An etwas leiden und unter etwas leiden

Frage

Zurzeit beschäftige ich mit dem Verb „leiden“. Unter dem Duden-Eintrag „leiden“ finden wir folgende Beispiele:

• an Rheuma, an Bronchitis leiden
• sie leidet an einem hartnäckigen Ekzem, unter ständigen Kopfschmerzen
• sie leidet sehr unter seiner Unzuverlässigkeit, unter ihrer Einsamkeit, unter ihrem Chef
•  er litt an, unter dem Gefühl der Unsicherheit

Wie man den Beispielen entnehmen kann, steht das Verb „leiden“ mal in Verbindung mit der Präposition „an“, mal mit der Präposition „unter“. Wann verwende ich welche Präposition? […]

Antwort

Guten Tag Herr B.,

es gibt keine strenge Abgrenzung zwischen leiden an und leiden unter. Den Bedeutungsunterschied könnte man wie folgt zu beschreiben versuchen:

an X leiden = man hat das Leiden X
unter X leiden = X verursacht, dass man leidet

Wenn man ein Leiden hat (leiden an), kann dieses Leiden Beschwerden verursachen (leiden unter). Der Übergang ist häufig fließend, denn wenn man ein Leiden hat, leidet man häufig auch darunter. Zum Beispiel:

Ich leide an Kopfschmerzen
= Ich habe häufig/regelmäßig Kopfschmerzen
Ich leide unter Kopfschmerzen
= Kopfschmerzen verursachen mir Beschwerden

Ich leide an Schlafstörungen
= Schlafstörungen sind meine Krankheit
Ich leide unter Schlafstörungen
= Schlafstörungen bewirken, dass ich leide

Aber nicht immer ist beides möglich. Es gibt Formulierungen, in denen nur die eine oder nur die andere Variante in Frage kommt:

Sie leiden an Selbstüberschätzung.

Wer das „Leiden“ hat, das man Selbstüberschätzung nennt, empfindet deswegen keine Beschwerden (im Gegenteil).

Die Natur leidet unter dem Massentourismus.

Der Massentourismus ist nicht ein Leiden oder eine Krankheit der Natur. Er verursacht aber Leiden/Schaden für die Natur.

Ob man an oder unter etwas leidet, hängt davon ab, ob angegeben wird, welches Leiden jemand/etwas hat (leiden an), oder ob etwas als als Ursache von Leiden genannt wird (leiden unter). In vielen, aber nicht allen Fällen sind beide Sehensweisen möglich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Verlangt es sie oder ihnen nach etwas?

Frage

Ich habe nirgends im Internet die reflexive Form des Verbs „verlangen“ gefunden. Beispiel: „Es verlangt mich nach Liebe.“ Oder ist das eine transitive Form des Verbs mit Akkusativobjekt (mich)?

Ich las jetzt den Satz: „Sie konnten nicht finden, wonach Ihnen verlangte.“ Richtig müsste es doch heißen „… wonach es sie verlangte“. Aber warum?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

im Satz „Es verlangt mich nach Liebe“ handelt es sich nicht um eine reflexive Verwendung von verlangen, sondern um eine unpersönliche Verwendung dieses Verbs mit einem Akkusativ (vgl. die Angaben verlangen im DWDS [Bedeutung 5]):

jemanden verlangt (es) nach jemandem/etwas

Es verlangt mich nach Liebe.
Mich verlangt (es) nach Liebe.
Nach Liebe verlangt (es) mich.

Das unpersönliche es, das hier die Funktion eines formalen Subjekts hat, kann wegfallen, außer wenn es am Satzanfang steht (siehe Beispiele oben). Die Konstruktion gilt als gehoben. Man begegnet ihr also im Alltag nicht allzu häufig. Gemeint ist mir ihr übrigens nicht, dass man etwas fordert, sondern dass man sich nach etwas sehnt, etwas begehrt.

Der Satz, den Sie zitieren, müsste also tatsächlich mit dem Akkusativ und nicht mit dem Dativ stehen:

Sie konnten nicht finden, wonach es sie verlangte.

In diesem Satz lässt man das es besser nicht weg, weil sonst undeutlich sein könnte, ob es sich bei sie um einen Akkusativ Plural oder um einen Nominativ Singular handelt. Ohne es möglich ist zum Beispiel:

Ich kann nicht finden, wonach (es) mich verlangt.
Er konnte nicht finden, wonach (es) ihn verlangte.
Ihr konnten nicht finden, wonach (es) euch verlangte.

Ein Blick ins Internet zeigt, dass Formulierungen mit dem Dativ relativ häufig vorkommen:

*Es verlangte ihm nach Abwechslung.
*Mir verlangte es nach etwas Trinkbarem.
*… wonach ihnen verlangte.

Wenn man sich einer gehobenen (und vielleicht ein bisschen veralteten) Wendung bedient, kann man das aber besser so tun, wie es in den Wörterbüchern steht, auch in älteren1:

Es verlangte ihn nach Abwechslung.
Mich verlangte es nach etwas Trinkbarem.
… wonach es sie verlangte.

Und im Zweifelsfall kann man natürlich auch auf sich (Akk.) nach etwas sehnen ausweichen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Eintrag verlangen, Abschnitt 5)

Der Dativ „wem“ in „Ich helfe, wem ich will“

Frage

Ich habe neulich den Satz gelesen: „Ich helfe, wem ich will.“ Dieser kam mir falsch vor, da „helfen“ den Dativ verlangt und „wollen“ den Akkusativ. Umgangssprachlich hört man aber oft solche Sätze. Gelten sie als richtig?

Antwort

Guten Tag Frau N.,

Sätze wie diese hört man nicht nur umgangssprachlich:

Ich helfe, wem ich will.
Wir helfen, wem wir können.
Sie sprachen, wo sie wollten und mit wem sie wollten.

Man findet sie auch zum Beispiel in der Bibel und bei Schiller:

Und er [der Teufel] sagte zu ihm [Jesus]: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem ich will.1

Gefalle dieser Gedanke, wem er will.2

Die mit wem eingeleiteten Nebensätze sind Objektsätze. Sie sind das Dativobjekt (bzw Präpositionalobjekt) des Verbs im übergeordneten Satz:

Wem helfen wir? – Wem wir wollen.

Dabei ist der Dativ wem im Nebensatz nicht von wollen oder können abhängig (diese Verben stehen ja nicht mit dem Dativ), sondern vom Verb des übergeordneten Satzes. Dieses Verb wird im Nebensatz einfach nicht wiederholt:

Ich helfe, wem ich (helfen) will.
Wir helfen, wem wir (helfen) können.
Gefalle dieser Gedanke, wem er (gefallen) will.

Es ist recht schwierig, diese Satzkonstruktionen zu analysieren, wenn man die „klassische“ Rollenverteilung im Satz vor Augen hat. Dann müsste nämlich etwas wie das Folgende herauskommen:

Ich helfe denen, denen ich helfen will.
Wir helfen (all) denen, denen wir helfen können
Gefalle dieser Gedanken denjenigen, denen er gefallen will.

Sie sind aber zum Glück gar nicht so schwer zu verstehen, wenn man nicht alles bis ins Detail analysieren will oder muss. Die meisten wissen – bewusst oder unbewusst – die „Kurzversion“ mit wem als elegantere Formulierung zu schätzen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Lukasevangelium 4,6; Einheitsübersetzung 2016
2 Friedrich Schiller: Über Egmont, Trauerspiel von Goethe. Anonym erschienen in der „Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung“, September 1788, zit. n. Friedrich Schillers Werke. Nationalausgabe, 22. Band. Hrsg. v. Herbert Meyer, Weimar: Hermann Böhlmanns Nachfolger 1958, S. 104, Auszüge

Obligatorische Verbergänzung: Kann man etwas aufzwingen, ohne anzugeben, wem man es aufzwingt?

Frage

Meistens wird das Verb „aufzwingen“ mit einem Dativobjekt verwendet. Ist es grammatisch korrekt, dieses auch ohne ein solches Dativobjekt zu verwenden? Ein entsprechender Beispielsatz wäre: „Das Gesetz ist aufgezwungen“, oder: „Ich zwinge das Gesetz auf.“

Können Sie mir noch sagen, wie oder wo ich das selbst herausfinden kann, ohne Sie zu fragen?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

das auf in aufzwingen gibt an, dass auf jemanden eingewirkt wird, um etwas zu erreichen (wie zum Beispiel auch in auferlegen oder aufschwatzen). Die Person oder die Personen, auf die eingewirkt wird, setzt man in den Dativ. Es ist deshalb nicht gut möglich, aufzwingen ohne Dativobjekt zu verwenden. Das Verb aufzwingen zwingt uns sozusagen ein Dativobjekt auf:

Ich zwinge dem Volk / dem Parlament/ ihnen das Gesetz auf.

Wenn nicht genannt wird, wem etwas auferlegt wird, ist es besser zum Beispiel erzwingen, durchsetzen oder etwas Ähnliches zu verwenden:

Ich erzwinge das Gesetz.
Ich führe das Gesetz mit Zwang ein.

Nur beim Partizip II wird das Dativobjekt häufiger weggelassen, wenn es als Adjektiv verwendet wird. In der Regel geht dann aus dem Kontext hervor, wem etwas aufgezwungen wird:

In seinem aufgezwungenen Exil schreibt der Autor …
(= dem Autor aufgezwungen)
mit freiwilligen oder aufgezwungenen Veränderungen fertig werden
(= jemandem / einem aufgezwungen)
Die Bevölkerung wehrt sich gegen das von der Regierung aufgezwungene Gesetz
(= der Bevölkerung aufgezwungen)

Ausführliche Angaben dazu, mit welchen Objekten und anderen Ergänzungen ein Verb stehen muss oder kann, sind schwierig zu finden. Ich behelfe mich normalerweise mit Quellen wie um Beispiel DWDS, Pons, Duden, LEO und anderen. Keines der Wörterbücher listet alle Möglichkeiten auf, aber zusammen ergeben sie ein besseres Bild. Eine umfassende Darstellung aller Möglichkeiten erhält man aber auch so kaum.

Es gibt auch sogenannte Valenzwörterbücher. Sie beschreiben, grob gesagt, mit welchen Ergänzungen Verben im Satz stehen können bzw. müssen. So ist zum Beispiel online das E-Valbu (Elektronisches Valenzwörterbuch deutscher Verben1) des IDS Mannheim verfügbar. Es ist wissenschaftlich gut fundiert, hat aber für durchschnittliche Sprachinteressierte zwei Nachteile: Viele Verben wie zum Beispiel aufzwingen sind nicht darin zu finden. Bei den Verben, die beschrieben sind, ist es schwierig, sich in den umfangreichen Informationen und zahlreichen Abkürzungen zurechtzufinden (siehe zum Beispiel den Eintrag zwingen). Das kann man allerdings weniger den Wörterbuchmacherinnen und -machern ankreiden als vielmehr der Komplexität der deutschen Verbstrukturen: So vieles ist möglich, dass es äußerst schwierig ist, alles ausführlich und übersichtlich zu beschreiben. Für stark linguistisch Interessierte ist es aber ein gutes Nachschlagwerk.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 E-Valbu basiert auf: Helmut Schumacher, Jacqueline Kubczak, Renate Schmidt, Vera Ruiter: VALBU – Valenzwörterbuch deutscher Verben, Gunter Narr Verlag, Tübingen, 2004

Sich kümmern ohne „um“?

Frage

Braucht „sich kümmern“ unbedingt ein Objekt? Ich höre immer öfter den Satz „Ich kümmere mich“ und vermisse danach ein „um die Kinder/diese Sache/Angelegenheit“ oder wenigstens ein „darum“. Was sagt die deutsche Grammatik dazu?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

was sich kümmern genau braucht, hängt von der Sprachebene ab. In der Standardsprache gehört sich kümmern (sorgen für, sich befassen mit) zu den Verben, die obligatorisch mit einem Präpositionalobjekt stehen. Es verlangt ein Objekt mit um oder ein stellvertretendes darum:

sich um jemanden/etwas kümmern

Ich kümmere mich um die Kinder.
Wer kümmert sich um die Verpflegung?
Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!

