Schibboleth

Ein netter Kollege hat mich auf den Begriff Schibboleth hingewiesen, der recht exotisch aussieht und für ein interessantes Phänomen verwendet wird. Es handelt sich um eine Art Losungswort. Es geht aber nicht um Losungswörter, wie wir sie aus Abenteuer-, Kriegs- und Piratenfilmen kennen. Diese werden vorher abgesprochen und sollten danach nur Eingeweihten bekannt sein. Ein Schibboleth funktioniert auch anders als Passwort und PIN, die modernen Varianten des Losungswortes. Schibboleth kommt aus dem Hebräischen und bedeutet wörtlich Getreideähre. Die Bedeutung Losungswort stammt aus der Bibel:

(5) Gilead besetzte die nach Ephraim führenden Übergänge über den Jordan. Und wenn ephraimitische Flüchtlinge (kamen und) sagten: Ich möchte hinüber!, fragten ihn die Männer aus Gilead: Bist du ein Ephraimiter? Wenn er Nein sagte, (6) forderten sie ihn auf: Sag doch einmal «Schibboleth». Sagte er dann «Sibboleth», weil er es nicht richtig aussprechen konnte, ergriffen sie ihn und machten ihn dort an den Furten des Jordan nieder. So fielen damals zweiundvierzigtausend Mann aus Ephraim. (Richter 12, 5-6)

Ein Schibboleth ist also Wort, das Anderssprachige nicht korrekt aussprechen können. Es kann deshalb als Losungswort verwendet werden, mit Hilfe dessen man Fremde „entlarven“ kann. Das konnte manchmal für die so Ertappten wie für die Ephraimiter böse Folgen haben. Während der Sizilianischen Vesper 1282, einem Aufstand der Sizilianer gegen die Franzosen, erging es Leuten, die das sizilianische Wort ciciri nicht richtig aussprechen konnten, schlecht. Offenbar war das ein Wort, das der französischen Zunge gar nicht lag. Ein anderes Beispiel ist der Name der niederländischen Stadt Scheveningen. Während des Zweiten Weltkrieges sollen niederländische Widerstandskämpfer mit Hilfe dieses Wortes deutsche Infiltranten erkannt haben. Das s und das ch werden nämlich getrennt voneinander ausgesprochen (wobei das ch am besten richtig schön kratzend klingen sollte), was für Deutsche vor allem am Anfang eines Wortes sehr schwierig bis unmöglich ist.

Schibboleth wird auch in einem übertragenen Sinne verwendet. So versuchten amerikanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg mit Hilfe der Kenntnisse des Baseballs echte Amerikaner von feindlichen Spionen und Infiltranten zu unterscheiden. Nicht die Aussprache, sondern kulturgebundene Kenntnisse dienten als Schibboleth.

Natürlich gibt es auch harmloserer Beispiele: Nur wenige Nichtdeutschsprachige könne das Wort Streichholzschächtelchen richtig aussprechen. All diese sch, ch und h in einem Wort sind für die meisten Fremdsprachigen eine zu große Herausforderung. Und auch innerhalb des deutschen Sprachraumes gibt es solche Erkennungswörter. So erkennt der Bayer am Oachkatzlschwoaf den „Preißn“, das heißt jeden Nicht-Bayern deutscher Zunge. Das Plattdeutsche revanchiert sich hierfür mit dem Eekkattensteert, das die gleiche Bedeutung hat wie Oachkatzlschwoaf, aber für die Bayern unaussprechlich sein soll. Das bekannteste Schweizer Beispiel hat nichts mit einem Eichhörnchenschwanz zu tun, sondern mit einem Küchenmöbel, dem Chuchichäschtli (Küchenkästchen). Da die Deutschschweizer das ch so richtig schön kratzen lassen, erkennt man mit Hilfe des Chuchichäschtli, ob jemand ein Uwe, ein Horst oder jemand aus dem großen Kanton ist. Für die nichtschweizerische Leserschaft: ein Uwe, ein Horst oder einer aus dem großen Kanton ist ein Deutscher. Diese beiden typisch deutschen Vornamen kommen bei Schweizern nicht vor. Sie sind deshalb in gewisser Weise Schibboleths. Die Bezeichnung „großer Kanton“ (auch „großer Nordkanton“ genannt) bedarf wohl keiner Erklärung.

Auch auf der sozialen Ebene gibt es Schibboleths: richtige Wortwahl und richtiger Akzent. So lernen wir im Musical „My Fair Lady“, dass nur wer „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühn“ richtig sagen konnte, sich ein Mitglied der gehobeneren Gesellschaft nennen durfte. Ganz so streng ist das heutzutage nicht mehr, aber es gibt viele Bereiche, in denen Wörter und Ausdrucksweisen nicht nur der Kommunikation, sondern auch dazu dienen, die Dazugehörenden zu erkennen und die anderen auszugrenzen.

Ich fahre zu oder nach …?

Sagt man nach oder zu? Das ist eine Frage, die schon an verschiedenen Orten behandelt worden ist. Da sie aber immer wieder auftaucht, kann ich es nicht lassen, hier auch einmal meine Antwort zu veröffentlichen.

Frage

Wir streiten uns ob es heissen muss:

Ich fahre zu OBI oder
Ich fahre nach OBI

(OBI ist ein Baumarkt)

Antwort

Sehr geehrter Herr G.,

es lohnt sich meistens nicht, über Sprachfragen zu streiten. Sehr oft haben nämlich beide Seiten irgendwie recht. So auch in diesem Fall.

Im Standarddeutschen sagt man:

Ich fahre zu Obi.

Man verwendet nach in diesem Zusammenhang nur bei geographischen Namen (Länder, Regionen, Ortschaften, Inseln), die keinen Artikel haben:

Ich fahre nach Österreich.
Ich fahre nach Bayern.
Ich fahre nach Barcelona.
Ich fliege nach Hawaii.

Außerdem verwendet man nach noch in nach Hause und bei den Himmelsrichtungen (zum Beispiel nach Norden).

Bei geographischen Namen mit Artikel verwendet man in – außer bei Inseln:

Ich fahre in den Schwarzwald.
Ich fahre in die Tschechische Republik.
Ich fliege in die Vereinigten Staaten.
Ich fliege auf die Hawaii-Inseln.

Sonst verwendet man meistens zu:

Ich fahre zum Bäcker.
Ich fahre zum Bahnhof.
Ich fahre zum Standesamt.
Ich fahre zur Kirche.

Bei Personen- und Firmennamen:

Ich fahre zu meiner Schwester.
Ich fahre zu Herrn G.
Ich fahre zu Bauhaus/Globus/Hellweg/Hornbach/Toom/…
Ich fahre zu Obi.

Soweit die Standardsprache. In der Umgangssprache hält man sich nicht überall an diese Regeln. So verwendet man zum Beispiel im nördlichen/nordwestlichen deutschen Sprachraum oft nach statt zu: Ich fahre nach Obi. Und im süddeutschen Sprachraum, wo ich herkomme und wo man Namen meisten mit Artikel verwendet, wundert sich niemand, wenn Sie sagen: Ich fahre zum Obi.

Standardsprachlich korrekt ist nur Ich fahre zu Obi. Zu Obi fährt man aber meistens in einer Situation, in der man sich in der Umgangssprache unterhält. Wenn Sie also in Norddeutschland sind oder norddeutsche Wurzeln haben, können Sie ohne Weiteres auch Ich fahre nach Obi sagen. In einer informellen Situation kann Ihnen das niemand übelnehmen. Wenn Sie allerdings zum Beispiel einen formellen Brief schreiben, ein offizielles Interview geben oder einen Prospekt für Obi gestalten, sollten Sie nur das im der Standardsprache übliche zu verwenden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Beträge schreiben

Frage

Wie schreibt man in einem Dokument einen Betrag wie zum Beispiel 50,00 oder 2160,00Euro?

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

für die Schreibung von Zahlen und Beträgen gibt es keine amtlichen Rechtschreibregeln. Es gibt deshalb verschieden Möglichkeiten. Nach DIN 5008 kann man Ihre Beispiele so schreiben:

50,00 €
€ 50,00
2 160,00 Euro
EUR 2 160,00

Hierbei gelten die folgenden Regeln:

  • Komma nach den ganzen Zahlen
  • Zahlen mit mehr als drei Stellen werden vom Komma aus in Dreiergruppen eingeteilt, die durch ein (wenn möglich geschütztes) Leerzeichen getrennt werden
  • Leerzeichen (wenn möglich geschützt) zwischen Betrag und vor- oder nachgestellter Maßeinheit

Neben diesen Grundregeln werden auch die folgenden Varianten verwendet:

  • Bei Geldbeträgen werden die Dreiergruppen aus Sicherheitsgründen manchmal durch einen Punkt getrennt. Es ist schließlich nicht ganz unwichtig, ob man ein paar Tausender oder Milliönchen mehr oder weniger hat:

2.160,00 €
13.500.000,00 USD

  • Oft wird bei nur vierstelligen Zahlen das Leerzeichen weggelassen:

2160,00 €
5000,00 CHF

Und in der Schweiz (sowie in Liechtenstein) macht man es „natürlich“ wieder einmal anders als anderswo:

  • Punkt oder Komma nach ganzen Zahlen
  • Dreiergruppen werden durch Apostroph oder Leerzeichen getrennt

50.00 Franken oder 50,00 Franken
2’160.00 CHF oder 2 160,00 CHF
CHF 13’500’000.00 oder CHF 13 500 000,00

Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, aus denen Sie wählen können. Wie immer gilt dabei das Folgende: Stilistisch gesehen sollte man innerhalb eines Textes, einer Tabelle usw. immer die gleiche Schreibweise verwenden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Köm

Frage

Warum ist das Wort Köm unbekannt im Canoo-Wörterbuch?

Antwort

Sehr geehrte Frau J.,

das Wort Köm steht nicht im Canoo-Wörterbuch, weil es nicht in unseren Quellen vorkommt. Auch mit über 250 000 Einträgen kann unser Wörterbuch leider nicht den ganzen deutschen Wortschatz abdecken. So gibt es auch und gerade im Bereich des Essens und Trinkens einige leckere Sachen, die wir (noch) nicht aufnehmen konnten. Dass Köm nicht in unseren Quellen steht, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass es ein norddeutscher, das heißt eher regionaler Ausdruck ist. Obwohl ich einem gelegentlichen mehr oder weniger wohlverdienten Schnäpschen nicht abgeneigt bin, kannte ich als „Kind“ des südlichen deutschen Sprachraums das Wort bis jetzt gar nicht. Im Standarddeutschen scheint man den Köm offenbar eher Kümmel oder Kümmelschnaps zu nennen. [Anmerkung: In einer früheren Version des Beitrags stand hier ein Verweis auf das Canoo-Wörterbuch. Dieser wurde entfernt, da das Canoo-Wörterbuch nicht mehr existiert.]

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Tessinerbrot

Dank einer Besprechung durfte ich wieder einmal in die Südschweiz, genauer gesagt ins Tessin fahren. So gelangten wir entlang des regnerischen Vierwaldstätter Sees, durch ein neblig graues Urner Tal und durch den Gotthardtunnel, ein 17 km langes Loch in den Schweizer Alpen, in die sonnige Tessiner Bergwelt.

Sie vermuten richtig, wenn Sie annehmen, dass ich hier keinen Reisebericht erstatten möchte. Es geht mir um die unveränderlichen geografischen Adjektive auf –er wie Vierwaldstätter, Urner, Schweizer und Tessiner. Gemäß den Rechtschreibregeln werden geografische Ableitungen auf -er in Verbindung mit einem Nomen getrennt vom Nomen geschrieben, außer wenn das Wort auf –er eine Personenbezeichnung ist.

Siehe Rechtschreibregel.

Mit dieser Regel hatte ich immer so meine Mühe. Sie ist einfach, aber gewisse Ausnahmen, denen man vor allem in der Schweiz begegnet, erklärt sie nicht. So schreibt man in der Schweiz den Vierwaldstätter See in einem Wort: Vierwaldstättersee. Das Gleiche und Ähnliches gilt auch für den Genfer See, den Neuenburger See und die Basler Straße, die von den deutschsprachigen Eidgenossen in der Regel als Genfersee, Neuenburgersee und Baslerstrasse geschrieben werden. So weit so gut, aber wenn mir dann im Tessin plötzlich in den Sinn kommt, dass man nördlich der Alpen Tessinerbrot (eine spezielle Brotsorte) und Bündnerfleisch kaufen kann, dann wird die Erklärung mit der Personenbezeichnung schlichtweg unhaltbar oder sogar kannibalisch.

Oder man sagt einfach, dass die Schweizer ein bisschen sonderbar schreiben. Wenn man aber eine andere Regel anwendet, sind sowohl die standardsprachlichen Zusammenschreibungen wie Schweizergarde und Römerbrief (die Schweizer und Römer sind hier Personen) als auch die Abweichungen in der Schweiz zu erklären. Die Regel lautet: Liegt bei neutraler Aussprache die Hauptbetonung auf dem Wort auf –er, schreibt man zusammen. Sonst schreibt man getrennt.

Zusammen:
die Schweizergarde, der Römerbrief

Gertrennt:
die Schweizer Alpen, die Römer U-Bahn

Und dann die Schweiz: Die Abweichung erklärt sich dadurch, dass Deutschschweizer in den genannte Fällen das erste Wort betonen:

Genfersee, Neuenburgersee, Baslerstrasse, Tessinerbrot, Bündnerfleisch.
(Standardaussprache: Genfer See, Neuenburger See, Basler Straße, ?)

Das tun die Schweizer aber nicht in allen Fällen, und dann schreibt man auch in der Schweiz getrennt:

Berner Oberland, ein Urner Tal, die Tessiner Bergwelt, Basler Leckerli, Zürcher Hüppen (die letzen zwei sind süß und lecker!)

Ich möchte jetzt nicht die Rechtschreibregeln neu schreiben. Sie sind nun einmal so, wie sie sind. Die Betonungsregel soll nur eine kleine Eselsbrücke sein für diejenigen – vor allem Schweizer und Schweizerinnen –, die in diesem Bereich mit der amtlichen Regel und den Schweizer Ausnahmen nicht so gut zurechtkommen.

wegen unsportlichem Verhalten: wegen mit dem Dativ?

Frage von Herrn C. aus der Schweiz

Ich habe einen Disput mit dem Kunden. Was ist richtig:

Ein Fahrer wird wegen unsportlichen Verhaltens … oder wegen unsportlichem Verhalten …

Antwort

Sehr geehrter Herr C.,

ich hoffe, dass der Disput mit dem Kunden nicht allzu heftig war, denn ich finde beide Varianten richtig.

Im Prinzip steht wegen mit dem Genitiv. Also wegen unsportlichen Verhaltens. Aber vor allem im südlichen deutschen Sprachraum ist auch der Dativ allgemein üblich: wegen unsportlichem Verhalten.

Strengere Grammatiker sagen, dass der Dativ nur in der Umgangssprache verwendet werden kann und dass nur der Genitiv in der Standardsprache korrekt ist. Ich bin da milder und finde, dass in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz der Dativ so gebräuchlich ist, dass er zumindest dort auch in der Standardsprache verwendet werden kann, ohne dass dies ein Fehler ist. Siehe auch unsere Grammatikseite zu wegen. Wenn Sie allerdings ganz sicher sein wollen, dass wirklich niemand Sie eines Fehlers bezichtigen wird, verwenden Sie den Genitiv.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Umgangssprache – Standardsprache

Auf eine Frage von Herrn K. die folgende Antwort:

Sehr geehrter Herr K.,

auch Ihnen vielen Dank für Ihre Antwort. Es freut das Linguistenherz, wenn sich nicht immer nur Linguisten für Spracherscheinungen interessieren.

Sie haben recht: Wir sprechen alle die gleiche Sprache, aber trotzdem gibt es viele Varianten und Unterschiede. Das ist auch nicht weiter erstaunlich, wenn man bedenkt, dass über 80 Millionen Menschen, vom Alpenbauern bis zum Ostseefischer und von der Forellenzüchterin bis zur Informatikprofessorin, Deutsch sprechen. Es gibt allerdings einen mehr oder weniger allgemein akzeptierten Standard, der die Verständigung unter allen Deutschsprachigen erleichtern soll. Aber sogar innerhalb dieses Standards gibt es korrekte Varianten. Zum Beispiel: norddeutsch „ich habe gestanden“, süddeutsch „ich bin gestanden“. Im Gegensatz zu dem, was viele denken, gibt es in der deutschen Sprache eine recht große Freiheit.

Die bei Ihnen übliche Form „…, dass er gestern spielen hat müssen“ statt standardsprachlich „…, dass er gestern hat spielen müssen“ ist wohl eher regionale Umgangssprache. Die Formen sind nicht in den Grammatiken belegt, und – ehrlich gesagt – ich kannte sie nicht.

Umgangssprachlich ist aber nicht gleichbedeutend mit falsch. Wenn man es bei Ihnen so sagt, ist das völlig in Ordnung. Es bedeutet nur, dass man die Form besser nicht z.B. in offiziellen Briefen, in formellen Reden, in Schulaufsätzen, bei Menschen aus anderen (Sprach-)Regionen usw. verwenden sollte. Im Umgang mit Familie, Freunden, Kollegen, Mitgliedern seines Sportvereins usw. ist man zum Glück in keiner Weise gezwungen Standardhochdeutsch zu sprechen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp