Schwach oder stark: keine 100 gebrauchte/gebrauchten Fahrzeuge?

Frage

Wie dekliniere ich hier richtig:

In fünf Jahren wird es keine 200 000 neu geschaffene / geschaffenen Sozialwohnungen geben.

Aktuell werden keine 100 gebrauchte / gebrauchten Fahrzeuge dieses Typs im Netz angeboten.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

nach der gebeugten Form keine wird ein Adjektiv schwach gebeugt, das heißt, es hat die Endung en:

keine neuen Sozialwohnungen
keine neu geschaffenen Sozialwohnungen
keine 200 000 neu geschaffenen Sozialwohnungen
In fünf Jahren wird es keine 200 000 neu geschaffenen Sozialwohnungen geben.

keine gebrauchten Fahrzeuge
keine 100 gebrauchten Fahrzeuge
Aktuell werden keine 100 gebrauchten Fahrzeuge dieses Typs im Netz angeboten.

Das gilt auch, wenn keine umgangssprachlich vor einer Zahlenangabe die Bedeutung nicht oder nicht einmal hat. Vor allem wenn keine für (noch) nicht einmal steht, kommt manchmal allerdings auch die starke Endung e vor wie nach nicht oder einer unverneinten Zahlenangabe:

Aktuell werden keine 100 gebrauchte Fahrzeuge diese Typs im Netz angeboten. [??]
Vgl. : Aktuell werden nicht einmal 100 gebrauchte Fahrzeuge diese Typs im Netz angeboten.
Vgl. : Aktuell werden 100 gebrauchte Fahrzeuge diese Typs im Netz angeboten.

Die Fragezeichen in eckigen Klammern sollen angeben, dass ich Formulierungen wie keine 100 gebrauchte nicht empfehlen würde, auch wenn sie vielleicht manchen gar nicht so falsch in den Ohren klingen. Und wenn es unbedingt richtig sein soll, ist nicht einmal hundert ohnehin besser als keine 100.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die Kommasetzung bei »wenn nicht – so doch«

Frage

Ich möchte Sie gern zu folgendem Satz fragen, ob es vor der Konjunktion wenn“ ein Komma braucht und warum dies so ist bzw. nicht so ist.

Viele verbinden Anarchismus(,) wenn nicht mit »Chaos« und »Apokalypse«, so doch mit einer längst vergangenen Zeit.

Antwort

Guten Tag Frau F.,

hier sollte kein Komma vor wenn stehen. Die Fügung wenn nicht – so doch (ebenso zum Beispiel wenn nicht – dann und wenn auch – so doch) verbindet wie eine mehrteilige Konjunktion Satzteile miteinander. Wenn der erste Satzteil in den Satz integriert ist, steht kein Komma vor wenn. Vor so doch steht immer ein Komma:

Sie bereiteten uns ein wenn nicht opulentes, so doch sättigendes Mahl.

Ich habe wenn auch nur mit wenigen, so doch mit den wichtigsten Leuten gesprochen.

Viele verbinden Anarchismus wenn nicht mit »Chaos« und »Apokalypse«, so doch mit ­einer längst vergangenen Zeit.

Wenn die aufgezählten Satzteile nachgetragen sind, steht auch vor wenn ein Komma:

Sie bereiteten uns eine Mahlzeit, wenn nicht opulent, so doch sättigend.

Ich habe mit verschiedenen Leuten gesprochen, wenn auch nur mit wenigen, so doch mit den wichtigsten.

Viele verbinden Anarchismus mit Negativem, wenn nicht mit «Chaos» und «Apokalypse», so doch mit einer längst vergangenen Zeit.

Man kann die Kommasetzung bei wenn nicht – so doch mit derjenigen bei einer mehrteiligen Konjunktion wie nicht nur – sondern auch vergleichen (nur die Kommasetzung, nicht die Bedeutung):

Viele verbinden Anarchismus nicht nur mit »Chaos« und »Apokalypse«, sondern auch mit einer längst vergangenen Zeit.

Nicht vor jedem wenn muss also ein Komma stehen. Solche  Ausnahmefälle machen die Kommasetzung wenn auch nicht zu einem Ding der Unmöglichkeit, so doch häufig zu einer Herausforderung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist der doppelte Genitiv hier wirklich falsch: nach dem Tod dessen Bruders?

Frage

Leider habe ich wieder einmal ein Problem. Es geht um den Genitiv im Zusammenhang mit „dessen“. Zum Beispiel:

Leider muss ich Dir mitteilen, dass Hanna drei Wochen nach dem Tod ihres Mannes und zwei Monate nach dem Tod dessen Bruders Johann gestorben ist.

Irgendwo im Netz stieß ich auf diesen Satz: „Der Vorsitzende D. Theato dankte A. Nennstil im Beisein dessen Nachfolgers T. Lochner.“ In der Erklärung hieß es, dass der doppelte Genitiv falsch sei. Stimmt das? Ich frage lieber Sie.

Antwort

Guten Tag Frau G.,

diese Formulierungen klingen für mich nicht wirklich falsch. Es gibt zwei Gründe, dennoch skeptisch zu sein:

(1) Ein nachgestelltes Genitivattribut, das selbst ein vorangestelltes Genitivattribut enthält, sollte vermieden werden:

besser nicht: im Haus Sandras Großvaters
sondern: im Haus des Großvaters von Sandra, im Haus von Sandras Großvater

besser nicht: im Beisein A. Nennstils Nachfolgers
sondern: im Beisein des Nachfolgers von A. Nennstil, im Beisein von A. Nennstils Nachfolger

Die Frage ist nun, ob dies auch für dessen gilt. Wenn man dessen als normales Genitivattribut sieht, sollten diese Formulierungen vermieden werden:

besser nicht: im Beisein dessen Nachfolgers
sondern: im Beisein von dessen Nachfolger, in dessen Nachfolgers Beisein

besser nicht: nach dem Tod dessen Bruders
sondern: nach dem Tod von dessen Bruder, nach dessen Bruders Tod

Wenn man aber dessen als Artikelwort (ähnlich wie „seines“) interpretiert, könnten Formulierungen dieser Art möglich sein. Es gibt aber noch einen zweiten Stolperstein:

(2) Eine Wortgruppe kann nur dann im Genitiv stehen, wenn sie von einem gebeugten Artikelwort oder Adjektiv begleitet wird und mindestens ein Wort mit der Genitivendung er oder (e)s enthält (Genitivregel; Ausnahmen: u. A. Eigennamen).

der Einbaus moderner Wärmepumpen
aber nicht: der Einbau Wärmepumpen
sondern: der Einbau von Wärmepumpen

im Leben jeden Kindes / jedes Kindes
aber nicht: im Leben jeden Menschen
sondern nur: im Leben jedes Menschen

Das Wort dessen kann als Artikelwort interpretiert werden, aber es ist unveränderlich. Die Wortgruppen dessen Nachfolgers und dessen Bruders verstoßen also gegen den ersten Teil der Genitivregel: Sie enthalten kein gebeugtes Artikelwort oder Adjektiv. Auch das spricht somit gegen Formulierungen dieser Art.

ABER: Wie einige Beispiele unter  (1) oben zeigen, verstoßen diese Wortgruppen offenbar nicht stark genug gegen die Genitivregel. Vorangestellt ist ihre Verwendung zwar eher gehoben/veraltend, aber viel weniger umstritten, obwohl sie kein gebeugtes Artikelwort oder Adjektiv enthalten:

in dessen Nachfolgers Beisein
nach dessen Bruders Tod

Zusammenfassend: Formulierungen dieser Art sind umstritten. Ich bezweifle aber, ob man sie wirklich als falsch bezeichnen kann. Die Schwierigkeit oder Unsicherheit entsteht dadurch, dass vorangestelltes dessen irgendwo zwischen einem Genitivattribut und einem Artikelwort angesiedelt werden kann.

So genau wollten Sie es wahrscheinlich gar nicht wissen. Deshalb hier noch der langen Rede kurzer Sinn: Formulierungen wie nach dem Tod dessen Bruders und im Beisein dessen Nachfolgers sind – auch wenn sie regelmäßig vorkommen – zumindest umstritten. Ich würde deshalb empfehlen, sie zu vermeiden und auf zum Beispiel nach dem Tod von dessen Bruder und im Beisein von dessen Nachfolger auszuweichen. Hier ist die Formulierung mit von anstelle des (umstrittenen) Genitivs auch standardsprachlich gut vertretbar.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Grünreden und das Graubauen

Frage

In der Zeitung habe ich neulich diese interessante Zwitterform von einerseits Kompositum und andererseits Attribut + substantiviertem Infinitiv gefunden: „Die Angewohnheit des grün Redens und grau Bauens“. Ich wüsste zwar nicht, dass unsere Grammatikregeln so etwas hergeben, aber die erlaubten Alternativen „Grünredens” bzw. „grünen Redens“ würden hier ja eine andere Bedeutung haben, weswegen ich „das grün Reden“(beides gleich betont) eigentlich ganz gut finde und gelten lassen würde. Wie sehen Sie das.

Antwort

Guten Tag Herr H.,

man kann so formulieren, wenn man will, aber beim Schreiben wird es ungewöhnlich oder sogar unpraktisch. Es geht hier um eine substantivierte Infinitivgruppe, die aus zwei Teilen besteht. Solche Substantivierungen schreibt man gem. der Rechtschreibregelung zusammen:

die Angewohnheit, schnell zu fahren
→ die Angewohnheit des Schnellfahrens

die Tugend, pünktlich zu sein
→ die Tugend des Pünktlichseins

wenn man nicht erscheint
→ bei Nichterscheinen

üben, aufeinander zu hören
→ das Aufeinanderhören üben

die Gabe, sich zu wundern
→ die Gabe des Sichwunderns

Die beiden letzen Beispiele zeigen, dass auch dann zusammengeschrieben wird, wenn nicht das erste Wort die Hauptbetonung trägt. Für Ihr Beispiel bedeutet dies:

die Angewohnheit, grün zu reden und grau zu bauen
→ die Angewohnheit des Grünredens und Graubauens

Vor allem bei Grünreden könnte unklar sein, was genau gemeint ist (grün reden = grün [umweltbewusst] argumentieren oder etw. grünreden = etwas beschönigend als grün [umweltfreundlich] darstellen, was nicht grün ist). Gemeint ist hier die erste Bedeutung: in Worten umweltbewusst argumentieren, dann aber nicht umweltgerecht bauen.

Wenn man sich an die Rechtschreibregeln halten will oder muss, kann die Schreibweise das grün Reden aber (leider) nicht die Lösung sein. Man schreibt entweder doch zusammen und lässt den Kontext Klarheit schaffen, oder man formuliert um:

die Angewohnheit des Grünredens und des Graubauens
die Angewohnheit des grünen Redens und des grauen Bauens [auch missverständlich]
die Angewohnheit, grün zu reden und grau zu bauen [m. M. n. am deutlichsten]

Die Rechtschreibung ist nicht immer dazu geeignet, Bedeutungsunterschiede eindeutig zu machen. Das gilt auch bei einer ähnlichen Formulierung: die Kunst des Schönredens. Das kann (a) die Kunst, schön zu reden sein oder (b) die Kunst, Dinge schönzureden. Das Schönreden (a) ist die angenehmen Gabe, gut sprechen zu können. Das Schönreden (b) hingegen ist eine weniger angenehme Unart. Dabei wird mit beschönigenden Worten etwas als besser dargestellt, als es in Wirklichkeit ist. Beide Substantivierungen werden gleich geschrieben, auch wenn sie keineswegs dasselbe bezeichnen. Wie beim Grünreden muss auch beim Schönreden der Kontext oder eine Umformulierung Klarheit schaffen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Kann man Wörter silbifizieren?

Frage

Gibt es den Begriff „silbifizieren“ (ein Wort in Silben zerlegen)? Ich finde (zumindest) im Duden dazu keinen Eintrag?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

als Fachausdruck kommt seltener das Substantiv Silbifizierung vor, wenn es um die Aufteilung in Silben geht. Noch seltener wird das dazugehörende Verb silbifizieren verwendet. In einem Text, der sich nicht an linguistisch Geschulte oder stark linguistisch Interessierte richtet, würde ich den Ausdruck vermeiden oder wenigstens erklären. Im Allgemeinen passen Silbentrennung und Wendungen wie in Silben zerlegen, in Silben trennen, in Silben aufteilen, in Silben unterteilen oder in Silben gliedern problemlos.

Manchmal trifft man auch auf das Wort Syllabifikation, aber es dürfte eine direkte Übernahme aus dem Englischen sein (syllabification = Silbentrennung). Es sieht mit seinem y recht gelehrt aus, doch wenn es gelehrt sein soll, dann wählt man doch besser Silbifizierung.

Die Duden-Wörterbücher decken übrigens wie andere Wörterbücher nicht den gesamten deutschen Wortschatz ab und könnten dies auch gar nicht tun. Der Umfang und die Offenheit des sich ständig bereichernden und verändernden Wortschatzes lassen eine vollständige Auflistung aller (möglichen) Wörter gar nicht zu. Man kann also auch dann Wörter silbifizieren, wenn silbifizieren nicht im Duden steht. Meistens ist aber, wie gesagt, eine Formulierung wie in Silben zerlegen noch ein bisschen besser.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Fugen-s und Bindestrich:
Gesundheitspodcast, Gesundheits-Podcast oder Gesundheit-Podcast?

Frage

Ich habe ein Werbebanner für unsere Podcasts zur Begutachtung bekommen. Da steht dann:

Der Gesundheits-Podcast
Jetzt reinhören!

Mich stört irgendwie diese Schreibweise: „Der Gesundheits-Podcast“. Wäre das korrekt nicht eher „Der Gesundheitspodcast“? Das ist natürlich dann nicht so gut und schnell lesbar auf den ersten Blick, weil recht lang. Oder dann „Der Gesundheit-Podcast“ ohne „s“? Das wäre dann wieder besser lesbar, weil mit Bindestrich.

Welches ist die grammatikalisch korrekte Form? Im Netz findet man leider alle drei Varianten. Was würden Sie uns empfehlen, damit sowohl die Grammatik stimmt wie auch die Lesbarkeit garantiert ist.

Antwort

Guten Tag Frau W.,

ob man ein Fugen-s verwendet oder nicht, hängt davon ab, wie andere Zusammensetzungen mit dem gleichen Wort an erster Stelle gebildet werden. Zusammensetzungen mit Gesundheit an erster Stelle werden immer mit einem Fugen-s gebildet. Zum Beispiel:

Gesundheitsbehörde, gesundheitsbewusst, Gesundheitsexpertin, Gesundheitsfürsorge, Gesundheitsgefährdung, Gesundheitspolitik, Gesundheitsquiz, gesundheitsschädigend, Gesundheitswesen, Gesundheitszustand

Deshalb sollte auch diese Zusammensetzung mit einem Fugen-s geschrieben (und gesprochen) werden:

Der Gesundheitspodcast
Jetzt reinhören!

Dies ist auch gleich die Schreibweise, die ich nach der Rechtschreibregelung empfehlen würde. Da ich Gesundheitspodcast für gut lesbar halte, finde ich den Bindestrich nicht notwendig.

Wenn Sie einen „verdeutlichenden“ Bindestrich setzen wollen oder müssen, kann er nicht das Fugen-s ersetzen. Das s bleibt auch vor dem Bindestrich erhalten:

der Gesundheits-Podcast
Jetzt reinhören!

Diese Schreibweise gilt ebenfalls als korrekt, denn es ist nicht „verboten“, den Bindestrich in Zusammensetzungen mit einem Fugenelement zu verwenden. Nicht korrekt ist – auch auf Werbebannern – die Schreibung ohne s (*Gesundheit-Podcast) oder die Getrenntschreibung (*Gesundheits Podcast).

Hier noch ein paar Beispiele von Zusammensetzungen, bei denen es häufiger „schiefgeht“:

Versicherungsportal / Versicherungs-Portal
Lieblingsfoodblog / Lieblings-Foodblog
Überlebenstraining / Überlebens-Training

Wie sehr häufig würde ich hier überall die Schreibung ohne den „verdeutlichenden“ Bindestrich vorziehen, aber korrekt ist jeweils beides.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Mit oder ohne „bei“: Der Wert liegt bei[?] unter 10 Prozent?

Frage

Könnten Sie mir bitte sagen, welcher der beiden folgenden Sätze korrekt ist?

Der Wert liegt bei unter 10 Prozent.
Der Wert liegt unter 10 Prozent.

Antwort

Guten Tag Frau F.,

im Prinzip reicht in den folgenden Fällen eine Formulierung ohne bei:

Der Wert liegt unter 10 Prozent.
Der Wert liegt über 10 Prozent.
Der Wert liegt zwischen 10 und 15 Prozent.

Die Präposition bei kommt dann zum Zug, wenn unmittelbar ein Zahlenwert folgt:

Der Wert liegt bei 10 Prozent.

Ebenso zum Beispiel:

Die Temperatur liegt unter 20 Grad.
Die Temperatur liegt über 20 Grad.
Die Temperaturen liegen zwischen 18 und 25 Grad.

Die Temperatur liegt bei 20 Grad.

Man kommt also bei Formulierungen dieser Art immer mit nur einer Präposition aus.

Soweit die „Logik“ und die Deutlichkeit eines einfachen Systems. Wie so oft hält sich aber die Sprache hier weder an die Logik noch an ein genau abgegrenztes System. In der Sprachrealität werden unter und über in solchen Angaben häufig  mit bei kombiniert (was, ehrlich gesagt, auf Anhieb auch in meinen Ohren ganz akzeptabel klingt):

Der Wert liegt bei über 10 Prozent.
Die Temperatur liegt bei unter 20 Grad.

Das kommt so oft vor, dass ich es zwar als zu wortreich, stilistisch weniger gelungen und nicht empfehlenswert bezeichnen würde, aber nicht als grundsätzlich falsch. Und wer zweifelt, weicht einfach auf zum Beispiel übersteigen oder höher/tiefer sein als aus.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Und auch schreibt man am Satzanfang besser nicht „und auch“

Frage

Irgendwie kommt mir folgender Satz komisch vor:

Und auch brauche ich Informationen …

Dabei ist „und“ Position 0, „auch“ Position 1 und das Verb steht auf Position 2 – alles in Ordnung – oder? Der Satz „Auch brauche ich mehr Geduld und Toleranz“ scheint mir richtig zu sein. Mit einem „Und“ davor hört es sich falsch an. Warum?

Antwort

Guten Tag Herr H.,

Ihre Beispielsätze klingen mit und am Anfang tatsächlich seltsam. Richtig ist, dass sie ohne und so lauten:

Auch brauche ich Informationen …
Auch brauche ich mehr Geduld und Toleranz.

Weiter gilt, dass mit und selbstständige Sätze miteinander kombiniert werden können. Dabei kann man und nach einem Punkt an den Anfang des zweiten Satzes stellen. Da es eine Konjunktion ist, gehört es nicht zum Satz und nimmt die Position 0 ein:

Und auch brauche ich Informationen …
Und auch brauche ich mehr Geduld und Toleranz.

Das müsste theoretisch richtig sein, so klingt es aber nicht. Warum? Es ist unnötig doppelt ausgedrückt. Und und auch haben hier am Satzanfang dieselbe Funktion und drücken ungefähr dasselbe aus. Am Satzanfang hat allein stehendes auch (fast) die gleiche Funktion wie und, nämlich Sätze miteinander zu verknüpfen. Wir haben es bei den beiden Sätzen oben also mit einer doppelten Verknüpfung zu tun.

Wenn man auch ins Satzinnere verschiebt, hat es offenbar eine weniger starke verbindende Funktion, denn dann ist die Kombination mit und möglich:

Und ich brauche auch Informationen …
Und ich brauche auch mehr Geduld und Toleranz.

Und wenn man auch am Satzanfang durch ein anderes Wort ersetzt, wird es noch besser:

Und weiter/zusätzlich brauche ich Informationen …
Und außerdem brauche ich mehr Geduld und Toleranz.

Man sollte also Und auch am Satzfang vermeiden, da und und auch dort ungefähr die gleiche Funktion haben. Es reicht, eines von beiden zu wählen. Häufig ist es sowieso besser, mit Wörtern wie außerdem, weiter oder zusätzlich anzuschließen.

Ist Und auch am Satzanfang immer zu vermeiden? Es wäre natürlich viel zu schön, wenn es so einfach wäre. Die Einschränkung gilt dann, wenn auch allein an erster Stelle steht, das heißt, wenn nach ihm gleich das Verb folgt. Wenn auch Teil des Satzgliedes ist, das an erster Stelle vor dem Verb steht, ist Und auch möglich:

Und auch ich finde, dass es so nicht weitergehen kann.
Und auch mit der Wahlbeteiligung war die Kommission zufrieden.

Ganz ohne weiteren Zusammenhang, sehen diese Sätze vielleicht nicht allzu schön aus, aber im richtigen Kontext können sie gut passen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Mosaik

Der Urlaub ist vorbei. Schön war’s auf Sizilien. Wir haben unter anderem viele Mosaiken gesehen. Am eindrücklichsten fanden wir die Mosaikböden in der Villa Romana del Casale (4. Jh. n. Chr.), die ganz zu Recht ein UNESCO-Weltkulturerbe ist.

Der Weg dorthin war etwas länger als geplant, weil die Navigations-App eine „schnellste“ Route vorschlug, die vieles, aber bestimmt nicht die schnellste war. Nach vielen Kurven und Schlaglöchern, aber auch bunten Blumenwiesen und schönen Landschaften trafen wir dann doch ein. Und es hat sich gelohnt!

Irgendwann tauchte zwischen all diesen Steinchenbildern die Frage auf, was Mosaik eigentlich bedeutet. Mit dem Adjektiv mosaisch (= von Moses stammend) konnte es nicht zu tun haben, aber wir wussten auch nicht, womit sonst. Ich habe es inzwischen nachgeschlagen. Das Wort Mosaik lässt sich über viele Schritte zurückführen auf griech. Mūsa (Μοῦσα), lat. Mūsa = Muse (eine der als Beschirmerinnen der Künste geltenden Göttinnen und daher Gesang, Lied, Dichtung, Kunst und Wissenschaft, feine Bildung). Eine Beschreibung dieser Schritte erspare ich uns, weil sie ziemlich komplex und nicht sehr spannend sind. Wer mehr wissen möchte, lese alles hier nach.

Ein Mosaik ist also, grob gesagt, ein musisches Werk. Nebenbei habe ich auch gelernt, dass das Wort Museum ebenfalls nach den Musen benannt ist: griech. mūsé͞ion (μουσεῖον), lat. mūsēum = Musensitz.

So viel zur Wortgeschichte. Ich kann nur noch empfehlen, die Villa Roman del Casale zu besuchen, wenn Sie einmal „zufällig“ auf Sizilien sind. Es lohnt sich unbedingt, auch wenn man nicht weiß, woher das Wort Mosaik stammt. Eindrücklich sind sie sowieso.

Und nun wieder frisch und munter an die Arbeit!

Dr. Bopp

Dr. Bopp nimmt Auszeit

Bis zum 18. Juni werde ich Ihre Fragen nicht beantworten können und auch im Blog wird es still bleiben. Ich verweile in südlicheren Gefilden, dies bewusst ganz ohne Arbeitsgeräte. Urlaub.

Falls Sie Kommentare oder Fragen haben, schicken Sie sie einfach trotzdem (siehe hier). Ab dem 19. Juni bin ich wieder einsatzbereit und werde bereits eingegangene und neue Fragen wie immer gerne zu beantworten versuchen.

Tanti saluti

Dr. Bopp