen müssen wird.

Ist es eine Übergeneralisierung, wenn ich analog zu „hätte mitmachen können“ instinktiv „würde sparen können“ sagen will?

… dass er würde sparen können / … dass er sparen können würde
… dass sie wird helfen müssen / … dass sie helfen müssen wird

Ich blicke da leider gar nicht durch. Geht beides? Wenn ja, was ist „richtiger“?

Antwort

Guten Tag Frau W.,

das Bestreben, die Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes vollumfänglich zu verstehen, kann sehr schnell zu Verwirrung und dann zu Resignation führen. Vieles ist möglich, vieles ist nicht eindeutig geregelt und das, was „eindeutig“ geregelt ist, wird häufig nicht von allen eingehalten.

Bei Verbgruppen mit mehreren Infinitiven am Ende eines Nebensatzes gilt im Standarddeutschen allgemein Folgendes als korrekt: Die finite (nach Person und Zahl bestimmte) Verbform wird vorangestellt:

… dass sie hätte mitmachen können.
… dass er hatte kochen müssen.
… obwohl sie nicht haben mitkommen dürfen.
… wie es hätte sein sollen.

Seltener kommt überall auch die Nachstellung der finiten Verbform vor. Sie gilt im Standarddeutschen beim Ersatzinfinitv der Modaleverben als nicht richtig:

… dass sie mitmachen können hätte.
… dass er kochen müssen hatte.
… obwohl sie nicht mitkommen dürfen haben.
… wie es sein sollen hätte.

Eine dritte Variante, die Zwischenstellung der finiten Verbform, ist vor allem in Österreich anzutreffen:

… dass sie mitmachen hätte können.
… dass er kochen hatte müssen.
… wie es sein hätte sollen.

Ob oder inwieweit diese Wortstellung im österreichischen Standarddeutschen akzeptiert ist, weiß ich nicht. Dazu liegen mir leider keine Informationen vor. Ich vermute, dass sie zumindest toleriert ist, wenn sie so häufig vorkommt. Im restlichen deutschen Sprachgebiet ist die Zwischenstellung selten oder gar nicht gebräuchlich.

Mehr zur regionalen Verteilung der verschiedenen Varianten finden sie in der Variantengrammatik.

Etwas anders sieht es aus, wenn das Hilfsverb werden bzw. würden mit mehreren Infinitiven am Ende eines Nebensatzes steht. Dann sind standardsprachlich sowohl die Voranstellung als auch die Nachstellung üblich und akzeptiert:

… dass er würde sparen können / … dass er sparen können würde
… dass sie wird helfen müssen / … dass sie helfen müssen wird

Keine der beiden Varianten ist standardsprachlich „besser“.

Eine Übersicht über die wichtigsten Aspekte der Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes finden Sie auf dieser Seite in der LEO-Grammatik (allerdings ohne Erwähnung regionaler Varianten).

Auch für mich gilt übrigens, dass ich es nie wirklich vollständig werde verstehen können oder verstehen können werde. Die Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes hat nämlich noch mehr Tücken.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp