Frage
Leider tauchen immer wieder Fragen zur deutschen Grammatik auf, bei denen die eigene Internetrecherche und der Blick in Nachschlagewerke und Sprachratgeber zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis führt. […] Ich wende mich also wieder an Sie. Im Duden, Bd. 9 heißt es:
3. jener / der[jenige]: Es ist nicht korrekt, „jener“ anstelle von „derjenige“ oder hinweisendem „der“ zu gebrauchen. Also nicht: „Jener, der das getan hat …“ Sondern: „Derjenige, der das getan hat …“ Oder: „Der, der das getan hat …“
Vor dem Hintergrund dieser Dudenregel leuchtet mir der Gebrauch von „jener“ eigentlich nur noch bei „dieser/jener“ ein. Um die Sache an Beispielen zu verhandeln:
Sie sprach über jene, die nur Fahrrad fahrend kochen.
Sie sprach über all jene, die nur Fahrrad fahrend kochen.
Sie sprach über jene Paradiesvögel, die nur Fahrrad fahrend kochen.
Diese Sätze müssten nach dem Obigen falsch sein. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich darüber aufklären könnten, 1) welcher Gebrauch vom Duden als korrekt angesehen wird, 2) welcher Gebrauch Ihnen sinnvoll erscheint. Ich gehe davon aus, dass der De-facto-Sprachgebrauch in diesem Fall stark von der Dudenregel abweicht. In der österreichischen Zeit im Bild geht es beispielsweise allabendlich um „jene, die geimpft oder genesen sind“.
Antwort
Guten Tag Herr K.,
Sie verwenden wahrscheinlich eine ältere Ausgabe von Duden Bd. 9, Richtiges und gutes Deutsch. In der 8. Auflage, 2016, steht die zitierte „Regel“ nämlich in etwas abgeschwächter Form:
3. jener / der[jenige]: Es ist nicht sinnvoll, „jener“ anstelle von „derjenige“ oder hinweisendem „der“ zu gebrauchen, weil mit „jener“ auf etwas Fernes verwiesen wird. Also nicht: „Jener, der das getan hat …“ Sondern: „Derjenige, der das getan hat …“ Oder: „Der, der das getan hat …“ Nicht: „Das sind meine Absichten und jene meiner Kollegen.“ Sondern: „Das sind meine Absichten und die meiner Kollegen.“
Die Angabe nicht korrekt wurde zu nicht sinnvoll heruntergestuft. Als Begründung wird angegeben, dass mit jener auf etwas Fernes verwiesen werde. Das ist dann richtig, wenn jener nur als Gegensatz zu dieser verwendet werden kann. Ist das wirklich so? Das hängt davon ab, wo man sich befindet. Nach den Angaben der Variantengrammatik zu diesem Thema wird – etwas vereinfacht ausgedrückt – in Deutschland vor allem derjenige, der verwendet, während in der Schweiz und vor allem in Österreich jener, der vorherrscht. Besser wäre es also, zu sagen, dass es in Deutschland nicht üblich ist, jener, der zu verwenden, dies aber in Österreich und der Schweiz – auch in der Standardsprache – gebräuchlich ist.
Diese Sicht wurde inzwischen auch von der Duden-Redaktion übernommen. In der 9. Auflage von Duden Bd. 9, 2021, steht nun:
3. jener / der[jenige]: Als Demonstrativpronomen wird „derjenige (dasjenige, diejenige)“ in Deutschland klar gegenüber „jener (jenes, jene)“ bevorzugt: „Die Zahl derjenigen, die beim Sozialamt Hilfe zur Pflege beantragen, nimmt seit Jahren zu“ (Hessische/Niedersächsische Allgemeine). In Österreich und der Schweiz hingegen wird häufiger „jener“ verwendet: „Er […] werde sich mit der ganzen Energie für jene einsetzen, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind“ (Salzburger Nachrichten).
Die „teutonozentrische“ Sichtweise wurde hier also zugunsten einer Sichtweise verlassen, die regionale Unterschiede respektiert.
Zu Ihren Beispielen: Wenn ich die Angaben in Variantengrammatik und Duden richtig verstehe, heißt es in Deutschland vor allem:
Sie sprach über die[jenigen], die nur Fahrrad fahrend kochen.
Sie sprach über all die[jenigen], die nur Fahrrad fahrend kochen.
Sie sprach über die[jenigen] Paradiesvögel, die nur Fahrrad fahrend kochen.
In Österreich und in der Schweiz (sowie in Liechtenstein und in Südtirol) eher:
Sie sprach über jene, die nur Fahrrad fahrend kochen.
Sie sprach über all jene, die nur Fahrrad fahrend kochen.
Sie sprach über jene/die Paradiesvögel, die nur Fahrrad fahrend kochen.
All denjenigen oder all jenen, die glauben, dass Regeln in Grammatik- und Stilbüchern unverrückbar feststehen, möge dies ein Beispiel für das Gegenteil sein.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp