Morbus helveticus, Heimweh und Auffahrt

Frage

Wie schreibe ich folgenden Begriff korrekt: „Schweizer Krankheit“ oder „Schweizerkrankheit“? Oder sind beide Schreibweisen gleichermaßen möglich? Im WWW finden sich genauso viele Belege für „Schweizer Krankheit“ wie für „Schweizerkrankheit“ .

Antwort

Guten Tag Herr B.,

es gibt hier offenbar keine gefestigte Schreibung. Möglich und vertretbar ist beides:

Schweizer Krankheit = schweizerische Krankheit
Schweizerkrankheit = Krankheit der Schweizer
(Morbus helveticus = Heimweh)

Welches der beiden mit Morbus helveticus gemeint ist, lässt sich nicht eindeutig festlegen. Vergleiche hierzu ähnlich aufgebaute Krankheitsbegriffe und deren Schreibung in den Wörterbüchern:

französische/Französische Krankheit o. Franzosenkrankheit
(Morbus gallicus = Syphilis)
englische/Englische Krankheit
(Morbus Anglorum = Rachitis)

Sie können also Schweizer Krankheit oder Schweizerkrankheit schreiben. Es empfiehlt sich allerdings, innerhalb eines Textes oder einer Textreihe immer die gleiche Variante zu verwenden.

Der Begriff ist eine Bezeichnung für (krankhaftes) Heimweh, das Ende des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich zum ersten Mal in der Schweiz beschrieben wurde. Dass die „Krankheit“ Schweizerkrankheit oder Schweizer Krankheit genannt wurde, soll an den vielen im Ausland engagierten Schweizer Söldnern gelegen haben, die daran litten.

Dass es gerade hier zu unterschiedlichen Schreibungen kommt, hat zwar nicht damit zu tun, es sieht aber wie ein Symptom einer anderen Schweizer „Krankheit“ aus: andere Rechtschreibgepflogenheiten als im Rest des deutschen Sprachraumes. So genießt man in der Schweiz zum Beispiel die Aussicht auf den Genfersee und wohnt man an der Baslerstrasse statt auf den Genfer See und an der Basler Straße (siehe diesen uralten Blogartikel zum Tessinerbrot).

Der morgige Tag zeigt übrigens, dass es auch bei der Wortwahl gewissen Eigenheiten gibt: Während man morgen im Allgemeinen Christi Himmelfahrt feiert und viele sich ein verlängertes Himmelfahrtswochenende gönnen, nennt man dies in der Schweiz Auffahrt und Auffahrtswochenende (mit Auffahrt ist also selbst in Schweizer Wintersportregionen nicht die Bergfahrt in einer Bergbahn vor der Skiabfahrt gemeint).

Schöne Himmelfahrt oder eben Auffahrt!

Dr. Bopp

An Weihnachten, zu Weihnachten oder einfach nur Weihnachten

Ob Sie einen Weihnachtsbaum oder einen Christbaum schmücken oder ob bei Ihnen der Weihnachtsmann oder das Christkind die Geschenke darunterlegt, kann verraten, aus welcher Sprachregion Sie (ungefähr) kommen. Aber auch ob Sie etwas an Weihnachten tun, zu Weihnachten tun oder einfach Weihnachten tun, kann ein Hinweis auf Ihre sprachliche Herkunft sein.

In der Schweiz, in Süddeutschland und in Westdeutschland bis nach Westfalen geht man – wenn man geht – an Weihnachten in die Kirche. Im Norden und Osten Deutschlands und in Österreich tut man dies zu Weihnachten. In der nördlichen Hälfte Deutschlands wird daneben auch ganz ohne Präposition Weihnachten zur Kirche gegangen.

Wie diese Verteilung auf einer Karte aussieht, sehen Sie auf der entsprechenden Seite des Atlas zur deutschen Alltagssprache.

Natürlich sind dies verallgemeinernde Angaben. Durch die wachsende Mobilität und den Einfluss der Massenmedien verwischen solche regionalen Sprachgrenzen immer mehr. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie an Weihnachten sagen, obwohl Sie in einer Region wohnen, in der man gemäß der Karte zu Weihnachten sagt.

Ganz egal, ob das Wort Weihnachten bei Ihnen mit an, mit zu oder ohne Präposition steht: Schöne Feiertage!

Dr. Bopp

Dr. Bopp zügelt

Seit dem letzten Blogartikel ist es schon ein Weilchen her. Das liegt daran, dass wir gerade zügeln. Wir zügeln nicht etwa ein Pferd oder unsere Zunge, sondern in eine andere Stadt.

Deutschsprachige Schweizer und Schweizerinnen sowie andere, die die Deutschschweiz gewohnt sind, verstehen nun, worum es geht. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich Schweizer Wurzeln, und meine Familie wohnt in der Schweiz. Für alle anderen folgt hier die Erklärung:

Neben dem überall gebräuchlichen Verb zügeln gibt es in der Schweiz des Verb zügeln mit der Bedeutung umziehen. Dr. Bopp zieht also um (und dies nicht zum ersten Mal; siehe hier). Dieses zügeln kommt nicht vom allgemeindeutschen zügeln, sondern leitet sich direkt von ziehen/Zug ab. Zügeln im Sinne von umziehen wird nicht nur in den schweizerdeutschen Dialekten verwendet, sondern häufig auch im (eher informellen) schweizerischen Standarddeutsch. So finden sich zum Beispiel auf der deutschschweizerischen Website des schwedischen Möbelriesen diese Sätze:

Mit diesem Ratgeber kannst du deinen Umzug optimal planen. Freu dich auf viele Tipps rund ums Thema Zügeln.

Warum den Arbeitsplatz bei schönem Wetter nicht einfach ins Freie zügeln?

Wenn Schweizerinnen und Schweizer umziehen, dann zügeln sie. Dies tun sie an einem bestimmten Zügeltermin mit einem Zügelwagen oder Zügelauto und häufig auch mit Hilfe von Zügelleuten einer Zügelfirma. Auch bei uns haben – auf gut Schweizerisch gesagt – Zügelleute (die übrigens nicht wussten, dass sie anderswo so genannt werden) das eigentlichen Zügeln übernommen. Am alten Ort einpacken und in der neuen Wohnung einräumen mussten wir aber selbst. Da man in der Regel viel mehr Möbel, Dinge, Zeug und anderes hat, als man vorher je vermuten würde, ist das sehr zeitraubend. Das erklärt, warum ich den Blog und die Beantwortung von Fragen in den letzen Tagen etwas vernachlässigt habe: Ich hatte zügelfrei.

Mittlerweile ist alles eingeräumt und hängt das meiste, wo es hängen soll (außer den Lampen, den leidigen Lampen!). Die ziemliche stressige Züglerei haben wir also fast hinter uns, und ich kann mich zwar noch leicht ermüdet, aber mit frischem Mut wieder mit Sprachfragen beschäftigen. Und wer das Wort noch nicht kannte, hat nun einen schönen Helvetismus* gelernt.

*typisch schweizerischer sprachlicher Ausdruck

Ein unvollständiges Sockenpaar: eine Socke oder ein Socken

Frage

Ich habe Zweifel: Worauf bezieht sich die Form „einer“ des unbestimmten Pronomens in diesem Dialog ? Ich verstehe nicht.

  • Hier kann man ganz günstig Socken kaufen!
  • Eigentlich brauche ich keine, aber bringst du mir welche mit? Es geht mir so oft einer verloren.

Antwort

Guten Tag Frau S,,

wenn Sie sprachlich mit dem südlichen deutschen Sprachraum verbunden wären, würde Ihnen diese Form vielleicht keine Schwierigkeiten bereiten. Hier ist einer ein männlicher Nominativ Singular. Warum männlich?

Der Plural die Socken gehört standardsprachlich zum weiblichen Substantiv die Socke. Vor allem im südlichen deutschen Sprachraum (Süddeutschland, Österreich, Schweiz) gibt es daneben in der regionalen Umgangssprache auch die männliche Variante der Socken. In Ihrem Zitat wird dieses männliche Wort der Socken verwendet:

Eigentlich brauche ich keine (Socken [Plur.]), aber bringst du mir welche mit? Es geht mir so oft einer (= ein Socken [m. Sing.]) verloren.

Allgemein standardsprachlich formuliert man wie folgt:

Eigentlich brauche ich keine (Socken [Plur.]), aber bringst du mir welche mit? Es geht mir so oft eine (= eine Socke [w. Sing.]) verloren.

Es kommt immer wieder vor, dass man nach dem Waschen mit einem unvollständigen Sockenpaar konfrontiert wird. Man vermisst dann eine standardsprachliche Socke oder einen regionalsprachlichen Socken. Wo die andere Socke bzw. der andere Socken geblieben ist, bleibt meist für immer ein Rätsel.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Sich an etwas erinnern, sich einer Sache erinnern, sich etwas erinnern oder sich auf etwas erinnern?

Frage

Heißt es „sich erinnern“ oder nur „erinnern“? Zum Beispiel: „Er erinnert den Sommer.“

Antwort

Guten Tag B.,

zuerst dachte ich, die Antwort sei kurz und einfach. Ich hatte aber nicht mit der regionalen Vielfalt der deutschen Sprache gerechnet.

Allgemein ist die folgende Wendung gebräuchlich:

sich an etwas/jemanden erinnern

Er erinnert sich an den Sommer.
Ich erinnere mich noch gut daran.
Erinnerst du dich noch an den Spielplatz im Wald?
Die Kinder erinnerten sich nicht mehr an die früheren Nachbarn.

Damit ist aber nicht alles gesagt. Einige in Norddeutschland oder in Österreich Ansässige haben sich hier vielleicht schon gewundert. Vor allem in Norddeutschland kommt regional auch vor:

etwas/jemanden erinnern

Er erinnert den Sommer.
Ich erinnere mich das noch gut.
Erinnerst du noch den Spielplatz im Wald?
Die Kinder erinnern die früheren Nachbarn nicht mehr.

Gemäß einigen Wörterbüchern kommt vor allem in Österreich auch diese Konstruktion vor:

sich auf etwas/jemanden erinnern

Dafür konnte ich allerdings so schnell keine „echten“ Beispiele finden. Aber wenn es im Wörterbuch steht, kommt es in der Sprachrealität bestimmt auch vor (vgl. hier).

Als korrekt, aber veraltet oder gehoben gilt die Verwendung von sich erinnern mit dem Genitiv:

sich einer Sache/jemandes erinnern

Er erinnert sich des Sommers.
Ich erinnere mich dessen noch gut.
Erinnerst du noch des Spielplatzes im Wald?
Die Kinder erinnerten sich nicht mehr der früheren Nachbarn.

Allgemein üblich und standardsprachlich einwandfrei erinnert man sich an den Sommer (sich an etwas erinnern). Wer es gern gehoben hat, darf sich des Sommers erinnern (geh./veraltend: sich einer Sache erinnern). In der norddeutschen Umgangssprache kann man sich regional auch den Sommer erinnern (ndt. Umgs.: etwas erinnern). Ob man sich in der österreichischen Umgangssprache wirklich auch auf den Sommer erinnert, kann ich leider nicht mit Sicherheit sagen  (öster. Umgs.: sich auf etwas erinnern). Eine erstaunliche Variantenvielfalt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wusstest du oder hast du gewusst, dass…?

Frage

Sagt man „Wusstest du, dass …?“ oder besser „Hast du gewusst, dass …?“?

Antwort

Guten Tag Herr M.,

richtig ist beides. Allgemein hört und liest man häufiger Wusstest du , dass… Die Formulierung Hast du gewusst, dass… ist im südlichen deutschen Sprachraum gebräuchlicher als anderswo. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass „im Süden“ das Perfekt häufiger als „im Norden“ für die Vergangenheit verwendet wird (vgl. hier).

Es mag einige Wusstest-du-Sagende und manche Hast-du-Gewusst-Fragende verwundern, dass beides als richtig gilt.

Wusstest du, dass beides richtig ist?
Hast du gewusst, dass beides richtig ist?

Ob auch alle einverstanden sind, ist eine andere Frage.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wortstellung am Nebensatzende: wie es hätte sein sollen / sein sollen hätte / sein hätte sollen

Frage

Schon seit einer Weile quäle ich mich mit dem Thema Verbstellung im Nebensatz. Ich habe schon mehrere Bücher gewälzt und denke, den Ersatzinfinitiv verstanden zu haben.

… dass sie hätte mitmachen können.
… dass er hatte kochen müssen.

So weit, so gut. Es scheint auch so zu sein, dass in Österreich „mitmachen hätte können“ (das verwenden alle, sogar die Profs an der Germanistik) oder seltener „mitmachen können hätte“ verwendet wird. Am „richtigsten“ ist aber „hätte mitmachen können“. Liege ich so weit richtig? Kann ich das als Regel formulieren?

Problematisch wird es für mich jetzt bei „werde“ und „würde“. Da liegt ja kein Ersatzinfinitiv vor.

… dass er genug sparen können würde.
… dass sie helfen müssen wird.

Ist es eine Übergeneralisierung, wenn ich analog zu „hätte mitmachen können“ instinktiv „würde sparen können“ sagen will?

… dass er würde sparen können / … dass er sparen können würde
… dass sie wird helfen müssen / … dass sie helfen müssen wird

Ich blicke da leider gar nicht durch. Geht beides? Wenn ja, was ist „richtiger“?

Antwort

Guten Tag Frau W.,

das Bestreben, die Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes vollumfänglich zu verstehen, kann sehr schnell zu Verwirrung und dann zu Resignation führen. Vieles ist möglich, vieles ist nicht eindeutig geregelt und das, was „eindeutig“ geregelt ist, wird häufig nicht von allen eingehalten.

Bei Verbgruppen mit mehreren Infinitiven am Ende eines Nebensatzes gilt im Standarddeutschen allgemein Folgendes als korrekt: Die finite (nach Person und Zahl bestimmte) Verbform wird vorangestellt:

… dass sie hätte mitmachen können.
… dass er hatte kochen müssen.
… obwohl sie nicht haben mitkommen dürfen.
… wie es hätte sein sollen.

Seltener kommt überall auch die Nachstellung der finiten Verbform vor. Sie gilt im Standarddeutschen beim Ersatzinfinitv der Modaleverben als nicht richtig:

… dass sie mitmachen können hätte.
… dass er kochen müssen hatte.
… obwohl sie nicht mitkommen dürfen haben.
… wie es sein sollen hätte.

Eine dritte Variante, die Zwischenstellung der finiten Verbform, ist vor allem in Österreich anzutreffen:

… dass sie mitmachen hätte können.
… dass er kochen hatte müssen.
… wie es sein hätte sollen.

Ob oder inwieweit diese Wortstellung im österreichischen Standarddeutschen akzeptiert ist, weiß ich nicht. Dazu liegen mir leider keine Informationen vor. Ich vermute, dass sie zumindest toleriert ist, wenn sie so häufig vorkommt. Im restlichen deutschen Sprachgebiet ist die Zwischenstellung selten oder gar nicht gebräuchlich.

Mehr zur regionalen Verteilung der verschiedenen Varianten finden sie in der Variantengrammatik.

Etwas anders sieht es aus, wenn das Hilfsverb werden bzw. würden mit mehreren Infinitiven am Ende eines Nebensatzes steht. Dann sind standardsprachlich sowohl die Voranstellung als auch die Nachstellung üblich und akzeptiert:

… dass er würde sparen können / … dass er sparen können würde
… dass sie wird helfen müssen / … dass sie helfen müssen wird

Keine der beiden Varianten ist standardsprachlich „besser“.

Eine Übersicht über die wichtigsten Aspekte der Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes finden Sie auf dieser Seite in der LEO-Grammatik (allerdings ohne Erwähnung regionaler Varianten).

Auch für mich gilt übrigens, dass ich es nie wirklich vollständig werde verstehen können oder verstehen können werde. Die Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes hat nämlich noch mehr Tücken.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Standardaussprache: Kääse oder Keese?

Frage

Wie „Mädchen“ und „Käse“ geschrieben wird, ist eindeutig. Wie wird es aber offiziell auf Hochdeutsch ausgesprochen? Ich finde sehr widersprüchliche Antworten zu dieser Frage […]  Wie würde man dann das lange ä aussprechen, wenn man denn den Anspruch hätte, eine neutrale (nicht regionale), „offizielle“ Aussprache zu wählen)? Gibt es eine eindeutige Regel, wie das ä in dem Fall auszusprechen wäre?

Antwort

Guten Tag V.,

nach der Standardaussprache, die in einigen Wörterbüchern angegeben wird, unterscheidet man zwischen einem langen <ä> und einem langen <e> . Das lange <ä> wird offen ausgesprochen (umschrieben als /ɛː/ oder /æ:/). Das lange <e> wird geschlossen ausgesprochen (umschrieben als /e:/). Nach diesen Angaben gibt also einen Ausspracheunterschied zwischen Ähre und Ehre, Bären und Beeren, Dänen und dehnen, gäbe und gebe etc.

ABER: Nach den Angaben in  anderen (vor allem älteren) Quellen gibt es „offiziell“ kein offenes /ɛː/. Das länge <ä> werde wie das lange <e> geschlossen ausgesprochen. In vielen Regionen, insbesondere in der nördlichen Hälfte Deutschlands und in Österreich (mit Ausnahme Vorarlbergs) hört man tatsächlich keinen Unterschied zwischen langem <ä> und langem <e>.

Was ist nun richtig? – Beides. Eine eindeutige Regel gibt es nicht. Beides kommt nämlich bei großen Teilen der Standarddeutsch Sprechenden vor. Wer Käse und Mädchen wie Keese und Meedchen (also mit /e:/) ausspricht, macht also nichts falsch. Selbst bei Bären und Beeren oder Ähre und Ehre kommt es kaum zu Verständnisproblemen, auch wenn jeweils beides gleich klingt. Nur bei den Verbformen gebe und gäbe oder lese und läse wird es schwieriger, aber auch bei unterschiedlicher Aussprache ist nicht immer allen klar, welche Form zu wählen ist (vgl. hier). Umgekehrt ist es auch nicht falsch, Mädchen und Käse als Määdchen und Kääse (also mit /ɛ:/) auszusprechen und Beeren und Bären lautlich auseinanderzuhalten.

Es gibt keine Standardaussprache die von der östlichen bis zur westlichen Sprachgrenze und von Nord- und Ostsee bis zu den Alpengipfeln und darüber hinaus dieselbe wäre. Regional „outet“ man sich hiermit auch nur bedingt, denn die unterschiedslose Aussprache /e:/ für langes <e> und langes <ä> ist zwar im nördlichen Deutschland und in Österreich vorherrschend, sie kommt aber nicht nur dort und auch dort nicht überall vor (vgl. hier).

Hauptsache ist sowieso, dass ein Käse denen schmeckt, die Käse mögen, ganz gleich ob die Aussprache Kääse oder Keese ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Anders sieht es bei kurzem <e> und <ä> aus. Sie werden standarsprachlich beide offen ausgesprochen (umschrieben als /ɛ/). Deshalb gibt es in der Standardaussprache keinen Unterschied zwischen Äschen und Eschen oder Lärchen und Lerchen und konnte der Stengel zum Stängel reformiert werden, ohne dass sich etwas an der Aussprache geändert hat. Aber auch hier geht es nicht ohne regionale Varianten: So kann man zum Beispiel in der Schweizer Variante des Standarddeutschen häufig einen eindeutigen Unterschied zwischen dem <ä> in hätte (offenes /ɛ/ wie im allgemeinen Standard) und dem <e> in nette (geschlossenes /e/) hören.

Die Unterlagen im Büro (zu) liegen haben – mit oder ohne „zu“?

Frage

Seitdem ich im Osten von Deutschland wohne (ich komme aus Hamburg), höre ich öfter für mich seltsame Konstrukte:

Ich habe hier Herrn Meier zu sitzen.
Die Unterlagen habe ich im Büro zu liegen.

Meiner Meinung nach ist das „zu“ hier falsch. Natürlich gibt es andere Sätze, wo dies korrekt wäre: „Ich habe noch viel zu tun.“

Für mich ist der Unterschied, daß sich das „tun“ auf das Subjekt bezieht, das „sitzen“ oder „liegen“ sich aber auf das Objekt bezieht. Ich konnte eine Begründung bislang aber nicht grammatikalisch einwandfrei auflösen …

Antwort

Guten Tag Herr E.,

es handelt sich bei diesem zu tatsächlich um eine regionalsprachliche Erscheinung bei einer besonderen Konstruktion.

In der Standardsprache steht der Infinitiv der Verben stehen, liegen, hängen u. a. ohne zu, wenn er von haben abhängig ist, wenn eine Ortsangabe gemacht wird und wenn ausgesagt wird, dass jemand oder etwas an diesem Ort in gewisser Weise zur Verfügung steht (vgl. hier). Zum Beispiel:

Ich habe den Wagen vor der Tür stehen.
Sie hat viel Geld auf der Bank liegen.
Ich habe noch ein schwarzes Kleid im Schrank hängen.
Was hast du denn alles in deiner Tasche stecken?
Er hat seine Mutter bei sich wohnen.

Dabei entspricht der Akkusativ hier tatsächlich dem Subjekt des Infinitivs: Wagen ist Subjekt zu stehen, Geld Subjekt zu liegen usw. Wir haben es mit einem Akkusativ mit Infinitiv (a. c. i.) zu tun wie zum Beispiel bei Ich höre ihn kommen und Wir lassen die Kinder draußen spielen.

Entsprechend sollten auch Ihre Beispielsätze standardsprachlich ohne zu stehen:

Ich habe hier Herrn Meier sitzen.
Die Unterlagen habe ich im Büro liegen.

Bei dieser Konstruktion ist in gewissen Regionalsprachen die Verwendung von zu üblich (gemäß den Angaben in der Variantengrammatik vor allem im Osten Deutschlands), sie gilt standardsprachlich aber als nicht korrekt. Es heißt also standardsprachlich besser nicht:

Ich habe hier Herrn Meier zu sitzen.
Die Unterlagen habe ich im Büro zu liegen.

Wer sich in diesen Regionen der örtlichen Umgangssprache statt der Standardsprache bedient, macht hier aber auch mit zu nicht wirklich etwas falsch.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp