Der Vorteil, seinem Herzen zu folgen?

Frage

Ist die Kommasetzung bei diesem Infinitivsatz korrekt: „Ein großer Vorteil, seinem Herzen zu folgen, ist die Leidenschaft im Beruf.“ Müssen die Beistriche hier so gesetzt werden?

Antwort

Wenn man den Satz so formuliert, müssen die Kommas vor und nach der Infinitivgruppe gesetzt werden. Es handelt sich um einen Infinitivsatz, der vor einem Substantiv abhängig ist und der als solcher durch Kommas abgetrennt werden muss:

Ein großer Vorteil, seinem Herzen zu folgen, ist ein erfüllteres Leben.

Ich finde allerdings, dass der Satz so „klemmt“. Woran liegt das? – Wenn ein Infinitivsatz (oder dass-Satz) von Vorteil oder Nachteil abhängig ist, drückt er aus, was der Vorteil bzw. Nachteil ist:

Die Firma hat damit den Vorteil, sich ein gutes Bild von zukünftigen Auszubildenden machen zu können.
Die Apple-Geräte haben den Vorteil, dass sie miteinander kommunizieren.

In Ihrem Satz ist aber seinem Herzen zu folgen nicht der Vorteil selbst, sondern das, was einen Vorteil hat. Der eigentliche Vorteil ist ein erfüllteres Leben. Man kann deshalb besser anders formulieren:

Ein großer Vorteil dessen/davon, seinem Herzen zu folgen, ist ein erfüllteres Leben.
Ein großer Vorteil dessen/davon, dass man seinem Herzen folgt, ist ein erfüllteres Leben.
Ein großer Vorteil, wenn man seinem Herzen folgt, ist ein erfüllteres Leben.
Seinem Herzen zu folgen bringt den Vorteil, ein erfüllteres Leben zu haben.

Nochmals: Der Vorteil ist nicht, dass man seinem Herzen folgt, sondern ein erfüllteres Leben. Vielleicht ist das ein bisschen spitzfindig, aber wenn Sie mit mir einig sind, dass der Satz „klemmt“, wissen Sie nun warum.

Ein Nachteil, so zu formulieren, ist ein seltsamer Satz.
Ein Vorteil, wenn man so formuliert, ist ein besser formulierter Satz.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Kongruenz: Verstehen wir uns als kompetenter oder als kompetenten Dienstleister?

Frage

Es geht um diesen Satz:

Wir verstehen uns als kompetenter Dienstleister und Problemlöser für unsere Kunden.

Müsste „kompetenter“ nicht im Akkusativ stehen? Bezieht sich „kompetenter Dienstleister“ auf „wir“ oder auf „uns“? Oder ist vielleicht sogar beides („kompetenter/kompetenten“) korrekt?

Antwort

Guten Tag Frau P.,

hier ist tatsächlich beides möglich:

Wir verstehen uns als kompetenter Dienstleister und Problemlöser für unsere Kunden.
Wir verstehen uns als kompetenten Dienstleister und Problemlöser für unsere Kunden.

Wenn eine mit als oder wie eingeleitete Wortgruppe von einem reflexiven oder reflexiv verwendeten Verb abhängig ist, steht sie in der Regel im Nominativ. Sie bezieht sich dann auf das Subjekt:

Der Rottweiler hat sich als guter Wachhund bewährt.
Der Außenminister gebärdet sich wie ein innenpolitischer Rebell.
Die Erneuerung stellt sich als richtiger Schritt in die Zukunft heraus.
Ich fühlte mich als der Retter der Situation.

Das Museum präsentiert sich als moderner und multimedialer Erlebnisraum.
Du stellst sich als guter, besorgter Vater hin.
Er sah sich als der Retter der Menschheit.
Wir verstehen uns als kompetenter Dienstleister.

Bei den reflexiv verwendeten Verben (Verben, die mit gleicher Bedeutung statt des Reflexivpronomens auch ein Akkusativobjekt bei sich haben können), kommt selten auch der Akkusativ vor. Die die als-Gruppe bezieht sich dann auf das Reflexivpronomen:

Das Museum präsentiert sich als modernen und multimedialen Erlebnisraum.
Du stellst dich als guten, besorgten Vater hin.
Er sah sich als den Retter der Menschheit.
Wir verstehen uns als kompetenten Dienstleister.

In Ihrem Beispiel ist die als-Gruppe von sich verstehen abhängig. Sie bezieht sich üblicherweise auf das Subjekt und steht wie wir im Nominativ (wir als kompetenter Dienstleister). Seltener bezieht sie sich auf das Reflexivpronomen und steht wie uns im Akkusativ (uns als kompetenten Dienstleister).

Beides ist also möglich und beides gilt als korrekt. Mehr dazu finden Sie hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Bei nicht reflexiver Verwendung dieser Verben ist nur der Bezug auf das Akkusativobjekt üblich:

Das Museum präsentiert den Neubau als modernen und multimedialen Erlebnisraum.
Sie stellt ihn als guten, besorgten Vater hin.
Sie sahen ihn als den Retter der Menschheit.
Wir verstehen unsere Firma als kompetenten Dienstleister und Problemlöser.

„Sie“ und „er“ sind nicht immer eindeutig, aber trotzdem meist verständlich

Frage

In Sidos Song „Augen auf“ gibt es eine Zeile, die wie folgt lautet:

Jenny war so niedlich als sie sechs war. Doch dann bekam Mama ihre kleine Schwester. Jetzt war sie nicht mehr der Mittelpunkt.

Wir haben uns kürzlich gefragt, ob die Pronomen so stimmen. „Jennys Mutter bekam ihre Schwester“ – aus dem Kontext ist klar, was gemeint ist, aber bezieht sich „ihre“ nicht auf „Mutter“ anstatt auf „Schwester“? Wäre „Jennys Mutter bekamen deren kleine Schwester“ korrekt?

Dann auch beim Satzanschluss „Jetzt war sie nicht mehr der Mittelpunkt”: Bezieht sich das „sie“ nicht auch auf die Mutter? Wie könnte man deutlich machen, dass man sich auf Jenny bezieht?

Antwort

Guten Tag Herr F.,

Pronomen wie Personal- und Possessivpronomen beziehen sich auf etwas, das vorher oder seltener nachher genannt wird. Häufig gibt es rein formal mehr als ein mögliches Bezugswort, das heißt, es kann mehr als ein Wort geben, das in Genus und Numerus mit dem Pronomen übereinstimmt. Dann ergibt sich aus dem Kontext oder der Bedeutung der Wörter, auf welches dieser möglichen Bezugswörter sich das Pronomen bezieht. Das Bezugswort muss nicht das am nächsten stehende mögliche Wort sein. Einige Beispiele:

Der Mann suchte seinen Laptop vergebens. Er hatte ihn zu Hause vergessen.
(er = der Mann)

Der Mann suchte seinen Laptop vergebens. Er lag noch zu Hause.
(er = der Laptop)

Die Lehrerin sagte zur Schülerin, sie sei mit ihren Leistungen zufrieden.
(sie = die Lehrerin; ihren = des Mädchens)

Die Lehrerin ermahnte die Schülerin, sie solle ihr besser zuhören.
(sie = die Schülerin; ihr = der Lehrerin)

In den meisten Fällen ergibt sich aus dem Kontext, den Wortbedeutungen und/oder unserer allgemeinen Kenntnis, was gemeint ist. Wenn dem nicht so ist, sollte man umformulieren. Manchmal hilft dabei deren/dessen, sonst muss das Wort wiederholt oder eine Umschreibung gewählt werden (zum Beispiel mit einem Synonym oder einem Oberbegriff).

Den Songtext, um den es Ihnen geht, halte ich für eindeutig. Es ist deutlich, dass Mama nicht ihre eigene kleine Schwester, sondern Jennys kleine Schwester bekam. Dadurch wurde nicht die Mutter, sondern Jenny aus dem Mittelpunkt verdrängt. Das ergibt sich unter anderem daraus, dass wir wissen, dass ein erstes Kind bei der Geburt eines zweiten Kindes häufig so empfindet.

Wenn Sie den Text doch noch präziser formulieren möchten, könnten Sie zum Beispiel wie folgt vorgehen:

Jenny war so niedlich als sie sechs war. Doch dann bekam Mama deren kleine Schwester. Jetzt war Jenny nicht mehr der Mittelpunkt.

Jenny war so niedlich als sie sechs war. Doch dann bekam Mama Jennys kleine Schwester. Jetzt war das Mädchen nicht mehr der Mittelpunkt.

Das führt aber zu einem wenig eleganten Text und ist, wie gesagt, nicht nötig.

Pronomen drücken rein formal nicht immer eindeutige Beziehungen aus. Sie müssen sich nicht zum Beispiel auf das ihnen am nächsten stehende Wort beziehen, das in Genus und Numerus mit ihnen übereinstimmt. Wenn es mehr als ein mögliches Bezugswort gibt, erschließt sich der Bezug meist aus dem Kontext, der Wortbedeutung und/oder unserer Kenntnis der Welt. Nur wenn dies nicht der Fall ist, muss anders formuliert werden.

Ist es nicht erstaunlich, mit wie viel formaler Uneindeutigkeit wir problemlos umgehen können?!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp