Mehrere solche(r) Berichte – Genitiv oder gleicher Fall?

Frage

Ist der folgende Satz korrekt?

Demnach konnte er sich auf mehrere solcher schriftlicher Berichte stützen.

Die Präposition „auf“ verlangt hier den Akkusativ, aber „solcher“ und „schriftlicher“ stehen im Genitiv. Müsste es nicht heißen: „Demnach konnte er sich auf mehrere solche schriftliche Berichte stützen“?

Antwort

Guten Tag Herr F.,

die einfache Antwort lautet: Beides ist hier möglich.

mehrere solche schriftliche Berichte
mehrere solcher schriftlicher Berichte
auch: mehrere solcher schriftlichen Berichte1

Komplizierter wird es, wenn man erklären möchte, warum das so ist.

Wenn auf mehrere direkt ein Adjektiv folgt, ist mehrere ein Artikelwort, das zur nachfolgenden Wortgruppe gehört. Artikelwort und Wortgruppe stehen im gleichen Fall:

Er ist mit mehreren guten Freunden verreist.
Der Text enthält mehrere kleine Fehler.
Er konnte sich auf mehrere schriftliche Berichte stützen.

Wenn nach mehrere eine Wortgruppe mit einem „eigenen“ Artikelwort folgt, ist mehrere ein Pronomen und die Wortgruppe steht im Genitiv:

Er ist mir mehreren seiner Freunde verreist.
Der Text enthält mehrere dieser kleinen Fehler.
Er konnte sich auch mehrere der genannten schriftlichen Berichte stützen.

Das „Problem“ bei solche ist, dass es sich nicht einfach einer Wortklasse zuordnen lässt. Es hat die Eigenschaften eines Adjektivs, aber auch die Eigenschaften eines Pronomens und Artikelwortes.

So kann solch- zum Beispiel wie ein Adjektiv nach unbestimmten Artikelwörtern wie ein, kein, einige, mehrere stehen:

ein solcher Freund
keine solchen Fehler
einige/mehrere solche Berichte

Anders als ein Adjektiv kann solch- aber nur nach unbestimmten Artikelwörtern stehen, also:

nicht: *der solche Freund
nicht: *meine solchen Fehler
nicht: *diese solchen Berichte

Dann verhält es sich also wie ein „gewöhnliches“ Artikelwort.

Je nachdem ob man solche nun a) als Adjektiv oder b) als Artikelwort empfindet, seht die Wortgruppe, die es einleitet a) im gleichen Fall wie das unbestimmte Artikelwort vor ihm oder b) im Genitiv:

a) mehrere solche schriftliche Berichte
b) mehrere solcher schriftlicher Berichte
b) auch: mehrere solcher schriftlichen Berichte1

Ich ziehe hier die Übereinstimmung im Kasus vor, aber der Genitiv kommt ebenfalls häufig vor.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Zur Deklination des Adjektivs nach solch- siehe Kommentare.

Das Wohlergehen eines Knirpses wie mir / wie meiner / wie ich?

Frage

Ich hätte wieder einmal eine (zumindest für mich grad sehr) knifflige Frage. Der Satz lautet:

Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen eines Knirpses wie mir interessierte.

Hier tönt „wie mir“ für mich seltsam, aber „wie ich“ irgendwie auch. Was ist richtig?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

Die Frage ist nicht nur für Sie knifflig, sie tauch immer wieder auf. Auch ich habe keine einfache Antwort, die ich mit voller Überzeugung präsentieren kann.

In Formulierungen dieser Art kommt der Dativ wie mir zwar vor und er klingt auch gar nicht so falsch, aber er gilt hier standardsprachlich als nicht korrekt. In einer wie-Gruppe wie dieser gilt im Prinzip die Übereinstimmung im Kasus:

ein Knirps wie der kleine Schlingel
einen Knirps wie den kleinen Schlingel
einem Knirps wie dem kleinen Schlingel
eines Knirpses wie des kleinen Schlingels

ein Knirps wie ich/du/er/sie
einen Knirps wie mich/dich/ihn/sie
einem Knirps wie mir/dir/ihm/ihr

Und wie steht es in der zweiten Beispielgruppe mit dem Genitiv? – Wenn die wie-Gruppe sich auf ein Genitivattribut bezieht und kein Artikelwort enthält, steht sie im Nominativ, nicht im Genitiv. Das ist u. a. bei Eigennamen und Pronomen der Fall:

das Leben eines Knirpses wie ich (nicht: wie meiner, wie mir)

das Leben eines Bengels wie du (nicht: wie deiner, wie dir)
das Leben eines Mannes wie er (nicht: wie seiner, wie ihm)
das Leben einer Frau wie sie (nicht: wie ihrer, wie ihr)

das Leben eines Knirpses wie Leon (nicht: wie Leons)
das Leben einer Politikerin wie Thatcher (nicht: wie Thatchers)

Demnach muss es ist hier also heißen:

Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen eines Knirpses wie ich interessierte.

Das klingt tatsächlich ein bisschen ungewohnt. Wenn Sie das „stört“, können Sie auf eine andere Formulierung ausweichen (das würde ich auch tun). Je nachdem was genau gemeint ist, ginge zum Beispiel:

Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen eines Knirpses, wie ich es war, interessierte.
Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen des Knirpses, der ich war, interessierte.

Manche Fragen übersteigen auch das Sprachgefühl eines Linguisten wie ich – oder eben eines Linguisten, wie ich es bin.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Warum „eines deren Produkte“ falsch klingt

Frage

Es geht um diesen Satz:

Ich wollte eine Nachricht an die Hersteller schreiben mit einem Hinweis bezüglich eines deren Produkte.

Das „bezüglich eines deren Produkte“ klingt für mich irgendwie falsch, aber ich weiß auch nicht, wie es anders heißen könnte. Es geht mir speziell um das „deren“. […]

Antwort

Guten Tag Herr V.,

die Formulierung bezüglich eines deren Produkte ist tatsächlich problematisch. Die „Schuldige“ ist die Genitivregel. Das ist keine Grammatikregel, die uns von Grammatikbüchern vorgeschrieben und an Schulen beigebracht wird, sondern eine Erklärung dafür, warum gewisse Formulierungen nicht möglich oder nicht üblich sind.

Diese Genitivregel sagt unter anderem, dass eine Wortgruppe nur dann im Genitiv stehen kann, wenn sie mindestens ein Wort mit der Genitivendung (e)s oder er enthält. Das ist bei der Wortgruppe deren Produkte nicht der Fall.

Wie steht es dann mit eines und seiner Genitivendung es? – Das Pronomen eines gehört nicht direkt zur Wortgruppe deren Produkte. Es ist hier nämlich kein Artikelwort, sondern ein Pronomen, das durch ein Attribut näher bestimmt wird. Dieses Attribut kann nicht „deren Produkte“ sein, weil es eine Genitivattribut sein müsste, also eine Wortgruppe im Genitiv. Das ist aber wegen der oben genannten Genitivregel nicht möglich.

Dies ist eine recht komplizierte (aber noch nicht wirklich vollständige) Darstellung, die zeigt, weshalb die Formulierung bezüglich eines deren Produkte Ihnen zu Recht falsch vorkommt. Wortgruppen mit vorangestelltem deren und dessen, die kein anderes Wort mit der Genitivendung (e)s oder er enthalten, können/sollten nicht im Genitiv stehen:

nicht: nach dem Tod deren Nachfolgerin
nicht: mit Hilfe dessen Brüder

Nicht möglich/üblich ist entsprechend:

nicht: mit einem Hinweis bezüglich eines deren Produkte
nicht: mit einem Hinweis zu einem deren Produkte

Möglich wird die Formulierung zum Beispiel dann, wenn man deren durch ein Possessiv mit der Genitivendung er ersetzt:

mit einem Hinweis bezüglich eines ihrer Produkte
mit einem Hinweis zu einem ihrer Produkte

Oder man weicht auf eine Formulierung mit „von“ aus:

mit einem Hinweis bezüglich eines von deren Produkten
mit einem Hinweis zu einem von deren Produkten

Ich hoffe dass der Fragesteller findet, dass eine seiner Fragen oder eine von seinen Fragen (aber nicht *eine dessen Fragen) so zufriedenstellend beantwortet wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Auch standardsprachlich passt oft ein »von« statt des Genitivs

Frage

Ich habe eine Frage zu folgendem Satz:

Er hatte einer Bemerkung von(?) Elisabeths Kollegen entnommen, dass seine Frau …

oder nur:

Er hatte einer Bemerkung Elisabeths Kollegen entnommen, dass seine Frau …

Letzteres klingt irgendwie falsch. Umgangssprachlich ist „von Elisabeths Kollegen“ heute sicher ok, aber in der Schriftsprache? Natürlich könnte ich auch „der Kollegen Elisabeths“ schreiben, aber vielleicht würden viele das heute als altmodisch und geschwollen ansehen.

Antwort

Guten Tag Frau G.,

Sie können hier am besten Ihrem Sprachempfinden folgen. Formulierungen mit von anstelle des Genitivs sind nämlich lange nicht immer nur umgangssprachlich.

Nicht möglich ist diese Formulierung:

NICHT: eine Bemerkung Elisabeths Kollegen

Eine Substantivgruppe kann u. a. nur dann im Genitiv stehen, wenn sie mindestens ein gebeugtes Artikelwort oder Adjektiv enthält (Teil der Genitivregel).

die Reparatur der Fahrräder
NICHT:
die Reparatur Fahrräder

der Preis natürlichen Mineralwassers
NICHT: der Preis Mineralwassers

Auch die Substantivgruppe Elisabeths Kollegen enthält kein Artikelwort oder Adjektiv. Man weicht in solchen Fällen auch in der Standardsprache häufig auf eine Formulierung mit von aus:

die Reparatur von Fahrrädern
der Preis von Mineralwasser

Entsprechend auch:

eine Bemerkung von Elisabeths Kollegen

Bei dieser Formulierung ist allerdings nicht deutlich, ob es um eine Bemerkung eines Kollegen oder um eine Bemerkung mehrerer Kollegen geht.

Ihr weiterer Vorschlag ist möglich, weil die Substantivgruppe ein gebeugtes Artikelwort enthält:

eine Bemerkung der Kollegen Elisabeths

Es ist klar, dass es sich um mehrere Kollegen handelt. Es klingt aber tatsächlich ein bisschen gehoben.

Sie haben also vorerst zwei Möglichkeiten:

Er hatte einer Bemerkung von Elisabeths Kollegen entnommen … (nicht eindeutig)

Er hatte einer Bemerkung der Kollegen Elisabeths entnommen … (vielleicht ein bisschen gehoben/veraltend)

Damit sind wir aber noch nicht am Ende unserer Möglichkeiten. Es gibt noch weitere Formulierungen, die eindeutig und auch standardsprachlich vertretbar sind:

Er hatte einer Bemerkung der Kollegen von Elisabeth entnommen …

Er hatte einer Bemerkung von Elisabeths Mitarbeitern entnommen …

Nicht jede Wortgruppe mit von, die anstelle eines Genitivs steht, ist umgangssprachlich. Siehe auch hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Warum es zu unser aller Bestem und nicht zu unser aller Besten ist

Frage

Eine Freundin und ich sind uns unsicher, wie es richtig heißen muss: „Das ist zu unser aller Bestem“ oder „Das ist zu unser aller Besten“? Unser Tipp ist, dass „unser aller Bestem“ korrekt ist, da man hier ja […] den Dativ verwendet.

Antwort

Guten Tag Herr U.,

richtig ist hier tatsächlich:

zu unser aller Bestem

Ein (substantiviertes) Adjektiv wird schwach gebeugt, wenn ein Artikelwort vor ihm steht, dessen Endung den Fall schon angibt:

das Beste für uns alle
zum (= zu dem) Besten der Kinder
zu unserem Besten

Ein (substantiviertes) Adjektiv wird stark gebeugt, wenn kein Artikelwort vor ihm steht, dessen Endung den Fall schon angibt:

nichts Bestes
für dein Bestes
zu Susannes Bestem

Das bringt uns zum Unterschied zwischen zu unserem Besten und zu unser aller Bestem:

Im Gegensatz zu unserem ist die Wendung unser aller kein Possessivartikel. Es ist der Genitiv von wir alle:

Nom.: wir alle
Akk.: uns alle
Dat.: uns allen
Gen.: unser aller

Als solches ist es ein Genitivattribut zum substantivierten Adjektiv Bestes:

zu wessen Bestem?
zum Besten aller
zum Besten unser aller

Wenn ein Genitivattribut vorangestellt wird, fällt der Artikel weg (hier: zum → zu). Es steht dann kein gebeugtes Artikelwort mehr vor dem substantivierten Adjektiv, so dass die starken Endungen zum Zug kommen:

unser aller Bestes
für unser aller Bestes

Also auch im Dativ:

zu unser aller Bestem

wie zum Beispiel auch:

zu Susannes Bestem
zu Herrn U.s Bestem

Mehr zu unser aller und unser beider finden Sie in diesem (nicht mehr ganz taufrischen) Blogartikel.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Genitiv oder „von“: „der Vorteil des“ oder „der Vorteil von“?

Frage

Heißt es „Vorteil/Nachteil vom Konsum“ oder „Vorteil/Nachteil des Konsums“?

Antwort

Guten Tag Frau L.,

„Genitiv oder von?“, eine Frage, die häufiger gestellt wird. Manchmal ist sie sogar Anlass zu gemütlichen bis erbitterten Diskussionen. Was man wählt, ist auch eine Frage des Stils, aber in diesem Fall ist es in der Standardsprache relativ einfach zu bestimmen, was die bessere Lösung ist.

Standardsprachlich richtig ist in Ihrem Beispiel wahrscheinlich der Genitiv (ohne Kontext ist schwierig zu sagen, was genau gemeint ist):

Vorteil/Nachteil des Konsums

Wenn eine Nomengruppe mit einem Artikel oder Artikelwort steht, sollte sie als Attribut (= nähere Bestimmung eines anderen Wortes) im Genitiv stehen. Die Verwendung von „von“ gilt hier als umgangssprachlich.

Mit Artikel → nur Genitiv:

die Filterung des Trinkwassers (nicht: vom Trinkwasser)
der Kauf eines elektrischen Fahrrades
die Wohnung meiner Freunde
der Vorteil des Konsums

Diese „Grundregel“ führt manchmal zur Behauptung, dass hier immer der Genitiv stehen müsse und die Verwendung von von grundsätzlich zu vermeiden sei. Das stimmt so nicht. Wenn ein Substantiv kein gebeugtes Artikelwort und kein gebeugtes Adjektiv bei sich hat, wird es auch standardsprachlich mit von angefügt.

Ohne Artikel und ohne Adjektiv → nur von:

die Filterung von Trinkwasser (nicht: Trinkwassers)
der Kauf von Fahrrädern
die Wohnung von Freunden
der Vorteil von Konsum und Luxus

Eine Ausnahme sind hier artikellose Eigennamen. Sie stehen häufiger im Genitiv:

Schillers Dramen / die Dramen Schillers / die Dramen von Schiller
Europas Wälder / die Wälder Europas / die Wälder von Europa

Dazwischen stehen artikellose Substantive, die von einem gebeugten Adjektiv begleitet werden. Sie können im Genitiv oder mit von stehen. Beides gilt als korrekt, auch wenn strengere Grammatiker und Grammatikerinnen hier den Genitiv vorziehen.

Ohne Artikel, mit Adjektiv → Genitiv oder von:

die Filterung reinen Trinkwassers / von reinem Trinkwasser
der Kauf elektrischer Fahrräder / von elektrischen Fahrrädern
die Wohnung guter Freunde / die Wohnung von guten Freunden
der Vorteil mäßigen Konsums / von mäßigem Konsum

Ob Konsum als Attribut im Genitiv steht oder mit von angefügt wird, hängt also von seinen Begleitern ab:

der Vorteil des Konsums
der Vorteil von Konsum
der Vorteil mäßigen Konsums / von mäßigem Konsum

Wirklich einfach ist es nicht, aber verglichen mit anderen Genitivfragen im Deutschen ist es relativ übersichtlich. Die entsprechenden Angaben finden Sie auch auf dieser Seite in der LEO-Grammatik.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wieder einmal die als-Gruppen und der Genitiv: die Entlarvung des Butlers als der/des Mörder(s) der Gräfin

Frage

Beim Lesen eines älteren Buches bin ich auf folgenden Satz gestoßen:

Die Abgrenzung und Erforschung dieses Sondergebietes […] hat zu einer Entdeckung geführt, die der wissenschaftlichen Medizin äußerst unbequem war, nämlich zur Entdeckung der Seele als eines […] krankheitserregenden Faktors.

Meine Unklarheit betrifft vor allem den letzten Teil des Satzes: „zur Entdeckung der Seele als eines krankheitserregenden Faktors“. […] Mir ist nicht klar, weshalb die Wortgruppe nach „als“ im Genitiv steht. […] Gibt es dazu eine Grammatikregel?

Außerdem glaube ich, dass man in heutigem Deutsch diese Kasuskongruenz so gar nicht vorgenommen hätte. Ich wüsste gar nicht, wie man den Satz grammatikalisch korrekt in modernem Deutsch verfassen würde. Ich glaube jedoch in etwa so:

Die Abgrenzung und Erforschung dieses Sondergebietes […] hat zu einer Entdeckung geführt, die der wissenschaftlichen Medizin äußerst unbequem war, nämlich zur Entdeckung der Seele als ein […] krankheitserregender Faktor.

Zusammengefasst möchte ich also wissen:

  1. Warum ist die Angleichung im Genitiv und gibt es dazu Regeln/Erläuterungen?
  2. Wie würde man den Satz in heutigem Deutsch schreiben?

Antwort

Guten Tag Herr H.,

die als-Gruppen oder als-Attribute haben es in sich. Im Prinzip stehen sie im gleichen Fall wie ihr Bezugswort, aber zu dieser „Grundregel“ gibt es viele Ausnahmen. Das ist der Grund dafür, dass die meisten von uns bei solchen Formulierungen hin und wieder unsicher werden, insbesondere dann, wenn wir anfangen, genauer darüber nachzudenken. Für Ihren Fall gilt Folgendes:

Eine als-Gruppe, die sich auf ein Genitivattribut bezieht, steht nach der genannten Grundregel ebenfalls im Genitiv, wenn sie ein Artikelwort enthält. Hier bezieht sich die als-Gruppe auf das Genitivattribut „der Seele“ und enthält einen unbestimmten Artikel. Man kann also wie folgt formulieren:

… zur Entdeckung der Seele als eines krankheitserregenden Faktors

Und nun zur Ausnahme: Wenn sich die als-Gruppe auch auf das Wort beziehen kann, das dem Genitivattribut übergeordnet ist (hier „Entdeckung“), kann sie auch im Nominativ stehen:

… zur Entdeckung der Seele als ein krankheitserregender Faktor

Vgl.

… zu deren/ihrer Entdeckung als ein krankheitserregender Faktor

Es folgen noch zwei weitere Beispiele.

  • Mit Angleichung an das Genitivattribut:

die Entlarvung des Butlers als des hinterlistigen Mörders der Gräfin
die Rolle Indiens als eines bedeutenden Handelspartners

  • Mit Bezug auf das übergeordnete Substantiv:

die Entlarvung des Butlers als der hinterlistige Mörder der Gräfin
die Rolle Indiens als ein bedeutender Handelspartner

Ich vermute, dass hier im heutigen Deutsch der Nominativ häufiger vorkommt, ich verfüge aber über keine genaueren Angaben dazu. Wie dem auch sei, beide Formulierungsarten gelten als korrekt.

Weitere Angaben zu diesem Thema finden Sie auf dieser Grammatikseite.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

„Ein Becher edler Weisheit“ – Die Bedeutung des Genitivs

Frage

Meine Frage bezieht sich auf den Genitivus Qualitatis, der, so der Duden, eine Eigenschaft oder Beschaffenheit des im Bezugswort Genannten bezeichnet. Auf das Problem gestoßen bin ich bei der Übersetzung des Satzteils „A cup of noble wisdom“ mit „ein Becher edler Weisheit“. Diese Übersetzung lehnt sich an bekannte Beispiele dieses Genitivus an, z. B. „ein Glas köstlichen Weins“ usw.

Das Problem ist nun folgendes: Im Fall von Behältnissen wie „Glas“, „Becher“, „Tasse“ o. ä. muss ja der Unterschied kenntlich gemacht werden zwischen dem Inhalt und der Eigenschaft bzw. Beschaffenheit des Gefäßes. Ein Becher reinen Goldes bezeichnet laut obiger Dudendefinition eben nicht einen Becher angefüllt mit reinem Gold, sondern einen Becher aus reinem Gold.

Auf obige Übersetzung bezogen eröffnet sich nun die Bredouille: Ist schon der englische Satz falsch (oder zumindest zweideutig) oder nur die deutsche Übersetzung, und falls Letzteres der Fall ist, wären dann auch gängige Sätze wie „ein Glas köstlichen Weins“ oder „eine Flasche reinsten Wassers“ falsch?

Antwort

Guten Tag Herr S.,

alle Formulierungen, um die es in Ihrer Frage geht, sind korrekt. Das liegt daran, dass der Genitiv mehr als eine Funktion haben kann.

Mit Genitivattributen können sehr verschiedene Verhältnisse ausgedrückt werden. Es ist deshalb nicht immer eindeutig, welche Art des Verhältnisses gemeint ist. In der Regel ergibt sich aus der Wortbedeutung und dem weiteren Kontext, was genau gesagt wird. Hier ein paar Beispiele, in denen ohne Kontext nicht klar ist, was genau ausgedrückt werden soll:

die Beschreibung des Angeklagten
= die Beschreibung durch den Angeklagten (Genitivus subiectivus)
= der Angeklagte wird beschrieben (Genitivus obiectivus)

das Foto meiner Schwester
= meine Schwester hat das Foto gemacht (Genitivus Auctoris)
= das Foto gehört meiner Schwester (Genitivus possessivus)
= meine Schwester ist auf dem Foto abgebildet

eine Kiste edlen Holzes*
= eine Kiste gefüllt mit edlem Holz (Genitivus partitivus)
= eine Kiste aus edlem Holz (Genitivus Qualitatis)

Bei Ihrem Beispiel „ein Becher reinen Goldes“ ist es sehr wahrscheinlich, dass es sich um einen Becher aus reinem Gold handelt und nicht um einen Becher voll (flüssigen?) reinen Goldes:

ein Becher reinen Goldes* (= Genitivus Qualitatis)
= ein Becher aus reinem Gold

Bei „ein Glas köstlichen Weines“ hingegen ergibt sich aus der Bedeutung der Wörter, dass es sich nicht um ein Glas aus köstlichem Wein, sondern um ein Glas voll köstlichen Weines handeln muss:

ein Glas köstlichen Weins* (= Genitivus partitivus)
= ein Glass gefüllt mit köstlichem Weins; ein Glas köstlicher Wein

Bei Gefäßen kann ein Genitivattribut also (unter anderem) die Beschaffenheit, aber auch den Inhalt angeben. In der Regel ergibt sich wie bei zum Beispiel „Becher–Gold“ und „Glas–Wein“ aus der Wortbedeutung, was gemeint ist. Wenn dem nicht so ist und auch der weitere Kontext keine Klarheit schafft, sollte umformuliert werden: „eine Kiste gefüllt mit edlem Holz“ bzw. „eine Kiste aus edlem Holz“.

Bei „a cup of noble wisdom“ und „ein Becher edler Weisheit“ ist es wegen der übertragenen Bedeutung weniger sicher, dass es sich um einen Becher voll edler Weisheit (Genitivus partitivus) handelt. Es könnte sich auch um einen Becher aus edler Weisheit (Genitivus Qualitatis) handeln. Aber selbst oder gerade wenn sich aus dem weiteren Kontext nicht erschließt, was genau gemeint ist, können Sie Ihre Übersetzung so stehen lassen – die gleiche Unsicherheit besteht ja auch bei „a cup of noble wisdom“.
Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

* Heute wird hier außer in poetischer oder gehobener Sprache anders formuliert:

eine Kiste edles Holz (statt: eine Kiste edlen Holzes)
ein Glas köstlicher Wein (statt: ein Glas köstlichen Weins)
eine Kiste aus edlem Holz (statt: eine Kiste edlen Holzes)
ein Becher aus reinem Gold (statt: ein Becher reinen Goldes)

———–

Möge auf das Jahr der Pandemie ein Jahr der Wiederaufnahme des „normalen“ Lebens folgen! Ich wünsche ein gutes, glückliches und gesundes neues Jahr!

Am Beispiel Nigeria, Nigerias oder von Nigeria?

Frage

Welche der folgenden drei Varianten empfehlen Sie? Sind alle korrekt?

Der Text gibt den Schülern am Beispiel Nigeria einen Einblick in …
Der Text gibt den Schülern am Beispiel Nigerias einen Einblick in …
Der Text gibt den Schülern am Beispiel von Nigeria einen Einblick in …

Antwort

Guten Tag Herr T.,

die Formulierungen sind alle korrekt:

a) am Beispiel Nigeria
b) am Beispiel Nigerias
c) am Beispiel von Nigeria

Diese Variantenvielfalt ist darauf zurückzuführen, dass „Nigeria“ und „Beispiel“ hier in unterschiedlichen Verhältnissen zueinander stehen können.

In a) ist „Nigeria“ eine enge Apposition zu „Beispiel“. Weitere Beispiele für enge Appositionen sind:

mein Onkel Anton, die Opernsängerin Cecilia Bartoli, die Stadt Frankfurt, der Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“, das Thema Rechtschreibung, das Beispiel Österreich, am Beispiel Schweiz

In b) ist „Nigeria“ ein Genitivattribut zu „Beispiel“. Weitere Beispiele:

der Garten meines Onkels, Cecilia Bartolis Erfolge, der Bürgermeister Frankfurts, das Thema der Rechtschreibung, das Beispiel Österreichs, am Beispiel der Schweiz

In c) steht „Nigeria“ in einer von-Gruppe, die statt des Genitivattributs verwendet wird. Der Ersatz des Genitivattributs durch eine von-Gruppe ist hier (bei einem Eigennamen ohne Artikel) auch standardsprachlich akzeptiert. Weitere Beispiele:

der Garten von Onkel Anton, die Basis von Cecilia Bartolis Erfolgen, im Zentrum von Frankfurt, das Thema von Márquez’ „Hundert Jahre Einsamkeit“, das Beispiel von Österreich [standardsprachlich nicht: am Beispiel von der Schweiz]

Ich halte keine der drei Varianten für besser als die anderen. Wer unter der Leserschaft Genitiv-Fans vermutet und diesen entgegenkommen will, wählt b) “am Beispiel Nigerias”. Ansonsten nehmen Sie, was Ihnen jeweils am besten zusagt oder zuerst aus der Tastatur fließt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Eine ähnliche Frage gab es kürzlich schon einmal im Blog; siehe hier.

Eine Art großes Fragezeichen, eine Art von großem Fragezeichen oder eine Art großen Fragezeichens?

Frage

Was ist korrekt, bitte?

Wird hier Isaak zu einer Art jüdischem Erlöser?
Wird hier Isaak zu einer Art jüdischer Erlöser?
Wird hier Isaak zu einer Art jüdischen Erlösers?

Ihre Auskunft wäre sehr hilfreich für mich.

Antwort

Die Frage kann tatsächlich zu Zweifeln führen. Es gibt nach „eine Art“ nämlich nicht nur eine, sondern bis zu drei Möglichkeiten, eine Substantivgruppe anzuschließen:

a) eine Art + Apposition mit Kasusangleichung

Das Substantiv steht im gleichen Fall wie „Art“:

Nominativ und Akkusativ
eine Art Kuchen
eine Art Verwicklungen
eine Art süßer Kuchen
eine Art politische Verwicklungen
Dativ
mit einer Art Kuchen
mit einer Art Verwicklungen
mit einer Art süßem Kuchen
mit einer Art politischen Verwicklungen
Genitiv
das Rezept einer Art süßen Kuchens
das Opfer einer Art politischer Verwicklungen

b) eine Art + von …

Auch standardsprachlich immer möglich:

Nominativ und Akkusativ
eine Art von (süßem) Kuchen
eine Art von (politischen) Verwicklungen
Dativ
mit einer Art von (süßem) Kuchen
mit einer Art von (politischen) Verwicklungen
Genitiv
das Rezept einer Art von (süßem) Kuchen
das Opfer einer Art von (politischen) Verwicklungen

c) eine Art + Genitiv

Das Substantiv steht im Genitiv:

Nominativ und Akkusativ
eine Art süßen Kuchens (selten)
eine Art politischer Verwicklungen
Dativ
mit einer Art süßen Kuchens (selten)
mit einer Art politischer Verwicklungen
Genitiv
das Rezept einer Art süßen Kuchens
das Opfer einer Art politischer Verwicklungen

Diese Formulierung kommt nur selten vor und klingt gehoben, wenn eine Substantivgruppe im Singular steht. Sie kommt gar nicht vor, wenn das Substantiv allein steht. Man weicht dann in der Regel auf eine der beiden anderen Formulierungen aus:

nicht c)
*eine Art Kuchens
mit *einer Art Kuchens
das Rezept *einer Art Kuchens
sondern a) oder b)
eine Art Kuchen / eine Art von Kuchen
mit einer Art Kuchen / mit einer Art von Kuchen
– / das Rezept einer Art von Kuchen


So viel zu dem, was alles möglich ist. Was bedeutet dies für Ihr Beispiel? – Es gibt die oben genannten drei Möglichkeiten:

a) Wird hier Isaak zu einer Art jüdischem Erlöser?
b) Wird hier Isaak zu einer Art von jüdischem Erlöser?
c) Wird hier Isaak zu einer Art jüdischen Erlösers? (selten, gehoben)

Die Präposition „zu“ verlangt oben den Dativ „einer Art“. Ohne „zu“ steht „eine Art“ im Nominativ:

a) Wird hier Isaak eine Art jüdischer Erlöser?
b) Wird hier Isaak eine Art von jüdischem Erlöser?
c) Wird hier Isaak eine Art jüdischen Erlösers? (selten, gehoben)

Bei so vielen Möglichkeiten können die Formen schon einmal durcheinandergeraten, so dass man gar nicht mehr weiß, was eigentlich richtig ist. Dann hilft nur: sich zurücklehnen, dreimal tief durchatmen, die Textstelle überspringen und es später noch einmal versuchen – und wenn Sie dann immer noch eine Art großes Fragezeichen oder eine Art von großem Fragezeichen vor sich haben, einfach „Fragen Sie Dr. Bopp!“ konsultieren.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp