Muss hier ein Komma stehen: „der sich einfach und ohne zu kleben[,] ausrollen lässt“?

Frage

Ich lese folgenden Satz und frage mich, ob man hier das Komma nach „kleben“ vergessen hat:

Ein geschmeidiger Mürbeteig, der sich ganz einfach und ohne zu kleben ausrollen lässt.

Auf eine aufschlussreiche Antwort freue ich mich.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

hier sollte tatsächlich ein Komma nach ohne zu kleben stehen:

Ein geschmeidiger Mürbeteig, der sich ganz einfach und ohne zu kleben, ausrollen lässt

Auch wenn dieses Komma leicht bis mittelschwer irritierend aussehen mag, muss es nach der Rechtschreibregelung gesetzt werden. In Abschnitt 2.4.2 steht dort:

Bilden Nebensätze und Wortgruppen eine Reihung, steht das Komma, wenn der Nebensatz auf den übergeordneten Satz trifft […]; das Komma steht nicht, wenn die Wortgruppe auf den übergeordneten Satz trifft […].

Was heißt das für den Satz, um den es hier geht?

• Die Wortgruppe ganz einfach und der infinite Nebensatz ohne zu kleben sind durch und zu einer Reihung verbunden.

• Der Infinitivsatz und der übergeordnete Satz treffen nach kleben aufeinander
→ Komma nach kleben

• Die Wortgruppe und der übergeordnete Satz treffen vor ganz zusammen
→ kein Komma vor ganz

Man behandelt den Infinitivsatz gleich wie einen „gewöhnlichen“ Nebensatz:

Ein geschmeidiger Mürbeteig, der sich ganz einfach und ohne zu kleben, ausrollen lässt
Ein geschmeidiger Mürbeteig, der sich ganz einfach und ohne dass er klebt, ausrollen lässt

Bei umgekehrter Reihenfolge von Wortgruppe und Infinitivsatz, sieht die Kommasetzung wie folgt aus. Der Infinitivsatz und der übergeordnete Satz treffen nach sich aufeinander:

Ein geschmeidiger Mürbeteit Mürbeteig, der sich, ohne zu kleben und auch sonst ganz einfach ausrollen lässt.

Hier noch ein Beispiel mit einer Reihung von Wortgruppe und Nebensatz:

Am Ende des Kurses beurteilen wir Ihren Text und wie er auf andere wirken könnte.
Ihren Text und wie er auf andere wirken könnte, beurteilen wir am Ende des Kurses.
Wir beurteilen ihren Text und wie er auf andere wirken könnte, am Ende des Kurses.

Diese Regel ist relativ einfach und nachvollziehbar, sie führt aber manchmal wie hier zu etwas seltsam anmutenden Kommasetzungen. Wer sich damit nicht anfreunden kann oder will, formuliert am besten um.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

„Kiwi schälen und schneiden“ oder „Kiwischälen und -schneiden“?

Frage

In einem Videoclip las ich gerade: „So einfach war Kiwi schälen und schneiden noch nie!“ Meiner Meinung nach müsste es heißen: „So einfach war Kiwischälen und -schneiden noch nie!“ Oder ist beides richtig?

Antwort

Guten Tag Herr A.,

hier kann man sowohl groß- als auch kleinschreiben. Man schreibt groß, wenn man die Verbgruppe als substantivierte Infinitivgruppe ansieht:

So einfach war Kiwischälen und -schneiden noch nie.
= das Kiwischälen und -schneiden.

Man schreibt klein, wenn man die Verbgruppe als Subjektsinfinitiv ohne „zu“ interpretiert:

So einfach war Kiwi schälen und schneiden noch nie.
= Kiwi zu schälen und zu schneiden

Beides ist möglich und korrekt.

Ebenso zum Beispiel:

Kuchenbacken macht glücklich (das Kuchenbacken)
Kuchen backen macht glücklich (Kuchen zu backen)

Neinsagen will gelernt sein (das Neinsagen)
Nein sagen will gelernt sein (Nein zu sagen)

Je länger die Infinitivgruppe ist, desto üblicher ist die Kleinschreibung:

So einfach war reife Kiwi schälen und schneiden noch nie.
Selbst Kuchen backen macht glücklich.
Im richtigen Moment Nein sagen will gelernt sein.

Und wenn ein gebeugtes Adjektiv oder ein Attribut beim Infinitiv steht, kommt nur die Großschreibung in Frage:

Schälen und Schneiden von Kiwis war noch nie so einfach.
Gemeinsames Kuchenbacken macht glücklich,
Dein Neinsagen nervt.

Zum Glück geht es wenigsten bei dieser letzten Gruppe (meistens) automatisch gut.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Autofrei Wohnen, autofrei wohnen, autofreies Wohnen

Frage

Immer wieder sehe ich die Formulierung „autofrei Wohnen“ oder „verkehrsarm Wohnen“. Mir ist klar, dass man […] „autofrei wohnen“ oder „autofreies Wohnen“ schreiben müsste. Nun gibt es aber (gemäß Internet) diverse Veranstaltungen, Studien etc. mit dem Titel „autofrei Wohnen“. Habe ich irgendeine Erklärung verpasst, die erklärt, warum man trotzdem großschreiben kann/soll/darf?

Antwort

Guten Tag Frau W.,

Sie haben nichts verpasst. Nach der Rechtschreibregelung schreibt man:

autofreies Wohnen
Wir sind für autofreies Wohnen.

autofrei wohnen
Wir wollen autofrei wohnen.

Auch Titel von Veranstaltungen u. Ä. müssen so geschrieben werden:

Autofreies Wohnen – eine Herausforderung
Autofrei wohnen – eine Herausforderung

Das liegt daran, dass ein ungebeugtes, als Adverb verwendetes Adjektiv nur bei einem Verb, nicht aber bei einem Substantiv stehen kann – auch nicht bei einem substantivierten Verb. Vor einem Substantiv wird ein Adjektiv gebeugt:

preisgünstig einkaufen
preisgünstiges Einkaufen

schnell schreiben
das schnelle Schreiben

autofrei wohnen
autofreies Wohnen

Für die nicht korrekte Großschreibung von Wohnen bei Autofrei Wohnen in Titeln, Namen von Veranstaltungen usw. könnte es verschiedene Erklärungen geben. Vielleicht hat die englische Großschreibung in Titeln und Überschriften einen Einfluss. Vielleicht geschieht es auch in Anlehnung an Fachbegriffe, in denen das Adjektiv großgeschrieben werden kann (z.B. das Schwarze Loch, der Letzte Wille).

Vielleicht ist es aber auch einfach einer der Schreibfehler, die recht häufig bei substantivierten Infinitiven mit einem Adverb bzw. ungebeugten Adjektiv vorkommen. Zum Beispiel:

*das Früh Aufstehen  / *das früh Aufstehen / das *Früh aufstehen
statt korrekt: das Frühaufstehen (das Früh-Aufstehen)

*das Rechts Überholen / *das rechts Überholen / *das Rechts überholen
statt korrekt: das Rechtsüberholen (das Rechts-Überholen)

*das Miteinander Reden / *das miteinander Reden / *das Miteinander reden
statt korrekt: das Miteinanderreden (das Miteinander-Reden)

Wenn man autofrei wohnen substantivieren möchte (stilistisch nicht zu empfehlen), müsste so geschrieben werden:

das Autofreiwohnen (das Autofrei-Wohnen )
nicht: *das autofrei Wohnen / *das Autofrei Wohnen

Es gibt also zumindest rechtschreiblich einen Unterschied zwischen verkehrsarm wohnen, dem Verkehrsarmen Wohnen und dem Verkehrsarmwohnen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Infinitivsatz steht ohne aufforderndes „sollen“

Frage

Warum fällt im folgenden Satz das Modalverb weg, wenn man aus ihnen einen Infinitivsatz mit „zu“ macht:

Das Kind bittet sein Eltern, sie sollen ihm eine neues Fahrrad kaufen.

Das wird als Infinitivsatz mit „zu“:

Das Kind bittet seine Eltern, ihm ein neues Fahrrad zu kaufen.

Das Modalverb „sollen“ fällt im Infinitivsatz mit „zu“ weg.

Im zweiten Satz fällt das Modalverb nicht weg:

Das Mädchen wünscht sich, dass es am Samstag auf die Party gehen darf.
Das Mädchen wünscht sich, am Samstag auf die Party gehen zu dürfen.

Wie heißt die Grammatikregel, dass das Modalverb im Infinitivsatz wegfällt?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

eine Regel, die diesen Fall beschreibt, gibt es nicht. Ich kann aber trotzdem versuchen, aufzuzeigen, worum es hier geht.

Das Modalverb sollen hat in Ihrem Beispielsatz eine spezielle Funktion. Der Satz enthält einen uneingeleiteten Nebensatz mit einer indirekten Aufforderung. In dieser indirekten Aufforderung hat sollen die Aufgabe, den Aspekt der Aufforderung auszudrücken (mehr dazu hier).

Vergleichen Sie die folgenden Sätze mit jeweils einer direkten und einer indirekten Aufforderung oder Bitte. Das Modalverb sollen steht nur in der indirekten Aufforderung/Bitte:

Das Kind bittet seine Eltern: „Kauft mir ein neues Fahrrad!“
Das Kind bittet seine Eltern, sie sollen ihm ein neues Fahrrad kaufen.

Die Polizei fordert die Leute auf: „Bleiben Sie hinter der Absperrung!“
Die Polizei fordert die Leute auf, sie sollen hinter der Absperrung bleiben..

Wenn die (indirekte) Aufforderung in einem Infinitivsatz ausgedrückt wird, geschieht dies wie in der direkten Aufforderung ohne das Modalverb sollen:

Das Kind bittet seine Eltern: „Kauft mir ein neues Fahrrad!“
Das Kind bittet seine Eltern, ihm ein neues Fahrrad zu kaufen.

Die Polizei fordert die Leute auf: „Bleiben Sie hinter der Absperrung!“
Die Polizei fordert die Leute auf, hinter der Absperrung zu bleiben.

Modalverben haben sonst nicht diese Funktion. Dann stehen sie auch in Infinitivsätzen (soweit es möglich ist, einen Infinitivsatz zu bilden):

Das Mädchen wünscht sich, dass es am Samstag auf die Party gehen darf.
Das Mädchen wünscht sich, am Samstag auf die Party gehen zu dürfen.

Sie befürchtet, sie müsse zu Hause bleiben.
Sie befürchtet, zu Hause bleiben zu müssen.

Die Eltern meinen, dass sie es ihr nicht erlauben können.
Die Eltern meinen, es ihr nicht erlauben zu können.

Sie behauptet, sie dürfe nie irgendwohin.
Sie behauptet, nie irgendwohin zu dürfen.

Es nützt ihr aber nichts, dass sie es so sehr will.
Es nützt ihr aber nichts, es so sehr zu wollen.

Modalverben werden im Allgemeinen also auch in Infinitivsätzen verwendet. Für das Beispiel in Ihrer Frage gilt dann: Anstatt zu sagen, dass sollen im Infinitivsatz wegfällt, kann man besser sagen, dass bei indirekten Aufforderungen sollen in den Nebensatz eingefügt wird, um dort den Aspekt der Aufforderung auszudrücken.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Warum „Sich zu schämen, gibt es keinen Grund“ nicht richtig ist

Frage

Ich habe eine Frage zur Topikalisierung [ungefähr: im Satz an die erste Stelle vor das Verb stellen].

Es gibt keinen Grund, sich zu schämen.
Sich zu schämen, gibt es keinen Grund.

Der zweite Satz kommt mir falsch vor. Es ist ein betonter Objektsatz, ich wüsste deshalb  nicht, was daran grammatikalisch falsch sein sollte, in voranzustellen. Wenn man die Infinitivgruppe mit dafür ankündigt, ist er sicher richtig:

Dafür, sich zu schämen, gibt es keinen Grund.

Ist der Satz ohne das Verweiswort dafür grammatikalisch richtig?

Antwort

Guten Tag Herr T.,

es geht hier um die Besetzung des Vorfeldes, das heißt darum, was in einem Satz vor der finiten Verbform steht. Dort können im Prinzip alle Arten von Satzgliedern stehen.

Dort können im Prinzip alle Arten von Satzgliedern stehen.
Im Prinzip können alle Arten von Satzgliedern dort stehen.
Alle Arten von Satzgliedern können im Prinzip dort stehen.

Nicht im Vorfeld stehen können u. a. Wörter oder Wortgruppen, die keine vollständigen Satzglieder sind.

Nicht: Alle Arten können von Satzgliedern im Prinzip dort stehen.
Nicht: Von Satzgliedern können alle Arten im Prinzip dort stehen.

Diese Sätze sind nicht möglich, weil alle Arten von Satzgliedern als Ganzes ein Satzglied ist und ein Satzglied nur als Ganzes verschoben werden kann.

Das ist auch in Ihrem ersten Beispielsatz der Fall. Die Infinitivgruppe sich zu schämen ist nicht ein Objekt, sondern ein Attribut zu einem Substantiv.

Es gibt keinen Grund, sich zu schämen.
Wen oder was gibt es?
keinen Grund, sich zu schämen

Die Infinitivgruppe sich zu schämen bestimmt als Attribut das Substantiv Grund näher (mehr dazu hier). Es ist Teil des Akkusativobjekts keinen Grund, sich zu schämen. Das Akkusativobjekt kann nur als Ganzes ins Vorfeld verschoben werden (auch wenn das ohne Kontext zu einem eher seltsamen Satz führt):

Keinen Grund, sich zu schämen, gibt es.
nicht: Sich zu schämen, gibt es keinen Grund.

Bei einer Formulierung mit dafür hingegen ist die Erststellung im Satz möglich. Es liegt ihr aber eine andere Konstruktion zugrunde:

Es gibt keinen Grund dafür, sich zu schämen (keinen Grund für Scham)
Wofür gibt es keinen Grund?
dafür, sich zu schämen (für Scham)

Die Präpositionalgruppe dafür, sich zu schämen ist ein individuell erfragbares Satzglied. Entsprechend kann sie ins Vorfeld verschoben werden:

Dafür, sich zu schämen, gibt es keinen Grund.

Die Infinitivgruppe kann im zweiten Satz oben nicht an erster Stelle stehen, weil sie kein eigenständiges Satzglied, sondern „nur“ eine nähere Bestimmung innerhalb eines Satzgliedes ist. Der Satz Sich zu schämen, gibt es keinen Grund ist also nicht richtig, aber wenn er trotzdem einmal rausrutscht: Es gibt keinen Grund, sich zu schämen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Komma, wenn jemand etwas zu tun vermag oder wenn jemand vermag(,) etwas zu tun

Frage

Uns treibt eine Kommafrage um. Braucht es das Komma im untenstehenden Satz oder kann man es weglassen?

Unsere Berater vermochten, das Unternehmen vor großen wirtschaftlichen Rückschlägen zu bewahren.

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

in diesem Satz kann man die Infinitivgruppe durch ein Komma abtrennen, um die Gliederung des Satzes zu verdeutlichen (siehe hier). Der Satz ist aber auch ohne Komma gut verständlich und korrekt geschrieben:

Unsere Berater vermochten, das Unternehmen vor großen wirtschaftlichen Rückschlägen zu bewahren.

Unsere Berater vermochten das Unternehmen vor großen wirtschaftlichen Rückschlägen zu bewahren.

Das Komma ist dann obligatorisch, wenn die Infinitivgruppe durch ein es angekündigt wird:

Unsere Berater vermochten es, das Unternehmen vor großen wirtschaftlichen Rückschlägen zu bewahren.

Und hier noch ein paar zusätzliche Informationen:

Umgekehrt darf man kein Komma setzten, wenn die Infinitivgruppe in den übergeordneten Satz eingebettet ist:

Unsere Berater haben das Unternehmen vor großen wirtschaftlichen Rückschlägen zu bewahren vermocht.

Unsere Berater werden das Unternehem vor großen wirtschaflichen Rückschlägen zu bewahren vermögen.

Mit etwas Mühe gelingt es auch, die Infinitivgruppe um den übergeordneten Satz herum zu legen. Auch dann werden keine Kommas gesetzt:

Das Unternehmen vermochten unsere Berater vor großen wirtschaftlichen Rückschlägen zu bewahren.

Es geht sogar noch komplexer – und auch dann ohne Kommas:

Das Unternehmen haben unsere Berater vor großen wirtschaftlichen Rückschlägen zu bewahren vermocht.

Das sieht komplizierter aus, als es ist. Zusammenfassend gilt Folgendes:

Wenn der übergeordnete Satz und die Infinitivgruppe sauber getrennt nebeneinander stehen, kann man ein Komma setzen. Nur wenn dabei im übergeordneten Satz ein andkündigendes es (oder ein wiederaufnehmendes das) steht, muss ein Komma gesetzt werden.

Wenn die Infinitivgruppe in den übergeordneten Satz eingebettet ist, ihn umschlingt oder mit ihm verflochten ist, kommt man in der Regel gar nicht in Versuchung, Kommas zu setzen. Das ist genau richtig, denn dann sollte kein Komma stehen.

Dass ganz Ähnliches auch für Infinitivgruppen bei zum Beispiel versprechen und verlangen gilt, können Sie in diesem schon etwas älteren Blogartikel lesen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Grünreden und das Graubauen

Frage

In der Zeitung habe ich neulich diese interessante Zwitterform von einerseits Kompositum und andererseits Attribut + substantiviertem Infinitiv gefunden: „Die Angewohnheit des grün Redens und grau Bauens“. Ich wüsste zwar nicht, dass unsere Grammatikregeln so etwas hergeben, aber die erlaubten Alternativen „Grünredens“ bzw. „grünen Redens“ würden hier ja eine andere Bedeutung haben, weswegen ich „das grün Reden“(beides gleich betont) eigentlich ganz gut finde und gelten lassen würde. Wie sehen Sie das.

Antwort

Guten Tag Herr H.,

man kann so formulieren, wenn man will, aber beim Schreiben wird es ungewöhnlich oder sogar unpraktisch. Es geht hier um eine substantivierte Infinitivgruppe, die aus zwei Teilen besteht. Solche Substantivierungen schreibt man gem. der Rechtschreibregelung zusammen:

die Angewohnheit, schnell zu fahren
→ die Angewohnheit des Schnellfahrens

die Tugend, pünktlich zu sein
→ die Tugend des Pünktlichseins

wenn man nicht erscheint
→ bei Nichterscheinen

üben, aufeinander zu hören
→ das Aufeinanderhören üben

die Gabe, sich zu wundern
→ die Gabe des Sichwunderns

Die beiden letzen Beispiele zeigen, dass auch dann zusammengeschrieben wird, wenn nicht das erste Wort die Hauptbetonung trägt. Für Ihr Beispiel bedeutet dies:

die Angewohnheit, grün zu reden und grau zu bauen
→ die Angewohnheit des Grünredens und Graubauens

Vor allem bei Grünreden könnte unklar sein, was genau gemeint ist (grün reden = grün [umweltbewusst] argumentieren oder etw. grünreden = etwas beschönigend als grün [umweltfreundlich] darstellen, was nicht grün ist). Gemeint ist hier die erste Bedeutung: in Worten umweltbewusst argumentieren, dann aber nicht umweltgerecht bauen.

Wenn man sich an die Rechtschreibregeln halten will oder muss, kann die Schreibweise das grün Reden aber (leider) nicht die Lösung sein. Man schreibt entweder doch zusammen und lässt den Kontext Klarheit schaffen, oder man formuliert um:

die Angewohnheit des Grünredens und des Graubauens
die Angewohnheit des grünen Redens und des grauen Bauens [auch missverständlich]
die Angewohnheit, grün zu reden und grau zu bauen [m. M. n. am deutlichsten]

Die Rechtschreibung ist nicht immer dazu geeignet, Bedeutungsunterschiede eindeutig zu machen. Das gilt auch bei einer ähnlichen Formulierung: die Kunst des Schönredens. Das kann (a) die Kunst, schön zu reden sein oder (b) die Kunst, Dinge schönzureden. Das Schönreden (a) ist die angenehmen Gabe, gut sprechen zu können. Das Schönreden (b) hingegen ist eine weniger angenehme Unart. Dabei wird mit beschönigenden Worten etwas als besser dargestellt, als es in Wirklichkeit ist. Beide Substantivierungen werden gleich geschrieben, auch wenn sie keineswegs dasselbe bezeichnen. Wie beim Grünreden muss auch beim Schönreden der Kontext oder eine Umformulierung Klarheit schaffen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Nichtvegansein oder Nicht-vegan-Sein, das ist hier die Frage

Frage

Könnten Sie mir bitte beim folgenden Beispiel weiterhelfen. Muss hier groß- oder kleingeschrieben werden:

Ist (das) Nicht-Vegansein nicht okay?

Antwort

die Schreibung das Nicht-Vegansein ist nicht zu empfehlen. Weshalb? – Beim Wort, um das es in Ihrer Frage geht, spielen zwei Rechtschreibregeln eine Rolle:

  • Verbindungen von nicht mit einem Adjektiv können getrennt oder zusammengeschrieben werden:

nicht öffentlich / nichtöffentlich
nicht europäisch / nichteuropäisch
nicht vegan / nichtvegan

Man kann also nicht vegan sein oder nichtvegan sein. Das hat auch Auswirkungen auf die Schreibung, wenn man diese Infinitivgruppe substantiviert.

  • Substantivierte Infinitivgruppen, die aus zwei Teilen bestehen, werden zusammengeschrieben. Bei substantivierten Infinitivgruppen, die aus mehr als zwei Teilen bestehen, setzt man in der Regel Bindestriche zwischen alle Teile der Infinitivgruppe (vgl. hier):

Tee trinken → das Teetrinken
Walzer tanzen → beim Walzertanzen
schnell fahren → das Schnellfahren

miteinander Tee trinken → das Miteinander-Tee-Trinken
Wiener Walzer tanzen → beim Wiener-Walzer-Tanzen
zu schnell Fahren → das Zu-schnell-Fahren

Das führt zu diesen möglichen Schreibungen der substantivierten Infinitivgruppe:

vegan sein → das Vegansein
nichtvegan sein → das Nichtvegansein
nicht vegan sein → das Nicht-vegan-Sein

Ihr Satz kann also auf zwei verschiedene Arten geschrieben werden:

Ist das Nichtvegansein nicht okay?
Ist das Nicht-vegan-Sein nicht okay?

Mehr dazu finden Sie in diesem Blogartikel älteren Datums.

Wer es noch komplizierter mag, lässt den Artikel weg. Dann gibt es nämlich noch zwei weitere mögliche Schreibweisen:

Ist Nichtvegansein nicht okay?
Ist Nicht-vegan-Sein nicht okay?

Ist nichtvegan sein nicht okay?
Ist nicht vegan sein nicht okay?

Wer nun vor lauter nicht und Bindestrichen nicht mehr klarsieht, formuliert am besten um:

Ist es nicht okay, nicht vegan zu sein?
Ist es nicht okay, nichtvegan zu sein?

Nichtvegansein oder Nicht-vegan-Sein, das ist hier die Frage. Es geht hier nämlich nur um die Rechtschreibung. Die Frage nach dem eigentlichen Vegansein oder Nichtvegansein/Nicht-vegan-Sein möchte ich an dieser Stelle nicht diskutieren.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist Baden verboten oder ist baden verboten?

Frage

Auf einem Schild steht:

Lebensgefahr!
Durchfahrt und baden verboten

Ist das richtig geschrieben?

Antwort

Guten Tag Herr I.,

auf Schildern dieser Art wird Baden häufiger großgeschrieben:

Durchfahrt und Baden verboten

Es werden dann zwei Substantive durch und miteinander verbunden:

Die Durchfahrt und das Baden sind verboten
→ Durchfahrt und Baden verboten

Die Kleinschreibung ist aber nicht falsch, da baden auch als Verbform verstanden werden kann:

Die Durchfahrt ist verboten und hier zu baden ist verboten
→ Durchfahrt und baden verboten

Den Unterschied, dass heißt, dass Groß- und Kleinschreibung möglich sind, kann man auch mit Hilfe von Ergänzungen zeigen, die a) nur bei Substantiven oder b) nur bei Verben stehen können:

a) Durchfahrt und nächtliches Baden verboten
b) Durchfahrt und nachts baden verboten

a) Durchfahrt und Nacktbaden verboten [Nácktbaden]
b) Durchfahrt und nackt baden verboten [nackt báden]

a) Widerrechtliches Angeln ist verboten.
b) Widerrechtlich angeln ist verboten

a) Betreten des Geländes verboten
b) Gelände betreten verboten

Ein allein stehender Infinitiv wird in diesem Zusammenhang häufig großgeschrieben, die Kleinschreibung ist aber, wie gesagt, nicht falsch. Und ob nun baden verboten oder Baden verboten ist: Wenn es lebensgefährlich ist, kann man es sowieso besser nicht tun.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Warum es der Zeichenunterricht, aber das Zeichnenlehren ist

Frage

Ich arbeite an einem Text, in dem die Begriffe Zeichnen lehren und das Zeichnenlehren (jemandem das Zeichnen beibringen) vorkommen. Zum Beispiel:

Wie Zeichnen lehren?
Didaktik des Zeichnenlehrens.

Der Autor des Textes meint, man solle doch besser ZeichENlehren schreiben, weil es auch ZeichENunterrich, ZeichENlehrer oder ZeichENkohle heißt.

Antwort

Guten Tag Frau W.,

beim ersten Zitat, gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann klein zeichnen (vgl. zu zeichnen lehren) oder groß Zeichnen (vgl. das Zeichnen lehren) schreiben:

Wie zeichnen Lehren?
Wie Zeichnen Lehren?

Sie haben sich offenbar entschieden, hier die großgeschriebene Variante zu wählen (Wie Zeichnen lehren?). Das ist richtig, allerdings für die Beantwortung Ihrer eigentlichen Frage gar nicht wichtig.

Beim zweiten Untertitel handelt es sich um die Substantivierung der Infinitivgruppe zeichnen lehren oder eben Zeichnen lehren. Dann wird zusammen und mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben:

das Zeichnenlehren

Es ist hier anders als bei Zusammensetzungen wie Zeichenlehrer oder Zeichenunterricht nicht zu empfehlen, an erster Stelle Zeichen- zu verwenden. Warum nicht?

Bei einer Zusammensetzung mit einem Verb an erster Stelle wird nicht der Infinitiv, sondern „nur“ der Stamm des Verbs verwendet:

schwimm[en] + Lehrer → Schwimmlehrer
mal[en] + Unterricht → Malunterricht
press[en] + Kohle → Presskohle

Bei Verben wie zeichnen und rechnen wird dabei im Stamm ein e eingefügt, das im Laufe der Wortgeschichte weggefallen ist1. Das geschieht, weil sonst Verbindungen wie *Zeichnlehrerin oder *Rechnunterricht entstehen würden. Also:

zeichn[en] + Lehrerin → Zeichenlehrerin
rechn[en] + Unterricht → Rechenunterricht
zeichn[en] + Kohle → Zeichenkohle

Bei den substantivierten Infinitivgruppen der Art, um die es hier geht, steht der ganze Infinitiv an erster Stelle. Dann wird nichts eingefügt und nichts weggelassen:

rechnen + lernen → das Rechnenlernen
zeichnen + lehren → des Zeichnenlehrens

Sie können also guten Gewissens und mit einem Verweis auf die deutschen Wortbildungsregeln darauf bestehen, dass es des Zeichnenlehrens sein sollte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 mittelhochdeutsch rechenen, zeichenen; althochdeutsch: rehhanōn, zeihhanen