Aufgrund einer Erkältung oder etwas Ähnlichem?

Frage

Ich bin unsicher, welcher  Kasus in diesem Satz bei „etwas Ähnliches“ verwendet wird:

Das Kind fühlt sich sich aufgrund einer Erkältung oder etwas Ähnlichem unwohl.

Spontan würde ich hier den Dativ „etwas Ähnlichem“ für richtig halten. Müsste aber nicht der Genitiv stehen, weil Grippe ja auch Genitiv ist?

Das Kind fühlt sich sich aufgrund einer Erkältung oder etwas Ähnlichen unwohl.

Was ist hier richtig?

Antwort

Guten Tag Herr S.,

der zweite Satz ist nicht möglich. Wir stoßen hier wieder einmal an die Grenzen dessen, was im Deutschen mit dem Genitiv möglich ist. Im Genitiv kann nämlich nicht etwas Ähnlichen stehen. Als Begründung kann hier diese „Genitivregel“ genannt werden:

Eine Nominalgruppe kann nur dann im Genitiv stehen, wenn sie von einem gebeugten Artikelwort oder Adjektiv begleitet wird und mindestens ein Wort mit der Genitivendung er oder (e)s enthält (Ausnahmen: u. A. Eigennamen).

Die Wortgruppe etwas Ähnlichen enthält kein Wort mit einer Genitivendung er oder (e)s. Die Formulierung aufgrund etwas Ähnlichen ist deshalb nicht möglich.

Der erste Satz ist – zumindest standardsprachlich – auch nicht zu empfehlen, weil aufgrund den Genitiv oder eine von-Gruppe verlangt. Die von-Gruppe steht dann, wenn der Genitiv nicht möglich bzw. nicht ersichtlich ist.

mit Genitiv: aufgrund einer Krankheit
mit von-Gruppe: aufgrund von etwas Ähnlichem

Für Ihren Beispielsatz müssen Sie also auf eine andere Formulierung ausweichen. Am einfachsten ist es, einfach von zu ergänzen:

Das Kind fühlt sich sich aufgrund einer Erkältung oder von etwas Ähnlichem unwohl.
Das Kind fühlt sich sich aufgrund von einer Erkältung oder etwas Ähnlichem unwohl.
Das Kind fühlt sich sich aufgrund von Erkältung oder etwas Ähnlichem unwohl.

Da dies nicht immer zu stilistischen Meisterwerken führt, kann es oft auch helfen, ganz anders zu formulieren:

Das Kind fühlt sich unwohl, weil es eine Erkältung oder etwas Ähnliches hat.

Noch ein Beispiel, wie man besser nicht formuliert:

nicht: die Verlosung eines Geschenks oder etwas Ähnlichem

Sondern:

die Verlosung eines Geschenks oder von etwas Ähnlichem
die Verlosung von einem Geschenk oder etwas Ähnlichem
verlosen wir ein Geschenk oder etwas Ähnliches
wird ein Geschenk oder etwas Ähnliches verlost

Natürlich ist oder etwas Ähnlichem nicht immer falsch. Es kann oder muss stehen, wenn die Konstruktion den Dativ verlangt:

an einer Erkältung oder etwas Ähnlichem leiden
den Nagel mit einem Hammer oder etwas Ähnlichem einschlagen
Sie standen vor einem Eisentor oder etwas Ähnlichem.

Mit freundlichen Grüßen (oder etwas Ähnlichem)

Dr. Bopp

Warum „eines deren Produkte“ falsch klingt

Frage

Es geht um diesen Satz:

Ich wollte eine Nachricht an die Hersteller schreiben mit einem Hinweis bezüglich eines deren Produkte.

Das „bezüglich eines deren Produkte“ klingt für mich irgendwie falsch, aber ich weiß auch nicht, wie es anders heißen könnte. Es geht mir speziell um das „deren“. […]

Antwort

Guten Tag Herr V.,

die Formulierung bezüglich eines deren Produkte ist tatsächlich problematisch. Die „Schuldige“ ist die Genitivregel. Das ist keine Grammatikregel, die uns von Grammatikbüchern vorgeschrieben und an Schulen beigebracht wird, sondern eine Erklärung dafür, warum gewisse Formulierungen nicht möglich oder nicht üblich sind.

Diese Genitivregel sagt unter anderem, dass eine Wortgruppe nur dann im Genitiv stehen kann, wenn sie mindestens ein Wort mit der Genitivendung (e)s oder er enthält. Das ist bei der Wortgruppe deren Produkte nicht der Fall.

Wie steht es dann mit eines und seiner Genitivendung es? – Das Pronomen eines gehört nicht direkt zur Wortgruppe deren Produkte. Es ist hier nämlich kein Artikelwort, sondern ein Pronomen, das durch ein Attribut näher bestimmt wird. Dieses Attribut kann nicht „deren Produkte“ sein, weil es eine Genitivattribut sein müsste, also eine Wortgruppe im Genitiv. Das ist aber wegen der oben genannten Genitivregel nicht möglich.

Dies ist eine recht komplizierte (aber noch nicht wirklich vollständige) Darstellung, die zeigt, weshalb die Formulierung bezüglich eines deren Produkte Ihnen zu Recht falsch vorkommt. Wortgruppen mit vorangestelltem deren und dessen, die kein anderes Wort mit der Genitivendung (e)s oder er enthalten, können/sollten nicht im Genitiv stehen:

nicht: nach dem Tod deren Nachfolgerin
nicht: mit Hilfe dessen Brüder

Nicht möglich/üblich ist entsprechend:

nicht: mit einem Hinweis bezüglich eines deren Produkte
nicht: mit einem Hinweis zu einem deren Produkte

Möglich wird die Formulierung zum Beispiel dann, wenn man deren durch ein Possessiv mit der Genitivendung er ersetzt:

mit einem Hinweis bezüglich eines ihrer Produkte
mit einem Hinweis zu einem ihrer Produkte

Oder man weicht auf eine Formulierung mit „von“ aus:

mit einem Hinweis bezüglich eines von deren Produkten
mit einem Hinweis zu einem von deren Produkten

Ich hoffe dass der Fragesteller findet, dass eine seiner Fragen oder eine von seinen Fragen (aber nicht *eine dessen Fragen) so zufriedenstellend beantwortet wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Auch standardsprachlich passt oft ein »von« statt des Genitivs

Frage

Ich habe eine Frage zu folgendem Satz:

Er hatte einer Bemerkung von(?) Elisabeths Kollegen entnommen, dass seine Frau …

oder nur:

Er hatte einer Bemerkung Elisabeths Kollegen entnommen, dass seine Frau …

Letzteres klingt irgendwie falsch. Umgangssprachlich ist „von Elisabeths Kollegen“ heute sicher ok, aber in der Schriftsprache? Natürlich könnte ich auch „der Kollegen Elisabeths“ schreiben, aber vielleicht würden viele das heute als altmodisch und geschwollen ansehen.

Antwort

Guten Tag Frau G.,

Sie können hier am besten Ihrem Sprachempfinden folgen. Formulierungen mit von anstelle des Genitivs sind nämlich lange nicht immer nur umgangssprachlich.

Nicht möglich ist diese Formulierung:

NICHT: eine Bemerkung Elisabeths Kollegen

Eine Substantivgruppe kann u. a. nur dann im Genitiv stehen, wenn sie mindestens ein gebeugtes Artikelwort oder Adjektiv enthält (Teil der Genitivregel).

die Reparatur der Fahrräder
NICHT:
die Reparatur Fahrräder

der Preis natürlichen Mineralwassers
NICHT: der Preis Mineralwassers

Auch die Substantivgruppe Elisabeths Kollegen enthält kein Artikelwort oder Adjektiv. Man weicht in solchen Fällen auch in der Standardsprache häufig auf eine Formulierung mit von aus:

die Reparatur von Fahrrädern
der Preis von Mineralwasser

Entsprechend auch:

eine Bemerkung von Elisabeths Kollegen

Bei dieser Formulierung ist allerdings nicht deutlich, ob es um eine Bemerkung eines Kollegen oder um eine Bemerkung mehrerer Kollegen geht.

Ihr weiterer Vorschlag ist möglich, weil die Substantivgruppe ein gebeugtes Artikelwort enthält:

eine Bemerkung der Kollegen Elisabeths

Es ist klar, dass es sich um mehrere Kollegen handelt. Es klingt aber tatsächlich ein bisschen gehoben.

Sie haben also vorerst zwei Möglichkeiten:

Er hatte einer Bemerkung von Elisabeths Kollegen entnommen … (nicht eindeutig)

Er hatte einer Bemerkung der Kollegen Elisabeths entnommen … (vielleicht ein bisschen gehoben/veraltend)

Damit sind wir aber noch nicht am Ende unserer Möglichkeiten. Es gibt noch weitere Formulierungen, die eindeutig und auch standardsprachlich vertretbar sind:

Er hatte einer Bemerkung der Kollegen von Elisabeth entnommen …

Er hatte einer Bemerkung von Elisabeths Mitarbeitern entnommen …

Nicht jede Wortgruppe mit von, die anstelle eines Genitivs steht, ist umgangssprachlich. Siehe auch hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist der doppelte Genitiv hier wirklich falsch: nach dem Tod dessen Bruders?

Frage

Leider habe ich wieder einmal ein Problem. Es geht um den Genitiv im Zusammenhang mit „dessen“. Zum Beispiel:

Leider muss ich Dir mitteilen, dass Hanna drei Wochen nach dem Tod ihres Mannes und zwei Monate nach dem Tod dessen Bruders Johann gestorben ist.

Irgendwo im Netz stieß ich auf diesen Satz: „Der Vorsitzende D. Theato dankte A. Nennstil im Beisein dessen Nachfolgers T. Lochner.“ In der Erklärung hieß es, dass der doppelte Genitiv falsch sei. Stimmt das? Ich frage lieber Sie.

Antwort

Guten Tag Frau G.,

diese Formulierungen klingen für mich nicht wirklich falsch. Es gibt zwei Gründe, dennoch skeptisch zu sein:

(1) Ein nachgestelltes Genitivattribut, das selbst ein vorangestelltes Genitivattribut enthält, sollte vermieden werden:

besser nicht: im Haus Sandras Großvaters
sondern: im Haus des Großvaters von Sandra, im Haus von Sandras Großvater

besser nicht: im Beisein A. Nennstils Nachfolgers
sondern: im Beisein des Nachfolgers von A. Nennstil, im Beisein von A. Nennstils Nachfolger

Die Frage ist nun, ob dies auch für dessen gilt. Wenn man dessen als normales Genitivattribut sieht, sollten diese Formulierungen vermieden werden:

besser nicht: im Beisein dessen Nachfolgers
sondern: im Beisein von dessen Nachfolger, in dessen Nachfolgers Beisein

besser nicht: nach dem Tod dessen Bruders
sondern: nach dem Tod von dessen Bruder, nach dessen Bruders Tod

Wenn man aber dessen als Artikelwort (ähnlich wie „seines“) interpretiert, könnten Formulierungen dieser Art möglich sein. Es gibt aber noch einen zweiten Stolperstein:

(2) Eine Wortgruppe kann nur dann im Genitiv stehen, wenn sie von einem gebeugten Artikelwort oder Adjektiv begleitet wird und mindestens ein Wort mit der Genitivendung er oder (e)s enthält (Genitivregel; Ausnahmen: u. A. Eigennamen).

der Einbaus moderner Wärmepumpen
aber nicht: der Einbau Wärmepumpen
sondern: der Einbau von Wärmepumpen

im Leben jeden Kindes / jedes Kindes
aber nicht: im Leben jeden Menschen
sondern nur: im Leben jedes Menschen

Das Wort dessen kann als Artikelwort interpretiert werden, aber es ist unveränderlich. Die Wortgruppen dessen Nachfolgers und dessen Bruders verstoßen also gegen den ersten Teil der Genitivregel: Sie enthalten kein gebeugtes Artikelwort oder Adjektiv. Auch das spricht somit gegen Formulierungen dieser Art.

ABER: Wie einige Beispiele unter  (1) oben zeigen, verstoßen diese Wortgruppen offenbar nicht stark genug gegen die Genitivregel. Vorangestellt ist ihre Verwendung zwar eher gehoben/veraltend, aber viel weniger umstritten, obwohl sie kein gebeugtes Artikelwort oder Adjektiv enthalten:

in dessen Nachfolgers Beisein
nach dessen Bruders Tod

Zusammenfassend: Formulierungen dieser Art sind umstritten. Ich bezweifle aber, ob man sie wirklich als falsch bezeichnen kann. Die Schwierigkeit oder Unsicherheit entsteht dadurch, dass vorangestelltes dessen irgendwo zwischen einem Genitivattribut und einem Artikelwort angesiedelt werden kann.

So genau wollten Sie es wahrscheinlich gar nicht wissen. Deshalb hier noch der langen Rede kurzer Sinn: Formulierungen wie nach dem Tod dessen Bruders und im Beisein dessen Nachfolgers sind – auch wenn sie regelmäßig vorkommen – zumindest umstritten. Ich würde deshalb empfehlen, sie zu vermeiden und auf zum Beispiel nach dem Tod von dessen Bruder und im Beisein von dessen Nachfolger auszuweichen. Hier ist die Formulierung mit von anstelle des (umstrittenen) Genitivs auch standardsprachlich gut vertretbar.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Sich wenigem/wenig/??? bewusst sein

Frage

In einem Text steht der Satz: „So wenigem ist man sich bewusst.“ Ich weiß, dass „sich bewusst sein“ den Genitiv erfordert, aber das klingt dann irgendwie schräg. Lasse ich „wenig“ unflektiert?

Antwort

Guten Tag Frau W.,

die Wendung „sich einer Sache bewusst sein“ verlangt tatsächlich ein Genitivobjekt:

eine Frau, die sich ihres Erfolgs bewusst war
Ich bin mir dessen bewusst.

Die Dativform „wenigem“ gilt deshalb als nicht korrekt.

nicht: *So wenigem ist man sich bewusst.

Das Problem ist hier wieder einmal die sogenannte Genitivregel:

Eine Wortgruppe kann nur dann im Genitiv stehen, wenn diese zwei Bedingungen erfüllt sind:
1) Die Wortgruppe enthält mindestens ein gebeugtes Artikelwort oder Adjektiv.
2) Die Wortgruppe enthält mindestens ein Wort mit Endung -es/-s oder -er.

Zum ersten Teil der Regel gibt es ein paar wenige Ausnahmen** (wie könnte es auch anders sein!). Der zweite Teil der Regel muss fast immer erfüllt sein (Ausnahme: „dessen/derer/deren“). Die allein stehenden Genitivform „wenigen“ erfüllt keine der beiden Bedingungen. Das ist der Grund, weshalb der Satz mit „wenigen“ schräg oder falsch klingt.

nicht: *So wenigen ist man sich bewusst.

Auch der ungebeugten Form „wenig“ fehlt eine entsprechende Genitivendung:

nicht: *So wenig ist man sich bewusst.

Damit kann nur gemeint sein: „In so geringem Maße (= so wenig) ist man sich bewusst“. Außerdem fehlt das Genitivobjekt, das heißt die Sache, derer man sich wenig bewusst ist.

Was ist also die Lösung, wenn der Genitiv verlangt wird, dieser aber nicht passt und man auch nicht auf den Dativ ausweichen darf? – Man muss anders formulieren. Man kann die Wortgruppe so anpassen, dass sie die Bedingungen der Genitivregel erfüllt:

So weniger Dinge ist man sich bewusst.

Es ist aber auch möglich, die Formulierung so zu ändern, dass kein Genitivobjekt mehr Schwierigkeiten macht:

So wenig ist einem bewusst.
So wenige Dinge sind uns bewusst.

Die oben genannte Genitivregel ist übrigens außerhalb der Grammatikwelt nicht sehr bekannt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass man Fälle wie diesen meistens mehr oder weniger bewusst vermeidet und „automatisch“ anders formuliert. Ihre Frage zeigt aber, dass bewusste Sprachbenutzerinnen und -benutzer doch hin und wieder auf diese Grammatikhürde stoßen und es dann hilfreich sein kann, einmal etwas von der Genitivregeln gehört zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

** In gewissen Fällen kann auch ein allein stehendes Substantiv im Genitiv stehen. Zum Beispiel:

Sandros Ferienpläne
das Wahrzeichen Wiens (auch: das Wahrzeichen von Wien)
wegen Umbaus geschlossen (meist: wegen Umbau geschlossen)

Der Sinn jedes oder jeden Fragens?

Über den Sinn aller Fragen möchte ich mich hier natürlich nicht äußern. Das Thema wäre mir ein paar Größen zu groß. Es geht nur um das Pronomen „jeder/jede/jedes“. Immer wieder gibt es Fragen zu diesem Wort, vor allem wenn es im Genitiv stehen soll.

Frage

Heißt es „der Sinn jedes Fragens“ oder „der Sinn jeden Fragens“ ?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

Ihre Frage ist verständlich, denn dieses Wort hat im männlichen und sächlichen Genitiv Singular zwei Formen: „jedes“ mit der Endung –es, wie es sich für ein Pronomen gehört, und in gewissen Fällen auch „jeden“ mit der Endung –en wie ein Adjektiv.

Im Genitiv steht vor einem männlichen oder sächlichen Nomen, das die Genitivendung –s oder –es hat, häufig „jeden“ statt „jedes“. Beide Formen kommen vor und beide gelten als korrekt:

im Leben jedes Mannes / jeden Mannes
die Unterdrückung jedes Widerspruchs / jeden Widerspruchs
der Sinn jedes Fragens / jeden Fragens

Vor einem Nomen, das nicht die Genitivendung –s oder –es hat, steht immer nur „jedes“:

im Leben jedes Menschen
im Interesse jedes Einzelnen
die Unterdrückung jedes Individualismus

Vor einem Adjektiv steht in der Regel ebenfalls „jedes“:

im Leben jedes jungen Mannes
die Unterdrückung jedes noch so kleinen Widerstands
im Interesse jedes einzelnen Menschen

Umgekehrt steht in Verbindung mit „eines“ immer nur „jeden“:

am Ende eines jeden Monats
im Interesse eines jeden Menschen

Eine allumfassende goldene Regel kann ich Ihnen hier leider nicht angeben. Zusammengefasst lässt sich nur sagen,

  • dass immer mindesten ein Element einer solchen Wortgruppe die Genitivendung –s oder –es aufweisen muss und
  • dass in Verbindung mit „eines“ immer nur „jeden“ stehen darf.

Siehe auch die entsprechenden Angaben auf dieser Grammatikseite (dort sehen Sie weiter, dass für die folgenden Genitivformen Ähnliches gilt: alles/allen, irgendwelches/irgendwelchen, jedwedes/jedweden, jegliches/jeglichen, manches/manchen und welches/welchen).

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der manchmal divenhafte Genitiv: sich Vorbilder[n] bedienen?

Hin und wieder wird ja das Verschwinden des Genitivs beklagt. Dass er tatsächlich immer weniger verwendet wird, hat er zum Teil sich selbst zu verdanken. Er kann nämlich so wählerisch und anspruchsvoll sein, dass wir gezwungen sind, auf andere Formulierungen auszuweichen. Heute wieder einmal ein Beispiel des etwas divenhaften Verhaltens des Genitivs:

Frage

Vorbilder oder Vorbildern, mit oder ohne n?

Die Wissenschaftler bedienen sich Vorbilder der Natur.
Die Wissenschaftler bedienen sich Vorbildern der Natur.

Antwort

Sehr geehrter Herr O.,

eine einfache Antwort kann ich Ihnen hier leider nicht geben, denn keine der beiden Formulierungen ist standardsprachlich möglich.

Das Verb sich bedienen verlangt den Genitiv. Und hier entsteht das Problem: Eine Wortgruppe kann nämlich in der Regel nicht im Genitiv stehen, wenn sie nicht ein gebeugtes Artikelwort oder Adjektiv enthält (Ausnahme: Eigennamen). Hier ein paar Beispiele, bei denen diese Bedingung nicht erfüllt ist:

nicht: der Verkauf Milchpulvers, der Verkauf Fahrräder
nicht: ein Glas Weins
nicht: mangels Beweise
nicht: die Einstellung des Mannes als Mitarbeiters
nicht: Sie enthielten sich Alkohols. Sie enthielten sich Kommentare.

Das ist auch in Ihrem Beispiel der Fall. Die Genitivform Vorbilder kann (u. a.*) deshalb nicht verwendet werden, weil sie nicht von einem Artikel oder Adjektiv begleitet wird.

nicht: Die Wissenschaftler bedienen sich Vorbilder der Natur.

In solchen Fällen wird u. a. auf den Dativ oder eine Formulierung mit von ausgewichen (z. B. mangels Beweisen; der Verkauf von Fahrrädern). Bei sich bedienen ist dies aber standardsprachlich nicht anerkannt. Deshalb sollten Sie auch die Dativform Vorbildern nicht verwenden.

nicht: Die Wissenschaftler bedienen sich Vorbildern der Natur.
nicht: Die Wissenschaftler bedienen sich von Vorbildern der Natur.

Die einzige Möglichkeit, die bleibt, ist eine andere Formulierung zu wählen. Sie könnten ein gebeugtes Artikelwort oder Adjektiv hinzufügen. Zum Beispiel:

Die Wissenschaftler bedienen sich einiger/verschiedener Vorbilder der Natur.

Sie können auch ein anderes Verb wählen. Zum Beispiel:

Die Wissenschaftler benutzen/verwenden Vorbilder der Natur.

Das Verb sich bedienen ist übrigens nicht das einzige, bei dem es zu solchen Problemen kommen kann. Hier noch zwei Beispiele:

nicht: Sie enthielten sich Kommentare.
aber z. B.:
Sie enthielten sich jeglicher Kommentare.
Sie verzichteten auf Kommentare.

nicht: Sie war Protests nicht mehr fähig.
aber z. B.:
Sie ist nicht mehr zu Protest fähig.

Insbesondere das zweite Beispiel zeigt, dass der Genitiv immer häufiger auch dann durch entsprechende andere Konstruktionen ersetzt wird, wenn er eigentlich stehen könnte. Das könnte ein Grund dafür sein, dass Verben mit Genitivobjekt immer seltener verwendet werden.

Sie war heftigen Protests nicht mehr fähig.
häufiger:
Sie war nicht mehr zu heftigem Protest fähig.

Entschuldigen Sie bitte, dass die Antwort so lang ausgefallen ist. Ich fand diesen Fall so interessant, dass ich mich einer detaillierteren Erklärung bedienen wollte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

*Eine weitere Bedingung, die erfüllt sein muss, damit eine Wortgruppe im Genitiv stehen kann, ist, dass mindestens ein Wort die Genitivendung [e]s oder er hat. Auch diese Bedingung erfüllt Vorbilder nicht.

 

Wegen etwas anderen? – Manchmal passt der Genitiv einfach nicht

Frage

Ich bin gerade sehr verwirrt. Schreibe ich „wegen etwas anderem“ oder „wegen etwas anderen“?

Antwort

 

Guten Tag M.,

am besten schreiben Sie wegen einer anderen Sache oder aus einem anderen Grund.

Das Deutsche meidet nämlich Nomen- und Pronomengruppen im Genitiv, wenn sie

– nicht mindestens ein konjugiertes Artikelwort oder Adjektiv enthalten und
– nicht mindestens ein Element der Gruppe eine s- oder eine r-Endung hat.

Zum Beispiel:

nicht: der Konsum Alkohols
sondern: der Konsum von Alkohol
aber: der Konsum reinen Alkohols (vgl. hier)

nicht: wegen Regenfälle
sondern: wegen Regenfällen
aber: wegen heftiger Regenfälle (vgl. hier)

Zurück zu Ihrer Frage: Wenn nach wegen nur der Genitiv verwendet werden darf, muss es heißen: wegen etwas anderen. Diese Formulierung erfüllt aber die genannten Bedingungen nicht: etwas ist unveränderlich und die Genitivendung von ander- ist hier weder es noch er, sondern en. Deshalb hat diese Wendung Sie in Verwirrung gebracht und deshalb ist sie auch im Standarddeutschen unüblich. Man weicht hier oft auf den Dativ aus: wegen etwas anderem. Weil viele den Dativ nach wegen leider grundsätzlich für falsch halten, empfehle ich Ihnen, in der schriftlichen Standardsprache vorsichtshalber auf eine Formulierung wie wegen einer anderen Sache auszuweichen. Das Gleiche gilt für zum Beispiel *wegen nichts anderen, für das man üblicherweise wegen nichts anderem oder (vor allem wenn der Dativ nach wegen einem grundsätzlich ein Gräuel ist) aus keinem anderen Grund verwendet.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp