Standardaussprache: Kääse oder Keese?

Frage

Wie „Mädchen“ und „Käse“ geschrieben wird, ist eindeutig. Wie wird es aber offiziell auf Hochdeutsch ausgesprochen? Ich finde sehr widersprüchliche Antworten zu dieser Frage […]  Wie würde man dann das lange ä aussprechen, wenn man denn den Anspruch hätte, eine neutrale (nicht regionale), „offizielle“ Aussprache zu wählen)? Gibt es eine eindeutige Regel, wie das ä in dem Fall auszusprechen wäre?

Antwort

Guten Tag V.,

nach der Standardaussprache, die in einigen Wörterbüchern angegeben wird, unterscheidet man zwischen einem langen <ä> und einem langen <e> . Das lange <ä> wird offen ausgesprochen (umschrieben als /ɛː/ oder /æ:/). Das lange <e> wird geschlossen ausgesprochen (umschrieben als /e:/). Nach diesen Angaben gibt also einen Ausspracheunterschied zwischen Ähre und Ehre, Bären und Beeren, Dänen und dehnen, gäbe und gebe etc.

ABER: Nach den Angaben in  anderen (vor allem älteren) Quellen gibt es „offiziell“ kein offenes /ɛː/. Das länge <ä> werde wie das lange <e> geschlossen ausgesprochen. In vielen Regionen, insbesondere in der nördlichen Hälfte Deutschlands und in Österreich (mit Ausnahme Vorarlbergs) hört man tatsächlich keinen Unterschied zwischen langem <ä> und langem <e>.

Was ist nun richtig? – Beides. Eine eindeutige Regel gibt es nicht. Beides kommt nämlich bei großen Teilen der Standarddeutsch Sprechenden vor. Wer Käse und Mädchen wie Keese und Meedchen (also mit /e:/) ausspricht, macht also nichts falsch. Selbst bei Bären und Beeren oder Ähre und Ehre kommt es kaum zu Verständnisproblemen, auch wenn jeweils beides gleich klingt. Nur bei den Verbformen gebe und gäbe oder lese und läse wird es schwieriger, aber auch bei unterschiedlicher Aussprache ist nicht immer allen klar, welche Form zu wählen ist (vgl. hier). Umgekehrt ist es auch nicht falsch, Mädchen und Käse als Määdchen und Kääse (also mit /ɛ:/) auszusprechen und Beeren und Bären lautlich auseinanderzuhalten.

Es gibt keine Standardaussprache die von der östlichen bis zur westlichen Sprachgrenze und von Nord- und Ostsee bis zu den Alpengipfeln und darüber hinaus dieselbe wäre. Regional „outet“ man sich hiermit auch nur bedingt, denn die unterschiedslose Aussprache /e:/ für langes <e> und langes <ä> ist zwar im nördlichen Deutschland und in Österreich vorherrschend, sie kommt aber nicht nur dort und auch dort nicht überall vor (vgl. hier).

Hauptsache ist sowieso, dass ein Käse denen schmeckt, die Käse mögen, ganz gleich ob die Aussprache Kääse oder Keese ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Anders sieht es bei kurzem <e> und <ä> aus. Sie werden standarsprachlich beide offen ausgesprochen (umschrieben als /ɛ/). Deshalb gibt es in der Standardaussprache keinen Unterschied zwischen Äschen und Eschen oder Lärchen und Lerchen und konnte der Stengel zum Stängel reformiert werden, ohne dass sich etwas an der Aussprache geändert hat. Aber auch hier geht es nicht ohne regionale Varianten: So kann man zum Beispiel in der Schweizer Variante des Standarddeutschen häufig einen eindeutigen Unterschied zwischen dem <ä> in hätte (offenes /ɛ/ wie im allgemeinen Standard) und dem <e> in nette (geschlossenes /e/) hören.

Wie wird „Kritik“ ausgesprochen?

Frage

Ich wollte Sie fragen, wie man „Kritik“ richtig hochdeutsch ausspricht? Ich höre mehrere Varianten.  Sagt man „Krietiek“ oder „Krittick“ ? Zweimal langes i (wie in „die“) oder zweimal kurzes i (wie in „Insel“) oder sogar gemischt „Krietick“ – einmal langes i (wie in „die“) und dann kurzes (wie in „Insel“)?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

anders als bei der Rechtschreibung gibt es im Prinzip keine offizielle Aussprache des Deutschen. Es gibt aber einen allgemeinen Konsens, wie Wörter ausgesprochen werden. Diese Angaben finden Sie in den verschiedenen Wörterbüchern.

Für „Kritik“ geben die meisten Wörterbücher an, dass es auf der zweiten Silbe betont wird und dass das zweite i lang ist. „Kritik“ reimt sich also auf zum Beispiel „antik“ und „Freak“:

so antik ist die Kritik

In einigen Wörterbüchern wird auch eine Variante mit kurzem zweiten i angegeben. Dann reimt „Kritik“ sich auf „Blick“ oder „erschrick“:

ein Blick auf die Kritik

Viele Wörter, die auf betontes -ik enden, haben diese beiden Aussprachevarianten: Sie werden im Allgemeinen mit langem zweitem i gesprochen, aber die Aussprache mit mit kurzem zweitem i kommt (insbesondere in Österreich) auch vor. So können Wörter wie „Politik“, „Fabrik“, „Mathematik“ und „Physik” sich je nach Aussprache a) auf „Freak“ oder b) auf „Blick“ reimen:

a) ein Freak in der Politik/Fabrik/Mathematik/Physik
b) der Blick auf die Politik/Fabrik/Mathematik/Physik

Manchmal wird das Wort „Kritik“ auch auf der ersten Silbe betont: /Krittik/ (wie „mittig“) oder /Krietik/ (wie sonst nichts?). Die Erstbetonung gilt als nicht standardsprachlich, sie ist aber nicht ganz unverständlich. Auf -ik endende Wörter werden nämlich häufig auf der vorletzten Silbe betont: „Problematik“, „Linguistik“, „Grafik“, „Kinetik“, „Nautik“, all diese Wörter enden auf unbetontes -ik. Und dann gibt es noch „Kolik“, das gemäß den Angaben in den Wörterbüchern sowohl auf der ersten als auch auf der zweiten Silbe betont sein kann: „Kolik“ oder „Kolik“.

Fremdwörter, die auf -ik enden, machen es uns also bei der Aussprache nicht einfach. Woran das liegt, ist schwierig zu sagen. Es kann mit der Sprache, aus der wie sie übernommen haben (Französisch, Italienisch, Latein, Griechisch), oder mit dem Einfluss der entsprechenden Adjektive auf -isch zu tun haben. Eine einfache Ausspracheregel kann ich leider nicht anbieten. Entsprechend ist es auch nicht allzu erstaunlich, dass nicht alle ein Wort wie „Kritik“ immer gleich aussprechen. Wenn Sie „Kritik“ auf der zweiten Silbe betonen, liegen Sie aber standardsprachlich sicher richtig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Posaunt, prophezeit und miaut

Die Antwort ist ganz einfach, man muss sie nur kennen. Hätten Sie die folgende Frage spontan beantworten können?

Frage

Warum wird das Präfix ge- mit dem Partizip II des Verbes »miauen« nicht benutzt? Alle sagen, dass es kein Wort »gemiaut« gibt, dieses Verb hat aber kein -ieren oder untrennbares Präfix, und alle andere Tierlautverben haben diese ge- im Partizip II. Warum ist »miauen« so speziell?

Antwort

Guten Tag S.,

an der Bedeutung kann es tatsächlich nicht liegen. Im Tierreich wird gebellt, gewiehert, gemuht, gegrunzt, geblökt, gemeckert, gefaucht, gequakt, geschnattert, gezwitschert, gegurrt, gezirpt ja sogar geiaht, nur von Katzen wird ohne ge miaut.

Es liegt an der Form, genauer gesagt an der Betonung: Das Partizip II wird dann ohne ge gebildet, wenn der Verbstamm nicht auf der ersten Silbe betont ist. Das ist der Fall:

bei Verben mit untrennbarem Präfix
begreifen/begriffen, entzünden/entzündet, erklären/erklärt, durchqueren/durchquert, unterschreiben/unterschrieben

bei Verben mit der Endung ier(en)
agieren/agiert, importieren/importiert, funktionieren/funktioniert, philosophieren/philosophiert

bei einigen wenigen anderen Verben**
posaunen/posaunt, prophezeien/prophezeit, trompeten/trompetet

Das Verb miauen gehört zur dritten Gruppe. Da sein Stamm nicht auf der ersten, sondern auf der zweiten Silbe betont ist, hat das Partizip II kein Präfix ge:

miauen/hat miaut

Siehe auch hier.

Bei der Beantwortung dieser Frage ist mir aufgefallen, dass diese Regel auch für meinen Dialekt gilt und dass sie beim Verb miauen zu einer anderen Partizipform führt. Das Verb miauen wird in meiner Mundart nämlich auf der ersten Silbe betont: miaue (weil Katzen bei uns nicht miau sondern miau machen?). Entsprechend heißt es dann auch: D Chatz hät gmiauet.

Doch das ist eine andere Geschichte. Im Allgemeindeutschen miauen die Katzen, und weil wir das auf der zweiten Silbe betonen, haben sie miaut.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

**Natürlich gibt es immer auch Ausnahmen: benedeien/gebenedeit oder benedeit.

Gelehrte Betonung: Paradígma und Parádigma

Frage

Bei einem Vortrag verwendete der Referent mehrmals bewusst die Aussprache „ParAdigma“. Ich habe bisher immer gesagt/betont: Parad-I-gma.. Was spricht für die eine oder andere Betonungsvariante? Was ist „richtiger“?

Antwort

Sehr geehrter Herr T.,

bei der allgemein üblichen Aussprache von Paradigma liegt die Hauptbetonung auf dem i der vorletzten Silbe. Das ist Ihre und auch meine Aussprache. Die Aussprache des Referenten mit Betonung auf dem a der zweiten Silbe ist unüblich, aber zum Beispiel gemäß Duden auch möglich.

Die übliche Betonung Paradígma haben wir wahrscheinlich im 16. Jahrhundert zusammen mit dem Wort aus dem Lateinischen übernommen (paradīgma). Die vom Referenten verwendete Betonung geht direkt auf den griechischen Ursprung des Wortes zurück: parádeigma (παράδειγμα). Die Betonungsverschiebung hat auf dem Weg vom Griechischen ins Lateinischen stattgefunden, aus dem wir das Wort dann übernommen haben.

Für beide Betonungen lassen sich somit Begründungen finden. Ich würde empfehlen, die üblichere Betonung Paradígma zu verwenden, die sich aus der wortgeschichtlichen Entwicklung ergibt, und nicht direkt auf das Altgriechische zurückgreifen. Die Betonung Parádigma macht auf mich einen etwas gekünstelt gelehrten Eindruck. So sagen wir zum Beispiel auch paradóx wie lat. paradóxus und nicht parádox wie gr. parádoxos (παράδοξος); Paragráph wie lat. paragráphus und nicht Parágraph wie gr. parágraphos (παράγραφος) u. a. m. Man sagt allerdings wieder Parámeter wie im Griechischen, doch das ist dann die Ausnahme …

Die Akzente auf dem betonten Vokal in den deutschen und lateinischen Wörtern sind von mir. Man schreibt unabhängig von der Betonung ganz akzentlos Paradigma, paradox, Paragraph und Parameter.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Umfahren und mit der Zeit gehen – die Betonung in der Schrift

Dass die gesprochene und die geschriebene Sprache zwei unterschiedliche Systeme sind, zeigt sich unter anderem darin, dass sich die eine nicht immer problemlos in die andere umsetzen lässt.

Frage

Wie kann man Betonung in einem normalen Text ausdrücken. Manche Sätze haben je nach Betonung eine vollkommen unterschiedliche Bedeutung. Zum Beispiel „Du sollst den Polizisten umfahren“ oder „Die Merkel geht mit der Zeit“.

Antwort

Sehr geehrter Herr S.,

man kann die Betonung im Allgemeinen nicht in der Schrift angeben. Wenn ein Satz je nach Betonung unterschiedlich verstanden werden kann, muss sich in der Schrift aus dem weiteren Zusammenhang ergeben, welche Bedeutung gemeint ist.

Mit Smartphone und Tablet ist sie vertraut. Frau Merkel geht mit der Zeit.
Niemand bleibt für immer. Wie alle vor ihr geht auch Frau Merkel mit der Zeit.

Wenn der Satz auch im weiteren Zusammenhang missverständlich ist, sollte man umformulieren. Zum Beispiel:

Frau Merkel ist auf der Höhe der Zeit.
Frau Merkel geht im Laufe der Zeit.

Ganz ohne Hilfsmittel müssen wir hier aber auch in der geschriebenen Sprache nicht auskommen. Bei der Strukturierung von Sätzen übernimmt die Zeichensetzung bis zu einem gewissen Grad die Rolle der Betonung. Auch bei der Klärung von eventuell Missverständlichem kann sie nützlich sein. Mit dem Fragezeichen und dem Ausrufezeichen kann man zum Beispiel angeben, dass eine Äußerung als Frage beziehungsweise als Ausruf oder Befehl betont werden soll:

Du kommst auch mit. Natürlich nur, wenn du willst.
Du kommst auch mit? Das wusste ich gar nicht.
Du kommst auch mit! Keine Wiederrede Widerrede!

Dort, wo in der gesprochenen Sprache eine Pause Bedeutungsunterschiede angibt, kann oder muss in der geschriebenen Sprache oft ein klärendes Komma gesetzt werden:

Das ärgerte ihn so, dass er nicht mehr mitmachen wollte.
Das ärgerte ihn, so dass (o. sodass) er nicht mehr mitmachen wollte.

Sie empfahl ihrer Freundin, nichts zu erzählen.
Sie empfahl, ihrer Freundin nichts zu erzählen.

Im letzten Beispiel sagt das Komma viel über die Nettigkeit der einen Leute aus:

mit anderen netten Leuten
mit anderen, netten Leuten

Oft hilft hier der Kontext, in gewissen Fällen auch die Zeichensetzung. Manchmal muss man aber in der Schrift ein bisschen umformulieren. Und wenn es darum geht, ob Polizisten umfahren oder umgefahren werden sollen, ist es ohnehin empfehlenswert, sich sehr unmissverständlich auszudrücken.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Epiphanie und Epiphanias

Frage

Anlässlich des Dreikönigstags wollte ich herausfinden, wie sich denn seine griech.-lat. Bezeichnung „Epiphanie“ korrekt ausspricht. „Epiphany“ im Englischen klingt schon recht entzückend. Auf Deutsch zeigt die (Aus)sprachwelt aber Uneinigkeit, denn in den von mir gefundenen Tondokumenten spricht jeder/jede der Sprecher/innen das Wort anders aus (Leo, Babla, Ponds, …). Könnten Sie nicht „Erleuchtung“ in die Sache bringen und über die richtige Aussprache schreiben […]?

Antwort

Sehr geehrte Frau R.,

die Aussprachebeispiele auf den verschiedenen Seiten, die Sie erwähnen, sind tatsächlich verwirrend. Eine sehr zuverlässige Quelle ist diesbezüglich das DWDS. Nur steht Epiphanie leider nicht im DWDS.

Epiphanie ist über das Lateinische aus dem Griechischen zu uns gelangt. Es bezeichnete die Erscheinung einer Gottheit unter den Menschen und wird bei uns vor allem für die Erscheinung Christi verwendet. Nach den Ausspracheangaben in verschiedenen Wörterbüchern (Duden, Wahrig, Pons u. a. m.) wird Epiphanie wie folgt ausgesprochen: E-pi-pha-nie. Der Hauptakzent liegt auf dem ie der letzen Silbe, das als langes i ausgesprochen wird. Epiphanie gehört also zu den Wörtern, in denen das ie am Wortende für ein betontes langes i steht und nicht für unbetontes, separat ausgesprochenes i-e. Es folgt somit dem gleichen Betonungsmuster wie viele andere griechisch-lateinische Wortbildungen, die wir aus dem Lateinischen übernommen haben: Analogie, Demokratie, Geografie u. v. a. m.

Epiphanie reimt sich also nicht mit Geranie und Kastanie. Das wäre übrigens insofern nicht abwegig, als Epiphanias, der direkt aus dem Griechischen stammende Name für das Dreikönigsfest, anders ausgesprochen wird. Dort liegt die Hauptbetonung nämlich doch auf der Silbe pha. Siehe resp. höre die Ausspracheangabe im DWDS (einfach auf den Pfeil neben Aussprache klicken und hoffen, dass Ihr Gerät dann anfängt zu reden).

Es ist also „offiziell“ Epiphanie und Epiphanias.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Dreikönigstag

Dr. Bopp

Weder Drachche noch Sprahche oder Spraache

Frage

Warum reimt sich „Sprache“ nicht auf „Drache“, wie mir beim Vorlesen eines Kinderbuchs aufgefallen ist? Und warum drückt sich der Unterschied nicht in der Schreibweise aus?

Antwort

Guten Tag Herr oder Frau N.,

Die beiden Wörter reimen sich tatsächlich nicht: Sprache wird mit einem langen a gesprochen, Drache hingegen mit einem kurzen a. Das sieht man allerdings nicht an der Schreibweise. Das liegt daran, dass das Deutsche nur bedingt eine Sprache ist, bei der die Schrift die Aussprache eins zu eins wiedergibt. Allgemeine Regeln zur Laut-Buchstaben-Zuordnung werden aus verschiedenen Gründen häufig nicht konsequent umgesetzt (z. B. Respektierung gefestigter Schreibweisen, Stammprinzip, Fremdwörter). Es gibt also viele Ausnahmen.

Nach der allgemeinen Regel wird ein einzelner Konsonant nach einem kurzen betonten Vokal verdoppelt. Zum Beispiel:

Ebbe, Paddel, Affe, Egge, Backe (ck=kk), Galle, Stamm, Panne, Kappe, Knarre, Nuss, Platte, Tatze (tz=zz)

Ausnahmen sind (abgesehen von Fremdwörtern) zum Beispiel

an, bis, mit, man, bin, hat

Ein ch wird nicht verdoppelt. Es entspricht in der gesprochenen Sprache zwar einem einzelnen Laut, geschrieben sind es dann aber doch zwei Buchstaben. Deshalb schreibt man Drache und nicht *Drachche.

Der kurze Vokal wird hier also nicht besonders gekennzeichnet. Wie steht es nun mit dem langen Vokal von Sprache? Ein langer Vokal kann durch ein h oder durch Verdoppelung gekennzeichnet werden (Regel).

Das Dehnungs-h kommt aber vor allem dann vor, wenn kein Konsonant oder ein l, m, n oder r folgt:

nah, fähig, zäh, froh, Kuh
lahm, ahnen, Kohle, Möhre

Das ist aber auch dann nicht immer der Fall:

säen, Böe
Tal, Name, Ton, Hure

Das Dehnungs-h kommt auch vor einem ch im Stamm nicht vor. Man schreibt also Sprache und nicht *Sprahche. Ein weiterer Grund mag sein, dass Sprache zur Vergangenheitsform sprach von sprechen gehört. All diese Formen werden ohne h nach dem Stammvokal geschrieben.

Die Verdopplung des Vokals kommt nur bei einer kleinen Anzahl heimischer Wörtern vor (z. B. Aal, Haar, See, Teer, Boot, Moos). Das Wort Sprache gehört nicht dazu, u. a. vielleicht weil es, wie bereits gesagt, zu sprechen/sprach gehört. Wir schreiben also auch nicht *Spraache.

Vor einem ch sind die Schreibungen für einen kurzen und für einen langen Vokal also gleich:

lang – kurz
Sprache – Rache, Drache, Sache, mache, Wache
brach – flach, Dach, Krach
hoch – Koch
Maloche – Woche
Tuch, such! – Spruch, huch!

Kurz oder lang ausgeprochen wird das a in Lache (Pfütze):

Lache – Lache

Ganz kurz zusammengefasst:

Drache, nicht Drachche
Sprache, nicht Sprahche, Spraache

Die deutsche Rechtschreibung hat also auch im Bereich der Laut-Buchstaben-Zuordnung ihre Tücken. Ganz so arg wie die Franzosen und die Engländer treiben wir es aber doch nicht. Zum Beispiel:

Die folgenden französischen Wortformen werden alle gleich ausgesprochen:

mer, mère, maire (= Meer, Mutter, Bürgermeister)
parler, parlez, parlai, parlé, parlée, parlés, parlées (= versch. gebeugte Formen des Verbs parler)

Das Englische treibt es  mit seiner historischen Orthografie ja zum Teil noch viel bunter. Ein bekanntes, nicht allzu seriös zu nehmendes Beispiel:

ghoti = fish
das gh von enough (inaf)
das o von women (wimen)
das ti von nation (neischen)

Unser Drache-Sprache-Phänomen ist also vergleichsweise harmlos.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

O oder oh

Frage

Eine Frage zum Thema Interjektion: Schreibt man zum Beispiel „Oh Gott“ oder „O Gott“; „Oh lasst uns singen!“ oder: „O lasst uns singen!“? Wann also „Oh“, wann „O“ und warum? Ich habe diesbezüglich beide Möglichkeiten schon gesehen, aber nicht immer ist das, was allgemein so verwendet, auch richtig.

Antwort

Sehr geehrter Herr S.,

ob Sie oh oder o schreiben, hängt davon ab, was Sie rufen:  Wenn die Interjektion allein steht oder betont ist, schreibt man oh. Man schreibt o, wenn sie einen Ausruf einleitet, vor allem wenn sie nicht die Hauptbetonung trägt:

Oh!
Oh, oh!
Oh, wie schön! (oh ist betont, Komma entspricht einer Pause)
Oh, Gott! (oh ist betont, Komma entspricht einer Pause)

O weh!
O ja!
O wie schön!  (keine Pause, Hauptbetonung liegt auf schön)
O Gott! (keine Pause, Hauptbetonung liegt auf Gott)

Im Allgemeinen können Sie sich an diese Richtlinien halten:

  • oh wenn betont und lang
  • o wenn nicht betont und kurz

Oft sind beide Schreibweisen möglich, je nachdem, welche Aussprache gemeint ist:

Oh, lasst uns singen!
O lasst uns singen!

Wenn man den Ausruf nicht auch hört, kann man also in der Regel gar nicht beurteilen, ob er tatsächlich orthographisch richtig wiedergegeben wird. Das ist aber oft gar nicht so wichtig: Es macht mir zum Beispiel nicht viel aus, ob Sie beim Lesen dieses Texts Oh, wie interessant! oder O wie interessant! rufen …

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wenn Carne sich auf Sahne reimt

In der deutschen Standardaussprache wird das r am Endrand der Silbe ja von vielen vokalisiert (als Selbstlaut ausgesprochen):

wer = [we:?]
ihr = [i:?]
Wort = [wo?t]
Wurst = [wu?st]

Nach einem a lassen manche das r sogar ganz wegfallen:

wahr = [wa:?] oder [wa:]

Da ich ursprünglich aus einer Ecke des deutschen Sprachraums stamme, in der man das r fröhlich rollen lässt, kommt mir diese letzte Ausspracheweise, das heißt das gänzliche Weglassen des r, immer irgendwie „extrem“ vor. Seit dem vergangenen Wochenende weiß ich aber endgültig, dass man hier nicht mehr von „extrem“ sprechen kann. Im WDR-Radio hörte ich einen Schlager, in dem die Liebe anhand von verschiedenen Gerichten erklärt wird. Mein Ohr blieb bei den letzen beiden Zeilen des Refrains hängen:

Ich find dich schärfer als Chili con Carne
und noch viel süßer als Erbeer’n mit Sahne.

Chili con carne reimt sich hier auf Erdbeeren mit Sahne. Wenn das „ungestraft“ durchgeht, ist der fortschreitende Schwund des r nicht mehr zu stoppen. Ich fange deshalb schon einmal an, die Aussprache Tschili kon Kahne zu üben …

Das allerschönste Kompliment dieser kulinarischen Liebeserklärung findet man übrigens (mit einwandfreiem Binnenreim) in der zweiten Strophe dieses Schlagers:

Ich find dich schöner als ’n Döner

Wer könnte einem solchen Kompliment widerstehen!

Gluten wie zehn oder wie sputen?

Im heutigen Beitrag spielen nicht etwa glühende Kohlen oder gar feurige Leidenschaft die Hauptrolle, sondern das Gluten, ein klebriger, zäher Eiweißstoff, der in den Körnern gewisser Getreidearten vorkommt. Gluten ist offenbar beim Backen eines schönen Brotlaibs wichtig, es kann aber auch – wie einige wahrscheinlich besser wissen, als ihnen lieb ist – zu allergischen Reaktionen führen (Glutenintoleranz). Es geht hier allerdings nicht um so praktische Inhalte wie Tipps für das Brotbacken oder glutenfreie Ernährung, sondern rein um die Form: Wie spricht man Gluten aus?

 

Frage

In Ernährungsabhandlungen wird öfters das Wort „Gluten“ benutzt,  auch in der Verbindung „glutenfrei“. Allerdings erfolgt die Aussprache in zweierlei Weise: einmal „glú-ten“ mit Betonung von „glut“, das andere Mal „glu-tén“ mit betontem langem „ten“. Welche Betonung ist richtig?

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

das Wort Gluten wird heute meist auf dem e der zweiten Silbe betont, wobei das e lang gesprochen wird. Dies geschieht in Anlehnung an die Namen chemischer Verbindungen mit der Endung -en wie zum Beispiel Äthylen, Propen. Die Betonung auf dem u kommt ebenfalls vor. Sie orientiert sich an der Herkunft des Wortes, das heißt dem lateinischen Wort für Leim: gluten (Genitiv: glutinis). Das lateinische Wort hat einen langen Vokal (ū), der im Deutschen in dieser Position normalerweise die Hauptbetonung erhält (vgl. volūmen, volūminis – Volúmen; nōmen, nōminis – Nómen; imāgō, imāginis – Imágo)

Dieses „Herkunftsprinzip“ bei der Betonung kann man auch in anderen Sprachen beobachten:

en: gluten vs ethylene, propene
nl: gluten vs ethyleen, propeen
it: glutine vs etliene, propene

Trotzdem ist heute im Deutschen, wie gesagt, die Betonung auf dem e üblicher. Die Betonung auf dem u der ersten Silbe ist aber nicht als falsch anzusehen. Gluten reimt sich also heute meist „modern“ auf zehn, aber manchmal auch noch „klassisch“ auf sputen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp