Wunder weiß was wie schön

Frage

„Sie meinte, wunderweißwas wie schön sie sei.“ Ist das ein Wort und schreibt man es so?

Antwort

Guten Tag U.,

der Ausdruck gehört eigentlich nur zur gesprochenen Umgangssprache. Wenn Sie ihn dennoch aufschreiben möchten, tun Sie dies am besten wie folgt:

Sie meinte, Wunder weiß was wie schön sie sei.

Man schreibt nämlich Wunder in etwas weniger wortreichen Verstärkungen wie den folgenden ebenfalls von anderen Wörtern getrennt und groß:

Ich kam mir Wunder wie schlau vor.
Ihr bildet euch Wunder was ein.
Er meint Wunder wer zu sein und Wunder was geleistet zu haben.

Sehen Sie auch Wunder in Canoonet.

Im Prinzip ist Wunder weiß was wie eine Zusammenziehung von Wunder wie (siehe Beispiel oben) und Wunder weiß was (siehe unten):

Die können einem Wunder weiß was andrehen.
Er guckte auf seine Schuhspitzen, als gäbe es da Wunder weiß was zu entdecken.

Mit Wunder wer, Wunder was, Wunder wie (oder eben der aneinandergereihten „Turboversion“ Wunder weiß was wie) drückt man aus, dass man eine Einschätzung übertrieben findet. Diese Ausdrucksweise gehört aber, wie gesagt, vor allem zur gesprochenen Umgangssprache. Die richtige Schreibung ist deshalb eigentlich gar nicht so wichtig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Nach mir die Sintflut

Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen war und ist, aber bei mir hier sieht es in den letzten Tagen öfter aus, als würde es nie mehr aufhören zu regnen. Manchmal drängt sich sogar der Ausdruck „sintflutartige Regenfälle“ auf. Ganz so schlimm ist es natürlich nicht, denn wir kommen noch problemlos ohne Sandsäcke und Wasserpumpen aus, und wenn man an die Flutkatastrophe in Pakistan denkt, haben wir hier erst recht nichts zu klagen. Ich befürchte dann auch nicht, die Sintflut habe wirklich schon angefangen. Verdient hätten wir sie ja vielleicht schon, wenn man bedenkt, dass die Menschheit nicht allzu viel tut, um den drohenden Klimawandel abzuschwächen. In dieser Hinsicht könnte man bei sehr vielen von uns von einer „Nach-mir-die-Sintflut-Haltung“ sprechen.

Mit der Redewendung „Nach mir die Sintflut“ benennt man die egoistische Haltung, bei der jemand nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist und den Nachfolgenden völlig gleichgültig gegenübersteht. Wenn Leute Picknickplätze völlig verdreckt hinterlassen, wenn Banker ausschließlich auf ihre Boni aus sind, wenn die Menschheit die Erde zum eigenen Profit ausbeutet, dann kann man von „Nach mir die Sintflut“ sprechen. Im letzen Fall ist der Ausdruck in vielen Landstrichen der Erde vielleicht sogar wörtlicher zu nehmen, als es den dort Wohnenden lieb sein wird.

Die Redewendung ist eine Übersetzung aus dem Französischen. „Après nous le déluge“, soll der Überlieferung nach Madame de Pompadour, die Mätresse Ludwigs XV., nach der verlorenen Schlacht bei Roßbach (1757) gesagt haben, als sie trotz der Niederlage ihre politischen Pläne nicht aufgeben und weiter Krieg führen wollte. Deshalb machte man sie auch noch nach ihrem Tod für alle französischen Fehlschläge des Siebenjährigen Krieges verantwortlich. Doch das ist ihr eingedenk des ihr zugeschriebenen Mottos wahrscheinlich ziemlich egal.

Das Wort Sintflut hat noch etwas Interessantes: Es ist ein häufig erwähntes Beispiel für die sogenannte Volksetymologie. Es kommt nicht, wie immer wieder angenommen wurde, von Sündflut. Die alt- und mittelhochdeutsche Vorsilbe sin hatte die Bedeutung andauernd, umfassend. Als man diese Vorsilbe nicht mehr verstand, wurde sie durch das „Volk“ zu Sünde umgedeutet. Diese Erklärung drängt sich ganz natürlich auf, wenn man bedenkt,  dass der alttestamentarische rächende Gott die Menschheit mit der Sintflut bestrafte. Bestraft wird man ja im biblischen Kontext für seine Sünden.

Inzwischen meldet der Wetterbericht, dass es in den nächsten Tagen doch wieder Aussicht auf Sonnenschein gibt. So viel zum weltweit meistbesprochenen Thema, dem Wetter.

Viel Erfolg, viel Spaß und vielen Dank!

Frage

Warum heißt es „Vielen Dank!“, aber „Viel Erfolg!“ oder „Viel Spaß!“?

Antwort

Sehr geehrte Frau B.,

den genauen Grund kenne ich nicht. Bei festen Wendungen wie diesen lässt sich oft nicht so einfach sagen, weshalb sie genau so lauten, wie sie lauten. Es handelt sich hier in allen drei Fällen um einen Akkusativ, denn die Ausdrücke sind eigentlich verkürzte Sätze wie diese:

Haben Sie vielen Dank!
Ich sage Ihnen vielen Dank!

Habt viel Spaß/viel Erfolg!
Ich wünsche euch viel Erfolg/viel Spaß!

Wenn viel ohne Artikel vor einem Nomen in der Einzahl steht, bleibt es heute im Gegensatz zu anderen Adjektiven meist ungebeugt:

Du hast großen Erfolg gehabt.
Du hast viel Erfolg gehabt.

Sie verdient gutes Geld.
Sie verdient viel Geld.

(Mehr dazu finden Sie in der canoonet-Grammatik)

Die Ausdrücke Viel Erfolg! und Viel Spaß! entsprechen diesem heutigen Gebrauch: Man sagt nicht *Vielen Erfolg! oder *Vielen Spaß!, auch wenn sie im Akkusativ stehen. In der Wendung Vielen Dank! hingegen wird viel gebeugt. Man kann daraus schließen, dass die Wendung wahrscheinlich älter ist als die beiden anderen oder zumindest schon früher zur festen Wendung geworden ist.

Solche festen Wendungen und Floskeln entziehen sich oft der „normalen“ Grammatik, weil sie nicht als eine Reihe einzelner Wörter, sondern als Ganzes eine eigene Entstehungs- oder Entwicklungsgeschichte durchgemacht haben. Andere „ungrammatische“ Beispiele dieser Art, die mir hier ganz spontan in den Sinn kommen, sind eines Nachts und aus aller Herren Länder. Nacht ist weiblich und im Genitiv endungslos. Länder müsste eigentlich im Dativ stehen: aus … Ländern. In bestimmten Zusammenhängen sind also selbst gröbere Verstöße gegen die Grammatikregeln richtig!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Warum die Katze nicht gewöhnt ist, Trockenfutter zu fressen

Hinweis für Tierliebhaber: Das ist an dieser Stelle keine Frage der Tierhaltung, sondern der Grammatik. Die standardsprachliche Katze ist nämlich gegebenenfalls [es] gewohnt oder daran gewöhnt, Trockenfutter zu erhalten.

Frage

Sind die beiden Sätze „Ich bin es gewöhnt“ und „Ich bin es gewohnt“ ihrer Meinung nach korrekt und gleichbedeutend? […] Könnte man sagen: „Ich bin das Klima gewöhnt/gewohnt“?

Antwort

Sehr geehrter Herr C.,

die beiden Wörter gewohnt und gewöhnt haben tatsächlich eine sehr ähnliche Bedeutung. Sie werden aber im Satz unterschiedlich verwendet. Standardsprachlich sind diese Formulierungen üblich:

etwas gewohnt sein
an etwas gewöhnt sein

Daraus ergeben sich für Ihr Beispiel die folgenden Möglichkeiten:

Ich bin das Klima gewohnt.
Ich bin an das Klima gewöhnt.

Ich bin es gewohnt.
Ich bin daran gewöhnt.

Die Formulierung Ich bin das Klima gewöhnt gilt standardsprachlich als nicht korrekt.

Auch in Verbindung mit einer Infinitivkonstruktion (zu+Infinitiv) formuliert man unterschiedlich, wobei gewohnt mit oder ohne es stehen kann:

Die Katze ist [es] gewohnt, Trockenfutter zu fressen.
Die Katze ist daran gewöhnt, Trockenfutter zu fressen.

Auch hier gilt, dass man standardsprachlich nicht sagt: Die Katze ist [es] gewöhnt, Trockenfutter zu fressen.

Mit gewöhnt drückt man aus, dass etwas das Resultat einer Gewöhnung ist. Mit gewohnt sagt man, dass etwas eine Gewohnheit ist, dass etwas als Selbstverständlichkeit empfunden wird, weil es immer so ist. Die beiden Bedeutungen liegen nicht sehr weit auseinander, so dass es öfter möglich ist, sowohl eine Sache gewohnt sein als auch an eine Sache gewöhnt sein zu sagen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Feierbiest und die Gladiolen

Ich muss noch einmal auf den neuen holländischen Liebling der Nation (genauer: der deutschen Nation) zurückkommen. Vor kurzem habe ich dank Herrn van Gaal die Tradition der Bierdusche für den Meisterschaftssieger und das Wort Tulpengeneral kennen gelernt. Seit kurzem kennt die deutsche Sprache dank Herrn van Gaal zwei neue Ausdrücke (mindestens!):

der Tod oder die Gladiolen
Feierbiest

Die erste Wendung lautet auf Niederländisch de dood of de gladiolen und bedeutet ungefähr alles oder nichts. Sie wird dem Radrennfahrer Gerrie Knetemann (1951-2004) zugeschrieben, der sie als Erster verwendet haben soll. Auch ein anderer Spruch, der die Radler, die an einer langen Etappe der Tour de France teilnehmen, treffend charakterisiert, soll von diesem Amsterdamer stammen: Verstand auf null, Blick auf unendlich. Ich wollte Ihnen diese zweite Redewendung hier nicht vorenthalten, weil eine solche Haltung im Fußballsport so wenig empfehlenswert ist, dass wir wahrscheinlich lange warten müssen, bis Herr van Gaal den Ausdruck für uns importiert.

Aber weshalb Tod oder Gladiolen? Hier die Erklärung, die ich finden konnte: Bei Radrennen erhielt der Sieger oft Gladiolen. Auch beim viertägigen Nijmegenmarsch erhalten die Teilnehmer am Ziel von den Zuschauern Gladiolen. Gerrie Knetemann meinte also, dass man sich so sehr anstrengen soll, dass man entweder tot hinfällt oder die Ziellinie (als Sieger) erreicht.

Die Gladiole verdankt ihren Namen ihrer Form. Das lateinische Wort gladiolus bedeutet kleines Schwert. Mit einem solchen Schwert wurden die Blätter der Gladiole verglichen. So weit, so gut. Nun beginnt der historisch eher wacklige Teil der Erklärung: Auch das Wort Gladiator ist vom lateinischen Wort gladius = Schwert abgeleitet. In einem Gladiatorenkampf gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man verlor und fand den Tod oder man siegte und wurde mit Gladiolen überschüttet.

Irgendwie habe ich diesen Gladiolenregen in Filmen wie „Ben Hur“, „Spartacus“ und „Gladiator“ verpasst. Auch sonst konnte ich nirgendwo eine Bestätigung dieser römischen Variante der Bierdusche finden. Es bleibt aber eine schöne Erklärung, auch wenn sie nicht wahr sein sollte.

Wie dem auch sei, Herr van Gaal durfte die neu-sprichwörtlichen Gladiolen als Feierbiest so richtig schön feiern. Mit dem Wort feestbeest scheint man im Niederländischen jemanden zu bezeichnen, der weiß, wie man Feste feiert.

Gerrie Knetemann mit Gladiolen 1978
Weltmeister Gerrie Knetemann mit Gladiolen, 1978

„Bierdusche für den Tulpengeneral“

Die Tradition der Bierdusche war mir nicht bekannt, bis der niederländische Fußballtrainer Louis van Gaal sich eine solche teutonische Behandlung im Falle eines offenbar unvermeidlichen Erfolges des von ihm trainierten FC Bayern München ausdrücklich verbat. Diese Weigerung war allem Anschein nach so erstaunlich und außergewöhnlich, dass die in Presse, Funk und Fernsehen für den Sport Verantwortlichen sie für vermeldenswert hielten. Als die Bayern den Meistertitel dann auch wirklich gewannen und Herr van Gaal, inzwischen „zufälligerweise“ im Trainingsanzug statt wie sonst im eleganten Anzug, der Bierdusche trotz wilder Flucht über den Platz nicht entkommen konnte, wurde sogar außerhalb der Sportrubriken ziemlich ausgiebig darüber berichtet. So habe auch ich – nicht ohne ein gewisses Erstaunen – von dieser Tradition Kenntnis erhalten.

Falls es irgendwo Leser und Leserinnen gibt, die noch blinder und noch tauber für Sportnachrichten sind als ich, hier noch eine kurze Erklärung zum Begriff Bierdusche: Es scheint vor allem in deutschen Fußballkreisen Tradition zu sein, den Sieger einer Meisterschaft mit Bier zu übergießen. Das nennt man dann aus nicht allzu schwer verständlichen Gründen eine Bierdusche. Wenn man diese Tradition nicht kennt und Bier im Allgemeinen lieber in Flasche und Glas als auf Kopf und Kleidung hat, kann man die anfänglich so spielverderberische Haltung des niederländischen Fußballcoachs eigentlich ganz gut verstehen. Doch darum geht es hier nicht.

Van Gaal, der nicht gerade das allerbeste Deutsch spricht, das man je aus niederländischem Munde vernommen hat (nichts für ungut!), kannte diese Bierdusche. Bopp, der sich anmaßt, Ihre Fragen zur deutschen Sprache zu beantworten, kannte sie nicht. Das zeigt, dass man Begriffe nicht immer deshalb kennt, weil man eine Sprache eingermaßen gut beherrscht, sondern oft vielmehr deshalb, weil man einen bestimmten Lebensbereich gut kennt. So hat der „Sprachdoktor“ dank eines holländischen Fußballtrainers einen deutschen Begriff gelernt – oder eigentlich zwei: Das Prädikat Tulpengeneral, das Herr van Gaal seiner Herkunft und seinem offenbar eher autoritären Führungsstil zu verdanken hat, kannte ich nämlich auch nicht. Den Titel Bierdusche für den Tulpengeneral hätte ich ohne Hintergrundinformationen bis vor kurzem also gar nicht verstanden. Er ist auch nicht von mir. Dieses Meisterwerk der Schlagzeilenpoesie haben wir  Stern.de zu verdanken.

Wo bleibt der Artikel in Haus und Garten?

Frage

Schreibt man genießen im Haus und Garten oder genießen in Haus und Garten?

Antwort

Sehr geehrter Herr P.,

was gibt es denn, das man bei den derzeit im deutschen Sprachraum herrschenden Temperaturen und sonstigen Wetterverhältnissen sowohl im Haus als auch im Garten genießen könnte? Wenn es drinnen für etwas nicht zu warm ist, dann ist es bestimmt draußen zu kalt dafür. Doch mit einer Antwort statt einer nicht allzu seriösen Gegenfrage ist Ihnen wahrscheinlich mehr gedient:

Die folgenden beiden Formulierungen sind möglich. Ob Sie

genießen in Haus und Garten

oder

genießen im Haus und im Garten

sagen, ist vor allem eine Frage des Geschmacks oder des Stils. Beides ist richtig. Wenn Sie die Wendung ohne Artikel formulieren (mit in), sehen Sie Haus und Garten eher als abstrakte Einheit. Mit Artikel (im = in dem) sehen Sie das Haus und den Garten eher als konkrete Einheiten. Der Unterschied ist aber subtil – so subtil, dass die beiden Formulierungen meist ohne Bedeutungsunterschied gegeneinander ausgetauscht werden können. Andere Beispiele von solchen, mit und verbundenen Nomenpaaren, die mit oder ohne Artikel stehen können, sind:

die Anreise mit Zug und Bus
die Anreise mit dem Zug und dem Bus

das Interesse an Computer und Internet
das Interesse am Computer und am Internet

Küche und Bad renovieren
die Küche und das Bad renovieren

Sehen Sie hierzu auch diesen Abschnitt in der CanooNet-Grammatik. Es ist übrigens nicht möglich, das heißt standardsprachlich nicht üblich, bei Formulierung mit Artikel das zweite im wegzulassen:

nicht: genießen im Haus und Garten
sondern: genießen im Haus und im Garten

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Frühstück auf amerikanisch

Frage

Heißt es Frühstück auf Amerikanisch (wie Rede auf Deutsch) oder Frühstück auf amerikanisch?

Antwort

Sehr geehrte Frau M.,

gehen wir einmal davon aus, dass Sie ein Frühstück nach amerikanischer Art und nicht das amerikanische Wort für Frühstück meinen. Dann scheint die Frage nach der Groß- oder Kleinschreibung nicht eindeutig geklärt zu sein. Ich finde jedenfalls nirgendwo eindeutige Angaben dazu. Meine Empfehlung lautet:

Frühstück auf amerikanisch
Liebe auf italienisch
einparken auf französisch
Scheidung auf katholisch

Wenn mit der Verbindung von auf und einem unflektiertem Adjektiv die Art und Weise gemeint ist, sollte man kleinschreiben. Dies gilt auch zum Beispiel für die umgangssprachliche Wendung auf cool machen. Ich stütze mich dabei auf diese Rechtschreibregel.

Wenn eine Sprache gemeint ist, schreibt man aber nach auf tatsächlich groß (Regel):

ein Rede auf Deutsch halten
Wie heißt Frühstück auf Amerikanisch?
Wie sagt man Liebe auf Italienisch?
einparken auf Französisch 

Man schreibt also einparken auf Französisch, wenn es darum geht, wie das Wort im Französischen lautet (se garer). Mit einparken auf französisch ist die Art und Weise gemeint, wie man in Frankreich einparkt (hinten ein bisschen schubsen, vorne etwas schieben  – voilà! – schon ist der Wagen perfekt geparkt).

Diese an Haarspalterei grenzende Unterscheidung lässt sich m. E. damit begründen, dass es das Substantiv das Französisch als Sprachbezeichnung gibt, nicht aber als Bezeichnung der Art und Weise.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Eines Abends, eines Nachts

Heute geht es wieder einmal im eine Frage, bei der ich mich wundere, dass ich sie mir nie selbst gestellt habe.

Frage

Warum sagt man eines Nachts, obwohl das Nomen Nacht weiblich ist?

Antwort

Sehr geehrte Frau M.,

es ist tatsächlich erstaunlich, dass ein weibliches Wort wie Nacht plötzlich wie ein männliches oder sächliches Wort daherkommt. Weibliche Nomen haben (außer als Eingennamen) kein s im Genitiv. In einigen festen Wendungen stehen weibliche Wörter trotzdem mit einem Genitiv-s und manchmal sogar mit einem männlich/sächlichen Artikelwort. Eher veraltet:

von Obrigkeits wegen
an Zahlungs statt

Noch springlebendig, aber etwas gehoben:

eines Nachts

Diese eigentlich sehr sonderbaren Formen wurden schon vor langer Zeit in Analogie mit männlichen und sächlichen Wörtern gebildet, die in vergleichbaren festen Wendungen vorkommen:

von Amts wegen, von Staats wegen
an Kindes statt, an Eides statt
eines Tages, eines Morgens, eines Abends

Nach und nach haben sich diese weiblichen s-Genitive so sehr eingebürgert, dass sie uns heute gar nicht mehr sonderbar vorkommen. Sie sind auch standardsprachlich richtig, obwohl sie ihre Laufbahn streng genommen als „falsche Analogie“ angefangen haben.

Wortformen wie Zahlungs, Obrigkeits und Nachts kommen nur in diesen festen adverbialen Wendungen vor. Das erwähne ich hier auch zur Beruhigung von Deutschlernenden, die nach viel Arbeit und Mühe die Endungen der deutschen Nomendeklination endlich im Griff haben und dann plötzlich weiblichen Substantiven wie Nacht mit einem Genitiv-s begegnen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

NS: Auch das Adverb nachts (z. B. um drei Uhr nachts) ist ursprünglich eine Analogiebildung zu tags.

Lange Zähne bekommen

Frage

Heute habe ich den Ausdruck lange Zähne bekommen gehört. Arbeitskollegen meinten, dass sie dieselbigen bekommen, wenn sie an eine Kollegin denken. Was hat das zu bedeuten? Neid etwa?

Antwort

Sehr geehrter Herr S.,

ein interessanter Ausdruck! Er ist umgangssprachlich und hat zwei so unterschiedliche Bedeutungen, wie sie unterschiedlicher beinahe nicht sein könnten. Es gibt Leute, die mit lange Zähne bekommen meinen: Lust/Appetit auf etwas bekommen. Bei anderen wiederum bedeutet es (oft in Bezug auf Essen): keine Lust auf etwas haben, etwas nicht mögen. Ich weiß leider nicht, ob es hierbei regionale Unterschiede gibt.

Die beiden unterschiedlichen Bedeutungen sind wohl auf zwei unterschiedliche Redensarten zurückzuführen, in denen lange Zähne vorkommen:

jemandem lange Zähne machen; jemandem die Zähne lang machen
= jemandem Lust auf etwas machen; jemanden auf etwas begierig machen

lange Zähne machen; mit langen Zähnen essen
= etwas essen, das man nicht mag, und diesen Widerwillen gut sichtbar sein lassen

Mir kommt dazu spontan noch ein etwas konkreteres Bild in den Sinn, nämlich dass einem die Zähne länger werden, damit man so richtig schön zubeißen kann. Auch das kann sowohl positiv als auch negativ gemeint sein: Man kann das beißenswürdige Objekt zum Reinbeißen attraktiv finden, aber man kann den Biss auch als Strafmaßnahme sehen.

Es ist also nicht sehr erstaunlich, dass Sie nicht gleich verstanden haben, was mit dem Ausdruck gemeint sein könnte. Je nachdem, wie er gesagt wird, wer ihn verwendet und wie dabei geschaut wird, findet man die Kollegin, über die man spricht

  • sehr attraktiv oder
  • gar nicht nett.

Da Sie spontan auf Neid getippt haben, wird es wohl Letzteres gewesen sein. Auch mit einer positiven Bedeutung finde ich übrigens die Wendung nicht sehr schmeichelhaft, wenn sie auf eine Person bezogen wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp