Subjektloses „lassen“

Auch wenn der Titel irgendwie wie „respektloses Handeln“ klingt, ist nichts Negatives gemeint. Ich bin indirekt über eine Frage von Herrn B. auf etwas gestoßen, das ich noch nicht kannte: Sätze mit lassen ohne ein Subjekt. Es ging in der Frage um den Satz

Über Geschmack lässt sich nicht streiten

der offensichtlich ohne ein Subjekt auskommt. Er enthält kein Satzglied, nach dem mit wer oder was? gefragt werden könnte.

Es gibt im Deutschen nur wenige strenge Regeln wie zum Beispiel:

  • In einem Aussagehauptsatz steht die konjugierte Verbform immer an zweiter Stelle (Zweitstellung der finiten Verbform)
  • Ein vollständiger Satz hat immer ein Subjekt.

Vor allem bei der zweiten Regel werden aber immer ein paar Ausnahmen angegeben. Die bekanntesten sind:

  • Imperativsätze in der 2. Person sind subjektlos:

Komm!
Mach nicht so viel Lärm!
Helft mir, bitte!

  • Einige unpersönliche Verben können ohne Subjekt stehen.

Mir ist langweilig/schlecht/übel …
Schon jetzt graut uns vor ihrem nächsten Besuch.
Auf dem Karussell wird ihm immer schwindlig.

  • Das Passiv intransitiver oder intransitiv verwendeter Verben hat kein Subjekt:

Dem armen Tropf kann geholfen werden.
Davon wird viel gesprochen.
Den ganzen Abend wurde viel gegessen und getrunken.

Mit der letzten Gruppe sind die folgenden Beispiele verwandt:

  • Passivähnliche Formulierungen mit einem intransitiven Verb können ohne Subjekt stehen:

Dir ist nicht zu helfen.
Mit Verlusten war zu rechnen.
Daran lässt sich kaum zweifeln.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten.

Dieses subjektlose lassen kannte ich noch nicht – jedenfalls nicht bewusst. Unbewusst habe ich wie die meisten den Satz Über Geschmack lässt sich nicht streiten ohne Subjekt verwendet, ohne dass mir das aufgefallen wäre.

Hier spielt auch die erste Regel, die ich oben erwähnt habe, eine Rolle: In vielen der oben stehenden Sätze kommt ein sogenanntes Platzhalter-es zum Zug, wenn kein anderes Satzglied an erster Stelle vor der konjugierten Verbform steht:

Es ist mir langweilig.
Es wird viel davon gesprochen.
Es war mit Verlusten zu rechnen.
Es lässt sich kaum daran zweifeln.

Dieses es sieht wie ein unpersönliches Subjekt aus, es hat aber vor allem die Funktion, die Zweitstellung des Verbs aufrechtzuerhalten. Sobald ein anderes Satzglied an die erste Stelle tritt, fällt es weg. Die Regel der Verbzweitstellung scheint also noch stärker zu sein als die Regel, dass ein vollständiger Satz immer ein Subjekt hat.

Ist eine Regel mit relativ vielen Ausnahmen immer noch eine Regel? Darüber lässt sich diskutieren.

Eine Genitivkonstruktion besonderer Art

Frage

Könnten Sie mir erklären, warum es „Ihr Anliegen war rein beruflicher Natur“ und nicht „berufliche Natur“ heißt?

Antwort

Guten Tag F.,

es gibt im Deutschen eine Reihe von mehr oder weniger festen Wendungen, in denen das Verb sein mit einem Genitiv steht. Je nach Grammatik und Beschreibung werden sie „adverbialer Genitiv“,„prädikativer Genitiv“ oder noch anders genannt. Ich beschränke mich hier darauf, die Konstruktion „sein mit einer Genitivergänzung“ zu nennen. Die Diskussion über die genaue Einteilung und Benennung überlasse ich den Grammatiktreibenden.

Ein paar Beispiele:

der Meinung sein, dass …
Ich bin nicht deiner Meinung.
anderer Ansicht sein
der gleichen Überzeugung sein
natürlichen/ausländischen/römischen Ursprungs sein
männlichen/weiblichen Geschlechts sein
christlichen/islamischen/jüdischen Glaubens sein
guten/frohen/erwartungsvollen Mutes sein
guter/bester/schlechter Laune sein

Es ist nicht möglich, eine vollständige Liste aller Formulierungen dieser Art aufzustellen. Es geht nicht nur um ein paar wenige feste Wendungen, sondern um relativ viele „mehr oder weniger feste“ Ausdrücke. Die folgenden Substantive stehen häufiger in einer solchen Genitivkonstruktion:

Abkunft, Abstammung, Alter, Ansicht, Art, Auffassung, Blut, Charakter, Datum, Geschlecht, Format, Glauben, Herkunft, Herzen, Hoffnung, Jahrgang, Laune, Meinung, Mut, Natur, Sinn, Stand, Überzeugung, Ursprung, Willen, Zuschnitt

Wie die Beispiele oben zeigen, werden die Substantive in dieser Konstruktion meistens mit einem Adjektiv oder Artikelwort kombiniert. Während zum Beispiel Hoffnung praktisch nur mit gut erscheint (guter Hoffnung sein), können andere wie Abstammung und Herkunft mit Adjektiven aller Art stehen, die eine Herkunft angeben (italienischer, bayerischer, asiatischer, lokaler, jüdischer, einfacher, gutbürgerlicher, adliger, unbekannter u.v.a.m. Herkunft sein). Noch breiter ist die Palette der möglichen Ergänzungen bei Substantiven wie Art und Natur.

In Ihrem Beispiel handelt es sich ebenfalls um eine solche Konstruktion:

beruflicher Natur sein
Ihr Anliegen war rein beruflicher Natur.

Es ist nicht möglich, hier den Nominativ berufliche Natur zu verwenden. Es wird nicht angegeben, was das Anliegen ist, sondern wie das Anliegen ist:

– Was ist ihr Anliegen?
– Ihr Anliegen ist eine gesunde Natur.
= Sie wollen eine gesunde Natur.

– Wie ist ihr Anliegen?
– Ihr Anliegen ist beruflicher Natur
= Ihr Anliegen hat mit dem Beruf zu tun.

Mit Genitivkonstruktionen wie rein beruflicher Natur sein wird angegeben, wie jemand oder etwas ist. Sie sind nur mit gewissen Substantiven in Kombination mit gewissen Artikelwörtern, Adjektiven oder Gruppen von Adjektiven möglich. Dennoch kann man nicht genau angeben, welche oder wie viele Konstruktionen dieser Art verwendet werden. Diese Frage ist nicht nur grammatischer, sondern auch stilistischer Natur.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Auf dem oder auf den Markt einkaufen gehen?

Frage

Der Satz: „Anna geht häufig auf dem Markt einkaufen“ klingt für mich besser als „Anna geht häufig auf den Markt einkaufen“. Würden Sie hier nach der Wechselpräposition „auf“ auch den Dativ wählen?

Antwort

Guten Tag Herr M.,

die Frage lautet, in welchem Kasus Ortsbezeichnungen bei einkaufen gehen stehen. Gibt man an, wo man einkaufen geht (mit Dativ) oder wohin man einkaufen geht (mit Akkusativ)? Beides ist vertretbar:

a) gehen, um irgendwo einzukaufen:
Wo kaufe ich ein? – Ich kaufe auf dem Markt ein.

b) irgendwohin gehen, um einzukaufen
Wohin gehe ich? – Ich gehe auf den Markt.

Im ersten Fall ist die Ortsangabe von einkaufen abhängig, im zweiten Fall ist sie von gehen abhängig.

Grammatisch ist beides vertretbar, aber kommt auch beides vor? Die Antwort auf diese Frage ist ein „klares Jein“. Im Internet und im DWDS-Korpus kommt einkaufen gehen sehr viel häufiger mit dem Dativ vor. Hier ein paar Beispiele:

Im Supermarkt können Sie aber noch in Ruhe einkaufen gehen.
… in einem normalen Kaufhaus Strumpfhosen einkaufen geht
in dem Supermarkt, in dem meine Freundin immer einkaufen geht
Rodeo Drive, die Straße, in der die Stars einkaufen gehen
Wenn [er] in der Markthalle am Hafen einkaufen geht
Vom Franzosen […], der meist nur einmal pro Woche in einem Hypermarché einkaufen geht
bei der Entscheidung, wo man einkaufen geht
Was tun, wenn mein Kind im Internet einkaufen geht?
in Hamburg/Leipzig/Innsbruck/Zürich einkaufen gehen

Selten sind Fundstellen, in denen einkaufen gehen mit dem Akkusativ steht. Hier ein paar Beispiele:

wenn Sie in den Supermarkt einkaufen gehen
wenn ich mit meiner Geldbörse auf den Markt einkaufen gehe
Du gehst in die Stadt einkaufen, wie immer.
dürfen […] einmal im Monat Gewisses in die Schweiz einkaufen gehen
Er muß nur, bevor er in den Intershop einkaufen geht, einen Weg zur Bank machen
da die Liechtensteiner ins benachbarte Ausland einkaufen gingen
ehemalige Kunden, die […] heimlich nach Dubraucke einkaufen gehen

Der langen Rede kurzer Sinn: Richtig ist bei einkaufen gehen sowohl der Dativ als auch der Akkusativ. Sehr viel üblicher sind aber Formulierungen mit dem Dativ. Ich würde also eher auf dem Markt einkaufen gehen wählen als auf den Markt einkaufen gehen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Nicht jedes „um zu“ lässt sich in ein „damit“ umwandeln

Frage

Ich habe eine Frage zum Gebrauch von „damit“ (im Unterschied zu „um … zu“). Irgendwo habe ich gelesen, dass man „damit“ immer gebrauchen kann. Aber wie sieht das im folgenden Satz aus:”Ich gehe in den Supermarkt, damit ich Brot kaufe”?

Meiner Meinung nach ist dieser Satz nicht korrekt. Wenn mein Sprachgefühl richtig ist: warum nicht?

Antwort

Guten Tag E.,

Sie haben recht: Der Satz

Ich gehe in den Supermarkt, damit ich Brot kaufe.

klingt falsch oder zumindest sehr unnatürlich.

Immer gilt, dass man Sätze mit damit in eine Konstruktion mit um … zu umwandeln kann, wenn Haupt- und Nebensatz ein identisches Subjekt haben:

Ich komme näher, damit ich dich besser verstehe.
Ich komme näher, um dich besser zu verstehen.

Sie arbeiten, damit sie genug Geld zum Leben haben.
Sie arbeiten, um genug Geld zum Leben zu haben.

Sie schreibt alles auf, damit sie es nicht vergisst.
Sie schreibt alles auf, um es nicht zu vergessen.

Das Umgekehrt gilt aber nicht immer. Wann nicht?

Einem Zwecksatz liegt in der Regel ein Konditionalverhältnis (Bedingungsverhältnis; wenn – dann) zugrunde:

Wenn man näher kommt, versteht man jemanden besser.
Ich komme näher, damit ich dich besser verstehen
Ich komme näher, um dich besser zu verstehen.

Wenn man arbeitet, hat man genug Geld zum Leben.
Sie arbeiten, damit sie genug Geld zum Leben haben.
Sie arbeiten, um genug Geld zum Leben zu haben.

Wenn man alles aufschreibt, vergisst man es nicht.
Sie schreibt alles auf, damit sie es nicht vergisst.
Sie schreibt alles auf, um es nicht zu vergessen.

Mit um … zu kann aber auch ein Zweck angegeben werden, dem kein mehr oder weniger direktes Bedingungsverhältnis zugrunde liegt. Dann ist die Umformung in einen Satz mit damit nicht möglich:

Ich gehe in den Supermarkt, um Brot zu kaufen.
nicht: Wenn man in den Supermarkt geht, kauft man Brot.
nicht: Ich gehe in den Supermarkt, damit ich Brot kaufe.

Wir fahren in die Stadt, um ins Kino zu gehen.
nicht: Wenn man in die Stadt fährt, geht man ins Kino.
nicht: Wir fahren in die Stadt, damit wir ins Kino gehen.

Sie sparen, um sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.
nicht: Wenn man spart, erfüllt man sich den Traum vom Eigenheim.
nicht: Sie sparen, damit sie sich den Traum Eigenheim erfüllen.

Er ruft dich morgen an, um die Situation mit dir zu besprechen.
nicht: Wenn man morgen anruft, bespricht man die Situation.
nicht: Er ruft dich morgen an, damit er die Situation mit dir bespricht.

In gewissen Fällen kann man allerdings damit zusammen mit dem Modalverb können verwenden. Mit können liegt wieder ein Bedingungsverhältnis vor:

Wir fahren in die Stadt, damit wir ins Kino gehen können.
vgl. Wenn man in die Stadt fährt, kann man ins Kino gehen.

Sie sparen, damit sich sich den Traum vom Eigenheim erfüllen können.
vgl. Wenn man spart, kann man sich den Traum vom Eigenheim erfüllen.

Er ruft dich morgen an, damit er die Situation mit dir besprechen kann.
vgl. Wenn man anruft, kann man die Situation besprechen.

Nicht jedes „um zu“ lässt sich also einfach in ein „damit“ umwandeln. Ich hoffe, dass jetzt ein bisschen klarer ist, wann nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist „zum Bahnhof“ in „den Weg zum Bahnhof erklären“ eine Ortsbestimmung?

Frage

Ich habe eine Frage zu den Satzgliedern:

Ich erklärte ihm den Weg zum Bahnhof.

Handelt es sich bei „zum Bahnhof“ um eine Lokalbestimmung?

Antwort

Guten Tag Herr H.,

in diesem Satz ist die ganze Nomengruppe den Weg zum Bahnhof das Akkusativobjekt:

– Wen oder was erklärte ich ihm?
– den Weg zum Bahnhof

Die Nomengruppe besteht aus dem Kern Weg und einer näheren Bestimmung, einem Attribut. Dieses Attribut hat die Form einer Präpositionalgruppe: zum Bahnhof. Es sieht also genau gleich aus wie eine Ortsbestimmung (lokale Adverbialbestimmung):

– Wohin gehe ich mit ihm?
– Ich gehe mit ihm zum Bahnhof
→ zum Bahnhof = Ortsbestimmung

Hier ist es aber keine Ortsbestimmung, sondern – wie gesagt – ein Attribut:

– Welchen Weg erkläre ich ihm?
– Ich erkläre ihm den Weg zum Bahnhof
→ zum Bahnhof = Attribut zu „Weg“

Man sieht den Unterschied auch, wenn man die Wortstellung ändert. Eine Ortsbestimmung ist ein selbstständiges Satzglied und kann als solches allein an erster Stelle vor dem Verb stehen:

Zur Wohnung seiner Eltern gehe ich mit ihm.

Ein Attribut hingegen bleibt beim Wort, das es näher bestimmt, das heißt, üblicherweise wird die ganze Nomengruppe an die erste Stelle vor das Verb verschoben:

Den Weg zur Wohnung seiner Eltern erkläre ich ihm.

Dann hören die Unterschiede aber schon bald auf. Die Adverbialbestimmung zum Bahnhof und das Attribut zum Bahnhof sind zwar satzbautechnisch verschieden, ihre Form ist aber identisch und ihre Bedeutung ist mehr oder weniger gleich, nämlich die Angabe eines Ziels.

Präpositionalgruppen erfüllen häufiger die Rolle eines Attributs, das die Bedeutung einer Adverbialbestimmung hat. Zum Beispiel:

Lokal:

Das Hotel am Bahnhof wird renoviert.
Die Buslinien ins Zentrum sind unterbrochen.

Temporal:

Wie verbringen wir die Zeit bis zum Mittagessen?
Die Sitzung am Donnerstag war die letzte vor den Ferien.

Modal:

Sie aßen einen Apfelkuchen mit Schlagsahne als Nachtisch.
Die Annahme der Vorlage ohne Gegenstimmen war überraschend.

Kausal/Final

Die Aufregung wegen ihrer Bemerkung ist übertrieben.
Sie hatten ihr Spargeld für schlechte Zeiten bereits aufgebraucht.

Mehr über Präpsitionalgruppen als Attribut zu einem Nomen finden Sie auf dieser Seite in der LEO-Grammatik.

Eine ähnliche Frage gab es schon vor vielen Jahren einmal im Blog: Eintritt ins/im Museum. Es kann eben leicht verwirrend sein, wenn eine Wortgruppe im Satz eine andere Funktion hat, als man nach ihrer Form erwarten würde. Die Präpositionalgruppe zum Bahnhof sieht aus wie eine eigenständige lokale Adverbialbestimmung, in unserem Beispiel ist sie aber „nur“ ein unselbstständiges Attribut. Auf den ersten Blick scheinen hier die Form und Bedeutung einerseits und die Funktion im Satz andererseits nicht übereinzustimmen. Deshalb kann der Weg zum Verständnis der Satzstruktur hier etwas länger sein.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der ausgelagerte Relativsatz

Frage

In einem italienischen Sprachengymnasium bin ich folgender Regel begegnet: „Bei Relativsätzen darf das Prädikat nicht geschieden werden.“

Richtig: Ein Passant hat dem Kind geholfen, das von einem großen Hund angegriffen wurde.

Falsch: Ein Passant hat dem Kind, das von einem großen Hund angegriffen wurde, geholfen

Aber gibt es in der deutschen Grammatik eine solche Regel?

Antwort

Guten Tag Frau V.,

die „Regel“, die Sie zitieren, gibt es so nicht. Statt „darf nicht geschieden werden“ müsste stehen, „sollte nicht geschieden werden“ oder „wird heute üblicherweise nicht geschieden“. Für Ihr Beispiel bedeutet dies:

  • Üblich:

Ein Passant hat dem Kind geholfen, das von einem großen Hund angegriffen wurde.

  • Weniger üblich / besser nicht:

Ein Passant hat dem Kind, das von einem großen Hund angegriffen wurde, geholfen.

Der zweite Satz ist also nicht falsch oder ungrammatisch. Er ist im heutigen Sprachgebrauch nur weniger üblich und weniger leicht verständlich. Stilistisch ist der erste Satz besser. Hier noch zwei Beispiele:

  • Üblich / besser:

Ich habe mir endlich das Smartphone gekauft, das ich schon lange wollte.
Ich will darauf neue Applikationen installieren, die ich noch nicht hatte.

Weniger üblich / besser nicht (aber nicht falsch):

Ich habe mir endlich das Smartphone, das ich schon lange wollte, gekauft.
Ich will darauf neue Applikationen, die ich noch nicht hatte, installieren.

Die „Regel“ ist auch aus einem weiteren Grund viel zu generalisierend. Bei nichtrestriktiven (appositiven, explikativen) Relativsätzen ist die Stellung zwischen den Prädikatsteilen sogar üblicher als die Auslagerung an den Schluss:

  • Üblich:

Er hat Max, den er [übrigens] schon lange kennt, bei der Arbeit geholfen.
Sie hat in Boppard, das am Rhein liegt, gewohnt.

Auch möglich, aber nicht bzw. weniger üblich:

Er hat Max bei der Arbeit geholfen, den er [übrigens] schon lange kennt. [?]
Sie hat in Boppard gewohnt, das am Rhein liegt.

Ob der Relativsatz an den Schluss gestellt wird oder nicht, hat oft auch mit seiner Länge zu tun: Je länger er ist, desto stärker die Tendenz, ihn nach hinten auszulagern. Siehe hierzu auch diese Angaben in der LEO-Grammatik.

Für den Sprachunterricht ist dies alles wahrscheinlich etwas zu kompliziert. Sie könnten deshalb erwägen, die „Regel“ abzuschwächen (statt sie ganz zu streichen):

Bei Relativsätzen sollte das Prädikat nicht geschieden werden.
Bei Relativsätzen wird das Prädikat besser nicht geschieden.

Das ergibt in den meisten Fällen stilistisch bessere Sätze. Wo dies nicht der Fall ist (z.B. bei kürzeren nichtrestriktiven Relativsätzen), kann diese Faustregel zu unüblichen Formulierungen führen. Dafür werden Lernende aber nicht verunsichert, wenn sie in deutschen Texten Relativsätzen begegnen, die nicht nach hinten ausgelagert sind. Sie kommen auch vor und sind nicht falsch.

Die deutsche Wortstellung hat es auch hier in sich: Es gibt keine oder kaum feste Regeln, nur mehr oder weniger starke Tendenzen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wenn (es) jemanden nach etwas verlangt

Frage

Ich habe nirgends im Internet die reflexive Form des Verbs „verlangen“ gefunden. Beispiel: „Es verlangt mich nach Liebe“. […]

Ich las jetzt den Satz: „Sie nahmen sich, wonach ihnen verlangte.“ Richtig müsste es doch heißen: „… wonach es sie verlangte.“ Aber warum? Mit welcher Begründung?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

im Satz Es verlangt mich nach Liebe steht nicht eine reflexive Verwendung von verlangen (nicht *sich verlangen), sondern eine unpersönliche Verwendung des Verbs mit einem Akkusativ:

jemanden verlangt (es) nach jemandem/etwas

Die Bedeutung dieser Wendung ist: jemand sehnt sich nach jemandem/etwas, jemand hat ein Bedürfnis nach etwas.

Beispiele:

Es verlangt mich nach Liebe.
Mich verlangt (es) nach Liebe.

Es verlangt mich nach dir.
Mich verlangt (es) nach dir.

Es verlangte ihn nach Ruhe.
Ihn verlangte (es) nach Ruhe.

Es verlangt sie nicht danach, dieses Risiko einzugehen.
Sie verlangt es nicht danach, dieses Risiko einzugehen.

Siehe auch die Angaben im DWDS (Bedeutung 5).

Wie die Beispiele zeigen, gehört diese Verwendung von verlangen eher zum gehobenen Sprachgebrauch. Ich verwende diese Konstruktion jedenfalls in meinem „normalen“ Leben nie.

Der Satz, den Sie zitieren, müsste also tatsächlich mit dem Akkusativ und nicht mit dem Dativ stehen:

Sie nahmen sich, wonach es sie verlangte.

Dieser Satz steht übrigens besser mit es, weil ohne es undeutlich wird, ob es sich bei sie um einen Akkusativ Plural oder um einen Nominativ Singular handelt (das könnte sich nur aus dem weiteren Kontext ergeben).

Wenn man sich weniger gehoben ausdrücken möchte, gibt es andere Möglichkeiten wie zum Beispiel

Ich sehne mich nach dir.
Er verlangte nach Ruhe.
Sie nahmen sich, wonach sie sich sehnten.1

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Bei dieser Umformung kommt die Vermutung auf, dass mit „Sie nahmen sich, wonach ihnen verlangte“ etwas anderes gemeint war: „Sie nahmen sich (alles), was sie wollten/begehrten.“ Wenn dies tatsächlich zutrifft, ist nicht nur ihnen, sondern die ganze Wendung jemanden sehnt es nach etwas nicht richtig gewählt.

Rezepte (zu) kurz formuliert: „… und verrührst es mit einem Löffel“

Frage

In Rezepten liest man gelegentlich:

Du gibst 100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel und verrührst es mit einem Löffel.
Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt es 10 Minuten kochen.

Ich störe mich in beiden Fällen an dem „es“. Müsste es im ersten Satz statt „es“ nicht eher heißen „die Zutaten“ und im zweiten Satz „sie“ (die Mandeln) oder „die Masse“?

Antwort

Guten Tag Herr S.,

Sie haben recht. Die Formulierung mit es ist schön kurz und bündig, wie man es in Rezepten gerne sieht, aber sie ist nicht korrekt. Das Wörtchen es kann sehr viele Funktionen haben – so viele, dass es fast erstaunt, dass es nicht immer richtig ist (was natürlich eine grobe Übertreibung ist).

Hier ist es ein stellvertretendes Fürwort. Als stellvertretendes Fürwort kann es vieles sein:

  • Stellvertreter für ein sächliches Substantiv im Singular als Subjekt oder Akkusativobjekt,
  • Stellvertreter für ein Substantiv oder Adjektiv als Prädikativ,
  • Stellvertreter für ein Substantiv als Subjekt in einem Gleichsetzungssatz,
  • Stellvertreter für einen Infinitiv oder einen ganzen Satz.
    (Für mehr Details und Beispiele siehe die LEO-Grammatik)

In den beiden Beispielen ist es Akkusativobjekt (Wen oder was verrührst du / lässt du kochen?). Es kann sich dann also nur auf ein sächliches Substantiv im Singular beziehen. Das ist in diesen Beispielen der Fall:

Du schlägst das Ei in eine Schüssel und verrührst es mit einer Gabel.
Du verrührst das Mus und lässt es 10 Minuten kochen.

Es kann sich nicht wie im ersten Beispielsatz auf mehrere Substantive oder wie im zweiten Satz auf ein Substantiv im Plural beziehen. Es bleibt deshalb nur, anders zu formulieren. Zum Beispiel:

Du gibst 100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel und verrührst die Zutaten mit einem Löffel.
Du gibst 100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel und verrührst alles mit einem Löffel.

Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt sie 10 Minuten kochen.
Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt die Masse 10 Minuten kochen.
Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt die Mischung 10 Minuten kochen.

In der Kürze liegt die Würze, aber bei Ihren Beispielsätzen mit es ist die Kürze etwas zu würzig geraten. Wenn es wirklich kurz sein soll, ist die in der Rezeptsprache sehr übliche Formulierung mit Infinitiven zu empfehlen:

100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel geben und mit einem Löffel verrühren.
Mandeln mit dem Honig verrühren und 10 Minuten kochen lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Was ist „einen Euro“ in „Der Wert beträgt einen Euro“?

Frage

Im Duden steht, dass der adverbiale Akkusativ verwendet wird bei: Zeitdauer, Strecke, Gewicht. Alter kommt dazu. Wie ist es mit Wert? Beispiel: „Der Wert beträgt ungefähr einen Euro“.

Antwort

Guten Tag Frau K.,

bei Verben wie dauern, kosten, betragen, messen und wiegen, deren Ergänzung eine Zeit- oder Maßangabe ist, handelt es sich bei der Ergänzung um einen Adverbialakkusativ (= eine Wortgruppe mit einem Substantiv im Akkusativ als Kern, die die Funktion einer Adverbialbestimmung hat):

Die Sitzung dauerte einen halben Tag.
Ein einfaches Ticket kostet einen Euro zwanzig.
Der Wert beträgt einen Euro.
Die Strecke misst einen Kilometer.
Ein Sack Kohlen wiegt einen Zentner.

Die Maßangabe ist obligatorisch und sie steht im Akkusativ, sie gilt aber „trotzdem“ nicht als Akkusativobjekt, sondern als Adverbialbestimmung. Das liegt daran, dass man diese Angaben anders als ein Akkusativobjekt nicht durch ein Personalpronomen ersetzen kann:

nicht: Die Sitzung dauerte ihn.
nicht: Ein einfaches Ticket kostet ihn.
nicht: Der Wert beträgt ihn.
nicht: Die Strecke misst ihn.
nicht: Ein Sack Kohlen wiegt ihn.

Es ist auch nicht möglich, Formulierungen dieser Art in eine Konstruktion mit einem als Adjektiv verwendeten Partizip umzuformen:

nicht: Die einen Tag gedauerte Sitzung.
nicht: Ein einen Euro zwanzig gekostetes einfaches Ticket.
nicht: Der einen Euro betragene Wert.
nicht: Die einen Kilometer gemessene Strecke.
nicht: Ein einen Zentner gewogene Sack Kohlen.

Es ist aber möglich, wie bei anderen Adverbialbestimmungen mit wie … zu fragen:

Wie lange dauerte die Sitzung?
Wie viel kostet ein einfaches Ticket?
Wie viel beträgt der Wert?
Wie viel misst die Strecke?
Wie viel wiegt ein Sack Kohle?

Dasselbe gilt übrigens auch für Verbindungen wie alt sein oder wert sein, die auch mit einer obligatorischen Ergänzung im Akkusativ stehen. Auch hier handelt es sich um einen Adverbialakkusativ (vgl. hier)

Unsere Küken sind schon einen Monat alt.
Das Bild ist diesen großen Betrag nicht wert.

Nicht alles, was im Akkusativ steht und (obligatorisch oder fakultativ) zu einem Verb gehört, ist also ein Akkusativobjekt. Manchmal ist es auch ein adverbialer Akkusativ. Das gilt vor allem für Zeit-, Maß-, Mengen- und – als abschließende Antwort auf Ihre Frage – auch für Wertangaben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Dativ „wem“ in „Ich helfe, wem ich will“

Frage

Ich habe neulich den Satz gelesen: „Ich helfe, wem ich will.“ Dieser kam mir falsch vor, da „helfen“ den Dativ verlangt und „wollen“ den Akkusativ. Umgangssprachlich hört man aber oft solche Sätze. Gelten sie als richtig?

Antwort

Guten Tag Frau N.,

Sätze wie diese hört man nicht nur umgangssprachlich:

Ich helfe, wem ich will.
Wir helfen, wem wir können.
Sie sprachen, wo sie wollten und mit wem sie wollten.

Man findet sie auch zum Beispiel in der Bibel und bei Schiller:

Und er [der Teufel] sagte zu ihm [Jesus]: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem ich will.1

Gefalle dieser Gedanke, wem er will.2

Die mit wem eingeleiteten Nebensätze sind Objektsätze. Sie sind das Dativobjekt (bzw Präpositionalobjekt) des Verbs im übergeordneten Satz:

Wem helfen wir? – Wem wir wollen.

Dabei ist der Dativ wem im Nebensatz nicht von wollen oder können abhängig (diese Verben stehen ja nicht mit dem Dativ), sondern vom Verb des übergeordneten Satzes. Dieses Verb wird im Nebensatz einfach nicht wiederholt:

Ich helfe, wem ich (helfen) will.
Wir helfen, wem wir (helfen) können.
Gefalle dieser Gedanke, wem er (gefallen) will.

Es ist recht schwierig, diese Satzkonstruktionen zu analysieren, wenn man die „klassische“ Rollenverteilung im Satz vor Augen hat. Dann müsste nämlich etwas wie das Folgende herauskommen:

Ich helfe denen, denen ich helfen will.
Wir helfen (all) denen, denen wir helfen können
Gefalle dieser Gedanken denjenigen, denen er gefallen will.

Sie sind aber zum Glück gar nicht so schwer zu verstehen, wenn man nicht alles bis ins Detail analysieren will oder muss. Die meisten wissen – bewusst oder unbewusst – die „Kurzversion“ mit wem als elegantere Formulierung zu schätzen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Lukasevangelium 4,6; Einheitsübersetzung 2016
2 Friedrich Schiller: Über Egmont, Trauerspiel von Goethe. Anonym erschienen in der „Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung“, September 1788, zit. n. Friedrich Schillers Werke. Nationalausgabe, 22. Band. Hrsg. v. Herbert Meyer, Weimar: Hermann Böhlmanns Nachfolger 1958, S. 104, Auszüge