Wie man es zu tun hat und wie es zu tun ist: haben oder sein + zu + Infinitiv

Frage

Ich hätte eine Frage zu diesen Sätzen:

Die Kündigung muss schriftlich erfolgen.
Die Kündigung hat schriftlich zu erfolgen.

Warum steht im zweiten Satz „haben + zu + Inf.“ und nicht „sein + zu + Inf.“? Ich habe noch andere Beispielsätze gefunden für dieses „haben + zu + Inf.“:

Jedes Hantieren an Einrichtungen des Bades hat zu unterbleiben.
Die Besucher haben für alle Schäden und Verunreinigungen aufzukommen.

Antwort

Guten Tag Herr T.,

die Konstruktionen ‚haben + zu + Infinitiv‘ und ‚sein + zu + Infinitiv‘ haben sehr ähnliche Bedeutungen. Es geht je nach Kontext um müssen, nicht dürfen oder können. Wann steht aber haben und wann sein? Der Unterschied hat nichts mit der Bedeutung müssen, nicht dürfen oder können zu tun. Wenn man es einmal weiß, ist es aber trotzdem einfach:

Die Konstruktion ‚haben + zu + Inf.‘ wird mit einem Satz im Aktiv umschrieben:

Die Kündigung hat schriftlich zu erfolgen.
= Die Kündigung muss schriftlich erfolgen.

Jedes Hantieren […] hat zu unterbleiben
= Jedes Hantieren […] muss unterbleiben.

Die Besucher haben für die Schäden aufzukommen.
= Die Besucher müssen für die Schäden aufkommen.

Sie haben sich hier nicht aufzuhalten.
= Sie dürfen sich hier nicht aufhalten

Ich habe meiner Aussage nichts hinzuzufügen.
= Ich kann meiner Aussage nichts hinzufügen.

Die Konstruktion ‚sein + zu + Inf.‘ wird mit einem Satz im Passiv umschrieben:

Die Kündigung ist schriftlich einzureichen.
= Die Kündigung muss schriftlich eingereicht werden.

Jedes Hantieren ist zu unterlassen.
= Jedes Hantieren muss unterlassen werden.

Die Schäden sind (von den Besuchern) zu vergüten.
= Die Schäden müssen (von den Besuchern) vergütet werden.

Dieser Aussage ist nichts hinzuzufügen.
Dieser Aussage kann nichts hinzugefügt werden.

Deutschlernende haben zu lernen (= müssen lernen), wie es zu formulieren ist (= formuliert werden muss). Wer Deutsch als Muttersprache spricht, macht es normalerweise automatisch richtig, aber vielen fiele es sicher schwer, wenn sie diesen Unterschied zu erklären hätten.

Siehe hierzu auch diese Seite in der LEO-Grammatik.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Hilfsverb „werden“ am Satzende: „dass er ins Kino wird gehen müssen“ oder „dass er ins Kino gehen müssen wird“ oder …?

Frage

Wir haben ein sprachliches Problem. Was ist korrekt, was ist möglich?

Peter glaubt, dass er mit der Freundin ins Kino wird gehen müssen.
Peter glaubt, dass er wird mit der Freundin ins Kino gehen müssen.
Peter glaubt, dass er mit der Freundin wird ins Kino gehen müssen.

Konkret gefragt: Wo steht das konjugierte Verb „werden“?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

wenn mehrere Verbformen am Ende eines Nebensatzes stehen, kann die Wortstellung tatsächlich zur Herausforderung werden. Häufig geht es spontan gut, aber wenn man einmal anfängt darüber nachzudenken …

Nach den Angaben in den Grammatiken sind diese beiden Formulierungen richtig:

a) Peter glaubt, dass er mit der Freundin ins Kino gehen müssen wird.
b) Peter glaubt, dass er mit der Freundin ins Kino wird gehen müssen.

a) Wenn das Hilfsverb werden in Kombination mit zwei oder mehr Infinitiven in einem Nebensatz steht, kann die konjugierte Verbform von werden nach der allgemeinen Regel ganz am Schluss stehen. Die allgemeine Regel sagt, dass die konjugierte Verbform in einem eingeleiteten Nebensatz am Schluss steht:

Das ist nicht etwas, woran man sich erinnern können wird.
Ich werde nicht überrascht sein, weil ich euch kommen hören werde.
Sie befürchtet, dass er die Kinder nicht gehen lassen wird.
Peter glaubt, dass er mit der Freundin ins Kino gehen müssen wird.

b) Nach einer Sonderregel kann das Hilfsverb werden auch vor den Infinitiven stehen, wie dies beim Hilfsverb haben der Fall ist (siehe hier).

Mit haben:

Das ist nicht etwas, woran man sich hätte erinnern können.
Ich bin nicht überrascht, weil ich euch habe kommen hören (auch: kommen hören habe).
Sie befürchtet, dass er die Kinder nicht hat gehen lassen (auch: gehen lassen hat).
Peter ist froh, dass er mit der Freundin ins Kino hat gehen dürfen.

Mit werden entsprechend auch:

Das ist nicht etwas, woran man sich wird erinnern können.
Ich werde nicht überrascht sein, weil ich euch werde kommen hören.
Sie befürchtet, dass er die Kinder nicht wird gehen lassen.
Peter glaubt, dass er mit der Freundin ins Kino wird gehen müssen.

Andere Wortstellungen kommen ebenfalls mehr oder weniger häufig vor (siehe die Beispiele in Ihrer Frage). Sie gelten aber als regional und/oder umgangssprachlich.

Es ist nicht erstaunlich, dass es bei Sätzen dieser Art oft zu einer gewissen Verunsicherung kommt. Ich hoffe, dass diese Ausführungen dann hilfreich sein können werden oder hilfreich werden sein können – oder ganz einfach: hilfreich sind. Häufig kann man das Problem vermeiden, indem man einfacher formuliert.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Haben oder sind wir im Kreis getanzt?

Frage

Ich habe eine Frage zum Verb „tanzen“. Wird es in diesem Satz mit „haben“ oder „sein“ verwendet?

Wir haben/sind im Kreis getanzt.

Ich habe im Wörterbuch die folgende Erklӓrung gefunden: „sich tanzend oder mit hüpfenden Schritten fortbewegen (durch den Saal tanzen)“, aber ich weiß nicht, ob sich diese Regel auf meinen Satz bezieht. Oder hӓngt es vielleicht davon ab, was man damit meint (Tanzart oder eine Bewegung)?

Antwort

Guten Tag Frau C.,

beide Hilfsverben können hier verwendet werden. Welches man wählt, hängt  – wie Sie richtig vermuten – davon ab, was genau gemeint ist.

Wie viele Bewegungsverben kann „tanzen“ mit „haben“ und mit „sein“ konjugiert werden. Mit „haben“ steht transitives „tanzen“ (= „tanzen“ mit einem Akkusativobjekt):

Wir haben einen Tango getanzt.
Er hat mit mir einen Wiener Walzer getanzt.
auch: Sie haben den ganzen Abend Walzer/Tango/Salsa getanzt.

Intransitives „tanzen“ wird mit „haben“ konjugiert, wenn die Handlung des Tanzens gemeint ist:

Sie haben die ganze Nacht getanzt.
Ich habe früher viel getanzt.
Sie hat nicht mit mir getanzt.

Das Hilfsverb „sein“ wird dann verwendet, wenn mit „tanzen“ gemeint ist, dass man sich tanzend fortbewegt (Ortsveränderung):

Sie sind durch den ganzen Saal getanzt.
Sie ist vor Freude über den Hof getanzt.
Die Schneeflocken sind vom Himmel getanzt.

Das bedeutet für Ihr Beispiel, dass erst der weitere Zusammenhang angeben kann, welches Hilfsverb man hier am besten wählt:

Wir sind vor Freude im Kreis getanzt (= vor Freude herumgetanzt)
Wir haben im Kreis getanzt (= einen Kreistanz/Rundtanz ausgeführt)

Im Prinzip ist also beides möglich. Außerdem ist die Trennung manchmal gar nicht so streng, weil nicht immer eindeutig ist, ob Tanzart oder die Bewegung (oder beides) gemeint ist. Das Hilfsverb bei Bewegungsverben hat übrigens schon manchen Deutschlernenden ein oder zwei Seufzer entlockt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Bin oder habe ich den Weg entlanggegangen? – Das Hilfsverb „sein“ bei transitiven Verben

Frage

Was ist die Regel zu:

Ich habe das Auto gefahren
Ich bin das Auto gefahren

Es steht die Behauptung im Raum, dass man mit „haben“ konjugiert, wenn ein Akkusativobjekt da ist. Somit müsste es heissen:

Ich habe den Weg entlanggegangen

Dem kann ich nicht zustimmen.

Antwort

Guten Tag Frau R.,

im Prinzip bilden transitive Verben, das heißt Verben mit einem Akkusativobjekt, das Perfekt mit „haben“. Deshalb steht auch zum Beispiel „fahren“ mit „haben“, wenn es transitiv verwendet wird:

intransitiv: Ich bin mit dem Auto gefahren.
transitiv: Ich habe das Auto in die Garage gefahren.

Zu der Regel, dass transitive Verben mit „haben“ konjugiert werden, gibt es natürlich auch ein paar Ausnahmen: Einige wenige transitive Verben, die von einem mit „sein“ konjugierten Verb abgeleitet sind, bilden die Vergangenheit mit „sein“. Beispiele sind:

etwas eingehen: Er ist einen Pakt mit dem Teufel eingegangen.
jemanden/etwas loswerden: Ich bin die Sachen nicht losgeworden.
etwas durchgehen: Sie ist die Arbeit mit den Schülern durchgegangen.

Siehe auch hier.

Zu diesen Verben gehören auf den ersten Blick auch „entlanggehen“, “entlanglaufen”, „entlangfahren“ usw.:

Ich bin den Weg entlanggegangen.
Sie ist mit dem Finger die Linie entlanggefahren.

Auf den zweiten Blick muss man allerdings sagen, dass es sich bei diesen Verben, wenn überhaupt, um ein ungewöhnliches Akkusativobjekt handelt. Es ist nämlich eher ein Akkusativ, der von „entlang“ abhängig ist, als ein Objekt. Wenn „entlang“ nachgestellt ist, verlangt es üblicherweise den Akkusativ (siehe hier):

den Weg entlang hinaufsteigen
die Straße entlang weiterfahren

Bei einfachen Verben wird dieses „entlang“ mit dem Verb zusammengeschrieben. Der von „entlang“ abhängige Akkusativ sieht dann aus wie ein Akkusativobjekt:

den Weg entlanggehen
die Straße entlangfahren

Das ist eine weitere Erklärung dafür, warum Verben wie „entlanglaufen“, „entlanggehen“ und „entlangfahren“ mit „sein“ konjugiert werden, obwohl sie ein Akkusativobjekt bei sich zu haben scheinen. Es zeigt sich hier wieder einmal, dass man darauf achten sollte, Regeln nicht allzu strikt anzuwenden. Es gibt immer Ausnahmen und Sonderfälle. Sie hatten also recht: Das Perfekt von „entlanggehen“ wird mit dem Hilfsverb „sein“ gebildet.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Skepsis mit »wollen«

Frage

Wieder einmal habe ich eine Frage. Es geht um die Zeiten bei Modalverben:

Die Polizei will den Dieb festgenommen haben.

Zuerst dachte ich, das wäre einfach ein Perfekt mit Modalverb. Aber eigentlich wäre das dann ja die Struktur mit doppeltem Infinitiv (festgenommen haben wollen).

Antwort

Sehr geehrte Frau I.,

es handelt sich hier um ein Modalverb im Präsens (will), das mit einem Infinitiv Perfekt steht (getan haben). 

Die Polizei will den Dieb festgenommen haben.

Gemeint ist: Die Polizei sagt, dass sie den Dieb festgenommen hat, aber der/die Schreibende ist skeptisch, ob das auch wirklich so ist. Mit wollen kann also eine Behauptung von Dritten zitiert und gleichzeitig mit dem Urteil „fraglich, zweifelhaft“ versehen werden. Siehe auch hier.

Kommen wir nun zu den Verbzeiten: Es geht hier um eine Behauptung in der Gegenwart (Präsens will), die sich auf etwas Vorzeitiges, das heißt etwas vorher Geschehenes, bezieht (Partizip Perfekt festgenommen haben). Weitere Beispiele:

Sie will nichts davon gewusst haben.
Der mutmaßliche Täter will den ganzen Abend zu Hause gewesen sein.

Wenn man in Ihrem Beispielsatz wollen ins Perfekt setzt, müsste der Satz so lauten:

Die Polizei hat den Dieb festgenommen haben wollen.

Das ist aber eine ungebräuchliche Formulierung. In der Vergangenheit heißt es eher:

Die Polizei wollte den Dieb festgenommen haben.
Sie wollte nichts davon gewusst haben.
Der mutmaßliche Täter wollte den ganzen Abend zu Hause gewesen sein.

Für Muttersprachige ist wollen mit der Bedeutung x sagt, aber ich finde es fraglich normalerweise kein Problem – außer vielleicht dann, wenn in einer Übung die Verbzeiten bestimmt werden sollen. Für Deutschlernende hingegen gilt, dass diese Verwendung von wollen gelernt sein will*.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

* Hier zeigt sich, dass wollen manchmal auch müssen ausdrücken kann!

Zweimal werden in einem Satz

Frage

In einer Zeitung las ich folgenden Satz: Die Weltmeisterschaft wird ohne uns stattfinden werden. Es scheint mir übeflüssig zu sein, in diesem Satz zweimal das Wort werden zu schreiben. Ist dieser Satz grammatisch richtig? Mir ist auch eingefallen, dass dieser Satz eine Wahrscheinlichkeit ausdrücken könnte.

Antwort

Sehr geehrter Herr H.,

ich vermute, dass der Zeitung hier ein Fehler unterlaufen ist. Man kann tatsächlich mit werden eine Vermutung ausdrücken:

Niemand reagiert auf das Klingeln. Sie werden nicht zu Hause sein.

Dieses werden der Vermutung wird aber in der Regel nicht wie im aus der Zeitung zitierten Satz zusammen mit einem werden der Zukunft verwendet. Das Hilfsverb werden kommt eigentlich nur im Zusammenhang mit dem werden-Passiv (dem Vorgangspassiv) zweimal in einem Satz vor.

werden-Passiv + Zukunft mit werden

Die WM wird von uns organisiert werden.

werden-Passiv + werden der Vermutung:

Das WC wird wohl gerade gereinigt werden.

Auch als sogenanntes Kopulaverb (= zusammen mit einem Adjekiv oder einem Substantiv) kann werden mit dem Hilfsverb werden kombiniert werden:

Das Wetter wird morgen schön werden.
Sie wird wohl Pilotin werden.

Vielleicht gibt es sogar noch andere Möglichkeiten, die mir im Moment nicht einfallen. Man darf richtig froh sein, dass man sich bei all diesen verschiedene Funktionen und Bedeutungen von werden (meistens) einfach auf sein Sprachgefühl verlassen kann! Erst wenn man anfängt, darüber nachzudenken, kann man so richtig schön unsicher werden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ich habe/bin gelegen, gesessen und gestanden.

Frage

Ich habe gerade entdeckt, dass die Verben stehen und liegen in Canoonet mit beiden Hilfsverben, haben und sein, aufgelistet sind. Ist dies so richtig? Wann benutzt man welches der beiden Hilfsverben?

Antwort

Guten Tag Fau N.,

Die Verben liegen, stehen und sitzen können tatsächlich sowohl mit dem Hilfsverb haben als auch mit dem Hilfsverb sein stehen. In diesem Fall ist aber kein subtiler Bedeutungsunterschied und keine grammatische Finesse zu beachten. Diese Verben werden im nördlichen deutschen Sprachraum mit haben und im südlichen deutschen Sprachraum mit sein verwendet. Wenn also jemand sagt: Ich habe auf dem Bett gelegen“, kommt er oder sie wahrscheinlich aus dem Norden. Käme die Person aus dem Süden, hätte sie eher gesagt: Ich bin auf dem Bett gelegen.“ Es handelt sich hier um regionale Varianten, die übrigens beide als korrekt gelten.

An der Waterkant hat man also vor verschlossener Tür gestanden, weil man zu lange in der Hafenkneipe gesessen hat, während man am Alpenrand vor verschlossener Tür gestanden ist, weil man zu lange im Beisel oder der Beiz gesessen ist.

Dies gilt auch für viele – aber nicht alle! – Zusammensetzungen mit liegen, stehen und sitzen:

Ich habe/bin eine Stunde lang im Lift festgesessen.
Du hast/bist wieder einmal völlig danebengelegen.
Für diesen Fall hätte/wäre unser ungarischer Professor zur Kandidatur bereitgestanden.
Die Tür hat/ist weit aufgestanden.

Aber man kommt im gesamten deutschen Sprachraum zu spät, weil man nicht rechtzeitig aufgestanden ist.

Sehen Sie hierzu auch hier den 3. Abschnitt „stehen, liegen, sitzen“.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Aggregat ist Probe gelaufen: Hilfsverb bei laufen

Frage

Welcher Satz ist korrekt: Gestern ist das neue Notstrom-Aggregat zur Probe gelaufen oder Gestern hat das neue Notstrom-Aggregat zur Probe gelaufen?

Antwort

Sehr geehrter Herr K., das Verb laufen wird meistens mit sein konjugiert:

Ich bin nach Hause gelaufen.
Ich bin schnell gelaufen.
Ich bin zehn Kilometer weit gelaufen.
Der Schweiß ist mir über das Gesicht gelaufen.

Ausnahmen sind Verwendungen wie zum Beispiel:

Ich habe mich müde gelaufen.
Ich bin oder habe 8 Runden gelaufen.
Ich bin oder habe einen neuen Rekord gelaufen.
Ich bin (selten: habe) Ski gelaufen.

Auch die Wendung Probe laufen steht mit dem Hilfsverb sein:

Gestern ist das neue Notstromaggregat Probe gelaufen.

Wie Sie sehen, lasse ich zur weg. In diesem Sinne sagt man besser einfach Probe laufen als zur Probe laufen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

hat geendet/ist geendet

Frage

Wir diskutieren gerade, ob man sagt Die Frist ist gestern geendet oder Die Frist hat gestern geendet.

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

das Verb enden wird in den meisten Fällen mit haben konjugiert. Also:

Die Frist hat gestern geendet.

Auch was für viele leider bald ziemlich aktuell ist, formuliert man mit dem Hilfsverb haben:

Die Ferien haben geendet.

Aus irgendeinem Grund verwendet man hier aber eher Formulierungen mit sein:

Die Ferien sind zu Ende.
Die Ferien sind zu Ende gegangen.
Die Ferien sind vorbei.

Vielleicht stammt daher die Unsicherheit über die Wahl des Hilfsverbs bei enden. Richtig ist aber – wenn man das Verb überhaupt in der Vorvergangenheit verwendet – meistens haben. Dies gilt nicht nur für Fristen und Ferien, sondern für fast alles, das enden kann: ein Vortrag (um 21.30 Uhr), eine Streiterei (in einer Prügelei), ein Freiluftkonzert (wenn man Pech hat im strömenden Regen), ein Film (mit einem Happy End), ein Rendezvous (wenn man Happy Ends mag mit einem Kuss im strömenden Regen), strömender Regen (je nachdem zu früh, zu spät oder gerade rechtzeitig), der Deutsche Aktienindex DAX (zurzeit meist im Minus), Buslinien (am Stadtrand), Wege (am Waldrand), Röcke (kurz über oder unter dem Knie) und so weiter. All diese Verwendungen von enden verlangen im Perfekt das Hilfsverb haben.

Weshalb dann aber die Angabe in LEO, dass enden auch mit sein stehen kann? Das Hilfsverb sein kann dann verwendet werden, wenn es um nichts weniger als das Leben geht, das endet. Dann nämlich sind beide Hilfsverben erlaubt:

Sie hat/ist kläglich geendet.
Er hat/ist in der Gosse geendet.
Sie hat/ist im Zuchthaus geendet.
Er hat/ist durch Selbstmord geendet.
Sie hat/ist als Hexe auf dem Scheiterhaufen geendet.

Und mit diesen nicht gerade fröhlichen Beispielen endet auch dieser Beitrag.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Verbformen mit “sein”, Aktiv oder Passiv?

Auch Grammatikfragen werden an Canoonet gestellt:

Wir sitzen derzeit über der Frage: was ist der Unterschied zwischen Aktiv und Zustandspassiv; es war passiert, es war besetzt, er war angekommen, er war überzeugt, es war eingezäumt. Welche Erkennungsmerkmale gibt es?

Für einen Hinweis wären wir dankbar!!

Antwort:

Sehr geehrte Frau B.,

Der wichtigste Unterschied liegt in der Bedeutung. Beim Aktiv tut/tat jemand etwas, geschieht/geschah etwas. Mit dem Zustandspassiv wird das Resultat einer Handlung oder eines Geschehens ausgedrückt. Siehe in Canoonet Aktiv und Passiv, Bedeutung.

Dieser Unterschied ist aber offenbar nicht immer ganz so einfach ersichtlich, vor allem dann nicht, wenn man Vergangenheitsformen verwendet. Deshalb hier ein paar formale Faustregeln:

Im Wörterbuch steht, mit welchem Hilfsverb ein Verb die Formen der Vergangenheit bildet. Wenn ein Verb, das die Vergangenheit mit haben bildet, mit dem Hilfsverb sein steht, handelt es sich in der Regel um ein Zustandspassiv:

besetzen, Hilsverb haben:
er hat die Stadt besetzt = Aktiv, Vorgegenwart
die Stadt ist besetzt = Zustandspassiv, Gegenwart

Verben, die die Vergangenheit mit sein bilden, können kein Zustandspassiv haben. Wenn ein solches Verb mit sein steht, handelt es sich somit um das Aktiv:

passieren, Hilfsverb sein:
es ist passiert = Aktiv, Vorgegenwart

Ein Zustandspassiv (sein-Passiv) kann in ein Vorgangspassiv (werden-Passiv) oder ein Aktiv mit man umgewandelt werden:

es war besetzt – es wurde besetztman besetzte es
er ist überzeugt – er wird überzeugtman überzeugt ihn

Bei einer mit sein gebildeten Form des Aktivs, ist dies nicht möglich:

es war passiert NICHT: es wurde passiert NICHT: man passierte es
er ist angekommen NICHT: er wird angekommen NICHT: man kommt ihn an

Weitere Informationen hierzu finden Sie in Canoonet unter Zustandspassiv und andere Konstruktionen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp