Meine Damen und Herren Geschworene(n)?

Frage

Die neueste Frage ist, ob es heißt

Meine Damen und Herren Geschworene

oder

Meine Damen und Herren Geschworenen

oder ist sogar beides möglich?

Antwort

Guten Tag Herr S.,

in Prinzip werden adjektivisch gebeugte Wörter nach Anreden gleich gebeugt, wie wenn die Anrede nicht steht. Hier ein paar Beispiele:

der Herr Geschworene (der Geschworene)
ein Herr Geschworener (ein Geschworener)
des Herrn Abgeordneten (des Abgeordneten)
mit dem Herrn Geschworenen (mit dem Geschworenen)
die Herren Abgeordneten (die Abgeordneten)
sehr geehrte Herren Geschworene (sehr geehrte Geschworene)
meine Herren Geschworenen (meine Geschworenen)

die Frau Geschworene (die Geschworene)
eine Frau Geschworene (eine Geschworene)
dir Rede der Frau Abgeordneten (der Abgeordneten)
mit der Frau Abgeordneten (mit der Abgeordneten)
die Damen Abgeordneten (die Abgeordneten)
sehr geehrte Damen Geschworene (sehr geehrte Geschworene)
meine Damen Geschworenen (meine Geschworenen)

Nach diesem Prinzip heißt es auch:

sehr geehrte Damen und Herren Geschworene
die Damen und Herren Geschworenen
meine Damen und Herren Geschworenen

Natürlich geht es auch hier nicht ohne ein Aber. Im männlichen Dativ Singular wird entgegen diesem Prinzip nach artikellosem Herrn nur schwach gebeugt:

mit Herrn Geschworenen B. (aber: mit Geschworenem B.)

Bei Frauen wiederum gilt diese Ausnahme kaum:

mit Frau Abgeordneter B. (wie: mit Abgeordneter B.)
selten: mit Frau Abgeordneten B.

Im Nominativ Plural ist die Verteilung der starken Endung e und der schwachen Endung en auch nicht so fest. Und damit wären wir beim Zweifel, der in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt. Häufig wird nämlich im Nominativ Plural (meiner Meinung nach nicht korrekt) auch wie folgt formuliert:

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten
(statt besser: Abgeordnete)
Meine Damen und Herren Geschworene
(statt besser: Geschworenen)

Wie man sieht, ist die adjektivische Beugung im Deutschen so komplex, dass wir uns nicht immer an dasselbe Prinzip halten. Ich hoffe dass Sie, meine Damen und Herren an Sprachfragen Interessierten, trotzdem nicht ganz den Überblick verlieren. Wenn man es einmal gar nicht mehr weiß, kann man immer auf eine Formulierung ohne Damen und Herren ausweichen:

Sehr geehrte Geschworene
Meine sehr geehrten / geschätzten Geschworenen

Das ist, liebe an Sprachfragen Interessierte, nicht nur weniger sperrig, sondern auch noch inklusiver.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

„Prost Freiheit!“ oder „Prost, Freiheit!“?

Frage

Eine Schweizer Zeitung titelt: „Prost Freiheit“. Ein Kollege und ich fragen uns, wie es hier ums Komma steht. Der Duden hat Beispiele unter „pros(i)t“ verzeichnet, etwa „prosit allerseits“ oder „prosit Neujahr“, alle ohne Komma. Aber handelt es sich beim Beispiel im Betreff um den gleichen Fall? Wir fragen uns, ob nicht nach der Grundregel (Anrede) das Komma stehen sollte.

Antwort

Guten Tag Herr F.,

ob nach „pros(i)t“ ein Komma steht oder nicht, hängt davon ab, was gemeint ist. Wenn eine Anrede folgt, steht vor ihr ein Komma:

Prost, Antoinette!
Prosit, liebe Freunde!
Prosit, sehr geehrte Damen und Herren!

Bei anderen Formulierungen hilft es, daran zu denken, dass „prosit“ eigentlich eine lateinische Verbform ist mit der Bedeutung „es möge nützen“, „es sei zuträglich“.

Prosit Neujahr!  (Das neue Jahr sei zuträglich)
Prost Mahlzeit!  (Die Mahlzeit möge zuträglich sein)
Prost allerseits!  (Es möge allerseits zuträglich sein; oder: Das Prost soll allerseits gelten)

Die „Übersetzungen“ in Klammern zeigen, weshalb in diesen Fällen besser kein Komma nach „pros(i)t“ steht.

Beim Titel, den Sie zitieren, hängt es also davon ab, ob die Freiheit angesprochen und ihr zugeprostet wird („Prost, Freiheit!“) oder ob gemeint ist, die Freiheit möge zuträglich sein („Prost Freiheit!“). Ich nehme an, dass der Artikel eine Lockerung der Coronamaßnahmen in der Schweiz behandelt, nämlich die Öffnung der Terrassen von Cafés und Restaurants. Ich denke deshalb, dass vielleich sogar beide Lesungen gemeint sein könnten. Diese Doppeldeutigkeit wäre allerdings weder mit noch ohne Komma darstellbar.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Liebe bisherige … – auch in Anreden wird parallel gebeugt

Frage

Heißt es korrekt: “Liebe bisherige Gemeinderäte” oder “Liebe bisherigen Gemeinderäte”?

Antwort

Guten Tag Herr E.,

richtig ist hier die sogenannte parallele Beugung. “Parallel” bedeutet, dass aufeinanderfolgende Adjektive gleich gebeugt werden, also dieselbe Endung haben (mehr dazu hier):

die gute alte Zeit
in der guten alten Zeit

leckeres frischgebackenes Brot
das leckere frischgebackene Brot.

ein grüner, schleimiger Frosch
der grüne, schleimige Frosch

neue, originelle, alle überzeugende Konzepte
diese neuen, originellen, alle überzeugenden Konzepte

Die parallele Beugung gilt auch bei Anreden in Briefen u. Ä.:

Liebe bisherige Gemeinderäte,
Sehr geehrte neue Mitbürgerinnen und Mitbürger,
Mein lieber kleiner Bruder,

Bei substantivierten Adjektiven sollte ebenfalls parallel gebeugt werden (auch wenn man häufig anderes antrifft):

Liebe Auszubildende,*
Liebe ehemalige Studierende,*
Sehr geehrte Beamtinnen und Beamte,

Wenn Sie davon ausgehen, dass aufeinanderfolgende Adjektive (und substantivierte Adjektive) immer dieselbe Endung haben, ist es eigentlich ganz einfach.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

* Diese Anreden können sich sowohl an eine Frau als auch an mehrere Personen richten. Was gemeint ist, ergibt sich aus dem allgemeinen Kontext. Es ist also nicht notwendig, deswegen entgegen den Grammatikregeln auf die Endung en auszuweichen.

Der Anredenominativ macht nicht richtig mit

Frage

Eine Frage:

Für Sie, liebe Studienkollegen, beginnt ein neuer Lebensabschnitt.
liebe Studienkollegen = lockere Apposition

Wie schaut es aus, wenn ich umstelle?

Liebe Studienkollegen, für Sie beginnt ein neuer Lebensabschnitt.

Wie kann ich den Satz analysieren?

Liebe Studienkollegen = Anrede
für Sie = Präpositionalobjekt
beginnt = Prädikat
ein neuer Lebensabschnitt = Subjekt

Könnte, ganz weit gefasst, die Anrede auch als Apposition verstanden werden?

Antwort

Guten Tag Frau R.,

im ersten Satz könnte die Anrede auf den ersten Blick als lockere Apposition gesehen werden. Es ist aber üblich, Anreden als relativ eigenständige Einheiten zu betrachten, die außerhalb der eigentlichen Satzkonstruktion stehen. So stehen sie zum Beispiel immer im „neutralen“ Nominativ (Anredenominativ). Man sieht das allerdings wie in Ihren Beispielen häufig nicht, deshalb hier zwei andere, anschaulichere Beispiele:

Für dich[Akk], lieber Studienkollege[Nom], beginnt ein neuer Lebensabschnitt.
Lieber Studienkollege[Nom], für dich[Akk] beginnt ein neuer Lebensabschnitt.

Zusammen mit Ihnen[Dat], liebe Studienkolleginnen[Nom], beginnen wir ein neues Jahr.
Liebe Studienkolleginnen[Nom], zusammen mit Ihnen[Dat] beginnen wir ein neues Jahr.

Ein zweites Indiz dafür, dass Anreden im Satz nicht richtig mitmachen, ist die Satzstellung. In einem Aussagesatz kann immer nur ein Satzglied im Vorfeld (vor der konjugierten Verbform) stehen. Wenn eine Anrede am Anfang eines Aussagesatzes steht, folgt nicht das Verb, sondern immer zuerst ein anderer Teil des Satzes:

nicht: Lieber Freund, habe ich gelesen deine Mail.
sondern: Lieber Freund, ich habe deine Mail gelesen.

Anreden stehen immer im Nominativ, können nicht das Vorfeld besetzen und gehören somit nicht zur eigentlichen Satzkonstruktion. Sie machen im Satz gewissermaßen nicht richtig mit. Es ist deshalb besser, liebe Studienkollegen in beiden Sätzen als Anrede zu bezeichnen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das „von“ in Max von Mustermann

Zum Wochenende gibt es eine nicht gerade weltbewegende Frage – außer wenn man einen Familiennamen der Form von X oder de Y hat. Wer Personen solchen Namens anschreiben oder über sie schreiben will, kommt manchmal wie T. ins Zweifeln: von oder Von?

Frage

Ich möchte jemanden anschreiben und derjenige hat ein „von“ in seinem Namen. Schreibe ich „Max von Mustermann“ oder „Max Von Mustermann“?

Antwort

Guten Tag T.,

Namenszusätze wie von, zu und de schreibt man im Prinzip klein. Das gilt auch in Anschriften und Anreden:

Herrn M. von Mustermann
Sehr geehrter Herr von Mustermann.

Und weil es so schön einfach ist, gleich noch ein paar Beispiele:

Frau Carla von Siebenthal
Sehr geehrte Frau von Siebenthal

Es sang die Familie von Trapp.
Frau von der Leyen und Herr de Maizière
Ursula von der Leyen und Thomas de Maizière
die Sonnenblumen von van Gogh
Den Anfang macht von Webers Oper „Der Freischütz“.
Marcel von Huber Kaminfeger GmbH

die Rosa-von-Luxemburg-Straße
das Anette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium

Es gibt allerdings zwei Situationen, in denen diese Namenszusätze großgeschrieben werden: am Satzanfang und als erster Teil einer substantivischen Zusammensetzung:

Von der Leyen sprach mit de Maizière.
De Maizière hörte von der Leyen zu.
Van Gogh und das abgeschnittene Ohr
Von Huber Kaminfeger GmbH
Von Webers Oper „Der Freischütz“ machte den Anfang.

die Van-Gogh-Ausstellung
eine dreibändige De-Sade-Ausgabe
die „Von-der-Leyen-Show“

Ist die Zusammensetzung ein Adjektiv, schreibt man allerdings wieder klein:

ein van-Gogh-ähnliches Bild
der de-Gaulle-treue Flügel der Partei

Zusammenfassend: Das „von“ in Namen ist immer klein, außer am Satzanfang und am Anfang von substantivischen Zusammensetzungen. Man schreibt es also nur dort groß, wo man eigentlich immer alles großschreibt.

Weitere Spitzfindigkeiten erspare ich Ihnen ebenso wie die knifflige Angelegenheit, wie man Namen mit Adelstiteln und Ähnlichem schreibt und beugt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp (leider nicht Dr. von Bopp)

Hallo alle!

Frage

Ist die Begrüßung “hallo alle” richtiges und gutes Deutsch?

Antwort

Sehr geehrte Frau G.,

ob hallo alle richtiges und gutes Deutsch ist, hängt davon ab, was Sie darunter verstehen. Als Begrüßung ist es standardsprachlich nicht üblich und in einer formelleren Umgebung auch nicht zu empfehlen. In einer informellen Situation unter Freunden und guten Bekannten gibt es meiner Meinung nach nichts dagegen einzuwenden.

Rein grammatisch folgt nach hallo die Angabe der oder des Begrüßten, und zwar im Nominativ. Zum Beispiel:

Hallo, liebe Nachbarinnen und Nachbarn!
Hallo, mein lieber Schatz!
Hallo, du kleiner Stinker!

Wenn man bei der Begrüßung alle meint, ist also hallo alle grammatisch gesehen korrekt:

Hallo[,] alle!

Oder auch zum Beispiel:

Hallo, alle zusammen!
Hallo allerseits!

Ob diese Begrüßung üblich und passend ist, hängt wie oben bereits gesagt von der Situation und den beteiligten Personen ab. Was an einem Ort problemlos möglich ist, kann an anderer Stelle äußerst unpassend sein. Ob etwas richtiges und gutes Deutsch ist, hat oft nicht nur mit Grammatik, sondern auch mit Fingerspitzengefühl und Gewandtheit im gesellschaftlichen Umgang zu tun.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Befehle Er/Sie heute nicht mehr so!

Frage

Es geht um die etwas altertümliche Anrede „er“. Benutzt man hierbei bei einem Befehl den Imperativ oder den Konjunktiv? Heißt es also beispielsweise „Gib Er mir das Buch!“ oder „Gebe Er mir das Buch!“? Ich bin auf Beispiele gestoßen, die beide Möglichkeiten nahelegen, aber eine eindeutige Aussage habe ich nicht gefunden.

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

diese Form der Anrede und Aufforderung ist nicht nur etwas altertümlich, sondern hoffnungslos veraltet. Ob Sie jemanden nun mit „Nehme Er Platz!“ oder „Nimm Er Platz!“ auffordern sich zu setzen, die zu erwartenden Reaktionen sind verwundertes Kopfschütteln, beleidigtes Schnauben,  nicht verstehendes „Wie bitte?“ oder einfach amüsiertes Lächeln. Die Anrede „Er“ für einen Mann oder „Sie“ für eine Frau wurde gegenüber Untergebenen und Standesniedrigeren verwendet.

Johann, melde Er der Gräfin meine Ankunft!
Frau Wirtin, hat Sie guten Wein im Hause?

Das ist ein weiterer Grund, weshalb man diese Anrede heute nur noch scherzhaft oder in Kostümfilmen und historischen Romanen verwenden sollte.

Eine Aufforderung in der dritten Person steht im Prinzip im Konjunktiv I. Dies ist uns aber nicht bewusst, weil die Formen des Indikativs und des Konjunktivs in der dritten Person Plural (Sie)  identisch sind:

Geben Sie mir ein Glas Wasser!
Nehmen Sie Platz!

Der Konjunktiv ist nur noch beim Verb sein ersichtlich:

Seien Sie still!

In den veralteten Befehlsformen der dritten Person Einzahl (Er, Sie) steht ebenfalls der Konjunktiv I. Er ist meistens identisch mit dem Imperativ der zweiten Person Einzahl:

Hole Sie ein Glas Wasser!
Sei er still!
Führe Sie die Kinder hinaus!

Dabei konnte wie im Imperativ die Endung e wegfallen:

Schweig[e] Er!

Nur bei den Verben, die im Imperativ Singular einen Ablaut haben, ist der Unterschied ersichtlich:

Gebe Er mir ein Glas Wasser! (nicht Gib Er …!)
Helfe Er mir auf das Pferd! (nicht Hilf Er …!)
Nehme Sie sich der Kinder an! (nicht Nimm Sie …!)
Trete Sie näher! (nicht Tritt Sie …!)

Man verwendet hier also nicht die Imperativformen der zweiten (!) Person Singular, sondern die Konjunktiv-I-Formen der dritten Person Singular. Bei so viel Formengleichheit ist es allerdnigs nicht erstaunlich, dass sich nicht immer alle an diese Regel halten und gehalten haben.

Dr. Bopp

Kurze Grüße

Frage

Wenn ich die Grußformel in z. B. einer E-Mail kurz halten will, schreibe ich „lieber Gruß“. Oder wäre „lieben Gruß“ die korrekte Form, wenn ich beim Singular bleiben möchte?

Antwort

Sehr geehrte Frau B.,

anders als bei zum Beispiel Guten Tag und Mit lieben Grüßen gibt es bei diesem informellen Gruß (noch?) keine festgelegte Formulierung. Stilistisch ist es eine reine Geschmacksfrage, ob man ihn überhaupt verwenden will und, wenn ja, in welcher Form. Grammatisch sind beide Varianten etwa gleich (un)vertretbar:

Ich sende dir einen lieben Gruß => Lieben Gruß
Ein lieber Gruß geht an dich => Lieber Gruß

Wenn es wirklich so kurz sein soll, können Sie diese Klippe übrigens ganz einfach umgehen, indem Sie den Singular doch verlassen und Liebe Grüße schreiben. Das sind genau gleich viele Buchstaben.

Warum eigentlich so kurz? Ich persönlich finde es immer nett, wenn sich jemand auch in einer E-Mail die Mühe macht, eine Grußformel auszuschreiben. Zum Beispiel:

Mit einem lieben Gruß

Dr. Bopp

Können du und Sie zu ihr werden?

Frage

Wenn ich zwei Personen ansprechen möchte, wobei ich mit der einen per du und mit der anderen per Sie bin (z. B. die Schwiegermama mit ihrer Schwester), spreche ich sie beide mit „ihr“ oder mit „Sie“ an?

Antwort

Sehr geehrter Herr F.,

diese Frage kann ich leider nicht eindeutig beantworten. Welche Anrede Sie wählen, hängt davon ab, wie formell die Situation ist und wie formell Sie mit den beteiligten Personen umgehen. In formellen Situationen empfiehlt es sich, Sie zu verwenden oder die Personen einzeln anzusprechen:

– Darf ich Ihnen etwas anbieten?
– Darf ich Ihnen, Frau Muster, und dir, Anna, etwas anbieten?

In informelleren Situationen darf man meiner Ansicht nach ihr verwenden, auch wenn man sich danach wieder mit Sie an eine der beiden Personen richtet. Es ist sicher nicht grundsätzlich ausgeschlossen und auch nicht völlig unüblich, sich mit ihr an Personen zu richten, die man siezt.  Wenn Sie also sagen

– Darf ich euch etwas anbieten?

wird die Schwester der Schwiegermutter Ihnen das als angeheiratete Tante kaum übel nehmen und je nach Tageszeit und persönlichen Vorlieben gerne ein Tässchen Kaffee oder ein Gläschen Portwein annehmen.

Eine eindeutige Antwort gibt es also nicht. Es geht hier nicht um Grammatik, sondern um gesellschaftliche Umgangsformen. Vieles hängt von der Situation und dem Verhältnis zu den beteiligten Personen ab. Wahrscheinlich spielt daneben auch die Region eine Rolle: Was in Rostock und Kiel üblich ist, braucht noch lange nicht in Dresden, Saarbrücken, Luzern oder Wien gang und gäbe zu sein. Mit etwas Fingerspitzengefühl gelingt es einem aber meistens ganz gut, den richtigen Ton zu treffen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Großes Du in E-Mails?

Wenn wir schon beim Thema Anreden in Briefen sind (siehe den vorhergehenden Eintrag), hier eine weiter Frage in diesem Zusammenhang:

Frage

In einem großen Internetforum kam die Frage eines älteren Mitglieds auf, ob die Anrede du nicht großgeschrieben werde. Es entfachte eine kleine Diskussion, die sich auf die folgende Frage reduzieren lässt: Kann die Sonderregel in §66 der amtlichen Rechtschreibregelung auch auf andere Dinge als den klassischen Brief erweitert werden oder ist es auch nach diesen Regeln zwingend notwendig, Forenanreden (hinzu kommen vielleicht sogar noch Chats und sogar E-Mails?) kleinzuschreiben?

Antwort

Sehr geehrter Herr P.,

es steht zu befürchten, dass ich die Diskussion nicht endgültig beschließen kann. Die Frage lautet, was die amtliche Regelung genau meint:

§ 66: Die Anredepronomen du und ihr, die entsprechenden Possessivpronomen dein und euer sowie das Reflexivpronomen sich schreibt man klein.

E: In Briefen können die Anredepronomen du und ihr mit ihren Possessivpronomen auch großgeschrieben werden

Wenn man sich buchstäblich an den Text hält  (es gibt nun einmal Leute, die das immer tun …), ist die Großschreibung von du nur in Briefen möglich. Doch was ist mit „in Briefen“ gemeint? Ich und andere interpretieren es so, dass damit nicht nur klassische Briefe, sondern schriftliche Äußerungen aller Art gemeint sind, in denen sich du oder ihr direkt an jemanden richtet. Es kann sich also auch um Widmungen, interne Memos, E-Mails, Forenbeiträge usw. handeln. Warum?

Es geht um die Möglichkeit (also nicht um die Verpflichtung), die Anrede du oder ihr als Ausdruck der Höflichkeit großzuschreiben. Diese Möglichkeit sollte einem in allen schriftlichen Äußerungen zur Verfügung stehen. Außerdem ist es in der heutige Zeit recht schwierig zu definieren, was genau ein Brief ist. Muss er zum Beispiel unbedingt auf Papier geschrieben sein? Muss er in einem Umschlag stecken? Hat nicht unter anderem die E-Mail in vielen Bereichen die Rolle des Briefes übernommen?

Es ist also eine Frage der Interpretation. Ist mit „in Briefen“ nur der klassische Brief gemeint – oder einfach eine direkt an jemanden gerichtet schriftliche Äußerung? Meine Interpretation kennen Sie nun. Ich bin halt auch schon ein bisschen älter …

Mit freundlichen Grüßen

Stephan Bopp