Ich kümmere mich um sie.
Wer kümmert sich darum?
Kümmere dich darum!

In der Umgangssprache hingegen (und nicht nur dort) wird sich kümmern manchmal ohne um oder darum verwendet:

Ich kümmere mich.
Wer kümmert sich und an wen kann man sich wenden?

In der Standardsprache ist die Verwendung von sich kümmern ohne um/darum aber, wie gesagt, nicht üblich. Sie erwarten also zu Recht ein um, wenn Sie sich kümmern hören oder lesen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Ohne um kommt das nicht reflexive kümmern (angehen, betreffen) aus, das mit einem Akkusativobjekt steht:

etwas kümmert jemanden
Was kümmert mich ihre Meinung?
Wie wir es organisieren, braucht euch nicht zu kümmern.

Behängt und behangen, verhängt und verhangen

Frage

Die Erklärung in meinem Grammatikbuch zu „hängen“ ist meiner Meinung nach nicht  vollständig: Es müsse „hing, gehangen“ heißen, wenn KEINE Ergänzung im Akkusativ vorliege. Liege eine Ergänzung im Akkusativ vor, so müsse es „hängte, gehängt“ heißen.

Das Problem ist, dass es Satzkonstruktionen gibt, bei denen weder ein Dativ- noch ein Akkusativobjekt in Erscheinung tritt, so dass man dann anhand dieser Regelung keine Entscheidung treffen kann:

Der Himmel war wolkenverhangen.
Er hat eingehängt (Telefon).
Der Baum war mit Kugeln behängt.
…, so muss ein -n angehängt werden.

Wie kann man hier die Verwendung der jeweiligen Form begründen bzw. erklären? […]

Antwort

Guten Tag Herr G.,

die Erklärung aus dem Grammatikbuch ist so, wie Sie sie zitieren, vielleicht etwas zu einfach formuliert. Es geht hier nicht so sehr darum, ob im Satz ein Akkusativobjekt vorhanden ist, als darum, ob das Verb transitiv ist. Transitive Verben sind Verben, die ein Akkusativobjekt fordern. Wo ist dann aber der Gegensatz, den ich soeben erwähnt habe? Auf den ersten Blick macht es keinen Unterschied, ob ein Akkusativobjekt vorhanden ist oder ob das Verb transitiv ist. Ganz so einfach ist es aber nicht immer.

Die schwachen Formen hängte, gehängt stehen beim transitiven Verb hängen (resp. anhängen, aufhängen, einhängen, behängen, verhängen …), also beim hängen, das ein Akkusativobjekt fordert:

Wir hängten das Bild an die Wand.
Wir hängten ein n an. [Das Akkusativobjekt ist hier „ein n“]
Er hat den Hörer eingehängt.
Sie behängten den Baum mit Kugeln.
Sie haben die Fenster (mit Tüchern) verhängt.

Und nun kommen wir zum oben erwähnten Unterschied. Beim transitiven Verb einhängen kann das Akkusativobjekt den Hörer auch weggelassen werden. Das Akkusativobjekt ist dann nicht mehr vorhanden, einhängen ist aber immer noch ein transitives Verb:

Er hat eingehängt.

Auch wenn wir die Sätze ins Passiv umwandeln, gibt es kein Akkusativobjekt mehr, denn es wird im Passiv ja zum Subjekt:

Das Bild wurde an die Wand gehängt.
Ein n wurde angehängt.
Der Hörer wurde eingehängt.
Der Baum wurde mit Kugeln behängt.
Die Fenster wurden mit Tüchern verhängt.

Das gilt auch für das sein-Passiv (soweit es möglich/sinnvoll ist):

Der Hörer ist eingehängt.
Der Baum war mit Kugeln behängt.
Die Fenster waren mit Tüchern verhängt.

Die schwachen Formen gehören also zu den transitiven Verben hängen, aufhängen, einhängen, behängen, verhängen usw.

Und nun wird es noch etwas komplizierter: Das Partizip Perfekt von behängen und verhängen wird auch in Sätzen verwendet, die wie ein sein-Passiv aussehen, die aber nicht in ein Aktiv umgewandelt werden können. Dann verwendet man in der Regel die starken Formen behangen und verhangen:

Der Baum war mit Früchten behangen.
mit Schnee behangene Zweige
Der Himmel ist mit Wolken verhangen (o. wolkenverhangen)
Der Keller war mit Spinnweben verhangen.

Etwas ist behängt oder verhängt, wenn ein Subjekt es aktiv behängt oder verhängt hat. Etwas ist behangen oder verhangen, wenn kein aktives Subjekt es behängt oder verhängt hat. Niemand hat den Baum mit Früchten behängt. Der Himmel wurde von niemandem mit Wolken verhängt und die Spinnen haben die Netz nicht gewebt, um den Keller damit zu verhängen (sondern um Beutetiere zu fangen).

So weit die Theorie. Die Unterscheidung zwischen den starken und schwachen Partizipien von behängen und verhängen wird in der Sprachpraxis nicht immer so eingehalten. Es ist auch schwierig, so schnell genau zu unterscheiden zwischen zum Beispiel mit Fähnchen behängten und mit Äpfeln behangenen Bäumen oder mit Tüchern verhängten und mit Efeu verhangenen Fenstern.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Nicht alle transitiven Verben sind gleich transitiv

Frage

Können gewisse Verben sowohl transitiv als auch intransitiv sein? So zum Beispiel das Verb geben in „Ich gebe ihr die Hand“?

Antwort

Guten Tag Herr M.,

transitive Verben sind Verben, die ein Akkusativobjekt bei sich haben. Verben die kein Akkusativobjekt bei sich haben können, sind intransitiv. So weit die einfache Darstellung. Natürlich ist die ganze Sache – wie so oft, wenn es um sprachliche Kategorien geht – etwas komplizierter. Es folgt eine einfache Darstellung der wichtigsten Fälle anhand von Beispielverben:

  • Das Verb „verteidigen“ ist ein transitives Verb mit einem obligatorischen Akkusativobjekt:

jemanden/etwas verteidigen
Sie verteidigen die Burg.
nicht: *Sie verteidigen.

  • Das Verb „lesen“ ist ein transitives Verb, das auch ohne Akkusativobjekt verwendet werden kann:

etwas lesen
Ich lese ein Buch.
auch: Ich lese.

Transitive Verben können neben dem Akkusativobjekt auch andere Objekte (obligatorisch oder fakultativ) bei sich haben. Das ist unter anderem beim Verb in Ihrer Frage der Fall:

  • Das Verb „geben“ ist ein transitives Verb, das neben dem Akkusativobjekt auch ein Dativobjekt hat:

jemandem etwas geben
Ich gebe dir die Hand.

  • Das Verb „beschuldigen“ ist ein transitives Verb, das neben dem Akkusativobjekt auch ein Genitivobjekt haben kann:

jemanden [einer Sache] beschuldigen
Sie beschuldigen ihn der sexuellen Belästigung.

  • Das Verb „erinnern“ ist ein transitives Verb, das neben dem Akkusativobjekt auch ein Präpositionalobjekt hat:

jemanden an jemanden/etwas erinnern
Sie erinnert ihn an seine Schwester.

Bis jetzt haben wir keine Verben gesehen, die transitiv und intransitiv sind (im Satz „Ich lese“ gilt „lesen“ als intransitiv verwendetes transitives Verb). Es gibt aber einige Verben, die transitiv und intransitiv sein können. Dabei verändert sich die Bedeutung. Zum Beispiel:

  • Das Verb „rollen“ kann transitiv sein (etwas rollend fortbewegen), es kann aber auch intransitiv sein (sich rollend fortbewegen):

transitives Verb: Ich rolle den Ball.
intransitives Verb: Der Ball rollt.

  • Das Verb „kochen“ kann ein transitives Verb sein (durch Erhitzen [Speisen] zubereiten), das auch ohne Akkusativobjekt stehen kann. Es kann aber auch intransitiv sein (siedend sein):

transitives Verb: Ich koche die Kartoffeln.
intransitiv verwendetes transitives Verb: Ich koche gern.
intransitives Verb: Die Milch kocht.

Es gibt also transitive Verben, die auch intransitiv verwendet werden (z. B. „lesen“), es gibt transitive Verben, die neben dem Akkusativobjekt noch weitere Ergänzungen bei sich haben (z. B. „geben“, „beschuldigen“, „erinnern“) und es gibt transitive Verben, die eine intransitive Variante haben (z. B. „rollen“, „kochen“). Und das ist noch nicht alles, denn es gibt auch noch reflexive Verbvarianten, pseudotransitive Verben u. a. m. Diese Darstellung zeigt aber so schon, dass nicht einmal ein relativ einfaches grammatisches Konzept wie „transitiv–intransitiv“ wirklich einfach ist. Siehe auch hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Anrufen und telefonieren

Frage

Ich habe folgende Fragen: Ist „telefonieren“ ein transitives oder ein intransitives Verb? Wenn es intransitiv ist, gibt es eine Erklärung dafür, weshalb das Verb „anrufen“ transitiv, aber das Verb „telefonieren“ intransitiv ist?

Antwort

Standardsprachlich ist „anrufen“ transitiv und „telefonieren“ intransitiv. Die beiden Verben haben nicht ganz dieselbe Bedeutung und drücken dies mit unterschiedlichen Konstruktionen aus:

jemanden anrufen
[= telefonisch mit jemandem Verbindung aufnehmen]
Ich habe ihn schon dreimal angerufen.

mit jemandem telefonieren
[= sich telefonisch mit jemandem unterhalten)
Ich habe eine halbe Stunde mit ihm telefoniert.

Man kann den Unterschied in Bedeutung und Konstruktion zwischen „jemanden anrufen“ und „mit jemandem telefonieren“ mit dem Unterschied zwischen transitivem „jemanden ansprechen“ und intransitivem „mit jemandem sprechen“ vergleichen.

In der schweizerischen Umgangssprache (und z. T. auch anderswo) wird die Sache etwas komplizierter, denn dort gibt es daneben auch noch diese Konstruktionen:

jemandem anrufen
[= telefonisch mit jemandem Verbindung aufnehmen]
Ich habe gestern meinem Cousin angerufen.

jemandem telefonieren
[= telefonisch mit jemandem Verbindung aufnehmen]
Er hielt an und telefonierte der Polizei.

Während man der Konstruktion „jemandem telefonieren“ auch in der schweizerischen Standardsprache begegnen kann, ist „jemandem anrufen“ wirklich nur umgangssprachlich. Auch in der schweizerischen Variante des Standarddeutschen ist im Allgemeinen nur „jemanden anrufen“ üblich (vgl. hier).

Sonst gilt die Verwendung von „anrufen“ und „telefonieren“ mit einem Dativobjekt standardsprachlich als nicht korrekt. Ganz unvereinbar sind „anrufen“ und der Dativ allerdings nicht. Man kann nämlich „bei jemandem anrufen“. Dieser Dativ wird aber nicht von „anrufen“, sondern von „bei“ gefordert.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Kosten und der doppelte Akkusativ (II)

Eine Frage, die schon vor längerer Zeit einmal behandelt wurde, wegen nicht nachlassender Popularität noch einmal:

Frage

„Fehler, die Autofahrer das Leben kosten können“ oder „Fehler, die Autofahrern das Leben kosten können“???

Antwort

Sehr geehrte Frau G.,

auf jeden Fall richtig ist die Konstruktion mit doppeltem Akkusativ:

Fehler, die Autofahrer das Leben kosten können

Häufig kommt daneben die Konstruktion mit Dativ und Akkusativ vor. Sie wird aber (noch?) nicht von allen als korrekt akzeptiert:

Fehler, die Autofahrern das Leben kosten können

Dass der Dativ hier die Neigung hat, den Akkusativ zu ersetzen, ist gar nicht so unverständlich. Es gibt nämlich nur sehr wenige Verben, die mit zwei Akkusativobjekten stehen können. Ein paar Beispiele:

Sie war sehr interessiert und fragte mich tausend Dinge.
Der Vater fragt/hört die Gymnasiastin die Lateinvokabeln ab.
Wir versuchen, die Kursisten gutes Deutsch zu lehren.
Diese Fehler können Autofahrer das Leben kosten.

Solche Verbkonstruktionen sind selten. Im Gegensatz dazu kommen Konstruktionen mit einem Dativ der Person und einem Akkusativ der Sache sehr häufig vor:

Sie gab ihm einen Euro.
Man schenkte mir keine Beachtung.
Der Kellner bot den Gästen einen Kaffee an.
Soll ich dir den Koffer abnehmen?
Wir versuchen, den Kursisten gutes Deutsch beizubringen.

Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass die Verben mit doppeltem Akkusativ auch zu diesem Muster tendieren:

Der Vater fragt/hört der Gymnasiastin die Lateinvokabeln ab.
Wir versuchen, den Kursisten gutes Deutsch zu lehren.
Diese Fehler können Autofahrern das Leben kosten.

Die Formulierungen mit Dativ und Akkusativ statt des doppelten Akkusativs werden unterschiedlich bewertet. Strengere Grammatiker und Grammatikerinnen meinen, Sie seien falsch. Ich persönlich halte sie in vielen Fällen für vertretbar, empfehle aber denjenigen, die gegen jegliche Kritik gefeit sein möchten, hier den doppelten Akkusativ zu verwenden. (Er ist ja auch eine schöne, ungewöhnliche Konstruktion, die man sicher ein bisschen hegen und pflegen darf.)

Bei fragen geschieht übrigens etwas anderes. Dort tritt nicht der Dativ auf, sondern häufig die „konkurrierende“ Konstruktion nach etwas fragen:

Sie war sehr interessiert und fragte mich nach tausend Dingen.

Hoffentlich kostet Sie nun der Umgang mit dieser Verwendung von kosten etwas weniger Mühe.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Tauschen mit und tauschen gegen

Frage

Wenn an einem Wintertag die Angestellten nicht ins Büro, sondern auf die Piste gehen, haben sie dann das Büro mit der Piste getauscht oder haben sie das Büro gegen die Piste getauscht?

Antwort

Sehr geehrter Herr P.,

dass alle mit und gegen beim Verb tauschen immer genau so verwenden, wage ich zu bezweifeln, aber die allgemein gebräuchlichen Konstruktionen mit diesem Verb sind die folgenden.

Wenn man angibt, was wodurch ersetzt wird, verwendet man gegen:

etwas gegen etwas tauschen
Sie tauschten Pelze gegen Nahrungsmittel.
Sie will ihr Auto gegen ein größeres tauschen.

Wenn man angibt, welche Person beim Tausch von etwas auch beteiligt ist, verwendet man mit:

etwas mit jemandem tauschen
Er hat die Wohnung mit einem Freund getauscht.
Sie haben ein paar freundliche Worte miteinander getauscht.

Die Person kann auch weggelassen werden. Dann steht weder mit noch gegen:

etwas tauschen
Sollen wir die Plätze tauschen?
Nach dem Jawort tauschten sie die Ringe.

Und wenn man angibt, dass man gerne an jemandes Stelle wäre, ist mit die richtige Wahl:

mit jemandem tauschen
Ich möchte nicht mit ihm tauschen!

In Ihrem Beispiel haben also die Angestellten das Büro gegen die Piste getauscht. Das konnten sie tun, weil sie ihren freien Tag mit anderen Angestellten getauscht hatten. Und die im Büro Zurückgebliebenen würden gerne mit ihnen tauschen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp