Gebeugte Werktitel: die Hauptrolle in Shaws „Die Heilige Johanna“ / in Shaws „Heiliger Johanna“

Frage

Ich habe mal wieder eine Frage, und zwar betrifft es die Deklination von Film- oder auch Buchtiteln. Hier ein Beispiel: Welche Formulierung ist richtig?

Ich spielte die Hauptrolle in Shaws „Die Heilige Johanna“
Ich spielte die Hauptrolle in Shaws „Heiliger Johanna“

Antwort

Guten Tag Frau R.,

wieder einmal gibt es mehr als nur eine Möglichkeit. Beides ist nämlich möglich und richtig.

Im Prinzip werden mehrteilige Werktitel im Text gleich gebeugt wie „gewöhnliche“ Wortgruppen. Man kann und darf Titel verändern, indem man sie beugt (soweit es möglich ist*). Es heißt demnach:

Für „Die heilige Johanna“ erhielt Shaw 1925 den Nobelpreis
Ich spiele die Hauptrolle in Shaws „Heiliger Johanna“.
Bernhard Shaw hat dies im Vorwort seiner “Heiligen Johanna” sehr gut beschrieben.

Welcher klassische Komponist hat „Eine kleine Nachtmusik“ geschrieben?
Das Konzert startet mit Mozarts „Kleiner Nachtmusik“.
eine Neuaufnahme der „Kleinen Nachtmusik“

Bis heute hat „Der dritte Mann“ nichts von seiner Faszination verloren.
Das Burg-Kino zeigt den „Dritten Mann“ jeden Dienstag.
die schillernde Entstehungsgeschichte des „Dritten Mannes“

Wie oft wurde „Das fliegende Klassenzimmer“ von Erich Kästner verfilmt?
das im Jahr 1933 erschienene „Fliegende Klassenzimmer“
ein Zitat aus dem „Fliegenden Klassenzimmer“

Es ist heute aber immer üblicher, den Werktitel als Ganzes ungebeugt zu lassen. Einige der oben stehenden Formulierungen klingen auch ein bisschen seltsam (vor allem ohne weiteren Kontext). Für alle Beispiele mit gebeugtem Titel gibt es auch eine Variante mit unverändertem Titel:

Ich spiele die Hauptrolle in Shaws „Die heilige Johanna“.
Bernard Shaw hat dies im Vorwort zu „Die heilige Johanna“ sehr gut beschrieben.

Das Konzert startet mit Mozarts „Eine kleine Nachtmusik“.
eine Neuaufnahme von „Eine kleine Nachtmusik“

Das Burg-Kino zeigt „Der dritte Mann“ jeden Dienstag.
die schillernde Entstehungsgeschichte von „Der dritte Mann“

das im Jahr 1933 erschienene „Das fliegende Klassenzimmer“
ein Zitat aus „Das fliegenden Klassenzimmer“

Dies wiederum klingt in einigen Fällen ziemlich holprig. Es ist deshalb stilistisch oft besser, dem unveränderten Titel ein beschreibendes Substantiv vorangehen zu lassen. Zum Beispiel:

Bernard Shaw hat dies im Vorwort zu seinem Stück „Die heilige Johanna“ sehr gut beschrieben.

eine Neuaufnahme der Serenade „Eine kleine Nachtmusik“

die schillernde Entstehungsgeschichte des Filmklassikers „Der dritte Mann“

ein Zitat aus dem Roman „Das fliegenden Klassenzimmer“

Mit etwas Flexibilität und Stilgefühl findet man also immer eine oder zwei passende Formulierungen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

* Dies alles gilt nur für Titel, die Substantivgruppen sind, die sich grammatisch in einen laufenden Text integrieren lassen. Nicht gebeugt werden können also Titel wie zum Beispiel „Vom Winde verweht“, „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, „Der Junge muss an die frische Luft“ oder „Zur See“.

Mit Abgeordnetem Thaler und Bürgerbeauftragter Berger – adjektivische Beugung ohne Artikel

Frage

Allmonatlich stelle ich eine Übersicht der Termine meiner Chefin zusammen. Das Ganze geht dann als stichwortartige Liste, quasi im Schlagzeilenformat, an unsere Abteilungsleitungen. Und immer wieder stolpere ich über dasselbe Problem. Heißt es:

Treffen mit Abgeordneten Peter Thaler oder Treffen mit Abgeordnetem Peter Thaler
Gespräch mit Bürgerbeauftragten Claudia Berger oder Gespräch mit Bürgerbeauftragter Claudia Berger

Die zuerst genannten Varianten würden sich durch schlichtes Weglassen des Artikels ergeben. Sie klingen für mich falsch – was aber leider auch für die jeweils zweite Variante gilt, wenn ich sie lange genug anstarre. Ich finde einfach keine Begründung, warum die eine oder andere Möglichkeit richtig sein sollte. […]

Antwort

Guten Tag Frau U.,

langes Anstarren hilft bei sprachlichen Zweifeln nie. Je länger man hinschaut, desto größer wird in der Regel die Unsicherheit. Das gilt insbesondere für so verzwickte Phänomene wie die deutsche Adjektivbeugung.

Die Wörter der/die Abgeordnete und der/die (Bürger–)Beauftragte sind substantivierte Adjektive. Als solche werden sie in der Standardsprache normalerweise gleich gebeugt wie „gewöhnliche“ Adjektive.

Wenn man (substantivierte) Adjektive mit dem bestimmten Artikel verwendet, werden sie schwach gebeugt:

Treffen mit dem Abgeordneten
Treffen mit dem Abgeordneten Thaler
Treffen mit dem Abgeordneten Peter Thaler

Gespräch mit der Bürgerbeauftragten
Gespräch mit der Bürgerbeauftragten Berger
Gespräch mit der Bürgerbeauftragten Claudia Berger

vgl.

mit dem großen Erfolg
mit der zunehmenden Aufmerksamkeit

Wenn man (substantivierte) Adjektive ohne Artikel verwendet, werden sie stark gebeugt:

Treffen mit Abgeordnetem
Treffen mit Abgeordnetem Thaler
Treffen mit Abgeordnetem Peter Thaler

Gespräch mit Bürgerbeauftragter
Gespräch mit Bürgerbeauftragter Berger
Gespräch mit Bürgerbeauftragter Claudia Berger

vgl.

mit großem Erfolg
mit zunehmender Aufmerksamkeit

Siehe auch hier.

Man kann also bei adjektivisch gebeugten Substantiven nicht immer einfach den Artikel weglassen. Das hat oft Auswirkungen auf die Endung:

Informationsabend für die Studierenden
Informationsabend für Studierende

Die Verwandten von Frau Schmidt wurden benachrichtigt.
Frau Schmidts Verwandte wurden benachrichtigt.

Wer isst das viele Eingemachte?
Wer isst so viel Eingemachtes?

Es spricht der Abgeordnete Thaler.
Es spricht Abgeordneter Thaler.

Ganz ungefragt noch ein Vorschlag: Wenn Sie bei den artikellosen Varianten wieder einmal unsicher sind, könnten Sie auch einfach mit Artikel formulieren. Sehr viel länger wird die Übersicht dadurch nicht:

Treffen mit Abgeordnetem Thaler
Treffen mit dem Abgeordneten Thaler

Gespräch mit Bürgerbeauftragter Berger
Gespräch mit der Bürgerbeauftragten Berger

Ich hoffe, dass Abgeordnete und Bürgerbeauftragte bzw. die Abgeordneten und die Bürgerbeauftragten von nun an weniger Zweifel aufkommen lassen – wenigstens was ihre Beugung betrifft.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Schließt die Hexe Rapunzel im Turm oder in den Turm ein?

Frage

Schreibt man: „Der Turm , in dem die Hexe Rapunzel einsperrt, liegt im Wald“, oder: „Der Turm, in den die Hexe Rapunzel einsperrt, liegt im Wald“? Ist die Standortangabe statisch oder dynamisch zu betrachten – oder ist vielleicht beides möglich?

Antwort

Guten Tag Herr J.,

bei einsperren kann nach in sowohl der Dativ als auch der Akkusativ stehen.

im Turm einsperren
in den Turm einsperren

Im Prinzip verbindet man die sogenannten Wechselpräpositionen mit dem Dativ, wenn etwas Statisches gemeint ist, und mit dem Akkusativ, wenn etwas Dynamisches gemeint ist:

Ich liege in der Sonne.
Ich lege mich in die Sonne.

Ganz so einfach, wie diese Grundregel es beschreibt, ist es allerdings nicht immer. Bei vielen Verben ist nämlich sowohl eine „statische“ als auch eine „dynamische“ Sichtweise üblich. Zu diesen Verben gehört das Verb einsperren. Man kann angeben, wo das Einsperren stattfindet, und den Dativ nehmen. Man kann auch angeben, wohin der, die oder das Einzusperrende gebracht wird, und den Akkusativ wählen. Beide Sichtweisen sind hier üblich:

Die Hexe sperrt Rapunzel in einem Turm ein.
Die Hexe sperrt Rapunzel in einen Turm ein.

der Turm, in dem die Hexe Rapunzel einsperrt
der Turm, in den die Hexe Rapunzel einsperrt

Hier noch ein paar Verben, bei denen beide Sichtweisen gebräuchlich sind:

Schließen Sie Ihre Wertsachen im Safe ein!
Schließen Sie Ihre Wertsachen in den Safe ein!

alle Namen in der Liste eintragen
alle Namen in die Liste eintragen

den Fernseher an der Wand montieren
den Fernseher an die Wand montieren

Ziemlich abstrakt gesagt geht es hier um Verben, bei denen der Ort, an dem die Handlung stattfindet, und der Ort, der das Ziel der Handlung ist, derselbe Ort ist.

Wo ist Rapunzel, wenn sie eingesperrt wird? – Im Turm.
Wohin wird Rapunzel gebracht, um sie einzusperren? – In den Turm.

Es gibt (leider?) keine feste Regel, bei welchen Verben beide Sichtweisen üblich sind, das heißt, bei welchen Verben der Anschluss mit sowohl dem Dativ als auch dem Akkusativ möglich ist.

Mehr zu diesem Thema und weitere Beispiele finden Sie in einem anderen, schon ziemlich in die Jahre gekommenen → Blogartikel.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Formenvielfalt: der Fleck, der Flecken, die Flecke, die Flecken

Frage

Warum steht im Satz „Auf dem Tisch sieht man viele rote Flecken“ die Mehrzahl „Flecken“ und nicht „Flecke“?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

für Deutschlernende kann dieses Wort eine der vielen kleinen Hürden sein, die es zu nehmen gilt. In diesem Fall kann man es aber genau genommen kaum falsch machen.

Man könnte sagen, dass es hier zwei Wörter mit der gleichen Bedeutung gibt, die zum Teil auch die gleichen Wortformen haben: der Fleck und der Flecken:

der Fleck, des Fleck(e)s; die Flecke o. die Flecken
der Flecken, des Fleckens; die Flecken

Nach den Angaben der Variantengrammatik wird im Singular meisten Fleck und im Plural meistens Flecken verwendet. Das gilt für den gesamten deutschen Sprachraum, wenn auch in unterschiedlich starkem Maße. Hier ein paar Beispiele:

Auf dem Tisch sieht man einen roten Fleck / selten: Flecken.
Auf dem Tisch sieht man viele rote Flecken / selten: Flecke.

Sie hatte einen Weinfleck / selten: Weinflecken auf der Bluse.
Sie hatte ein paar Weinflecken /selten: Weinflecke auf der Bluse.

Der riesige Sonnenfleck / selten: Sonnenflecken ist viermal so groß wie die Erde.
Manchmal sind mehrere Sonnenflecken / selten: Sonnenflecke mit bloßem Auge sichtbar.

Falls Sie unsicher sind, lernen Sie am besten der Fleck / die Flecken, dann machen Sie es so, wie die meisten Deutschsprachigen es tun. Und wenn Sie dann noch wissen, dass manchmal auch der Flecken und die Flecke vorkommt, sollte alles gutgehen.

Dies alles gilt übrigens, wie man bei den Beispielen oben sieht, auch für Fettflecken, Grasflecken, Kaffeeflecken, Weinflecken usw. Doch weit interessanter als die richtige Beugung ist bei vielen Fleckenarten diese Frage: Wie kriegt man sie wieder raus?!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ohne gegessen zu haben: auf leeren Magen oder auf leerem Magen?

Frage

Ich habe eine kurze Frage zum richtigen Kasus nach der Präposition „auf“. In einer Hörprüfung steht folgender Satz: „Am Schönsten ist Wandern auf leerem Magen.“ Ich hätte eher „auf leeren Magen“ gesagt, kann es mir aber nicht erklären. […] Oder liege ich gar falsch, und es müsste wirklich „auf leerem Magen“ heißen?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

die bei den Wechselpräpositionen gebräuchliche Unterscheidung zwischen statisch (wo? → mit Dativ) und dynamisch (wohin? → mit Akkusativ) hilft in diesem Fall nicht viel weiter. Beide Sehensweisen sind  hier in mehr oder weniger übertragenem Sinne möglich. Dann gilt, dass richtig ist, was üblich ist. Was ist hier also die übliche Formulierung?

Nach Ihrem und auch nach meinem Empfinden müsste es auf leeren Magen heißen. Auch die Wörterbücher geben dies so an. Zum Beispiel:

auf leeren Magen etwas trinken
(Duden)

auf nüchternen Magen soll man nicht rauchen
und das auf nüchternen Magen!
(DWDS)

auf leeren Magen
(LEO)

Aber: Im Internet und in großen Textsammlungen kommt auch auf leerem Magen  vor – zwar weniger häufig, aber doch so häufig, dass man es als gebräuchliche Variante akzeptieren sollte. Dies gilt meiner Meinung dann, wenn (eigentlich) mit leerem Magen gemeint ist:

Wandern auf leeren/(leerem) Magen
= Wandern mit leerem Magen

In anderen Fällen würde ich den Wörterbüchern und unserem Empfinden folgen und nur den Akkusativ empfehlen:

etwas auf leeren Magen trinken, einnehmen usw.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Unser beider kleiner Hund

Frage

Es heißt also: „unser beider Hund“ [siehe hier]. Wie ist es aber dann mit Adjektiv: „unser beider  kleine/kleiner Hund“?

Antwort

Guten Tag Frau N.,

nach unser beider wird ein Adjektiv stark gebeugt. Es wird gleich gebeugt, wie wenn kein gebeugtes Artikelwort vor ihm steht, sondern u. A. gar nichts, ein Name im Genitiv, deren oder wessen (vgl. hier).

unser beider kleiner Hund (vgl. Marias kleiner Hund)
für unser beider kleinen Hund (vgl. für Marias kleinen Hund)
mit unser beider kleinem Hund (vgl. mit Marias kleinem Hund)
wegen unser beider kleinen Hundes (vgl. wegen Marias kleinen Hundes)

unser beider großes Glück (vgl. großes Glück)
für unser beider großes Glück (vgl. für großes Glück)
dank unser beider großem Glück (vgl. dank großem Glück)
wegen unser beider großen Glücks (vgl. wegen großen Glücks)

euer beider wunderbare Rettung (vgl. deren wunderbare Rettung)
für euer beider wunderbare Rettung (vgl. für deren wunderbare Rettung)
dank euer beider wundbaren Rettung (vgl. dank deren wunderbaren Rettung)
wegen eurer beider wunderbarer Rettung (vgl. wegen deren wunderbarer Rettung)

ihrer beider kleine Kinder (wessen kleine Kinder)
für ihrer beider kleine Kinder (für wessen kleine Kinder)
mit ihrer beider kleinen Kindern (mit wessen kleinen Kindern)
das Geschrei ihrer beider kleiner Kinder (das Geschrei wessen kleiner Kinder)

Vor allem, aber nicht nur beim letzten Beispiel (ihrer beider kleiner Kinder) werde auch ich ganz unsicher, welches denn die richtige Adjektivendung sein muss. Wenn man zweifelt, ist es oft besser, auf eine Formulierung mit von auszuweichen. Sie klingt zwar weniger elegant-gehoben, sie ist hier aber auch standardsprachlich problemlos anstelle des Genitivs verwendbar. Zum Beispiel:

der kleine Hund von uns beiden
für das große Glück von uns beiden
dank der wunderbaren Rettung von euch beiden
das Geschrei der Kinder von ihnen beiden

Und wer doch nicht auf unser beider verzichten möchte, sollte sich merken, dass die starke Adjektivdeklination folgt. Der kleine Hund von uns beiden ist also unser beider kleiner Hund.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Parallel oder nicht: Förderung talentierter Mitarbeitender oder Mitarbeitenden?

Frage

Welche Schreibeweise ist richtig: „die Förderung talentierter Mitarbeitender/Mitarbeitenden“?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

wenn mehrere talentierte Mitarbeitende gemeint sind – und davon gehe ich hier aus – ist die parallele Beugung richtig. Das Adjektiv und das substantivierte adjektivische Partizip haben dieselbe Endung:

die Förderung talentierter Mitarbeitender
die Förderung der talentierten Mitarbeitenden
Liebe talentierte Mitarbeitende

Diese parallele Beugung sorgt hier immer wieder für Unsicherheit, sie sollte aber in der Standardsprache eingehalten werden:

ein entfernter Verwandter aus Amerika
die Mail einer lieben Verwandten
Unzufriedene Studierende besetzen die Uni
der Anteil zufriedener Studierender sinkt
Liebe Auszubildende aller Fachrichtungen …
6 Millionen Ankünfte deutscher Reisender

Nur im Dativ Singular ist bei männlichen und weiblichen Formen die Wechselflexion üblicher:

Probleme mit entferntem Verwandten aus Amerika
bei Annas liebster Verwandten
Fluggesellschaft bezahlt deutschem Reisenden Rückflug
Firma schuldet ehemaliger Angestellten drei Monate Lohn

Bei sächlichen Formen hingegen kann auch parallel gebeugt werden:

mit interessantem Neuem / interessantem Neuen

Siehe auch die Angaben unter „Auf ein Adjektiv folgendes substantivisch verwendetes Adjektiv“ auf dieser Seite in der LEO-Grammatik.

Gerne würde ich einfacheres Wissenswertes aufzeigen, aber wenn es um die Adjektivbeugung geht, ist das leider oft nicht möglich. Ich hoffe auf das Verständnis freundlich gesinnter Lesender.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Keine zehn gebrauchte/gebrauchten(?) Apparate

Frage

Wie dekliniere ich hier richtig:

Im Jahr 2029 werden es wahrscheinlich keine 200 000 neu geschaffene/geschaffenen Sozialwohnungen sein.
Aktuell werden keine 100 gebrauchte/gebrauchten Apparate im Netz angeboten.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

nach der gebeugten Form keine wird ein Adjektiv schwach gebeugt, das heißt, es hat dieselbe Endung wie nach z. B. dem bestimmten Artikel:

die neu geschaffenen Sozialwohnungen
keine neu geschaffenen Sozialwohnungen
die 200 000 neu geschaffenen Sozialwohnungen
keine 200 000 neu geschaffenen Sozialwohnungen

die gebrauchten Apparate
keine gebrauchten Apparate
die 100 gebrauchten Apparate
keine 100 gebrauchten Apparate

Das gilt auch, wenn keine umgangssprachlich nach einer Zahlenangabe die Bedeutung nicht, nicht einmal hat:

Im Jahr 2029 werden es wahrscheinlich keine 200 000 neu geschaffenen Sozialwohnungen sein.
= Im Jahr 2029 werden es wahrscheinlich nicht 200 000 neu geschaffene Sozialwohnungen sein.

Aktuell werden keine 100 gebrauchten Apparate im Netz angeboten.
= Aktuell werden nicht einmal 100 gebrauchte Apparate im Netz angeboten.

Da keine wie nicht (einmal) verwendet wird, kommt manchmal auch wie nach nicht die starke Beugung vor, was ich aber nicht empfehlen würde:

Im Jahr 2029 werden es wahrscheinlich keine 200 000 neu geschaffene Sozialwohnungen sein [?]

Aktuell werden keine 100 gebrauchte Apparate im Netz angeboten [?]

Aber die Umgangssprache wäre nicht die Umgangssprache, wenn Sie sich daran hielte, was jemand wie Dr. Bopp empfiehlt. Standardsprachlich „unproblematisch“ formuliert man zum Beispiel so:

Im Jahr 2029 werden es wahrscheinlich nicht 200 000 neu geschaffene Sozialwohnungen sein.
Im Jahr 2029 werden es wahrscheinlich weniger als 200 000 neu geschaffene Sozialwohnungen sein.

Aktuell werden nicht einmal hundert gebrauchte Apparate im Netz angeboten.
Aktuell werden weniger als hundert gebrauchte Apparate im Netz angeboten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Des Öfteren?

Frage

Bei dem Mehrwortausdruck „des Öfteren“ hat mein Analysierer Probleme mit dem Wort „Öfteren“. Mir persönlich kam es nicht unvertraut vor, ich konnte aber auf Anhieb keine Erklärung für diese Wortform finden. […] Bei „des Weiteren“ hat mein Tool kein Problem, „Weiteren“ als substantiviertes Adjektiv im Komparativ mit der Flexionsendung „-en“ zu erkennen. Aber „oft“ ist ein Adverb und Adverbien gelten doch als unflektierbar? […]

Antwort

Guten Tag Herr H.,

die Form öfteren in des Öfteren kann wie weiteren in des Weiteren als Genitivform analysiert werden (es sind Adverbialgenitive). Bei des Öfteren handelt es sich um eine feste Wendung, die auf die Verwendung des Komparativs öfter als Adjektiv zurückgeht. Standardsprachlich ist diese Verwendung nicht mehr gebräuchlich, in der Umgangssprache kommt sie aber noch vor:

ihre öfteren Besuche
nach öfterer Wiederholung

Auch die heute nur selten vorkommende Superlativform öftesten geht auf die adjektivische Verwendung von oft bzw. öfter zurück:

die am öftesten gehörte Antwort
So tituliert er sich am liebsten und am öftesten.

Im heutigen Standarddeutschen werden oft und öfter nur als Adverbien und entsprechend ungebeugt verwendet. Die Superlativform am öftesten kommt – wie gesagt – nur selten vor. Normalerweise wird hierfür am häufigsten verwendet.

Daneben kam und kommt manchmal noch die Form öfterer (statt öfter) vor. Dieser doppelte Komparativ lässt sich dadurch erklären, dass öfter häufig nicht vergleichend, sondern verstärkend verwendet wird und dann (fast) die gleiche Bedeutung hat wie einfaches oft:

Das haben wir schon oft / öfter gehört.
Sie war oft / öfter in Talkshows zu sehen.

Zu dem so als Positiv empfundenen öfter wurde eine Komparativform öfterer und eine Superlativform öfterst gebildet.

Die Männchen schreien stärker, volltönender und öfterer als die Weibchen
und dieses ist der öfterste Fall

Diese Formen gelten standardsprachlich als nicht korrekt.

Im heutigen Standarddeutschen gibt es also nur das Adverb oft mit seiner Komparativform öfter (und dem Superlativ am häufigsten). Adjektivisch gebeugte Formen trifft man auch an, aber sie sind veraltet oder gelten als umgangssprachlich. Ausnahme: des Öfteren.

Ihr Analysierer hat wahrscheinlich deshalb Mühe mit mit der Form Öfteren, weil sie nicht nach heute geltenden Regeln gebildet wurde. Sie setzt ein Adjektiv oft voraus, das es in der heutigen Standardsprache nicht gibt.

Viel mehr zur Geschichte von oft und seinen Steigerungsformen finden Sie hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ungebeugtes »ein«: ein und dieselbe Sache, in ein bis zwei Monaten, das ein oder andere Problem

Frage

Warum steht hier „ein“:

ein und dieselbe Sache
(https://www.duden.de/rechtschreibung/ein_Zahl)

Sollte es nicht „eine und dieselbe Sache“ heißen? Im Duden fehlt die Erklärung.

Antwort

Guten Tag Frau S.,

ein bleibt häufig ungebeugt, wenn es durch und, bis oder oder mit zwei oder einer anderen Kardinalzahl oder andere verbunden wird. Diese Angabe ist auf Anhieb kaum verständlich. Die folgenden Beispiele helfen hoffentlich dabei, die Sache zu verdeutlichen:

Wir warten noch ein bis zwei Tage.
eine Mietdauer von zwischen ein und drei Jahren
Wir hatten noch das ein oder andere Problem zu lösen.
in ein und einer halben Stunde

Das ist auch dann der Fall, wenn ein durch und mit derselbe/dieselbe/dasselbe verbunden wird:

Das ist ein und dieselbe Sache.
für ein und denselben Zweck
mit ein und demselben Auto

Meist ist es auch möglich, ein zu beugen (siehe auch hier):

Wir warten noch einen bis zwei Monate.
eine Mietdauer von zwischen einem und drei Jahren
Wir hatten noch das eine oder andere Problem zu lösen.
in einer und einer halben Stunde

Bei der Wendung ein und derselbe/dieselbe/dasselbe kommt gebeugtes ein aber selten vor:

Das ist eine und dieselbe Sache.
für einen und denselben Zweck
mit einem und demselben Auto

Ein und dieselbe Sache und eine und dieselbe Sache sind also fast ein und dieselbe Sache. Die Version mit eine kommt allerdings seltener vor.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Im Duden-Wörterbuch finden Sie keine Erklärung, aber in anderen Duden-Werken wird dieser Fall schon behandelt (z.B. in Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle und in der Duden-Grammatik).