Omikron und Omega

Aus wenig erfreulichem aktuellem Anlass hört und liest man zurzeit sehr häufig das Wort Omikron. An dieser Stelle soll es nicht um den Anlass gehen und auch nicht darum, wie wenig erfreulich er ist. Es geht vielmehr um eine kleine Einsicht, die ich zu meinem Erstaunen erst jetzt gehabt habe.

Mir ist nämlich klargeworden, dass Omikron von griechisch ò mikrón kommt und kleines O bedeutet. Den Wortbestandteil mikro(n) = klein kennen wir ja von zum Beispiel dem Mikroskop, mit dem man sehr Kleines sehen kann, der Mikrofaser, einer aus kleinsten Strukturen bestehenden Faser, oder den Mikroorganismen, den Klein- und Kleinstlebewesen.

Das wussten viele von Ihnen sicher schon, aber diesen ersten Schritt meiner neuen „Erkenntnis“ finde ich noch nicht sehr erstaunlich. So oft bin ich dem Wort Omikron bis vor Kurzem auch wieder nicht begegnet. Das gilt nicht für sein Gegenstück, das Omega. Ihm begegnet man in gelehrteren oder religiösen Kontexten in der Form von Alpha bis Omega (ΑΩ), aber vor allem auf dem Fernseh- oder einem anderen Bildschirm, wenn bei Sportveranstaltungen neben der Zeitmessung die Marke des Zeitmessers steht. Obwohl (oder vielleicht gerade weil) man es so oft sieht, ist mir bis jetzt nie klargeworden, dass Omega einfach großes O bedeutet. Wie mikro ist ja auch mega = groß nicht unbekannt: vom Megabyte über den Megastar bis hin zu megaerstaunlich.

Ich habe mich gleich auf die Suche gemacht, ob das griechische Alphabet noch andere Buchstaben mit einer solchen Bedeutung hat, bin aber kaum fündig geworden. Neben Epsilon (einfaches E) und Ypsilon (einfaches I) sind nur noch Alpha und Gamma nennenswert: Alpha kommt vom hebräischen Wort ạlęf = Ochse (aufgrund der Ähnlichkeit des althebräischen Buchstabens mit einem Ochsenkopf) und Gamma kommt von hebräisch gạmạl = Kamel (aufgrund der Ähnlichkeit des althebräischen Buchstabens mit einem Kamelhals).

Das Omikron wird klein genannt, weil es kurz ist. Das Omega ist groß, weil es lang ist. Warum genau das Epsilon und das Ypsilon einfach sind, ist mir vorläufig noch ein Rätsel. Für die Schreibung der Laute /e/ und /i/ hat das Griechische so viele Möglichkeiten, dass der Grund wohl dort zu suchen ist.

Und um doch noch kurz auf den unerfreulichen Anlass für die derzeit häufige Verwendung des Wortes Omikron einzugehen: Hoffen wir, dass Omikron wirklich klein bleibt und Omega uns in diesem Zusammenhang erspart bleibt.

Reden wir von Switches, Switchs oder Switchen?

Die Beugung von noch nicht allzu fest im Deutschen intergrierten Fremdwörtern führt immer wieder zu Fragen:

Frage

In meinem Text steht eine Liste von Eigenschaften eines Switchs (o. eines Switches?). In dem speziellen Punkt geht es um die Verbindung zwischen zwei Switches/Switchen/Switchs. Ich habe im Internet gesucht, aber keine Informationen gefunden, wie man „Switch“ am besten dekliniert. […]

Antwort

Guten Tag Herr R.,

die Beugung von Fremdwörtern aus dem Englischen (und anderen Sprachen) kann dann zu Unsicherheiten führen, wenn sie noch nicht wirklich in den deutschen Wortschatz integriert sind. Was ist richtig, die Form aus der Ursprungssprache oder die ans Deutsche angepasste Form? Die Antwort lautet  wie so häufig: Richtig ist, was üblich ist.

Zuerst zum Genitiv: Wie Sie den Genitiv von Switch schreiben, hängt davon ab, wie Sie ihn aussprechen. Bei auf (gesprochenes) sch endenden Wörtern ist im Genitiv Singular sowohl -s als  auch -es möglich:

Aussprache wie /switschs/ → des Switchs
(vgl. Fischs, Froschs, Eibischs, Tratschs)

Aussprache wie /switsches/ → des Switches
(vgl. Fisches, Frosches, Eibisches, Tratsches)

Da bei Fremdwörtern der s-Genitiv üblicher ist als der es-Genitiv, würde ich des Switchs sagen und schreiben. Die Schreibung des Switches kommt aber häufiger vor. Ich vermute, dass diese Schreibung in vielen Fällen durch den englischen Plural switches beeinflusst ist und weniger auf eine Aussprache mit der Endung -es zurückzuführen ist.

Auch der endungslose Genitiv des Switch ist nicht ausgeschlossen, aber nur dann, wenn auch keine Endung gesprochen wird:

Aussprache wie /switsch/ → des Switch

Diese sozusagen aus dem Englischen übernommene endungslose Variante passt dann am besten, wenn auch der Plural noch englisch ausgesprochen wird. Und hiermit sind wir schon bei den Pluralformen:

Auch für den Plural von „Switch“ gilt, dass die Schreibung davon abhängt, wie Sie die Wortform aussprechen. Bei englischer Aussprache (/switschis/) schreiben Sie zwei Switches. Bei deutscher Aussprache (/switschs/) schreiben Sie zwei Switchs. Auch der Ersatz von -s durch die deutsche Endung -e ist nicht ausgeschlossen, aber (noch?) nicht so gebräuchlich. Also:

Aussprache wie /switschs/ → die Switchs
(vgl. Clutchs, Matchs, Patchs, Scotchs)

Aussprache wie /switschis/ → die Switches
(vgl. Clutches, Stretches)

Aussprache wie /switsche/ → die Switche
(vgl. Matche, Sketche)

Die Pluralformen von Clutch, Match, Patch, Sketch, Stretch und Scotch zeigen, dass es keine einheitliche Tendenz gibt, wie Substantive dieser Form ins Deutsche integriert werden. Wenn Sie diese Wörter in verschiedenen Wörterbüchern nachschlagen, werden Sie feststellen, dass nicht alle Wörterbücher überall dieselben Formen angeben. Es herrscht hier also eine recht große Unsicherheit (man kann es optimistischer auch eine recht große Freiheit nennen).

Ich kann Ihnen also nur empfehlen, sich nach der Aussprache zu richten. Welche Aussprache in Ihrem Fachbereich bei Switch üblicher ist, weiß ich leider nicht. Solange sich keine einheitliche(re) Verwendung des Wortes Switch eingebürgert hat, ist keine der obenstehenden Formen falsch.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Desertion, Desertation, Desertifikation

Heute ein Beispiel dafür, dass auch bei Fachwörtern nicht immer alles ganz so eindeutig ist:

Frage

Was ist der korrekte Begriff für Fahnenflucht – „Desertion“ oder „Desertation“? Im Duden findet man nur „Desertion“, aber eigentlich scheint mir „Desertation“ geläufiger zu sein.

Antwort

Guten Tag Frau E.,

wenn Fahnenflucht gemeint ist, ist Desertion sicher richtig. Das Wort kommt über das französische désertion vom lateinischen Substantiv desertio, das zum Verb deserere (verlassen, aufgeben, desertieren) gehört. Wir haben also indirekt ein Substantiv übernommen, dass bereits im Lateinischen abgeleitet wurde:

lat. deserere → desertio
→ frz. désertion → dt. Desertion

Die Form Desertation kommt gelegentlich auch vor. Diese Form ist eine Ableitung, die im Deutschen stattgefunden hat. In Analogie mit zum Beispiel dekorieren → Dekoration, imitieren → Imitation, stabilisieren → Stabilisation wird sozusagen „regelmäßig“ (-ieren → -ation) vom Verb desertieren das Substantiv Desertation abgeleitet:

dt. desertieren → Desertation

Was ist nun richtig, die alte lateinische oder die neue heimische Ableitung? – Beides ist vertretbar. Ein kurzer Blick ins Internet und in einige Textkorpora zeigt allerdings, dass Desertation viel weniger häufig vorkommt als Desertion. Auch im schweizerischen und im österreichischen Militärstrafgesetz ist von Desertion die Rede. (Das deutsche Wehrgesetz hilft uns hier nicht viel weiter, denn es kennt nur den Tatbestand der Fahnenflucht.) Ich würde deshalb empfehlen, die gebräuchlichere Variante Desertion zu verwenden.

Dem Begriff Desertation begegnet man gelegentlich auch in der Erdkunde. Dort wird er mit der Bedeutung Wüstenbildung verwendet. Gebräuchlicher ist allerdings auch dort ein anderes Wort, nämlich Desertifikation, womit in der Regel durch menschliches Handeln verursachte Wüstenbildung gemeint ist. Daneben gibt es auch die natürliche Wüstenbildung, die – um es so richtig schön komplex zu machen – manchmal Desertation oder Desertion genannt wird.

Als Nicht-Erdkundler ist es mir leider nicht gelungen, genau herauszufinden, wer welchen Begriff für welche Art der Wüstenbildung verwendet. Das ist hier auch nicht so wichtig, denn bei Ihrer Frage ging es ja um die Fahnenflucht, also die Desertion (o. Desertation), die man wohl in keinem Zusammenhang mit der Wüstenbildung verwechseln kann.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Sich auf, für oder zu etwas committen

Frage

Heißt es „sich auf etwas committen“ oder „sich zu etwas committen“? Ist beides möglich im Sinne von „sich auf etwas verständigen“ bzw. „sich zu etwas bekennen“?

Antwort

Guten Tag Frau K.,

nach zum Beispiel DWDS und PONS heißt es „sich zu etwas committen“. Das stimmt mit der Präposition überein, die auch bei den deutschen Entsprechungen „sich zu etwas verpflichten“ und „sich zu etwas bekennen“ steht. Verben aus anderen Sprachen übernehmen häufig die Konstruktion eines deutschen Verbs mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung. Das „zu“ kann aber auch eine direkte Übersetzung des „to“ im englischen „to commit to something“ sein.

In der freien Sprachwildbahn kommen allerdings auch die Formulierungen „sich auf etwas committen“ und „sich für etwas committen“ vor, dies vielleicht unter dem Einfluss von deutschen Konstruktionen wie „sich auf etwas festlegen“ bzw. „sich (bedingungslos) für etwas einsetzen“.

Der Gebrauch von „sich committen“ hat sich offensichtlich im Deutschen noch nicht stabilisiert. Das gilt nicht nur für die Präposition, mit der das Verb verwendet wird, sondern auch für seine Bedeutung. Nicht alle verwenden „sich committen“ mit der gleichen Bedeutung. Das kann einen Einfluss auf die Wahl der Präposition haben. Wirklich falsch ist also keine der Präpositionen. Wenn ich dieses Verb überhaupt verwenden würde*, wählte ich „sich zu etwas committen“, weil für mich „sich committen“ am nächsten bei „sich verpflichten“ steht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

* Ich halte es für unwahrscheinlich, dass ich dieses Verb je verwenden werde, aber ausschließen kann ich es natürlich nicht – und außerdem ist das eine Frage des Stils, nicht der Grammatik.

Rechtschreibfragen, wenn „on demand“ auf „Bibliothek“ trifft

Frage

Können Sie mir bei folgender Frage behilflich sein? Welche Variante ist korrekt:

1) On Demand Bibliothek
2) On-Demand-Bibliothek
3) On Demand-Bibliothek
4) gar keine?

Wo setzt man […] hier einen Bindestrich? Ich hätte jetzt auf die Variante 2) getippt, aber bin mir nicht ganz sicher.

Antwort

Guten Tag Frau B.,

die Frage nach den Bindestrichen ist schnell beantwortet: Zwischen allen Teilen der Zusammensetzung müssen Bindestriche gesetzt werden. Richtig ist dann tatsächlich die Variante 2), auf die Sie getippt haben:

On-Demand-Bibliothek

Eine andere Frage ist die Groß- und Kleinschreibung. Demand (Anfrage) wird hier großgeschrieben, weil es sich um ein Substantiv handelt. Substantive aus anderen Sprachen werden auch in Zusammensetzungen großgeschrieben (vgl. amtliche Rechtschreibregelung § 55(3)). Beispiele sind dort u. a. Desktop-Publishing und Full-Time-Job.

Ganz so einfach ist es aber leider nicht. In § 55(E2) der Regelung steht, dass Substantive aus fremden Sprachen ausnahmsweise kleingeschrieben werden, wenn sie Teil einer adverbialen Fügung sind, die als Ganzes ins Deutsche übernommen worden ist. Beispiele sind u. a. a cappella, in flagranti, à discrétion, de facto und – für unseren Fall hier wichtig – die Zusammensetzungen A-cappella-Chor und De-facto-Anerkennung. Die Kleinschreibung des Substantivs gilt also auch in Zusammensetzungen mit solchen Fügungen.

So klar die Regel klingt, so unklar bleibt manchmal, was genau als feste adverbiale Fügung gilt, die als Ganzes aus einer fremden Sprache entlehnt worden ist. Muss die Fügung in Wörterbüchern wie Duden, Wahrig, Pons, DWDS, LEO stehen und, wenn ja, in allen oder nur in einem? Sind zum Beispiel on demand (etwas on demand liefern), just in time (just in time produzieren) und business to business (business to business liefern) im Deutschen als feste Fügungen üblich oder nicht? Das ist je nach Ausdruck und Branche unterschiedlich und ich möchte diese Frage auch nicht weiter diskutieren. Es geht mir vor allem darum, dass es hier einen recht großen grauen Bereich gibt. Wenn man nämlich on demand als im Deutschen gebräuchliche Fügung annimmt, muss das d nicht nur in der adverbialen Fügung on demand, sondern auch in Zusammensetzungen kleingeschrieben werden:

On-demand-Bibliothek

Da feste Kriterien fehlen, sind beide Betrachtungsweisen möglich, das heißt, beide Schreibweisen können als korrekt gelten. Weitere Beispiele:

On-Demand-Lieferung / On-demand-Lieferung
On-Demand-Mobilität / On-demand-Mobilität

Ein weiteres Kriterium sollte man in Zweifelsfällen wie diesen nicht ganz außer Acht lassen: Was ist üblich(er), On-Demand-Xyz oder On-demand-Xyz? Die Schreibung mit großem D kommt viel häufiger vor. Sie scheint sich also in der  deutschen Schreibpraxis durchzusetzen.

Hier zeigt sich wieder einmal, dass die Sprache sich auch auf der Ebene der Rechtschreibung  nicht immer in einfache, alle Fälle abdeckende Regeln fassen lässt. Deshalb heißt es häufig wie hier: Beides kommt vor und beides ist vertretbar.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wie wird „Kritik“ ausgesprochen?

Frage

Ich wollte Sie fragen, wie man „Kritik“ richtig hochdeutsch ausspricht? Ich höre mehrere Varianten.  Sagt man „Krietiek“ oder „Krittick“ ? Zweimal langes i (wie in „die“) oder zweimal kurzes i (wie in „Insel“) oder sogar gemischt „Krietick“ – einmal langes i (wie in „die“) und dann kurzes (wie in „Insel“)?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

anders als bei der Rechtschreibung gibt es im Prinzip keine offizielle Aussprache des Deutschen. Es gibt aber einen allgemeinen Konsens, wie Wörter ausgesprochen werden. Diese Angaben finden Sie in den verschiedenen Wörterbüchern.

Für „Kritik“ geben die meisten Wörterbücher an, dass es auf der zweiten Silbe betont wird und dass das zweite i lang ist. „Kritik“ reimt sich also auf zum Beispiel „antik“ und „Freak“:

so antik ist die Kritik

In einigen Wörterbüchern wird auch eine Variante mit kurzem zweiten i angegeben. Dann reimt „Kritik“ sich auf „Blick“ oder „erschrick“:

ein Blick auf die Kritik

Viele Wörter, die auf betontes -ik enden, haben diese beiden Aussprachevarianten: Sie werden im Allgemeinen mit langem zweitem i gesprochen, aber die Aussprache mit mit kurzem zweitem i kommt (insbesondere in Österreich) auch vor. So können Wörter wie „Politik“, „Fabrik“, „Mathematik“ und „Physik” sich je nach Aussprache a) auf „Freak“ oder b) auf „Blick“ reimen:

a) ein Freak in der Politik/Fabrik/Mathematik/Physik
b) der Blick auf die Politik/Fabrik/Mathematik/Physik

Manchmal wird das Wort „Kritik“ auch auf der ersten Silbe betont: /Krittik/ (wie „mittig“) oder /Krietik/ (wie sonst nichts?). Die Erstbetonung gilt als nicht standardsprachlich, sie ist aber nicht ganz unverständlich. Auf -ik endende Wörter werden nämlich häufig auf der vorletzten Silbe betont: „Problematik“, „Linguistik“, „Grafik“, „Kinetik“, „Nautik“, all diese Wörter enden auf unbetontes -ik. Und dann gibt es noch „Kolik“, das gemäß den Angaben in den Wörterbüchern sowohl auf der ersten als auch auf der zweiten Silbe betont sein kann: „Kolik“ oder „Kolik“.

Fremdwörter, die auf -ik enden, machen es uns also bei der Aussprache nicht einfach. Woran das liegt, ist schwierig zu sagen. Es kann mit der Sprache, aus der wie sie übernommen haben (Französisch, Italienisch, Latein, Griechisch), oder mit dem Einfluss der entsprechenden Adjektive auf -isch zu tun haben. Eine einfache Ausspracheregel kann ich leider nicht anbieten. Entsprechend ist es auch nicht allzu erstaunlich, dass nicht alle ein Wort wie „Kritik“ immer gleich aussprechen. Wenn Sie „Kritik“ auf der zweiten Silbe betonen, liegen Sie aber standardsprachlich sicher richtig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der düpierte Wiedehopf: was „düpieren“ alles bedeuten kann

Heute fiel mein Auge auf die Überschrift „Lakers düpieren die Warriors“. Das Verb „düpieren“ ließ mich stutzen, denn das für mich eher etwas antiquierte Wort war mir in diesem Zusammenhang nicht geläufig. Mit „in diesem Zusammenhang“ ist gemeint, dass es sich um einen Artikel über ein Basketballspiel handelt, das die Los Angeles Lakers offensichtlich in überzeugender Weise von den Golden State Warriors gewonnen haben. Das erklärt eigentlich schon, warum mir das Wort so nicht bekannt war: Mein Interesse für Sport ist, gelinde gesagt, sehr unterentwickelt, so dass ich Sportbeilagen, Sportseiten und Sportgramme so schnell überblättere, wegklicke oder wegzappe, dass mir typische Begriffe der Sportsprache gar nicht geläufig sein können.

Was ließ mich genau stutzen? Für mich hatte „düpieren“ nur die Bedeutung „täuschen, hereinlegen, überlisten“, die auch zum Beispiel in Duden und DWDS zu finden ist.

Cyberkriminelle düpieren ihre Opfer mit Tierbabys.

Eine weitere Bedeutung von „düpieren“, die in einige Wörterbücher Eingang gefunden hat, ist „vor den Kopf stoßen, brüskieren“.

Der Präsident hat die Frau seines Amtskollegen mit sexistischen Bemerkungen düpiert.

Manchmal ist dabei gar nicht mehr deutlich, welche der beiden Bedeutungen gemeint ist:

Handel düpiert die Milchbauern

Hier ist ohne weitere Informationen nicht zu entscheiden, ob der Handel die Milchbauern übers Ohr haut oder vor den Kopf stößt (oder beides).

Bei der Verwendung von „düpieren“ im Sport muss ich raten, was genau gemeint ist. In vielen Fällen gewinnt anscheinend ein Team oder eine Person überzeugend und/oder unerwartet gegen andere, so dass die Verlierer eher schlecht aussehen.

Würzburger Kickers düpieren Hamburger SV

Ich vermute allerdings, dass „düpieren“ in Sportberichten manchmal auch einfach als Alternative zu „schlagen“ oder „besiegen“ verwendet wird, um ein bisschen Abwechslung in den Text zu bringen. Da ich aber, wie gesagt, ein Sportberichte meidender Sportmuffel bin, ist dies nicht mehr als eine unfundierte Annahme.

Das Wort „düpieren“ kommt übrigens vom französischen Verb „duper“ („betrügen, überlisten“), das von „dup(p)e“ abgeleitet ist, einem Wort aus der französischen Gauner- und Bettlersprache (Bedeutung: „wer [im Spiel] getäuscht oder betrogen wird, Narr“). Dieses „duppe“ geht über ein, zwei Ecken auf das lateinische Wort „upupa“ für Wiedehopf zurück – angeblich weil dieser Vogel so dumm aussieht.

Das Verb „düpieren“ wird heute also mit drei verschiedenen Bedeutungen verwendet. Gemeinsam ist diesen Bedeutung vielleicht, dass Düpierte dumm aussehen, ob sie nun betrogen, brüskiert oder besiegt worden sind.

Das „emotional safety model“ und die „clean water projects“ auf Deutsch

Frage

Ich übersetze gerade ein Buch, in dem der Autor ein „emotional safety model“ (seine Bezeichnung) vorstellt. Ein „emotionales Sicherheitsmodell“ […] ist m. E. ein Sicherheitsmodell, dessen Eigenschaft es ist, emotional zu sein […] Geht dann „Emotionale-Sicherheit-Modell“? Da befürchte ich dann aber, dass Leser versucht sein wird, das fehlende -s als Fehler meinerseits anzusehen. „Modell für emotionale Sicherheit“? – Auch nicht schön, aber mir gehen da die Optionen aus, denn der deutsche Begriff sollte auch nicht zu lang oder umständlich sein.

Antwort

Guten Tag Frau W.,

unter „emotionales Sicherheitsmodell“ verstehe auch ich ein emotionales Modell der Sicherheit und nicht ein Modell der emotionalen Sicherheit. Es ist also keine gelungene Übersetzung für „emotional safety model“. Zusammensetzungen wie „das Emotionale-Sicherheit[s]-Modell“ sind im Deutschen nicht oder kaum üblich. Ausnahmen sind zum Beispiel „Armesünderglocke“, „Armeleuteessen“, „Rote-Armee-Fraktion“, „Erste-Hilfe-Kurs“.

Meiner Meinung nach wählen Sie deshalb besser „Modell der emotionalen Sicherheit“ oder „Modell für emotionale Sicherheit“. Das ist nicht ganz so griffig kurz wie das englische Original, es entspricht aber einer gebräuchlichen Struktur. Vgl. zum Beispiel:

Taktik der verbrannten Erde – scorched earth policy
Theorie der großen Abweichungen – large deviations theory
Projekte für sauberes Trinkwasser – clean water projects

Zusammensetzungen dieser Art ([Adjektiv+Substantiv]+Substantiv) sind im Englischen einfach zu bilden, im Deutschen kommen sie nur mit Zahlwörtern und einigen Adjektiven ohne Endung regelmäßig vor:

Vierzimmerwohnung, Fünfprozentklausel
Vielvölkerstaat, Allradantrieb
Gelbrandkäfer, Rotschwanzbussard

In vielen anderen Fällen müssen wir auf umständlichere Formulierungen wie „Modell der emotionalen Sicherheit“ für „emotional security model“ ausweichen oder andere Konstruktionen wählen wie „Bürgerrechtsgesetz“ für „Civil Rights Act“ oder „lizenzfreie Bilder“ für „public domain pictures“. Auch meine Rolle als „linguistic problem solver“ ist auf gut Deutsch nicht „sprachlicher Problemlöser“ oder „Sprachliche-Probleme-Löser“, sondern „Löser sprachlicher Probleme“, „Sprachproblemlöser“ oder besser einfach „Sprachberater“. Auch auf dieser Ebene funktioniert die Methode der Eins-zu-eins-Übersetzung also sehr häufig nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wenn Viren mutieren: Mutationen und Mutanten

Ich darf zwar ein „Dr.“ vor meinem Namen führen, aber außer wie man mit Kamillentee, Paracetamol, Jod oder Alkohol und Pflastern umgeht, sind Krankheiten eindeutig nicht mein Fachgebiet. Ein solcher Doktor bin ich nicht. Mein Beitrag zum Thema Virus ist deshalb rein sprachlicher Natur, wie es sich für einen „Sprachdoktor“ gehört:

Frage

Vermehrt hört man jetzt nicht nur von Mutationen (des Virus) sondern auch von Mutanten. Letzteres hört sich in diesem Kontext falsch an. Was sagen Sie dazu?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

das zum Themenkreis „Pandemie“, „Lockdown“, „Schutzmaske“ und „Impfstoff“ gehörende Wort „Mutation“ bedeutet wörtlich „Veränderung“ und kommt in diesem Zusammenhang aus der Fachsprache der Biologie. Dort hat es eine viel engere Bedeutung: „Veränderung in den Erbanlagen eines Organismus“. Mit den englischen, brasilianischen oder südafrikanischen Mutationen sind genau genommen Mutationen oder eben Veränderungen am Erbgut des Covid-19-Virus gemeint, die in England, Brasilien bzw. Südafrika zum ersten Mal festgestellt wurden.

In den Medien, in Diskussionsprogrammen und an anderer Stelle sind manchmal nicht die Veränderungen an den Erbanlagen, sondern die veränderten Viren oder Virenstämme gemeint, wenn von zum Beispiel „den englischen Mutationen“ die Rede ist. Das ist – zumindest fachsprachlich – nicht ganz zutreffend, denn die mutierten, das heißt veränderten Organismen werden nicht „Mutationen“, sondern „Mutanten“ genannt. Bei der Einzahl hat man die Wahl zwischen „der Mutant” (Genitiv: „des Mutanten“) oder „die Mutante“.

Kurz zusammengefasst: Mutanten sind durch Mutation entstanden. Es ist also auch in diesem Kontext korrekt, von Mutanten zu sprechen – vorausgesetzt, man meint damit nicht die Veränderungen, sondern die veränderten Viren. Und wenn es nicht vorrangig um die Veränderungen an den Erbanlagen des Coronavirus geht, kann man auch einfach von den verschiedenen Varianten des Virus sprechen.

Ganz gleich ob Mutation, Mutant(e), Variation oder „Original“, passen Sie gut auf, dass das Virus Sie möglichst nicht erwischt!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Anglizismus des Jahres 2020

“Ereignisse” wie die Wahlen zum Wort des Jahres sind in der Regel kein Thema in diesem Blog. Wer gerne wissen möchte, welches die Wörter und Unwörter des vergangenen Jahres waren (auch wenn es schon wieder Februar ist!), findet sie für Deutschland, Österreich und die Schweiz in Wikipedia.

Nur auf den Anglizismus des Jahres weise ich gelegentlich hin:

(Wörterwolke von Anglizismus des Jahres)

Dieses Jahr hat ein Wort den Titel „Anglizismus des Jahres“ gewonnen, das ihn leider wirklich verdient:

Lockdown

Mehr Informationen zu dieser Wortwahl finden Sie auf der Seite Anglizismus des Jahres.