Mehrere solche(r) Berichte – Genitiv oder gleicher Fall?

Frage

Ist der folgende Satz korrekt?

Demnach konnte er sich auf mehrere solcher schriftlicher Berichte stützen.

Die Präposition „auf“ verlangt hier den Akkusativ, aber „solcher“ und „schriftlicher“ stehen im Genitiv. Müsste es nicht heißen: „Demnach konnte er sich auf mehrere solche schriftliche Berichte stützen“?

Antwort

Guten Tag Herr F.,

die einfache Antwort lautet: Beides ist hier möglich.

mehrere solche schriftliche Berichte
mehrere solcher schriftlicher Berichte
auch: mehrere solcher schriftlichen Berichte1

Komplizierter wird es, wenn man erklären möchte, warum das so ist.

Wenn auf mehrere direkt ein Adjektiv folgt, ist mehrere ein Artikelwort, das zur nachfolgenden Wortgruppe gehört. Artikelwort und Wortgruppe stehen im gleichen Fall:

Er ist mit mehreren guten Freunden verreist.
Der Text enthält mehrere kleine Fehler.
Er konnte sich auf mehrere schriftliche Berichte stützen.

Wenn nach mehrere eine Wortgruppe mit einem „eigenen“ Artikelwort folgt, ist mehrere ein Pronomen und die Wortgruppe steht im Genitiv:

Er ist mir mehreren seiner Freunde verreist.
Der Text enthält mehrere dieser kleinen Fehler.
Er konnte sich auch mehrere der genannten schriftlichen Berichte stützen.

Das „Problem“ bei solche ist, dass es sich nicht einfach einer Wortklasse zuordnen lässt. Es hat die Eigenschaften eines Adjektivs, aber auch die Eigenschaften eines Pronomens und Artikelwortes.

So kann solch- zum Beispiel wie ein Adjektiv nach unbestimmten Artikelwörtern wie ein, kein, einige, mehrere stehen:

ein solcher Freund
keine solchen Fehler
einige/mehrere solche Berichte

Anders als ein Adjektiv kann solch- aber nur nach unbestimmten Artikelwörtern stehen, also:

nicht: *der solche Freund
nicht: *meine solchen Fehler
nicht: *diese solchen Berichte

Dann verhält es sich also wie ein „gewöhnliches“ Artikelwort.

Je nachdem ob man solche nun a) als Adjektiv oder b) als Artikelwort empfindet, seht die Wortgruppe, die es einleitet a) im gleichen Fall wie das unbestimmte Artikelwort vor ihm oder b) im Genitiv:

a) mehrere solche schriftliche Berichte
b) mehrere solcher schriftlicher Berichte
b) auch: mehrere solcher schriftlichen Berichte1

Ich ziehe hier die Übereinstimmung im Kasus vor, aber der Genitiv kommt ebenfalls häufig vor.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Zur Deklination des Adjektivs nach solch- siehe Kommentare.

Öffnen Theater am Tag der offenen Tür ihre Tür oder ihre Türen?

Frage

Hier stolpere ich immer wieder drüber – wie ist es richtig mit den Türen?:

Über 100 Theater öffnen ihre Tür für das Publikum.
Über 100 Theater öffnen ihre Türen für das Publikum.

Oder geht einfach beides?

Antwort

Guten Tag Frau P.,

eine enttäuschende Antwort für alle, die denken, dass Deutsch eine so schön logische Sprache sei: Beides ist richtig.

Es sei vorausgeschickt, dass ein Theater wörtlich seine Türen in der Mehrzahl oder im übertragenen Sinne seine Tür in der Einzahl öffnen kann. Die meisten Theater sind so groß, dass sie mehr als eine Tür haben, die geöffnet wird. An einem Tag der offenen Tür kann aber einfach bildlich „die Tür“ als Zugang gemeint sein.

Das Stadttheater öffnet seine Türen für Neugierige.
Das Stadttheater öffnet seine Tür für Neugierige.

Wie sieht es nun aus, wenn mehrere Theater jeweils eine (sprichwörtliche) Tür öffnen? – Auch dann geht beides.

Es gibt im Deutschen den sogenannten distributiven Singular, den man verwendet, wenn mehrere Einheiten oder vor allem mehrere Personen jeweils eine Sache haben:

Alle hatten eine Mütze auf.
Viele Eltern tendieren dazu, ihr Einzelkind zu verwöhnen.
Bei mehreren Hütten hatte der Sturm das Dach abgedeckt.

Es ist aber nicht falsch, hier den Plural zu verwenden:

Alle hatten Mützen auf.
Viele Eltern tendieren dazu, ihre Einzelkinder zu verwöhnen.
Bei mehreren Hütten hatte der Sturm die Dächer abgedeckt.

Das gilt auch für Theater, die ihre Tür(en) öffnen, selbst wenn die eine sprichwörtliche Tür gemeint ist:

Über hundert Theater öffnen ihre Tür für das Publikum.
Über hundert Theater öffnen ihre Türen für das Publikum.

Nur dann, wenn gesagt werden soll, dass alle beteiligten Theater jeweils mehr als eine Tür öffnen, nur dann muss der Plural ihre Türen stehen.

Mehr zu diesem Thema finden Sie in zwei älteren Artikeln (Fragen dieser Art tauchen immer wieder auf): Der erste behandelt die Frage, ob sich unsere Vorfahren in ihrem Grab oder in ihren Gräbern umdrehen würden. Der zweite beschäftigt sich mit dem „Problem“, wie viele Häuser ein Popstar hat, der Häuser in drei Ländern besitzt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Wohlergehen eines Knirpses wie mir / wie meiner / wie ich?

Frage

Ich hätte wieder einmal eine (zumindest für mich grad sehr) knifflige Frage. Der Satz lautet:

Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen eines Knirpses wie mir interessierte.

Hier tönt „wie mir“ für mich seltsam, aber „wie ich“ irgendwie auch. Was ist richtig?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

Die Frage ist nicht nur für Sie knifflig, sie tauch immer wieder auf. Auch ich habe keine einfache Antwort, die ich mit voller Überzeugung präsentieren kann.

In Formulierungen dieser Art kommt der Dativ wie mir zwar vor und er klingt auch gar nicht so falsch, aber er gilt hier standardsprachlich als nicht korrekt. In einer wie-Gruppe wie dieser gilt im Prinzip die Übereinstimmung im Kasus:

ein Knirps wie der kleine Schlingel
einen Knirps wie den kleinen Schlingel
einem Knirps wie dem kleinen Schlingel
eines Knirpses wie des kleinen Schlingels

ein Knirps wie ich/du/er/sie
einen Knirps wie mich/dich/ihn/sie
einem Knirps wie mir/dir/ihm/ihr

Und wie steht es in der zweiten Beispielgruppe mit dem Genitiv? – Wenn die wie-Gruppe sich auf ein Genitivattribut bezieht und kein Artikelwort enthält, steht sie im Nominativ, nicht im Genitiv. Das ist u. a. bei Eigennamen und Pronomen der Fall:

das Leben eines Knirpses wie ich (nicht: wie meiner, wie mir)

das Leben eines Bengels wie du (nicht: wie deiner, wie dir)
das Leben eines Mannes wie er (nicht: wie seiner, wie ihm)
das Leben einer Frau wie sie (nicht: wie ihrer, wie ihr)

das Leben eines Knirpses wie Leon (nicht: wie Leons)
das Leben einer Politikerin wie Thatcher (nicht: wie Thatchers)

Demnach muss es ist hier also heißen:

Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen eines Knirpses wie ich interessierte.

Das klingt tatsächlich ein bisschen ungewohnt. Wenn Sie das „stört“, können Sie auf eine andere Formulierung ausweichen (das würde ich auch tun). Je nachdem was genau gemeint ist, ginge zum Beispiel:

Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen eines Knirpses, wie ich es war, interessierte.
Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen des Knirpses, der ich war, interessierte.

Manche Fragen übersteigen auch das Sprachgefühl eines Linguisten wie ich – oder eben eines Linguisten, wie ich es bin.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die Prozentangabe und das Verb

Frage

Ich plage mich gerade mit einem Satz herum und weiß nicht, ob man hier das Verb in der Einzahl oder der Mehrzahl verwendet:

In dunklen Räumen wird/werden 50 Prozent mehr künstliches Licht benötigt.

Antwort

Guten Tag Frau D.,

hier können Sie sowohl den Singular als auch den Plural verwenden:

In dunklen Räumen werden 50 Prozent mehr künstliches Licht benötigt.
In dunklen Räumen wird 50 Prozent mehr künstliches Licht benötigt.

Das Verb richtet sich nach dem Subjekt (50 Prozent mehr künstliches Licht). Weshalb ist dann beides möglich? Der Plural werden richtet sich formal nach der Mehrzahl der Prozentangabe 50 Prozent mehr. Der Singular wird richtet sich sinngemäß nach der Einzahl künstliches Licht. Beides ist bei Formulierungen dieser Art (Prozentangabe mit Substantiv im Nominativ) standardsprachlich möglich.

Ebenso zum Beispiel:

Pro Millimeter Kalkablagerung geht/gehen etwa 10 Prozent Energie verloren.
Acht Prozent mehr Lohn ist/sind nicht zu viel verlangt.
Im letzten Jahr wurde/wurden 20 % weniger Gas verbraucht.

In den Beispielen oben folgt der Prozentangabe ein Substantiv im Nominativ. Auch wenn ihr ein Genitiv im Singular folgt, kann das Verb sowohl im Singular als auch im Plural stehen.

Dabei gehen/geht etwas zehnProzent der Energie verloren.
80 % der Kohle werden/wird auf dem Schienenweg transportiert.

Der Singular gehört dann aber eher zur gesprochenen Sprache und wird von einigen sogar als falsch angesehen. Wer gut gemeinte Verbesserungen oder weniger gut gemeinte Rügen vermeiden will, wählt deshalb in der geschriebenen Sprache besser den Plural für das Verb. Mich persönlich stört der Singular hier allerdings nicht, das heißt, ich halte ihn auch für korrekt. Ich vermute aber, dass nicht 100 Prozent der Leserschaft einverstanden sein werden/wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Mehr zum komplexen Thema der Kongruenz zwischen Subjekt und Verb, wenn das Subjekt eine Mengenangabe ist, finden Sie hier.

Welcher Fall stimmt: im Namen unserer Mitglieder, den Sportvereinen / der Sportvereine?

Frage

Mein Sprachempfinden suggeriert mir gerade, von der Kasuskongruenz abzuweichen. Was ist richtig:

Wir tun dies im Namen unserer Mitglieder, der 128 Sportvereine (kongruent).
Wir tun dies im Namen unserer Mitglieder, den 128 Sportvereinen (mein Sprachempfinden)

Antwort

Guten Tag Herr O.,

es handelt sich hier um eine Apposition, das heißt eine Substantivgruppe  (die 128 Sportvereine), die eine andere Substantivgruppe (hier: unsere Mitglieder) näher bestimmt. Wenn das Substantiv der Apposition wie in Ihrem Satz einen Artikel bei sich hat, steht die Apposition im gleichen Fall wie die Bezugsgruppe:

Unsere Mitglieder, die 128 Sportvereine, haben uns beauftragt.
Wir tun dies für unsere Mitglieder, die 128 Sportvereine.
Wir tun dies zusammen mit unseren Mitgliedern, den 128 Sportvereinen.
Wir tun dies im Namen unserer Mitglieder, der 128 Sportvereine.

Standardsprachlich gilt hier nur die Übereinstimmung im Kasus als korrekt. Es muss also heißen:

Wir tun dies im Namen unserer Mitglieder, der 128 Sportvereine.

Sie stehen aber mit Ihrem Sprachempfinden keineswegs allein. Immer häufiger wird bei Appositionen dieser Art der Dativ anstelle des eigentlich geforderten Falles verwendet:

Wir tun dies im Namen unserer Mitglieder, den 128 Sportvereinen. [?]

Vor allem bei längeren Sätzen fällt das oft gar nicht auf, aber es gilt standardsprachlich (noch?) nicht als korrekt. Hier noch ein paar Beispiele:

die Preiserhöhung für Erdöl, den wichtigsten Grundstoff in der Reifenproduktion
(besser nicht: die Preiserhöhung für Erdöl, dem wichtigsten Grundstoff in der Reifenproduktion)

Er reiste in Begleitung seines Freundes, eines sehr erfahrenen Rangers.
(besser nicht: Er reiste in Begleitung seines Freundes, einem sehr erfahrenen Ranger.)

Das lässt sich am besten am Beispiel Brasiliens, des größten Landes des Subkontinents, zeigen.
(besser nicht: Das lässt sich am besten am Beispiel Brasiliens, dem größten Land des Subkontinents, zeigen.)

Vielleicht finden Sie beim Lesen der Beispiele, dass die „falschen“ Formulierungen gar nicht so falsch klingen. Dennoch gilt – wie gesagt – die Verwendung des Dativs dort, wo er sich nicht auf einen Dativ bezieht, standardsprachlich nicht als korrekt. Das wird sich vielleicht einmal ändern, denn Fragen zu diesem Thema tauchen hartnäckig immer wieder auf. So gab es schon vor Jahren einmal einen Blogartikel mit dem Titel Die Apposition und der Dativ.

Mehr Informationen über das komplexe Thema der Fallkongruenz bei Appositionen finden Sie auf dieser Seite in der LEO-Grammatik.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Gedankenstrich ist nicht gleich Gedankenstrich

Frage

Wie wird im folgenden Satz das finite Verb korrekt konjugiert (man beachte den Gedankenstrich)?

Umso wichtiger ist/sind eine gute Zusammenarbeit – und eine vertrauensvolle Basis.

In diesem Fall komme ich trotz Recherche in Fachliteratur nicht voran.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

die Verunsicherung entsteht tatsächlich durch den Gedankenstrich, der mehr als nur eine Funktion und Bedeutung haben kann. Ohne Gedankenstrich sollte das Verb im Plural stehen:

Umso wichtiger sind eine gute Zusammenarbeit und eine vertrauensvolle Basis.

Mit dem Gedankenstrich vor und kann das Verb in diesem Satz im Plural oder im Singular stehen, je nachdem welche Bedeutung und wie viel Gewicht man dem Gedankenstrich zumisst. Zum Beispiel:

Wenn der Gedankenstrich eine (einfache, effektvolle oder dramatische) Pause angibt, steht er sozusagen innerhalb der Satzstruktur, die danach weitergeführt wird. Das Verb steht entsprechend weiterhin im Plural:

Umso wichtiger sind eine gute Zusammenarbeit – und eine vertrauensvolle Basis.

Wenn der Gedankenstrich angibt, dass ein Nachtrag folgt (zum Beispiel so etwas wie ach ja, und …), kann das Verb auch im Singular stehen. Wählt man den Singular, wird die Satzstruktur nach Zusammenarbeit abgeschlossen. Danach folgt eine Ergänzung, die man, wenn man so will, als unvollständigen Satz interpretieren kann:

Umso wichtiger ist eine gute Zusammenarbeit – und eine vertrauensvolle Basis.

Mit dem Singular ist der Unterbruch, den der Gedankenstrich angibt, anders und stärker als mit dem Plural. An Ihnen die Wahl, was besser passt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wenn auch „alles“ passt: Und es waren alles/alle harte Taler

Frage

Ich stehe auf dem Schlauch bei einem Satz aus einem Übungsbuch:

Da fielen auf einmal die hellen Sterne vom Himmel und es waren alles harte Taler.

Hier ist „alles“ richtig, aber ich kann nicht erklären, warum es nicht „alle“ heißen muss, denn eigentlich sind es ja „alle Sterne, die sich in Taler verwandelt haben“. Mir hat jemand diese Frage gestellt […]

Antwort

Guten Tag Frau I.,

der sächliche Singular alles kann sich in Verbindung mit dem Verb sein (in Kopulasätzen) nicht nur auf ein sächliches Substantiv im Singular beziehen, sondern auch allgemeiner auf etwas, eine Gruppe usw. von gleich welchem Genus und Numerus. Das ist auch in Ihrem Beispielsatz der Fall:

Und es waren alle harte Taler.
Und alle waren harte Taler.
(= Alle gefallenen Sterne waren harte Taler)

Und es waren alles harte Taler.
Und alles waren harte Taler.
(ungefähr: Die Gesamtheit der gefallenen Sterne waren harte Taler)

Die Umschreibungen sind nicht sehr aussagekräftig und entsprechend auch nicht sehr hilfreich bei der Unterscheidung zwischen alle und alles. Am besten beschränken Sie sich bei der Erklärung darauf, dass die sächliche Form sich in Fällen wie diesen auch auf nicht Sächliches und nicht im Singular Stehendes beziehen kann. Weitere Beispiele:

Wir sind alles Menschen.
Es waren über hundert Personen und fast alles (waren) Deutsche.
Es waren alles schöne Geschäfte, die wir besucht haben.

Dies gilt übrigens auch für beides:

Zwei Sterne fielen vom Himmel und es waren beides harte Taler.
Wie sind beides Thüringer.
Die Corona-Pandemie und die Klimakrise sind beides globale Erscheinungen.

In den meisten Fällen ist auch die „normale“ Form mit Übereinstimmung in Numerus und Genus möglich:

Wir sind alle Menschen.
… und fast alle waren Deutsche.
… und es waren beide harte Taler.
Wir sind beide Thüringer.

Kurzum: In Kopulasätzen mit sein können die sächlichen Formen alles und beides mit Substantiven jeglicher Art kombiniert werden. Deshalb waren die gefallenen Sterne im Märchen ganz korrekt alles harte Taler.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Kongruenz: Verstehen wir uns als kompetenter oder als kompetenten Dienstleister?

Frage

Es geht um diesen Satz:

Wir verstehen uns als kompetenter Dienstleister und Problemlöser für unsere Kunden.

Müsste „kompetenter“ nicht im Akkusativ stehen? Bezieht sich „kompetenter Dienstleister“ auf „wir“ oder auf „uns“? Oder ist vielleicht sogar beides („kompetenter/kompetenten“) korrekt?

Antwort

Guten Tag Frau P.,

hier ist tatsächlich beides möglich:

Wir verstehen uns als kompetenter Dienstleister und Problemlöser für unsere Kunden.
Wir verstehen uns als kompetenten Dienstleister und Problemlöser für unsere Kunden.

Wenn eine mit als oder wie eingeleitete Wortgruppe von einem reflexiven oder reflexiv verwendeten Verb abhängig ist, steht sie in der Regel im Nominativ. Sie bezieht sich dann auf das Subjekt:

Der Rottweiler hat sich als guter Wachhund bewährt.
Der Außenminister gebärdet sich wie ein innenpolitischer Rebell.
Die Erneuerung stellt sich als richtiger Schritt in die Zukunft heraus.
Ich fühlte mich als der Retter der Situation.

Das Museum präsentiert sich als moderner und multimedialer Erlebnisraum.
Du stellst sich als guter, besorgter Vater hin.
Er sah sich als der Retter der Menschheit.
Wir verstehen uns als kompetenter Dienstleister.

Bei den reflexiv verwendeten Verben (Verben, die mit gleicher Bedeutung statt des Reflexivpronomens auch ein Akkusativobjekt bei sich haben können), kommt selten auch der Akkusativ vor. Die die als-Gruppe bezieht sich dann auf das Reflexivpronomen:

Das Museum präsentiert sich als modernen und multimedialen Erlebnisraum.
Du stellst dich als guten, besorgten Vater hin.
Er sah sich als den Retter der Menschheit.
Wir verstehen uns als kompetenten Dienstleister.

In Ihrem Beispiel ist die als-Gruppe von sich verstehen abhängig. Sie bezieht sich üblicherweise auf das Subjekt und steht wie wir im Nominativ (wir als kompetenter Dienstleister). Seltener bezieht sie sich auf das Reflexivpronomen und steht wie uns im Akkusativ (uns als kompetenten Dienstleister).

Beides ist also möglich und beides gilt als korrekt. Mehr dazu finden Sie hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Bei nicht reflexiver Verwendung dieser Verben ist nur der Bezug auf das Akkusativobjekt üblich:

Das Museum präsentiert den Neubau als modernen und multimedialen Erlebnisraum.
Sie stellt ihn als guten, besorgten Vater hin.
Sie sahen ihn als den Retter der Menschheit.
Wir verstehen unsere Firma als kompetenten Dienstleister und Problemlöser.

Human Resources, HR, das Verb und der Artikel

Frage

Zu meiner Frage konnte ich bisher keine Antwort finden, vielleicht können Sie mir helfen. Der Ausdruck „Human Resources“ wird im Englischen im Plural verwendet, die Abkürzung HR wohl in der Einzahl. Wie ist es aber, wenn ich die Abkürzung HR im Deutschen verwenden will? Heißt es dann: „HR ist zuständig“ oder „HR sind zuständig“?

Antwort

Guten Tag Frau L.,

wenn Human Resources für die Gesamtheit des menschlichen Leistungspotenzials oder alle Mitarbeitenden eines Unternehmens steht, sollte der Ausdruck im Plural verwendet werden:

Unsere Human Resources sind ein wichtiges Fundament zur Erreichung unserer Ziele.

Mit der Bezeichnung Human Resources ist im Deutschen aber sehr häufig die Personalabteilung, der Personalbereich, das Personalmanagement und/oder die Personalbetreuung gemeint (HR-Verantwortliche mögen mir diese vielleicht etwas zu ungenaue Darstellung verzeihen). Das gilt in noch stärkerem Maße für die Abkürzung HR.

Bei der Verwendung von Abkürzungen gibt es keine allgemeingültigen Regeln. Richtig ist, was üblich ist. Im Deutschen wird HR meistens mit dem Singular verwendet. Gemeint ist damit [die Abteilung/das Team/der Bereich] HR.

Undeutlicher wird die Lage, wenn man den Artikelgebrauch bei HR anschaut. Diese Varianten kommen häufiger vor:

HR ist zuständig / in HR arbeiten
das HR ist zuständig / im HR arbeiten
die HR ist zuständig / in der HR arbeiten

Ob mit dem sächlichen, mit dem weiblichen oder ganz ohne Artikel, alle Varianten werden verwendet und alle können als korrekt gelten. Es hat sich (noch?) kein Standard herausgebildet. Es ist nur zu empfehlen, sich für eine der Varianten zu entscheiden und dann in einem Text, auf einer Website usw. überall die gewählte Variante zu verwenden.

Sicher richtig und stilistisch meist etwas besser sind Formulierungen dieser Art:

Der Bereich HR ist zuständig
Die HR-Abteilung ist zuständig
Das HR-Team ist zuständig
Die HR-Verantwortlichen sind zuständig

im Bereich HR arbeiten / im HR-Bereich arbeiten
in der Abteilung HR arbeiten / in der HR-Abteilung arbeiten

Den Vorschlag, HR durch einen Begriff mit Personal zu ersetzen, mache ich hier nicht mehr. In vielen Unternehmen ist dieser Zug schon lange abgefahren.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Rezepte (zu) kurz formuliert: „… und verrührst es mit einem Löffel“

Frage

In Rezepten liest man gelegentlich:

Du gibst 100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel und verrührst es mit einem Löffel.
Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt es 10 Minuten kochen.

Ich störe mich in beiden Fällen an dem „es“. Müsste es im ersten Satz statt „es“ nicht eher heißen „die Zutaten“ und im zweiten Satz „sie“ (die Mandeln) oder „die Masse“?

Antwort

Guten Tag Herr S.,

Sie haben recht. Die Formulierung mit es ist schön kurz und bündig, wie man es in Rezepten gerne sieht, aber sie ist nicht korrekt. Das Wörtchen es kann sehr viele Funktionen haben – so viele, dass es fast erstaunt, dass es nicht immer richtig ist (was natürlich eine grobe Übertreibung ist).

Hier ist es ein stellvertretendes Fürwort. Als stellvertretendes Fürwort kann es vieles sein:

  • Stellvertreter für ein sächliches Substantiv im Singular als Subjekt oder Akkusativobjekt,
  • Stellvertreter für ein Substantiv oder Adjektiv als Prädikativ,
  • Stellvertreter für ein Substantiv als Subjekt in einem Gleichsetzungssatz,
  • Stellvertreter für einen Infinitiv oder einen ganzen Satz.
    (Für mehr Details und Beispiele siehe die LEO-Grammatik)

In den beiden Beispielen ist es Akkusativobjekt (Wen oder was verrührst du / lässt du kochen?). Es kann sich dann also nur auf ein sächliches Substantiv im Singular beziehen. Das ist in diesen Beispielen der Fall:

Du schlägst das Ei in eine Schüssel und verrührst es mit einer Gabel.
Du verrührst das Mus und lässt es 10 Minuten kochen.

Es kann sich nicht wie im ersten Beispielsatz auf mehrere Substantive oder wie im zweiten Satz auf ein Substantiv im Plural beziehen. Es bleibt deshalb nur, anders zu formulieren. Zum Beispiel:

Du gibst 100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel und verrührst die Zutaten mit einem Löffel.
Du gibst 100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel und verrührst alles mit einem Löffel.

Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt sie 10 Minuten kochen.
Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt die Masse 10 Minuten kochen.
Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt die Mischung 10 Minuten kochen.

In der Kürze liegt die Würze, aber bei Ihren Beispielsätzen mit es ist die Kürze etwas zu würzig geraten. Wenn es wirklich kurz sein soll, ist die in der Rezeptsprache sehr übliche Formulierung mit Infinitiven zu empfehlen:

100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel geben und mit einem Löffel verrühren.
Mandeln mit dem Honig verrühren und 10 Minuten kochen lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp