Alles daransetzen, (um) … zu

Frage

Ich heiße E[…] und ich studiere Deutsch. Ich habe eine Frage an Sie zum Thema „Infinitivsätze“. Ich habe gemerkt, dass man bei Infinitivsätzen mit „um…zu“ manchmal das „um“ weglässt. Zum Beispiel:

Ich habe alles daran gesetzt, das Problem zu lösen.
Ich habe alles daran gesetzt, um das Problem zu lösen.

Welcher Satz ist korrekt? Ich würde das „um“ nie weglassen, trotzdem habe ich schon mehrmals gesehen, in mehreren Beispielen, dass es gemacht wird. Ist das korrekt? Ist es Hochdeutsch oder eher Umgangssprache? Ist es immer möglich?

Antwort

Guten Tag E.,

ob man einen uneingeleiteten Infinitivsatz verwenden kann, hängt vom Prädikat (dem „Hauptverb“) des Satzes ab. Siehe hier. Beim Prädikat dransetzen (= aufbieten, einsetzen) kann eine solche uneingeleitete Infinitivkonstruktion stehen:

Sie haben alles darangesetzt, ihn zu finden.
Er hat all seine Kräfte darangesetzt, sein Ziel zu erreichen.
Ich habe alles darangesetzt, das Problem zu lösen.

Hier ist aber auch ein Zwecksatz mit um … zu möglich:

Sie haben alles darangesetzt, um ihn wiederzufinden.
Er hat all seine Kräfte darangesetzt, um sein Ziel zu erreichen.
Ich habe alles darangesetzt, um das Problem zu lösen.

Man kann also sagen, dass es bei den letzten drei Sätzen möglich ist, das um wegzulassen. Das geht auch bei anderen Prädikaten, die mit einer Infinitivkonstruktion stehen können, wenn ein Zweck angegeben wird:

Sie haben ihr Möglichstes getan, um ihn zu finden.
Sie haben ihr Möglichstes getan, ihn zu finden.

Ich habe alles versucht, um sie zum Lernen zu bewegen.
Ich habe alles versucht, sie zum Lernen zu bewegen.

Dies ist aber nur dann möglich, wenn

a) die Verbkonstruktion mit einem uneingeleiteten Infinitivsatz stehen kann;
b) der Infinitivsatz den Zweck der Handlung im Hauptsatz angibt.

Verstoß gegen a)

nicht: *Ich tue dies, dir zu helfen.
sondern nur: Ich tue dies, um dir zu helfen.

Bei etwas tun kann keine uneingeleitete Infinitivkonstruktion stehen.

Verstoß gegen b)

nicht: *Es nützt nichts, um dich zu verstecken. Sie finden dich überall.
sondern nur: Es nützt nichts, dich zu verstecken. Sie finden dich überall.

Der Infinitivsatz drückt nicht den Zweck des im Hauptsatz Gesagten aus.

Bevor Sie sich nun daranmachen, eine neue Regel zu lernen, sei Folgendes nocht gesagt: Es handelt sich hier nicht um eine spezielle, genau abzugrenzende Regel. Es geht hier um Satzkonstruktionen, in denen zwei unterschiedliche Ergänzungen stehen können, (uneingeleiteter Infinitivsatz und mit um … zu eingeleiteter Zwecksatz), die mehr oder weniger „zufällig“ dasselbe ausdrücken.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

„Was sorgt Sie?“ ist zu kurz, wenn etwas Sorgen macht

Frage

Erst kürzlich stand ich vor einem kleinen Problem, das ich auch mit Kollegen nicht eindeutig klären konnte. Die Frage lautete: „Was sorgt Sie, wenn Sie an die Zukunft der Tante denken?“ Hierin liegt schon das Problem: Kann mich eine Sache sorgen? [… Ich bin] als Einziger in der Runde immer noch der Meinung – auch bei vielen anderslautenden Einträgen im Internet  –, dass eine Sache nicht sorgen kann, maximal Sorgen bereiten.

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

Sie haben recht. In der deutschen Standardsprache kann das Verb sorgen nicht in dieser Weise verwendet werden:

nicht: *etwas sorgt jemanden
nicht: *Was sorgt Sie, wenn Sie an die Zukunft der Tante denken?
nicht: *Die hohe Jugendarbeitslosigkeit sorgt mich.

Wenn die Person, die Sorgen hat, Objekt des Satzes und das, was Sorgen bereitet, Subjekt des Satzes sein soll, muss eine etwas wortreichere Formulierung gewählt werden:

etwas bereitet/macht jemandem Sorgen
Was bereitet/macht Ihnen Sorgen, wenn Sie an die Zukunft der Tante denken?
Die hohe Jugendarbeitslosigkeit bereitet/macht mir Sorgen.

Im Zusammenhang mit Sorgen haben/bereiten kann das Verb sorgen nur reflexiv verwendet werden:

sich um etwas sorgen
Worum sorgen Sie sich, wenn Sie an die Zukunft der Tante denken?
Ich sorge mich um die arbeitslosen Jugendlichen.

Andere Formulierungsmöglichkeiten sind z. B.:

Worum machen Sie sich Sorgen, wenn Sie an die Zukunft der Tante denken?
Weshalb machen Sie sich Sorgen, wenn Sie an die Zukunft der Tante denken?
Ich finde die hohe Jugendarbeitslosigkeit besorgniserregend.

Alle diese Formulierungen sind vergleichsweise lang und komplex. Dennoch ist das so schön kurz und bündig abgefasste „Was sorgt Sie?“ standardsprachlich nicht üblich. Es könnte an dieser praktischen Kürze liegen, dass Formulierungen wie „Das sorgt mich (nicht)“ hin und wieder auftauchen. Andere Erklärungen könnten sein, dass regionalsprachlich eine ältere Nebenform „überlebt“ hat (vgl. Grimm, Ziffer 1-b-λ) oder dass hier die englische Konstruktion to worry someone = jemandem Sorgen bereiten einen Einfluss hat. Genaue Informationen dazu, woher diese „Kurzversion“ von Sorgen bereiten kommt, habe ich leider nicht.

Es heißt also nicht: „Was sorgt Sie?“, sondern zum Beispiel: „Was bereitet Ihnen Sorgen?“ Eine ganz andere Frage ist die folgende: Nachdem oben so viele Beispielsätze die Zukunft der Tante erwähnt haben, bin ich ganz neugierig geworden, welche besorgniserregenden Umstände der armen Tante denn bevorstehen könnten. Doch das ist keine Frage der Grammatik und bleibt deshalb an dieser Stelle ungeklärt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Sich Blasen laufen

Noch ein Nachtrag zum Urlaub: Stefan schreibt das Folgende in einem Kommentar zur Ankündigung „Dr. Bopp geht wandern“:

Frage

Lieber Dr. Bopp, haben sie sich “eine Blase gelaufen?? Dazu gleich meine Frage: Wieso “läuft? man sich eine Blase? Eigentlich “bekommt? man doch eine, oder “zieht sie sich zu?… Ich hoffe sie hatten einen schönen Urlaub!

Antwort

Guten Tag Stefan,

Der Urlaub war schön. Siehe hier.

Wieso läuft man sich Blasen? Man kann die Wendung sich … laufen verwenden, wenn man sich laufend etwas zuzieht oder sich oder etwas anderes laufend in einen bestimmten Zustand bringt. Zum Beispiel:

sich müde laufen
sich hungrig laufen
sich außer Atem laufen
sich die Füße wund laufen
sich Löcher in die Schuhe laufen

Und ebenso:

sich Blasen laufen
sich ein große Blase laufen

Reflexive Wendungen dieser Art sind nicht nur mit dem Verb laufen möglich:

sich einen Bruch heben
sich heiser singen/reden/brüllen/schreien
sich die Augen rot weinen
u. a. m.

Ich habe mich übrigens einige Male ziemlich müde gewandert, aber mir zum Glück dank gutem Schuhwerk keine Blasen gelaufen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wenn man großen Wert auf etwas legt, wird großer Wert darauf gelegt

Frage

Ganz oft lese ich, dass auf eine bestimmte Sache „großen Wert gelegt wird”. Ich bin der Meinung, es müsste „großer Wert“ heißen – schließlich steht es doch im Nominativ.

Antwort

Guten Tag K.,

Sie haben recht. Es muss heißen:

Auf eine bestimmte Sache wird großer Wert gelegt.

Im Satz „Man legt großen Wert auf höfliche Umgangsformen“ ist großen Wert das Akkusativobjekt. Wenn man diesen Satz dann ins Passiv setzt, wird das Akkusativobjekt zum Subjekt, das – wie Sie richtig sagen – im Nominativ steht: „Auf höfliche Umgangsformen wird großer Wert gelegt.“

– Wen oder was legt man auf höfliche Umgangsformen?
– Man legt großen Wert auf höfliche Umgangsformen.

– Wer oder was wird auf höfliche Umgangsformen gelegt?
– Großer Wert wird auf höfliche Umgangsformen gelegt.

Man hört und liest tatsächlich so häufig Formulierungen der Art „Auf diese Sache wird großen Wert gelegt“, dass man schon fast meinen könnte, auch der Akkusativ sei hier korrekt. Das ist er aber nicht. Wenn jemand großen Wert auf eine Sache legt, wird großer Wert darauf gelegt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Hat der Hund mich oder mir in den Fuß gebissen?

Eine regelmäßig vorkommende Frage ist, ob man jemanden oder jemandem an den Haaren zieht, auf die Schulter klopft, in die Hand sticht, auf den Fuß tritt, in die Wade beißt usw.

Frage

Mich würde interessieren, ob man sagt: „Der Hund hat mich in den Fuß gebissen“ oder „Der Hund hat mir in den Fuß gebissen“?

Antwort

Guten Tag L.,

beide Formulierungen sind richtig:

Der Hund beißt mich in den Fuß.
Der Hund beißt mir in den Fuß.

Bei Konstruktionen mit einem Verb, das im weiteren Sinne ein Berühren ausdrückt, und einem Körperteil, der als Adverbialbestimmung den Ort der Berührung angibt, kann häufig sowohl der Dativ als auch der Akkusativ stehen. Zum Beispiel:

Er zog mir/mich an den Haaren.
Die Wespe stach ihm/ihn in die Hand.
Er klopfte seinem/seinen Freund auf die Schulter.
Hast du dir/dich in den Finger geschnitten?
Sie hat ihr/sie ins Schienbein getreten.

Wenn man den Akkusativ verwendet, ist mich das Akkusativobjekt zu beißen. Wenn man den Dativ verwendet, ist mir ein Dativ, der angibt, zu wessen „Ungunsten“ das In-den Fuß-Beißen geschieht resp. in wessen Fuß da gebissen wird. Es ist ein Dativ wie derjenige, den man verwendet, wenn ein Sohn seinem Vater einen Kratzer ins Auto macht, die Katze ihrem Frauchen das Sofa zerkratzt oder ein Mädchen dem kleinen Bruder heimlich Salz in den Sirup schüttet.

Wie so oft muss ich auch hier davor warnen, dies als strikte Regel anzusehen. So drücken zum Beispiel die Verben küssen und streicheln eine Berührung aus, deren Ziel ein Körperteil sein kann. Dennoch ist bei ihnen fast nur der Akkusativ beziehungsweise der Dativ üblich:

Sie küsste ihn auf die Wange.
Sie streichelte ihm über die Wange.

Da das Wetter es wieder einmal zulässt, werde ich mir noch ein Gläschen unter freiem Himmel genehmigen – und dabei aufpassen dass mir/mich keine Wespe in den Mund sticht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Es schneit

Es schneit wieder einmal. In den vergangenen Jahren wurde die kalte Jahreszeit vor allem in tieferen Lagen ihrem Namen oft nicht gerecht, aber nun wintert es richtig, wie es sich gehört. Wenn Sie nun vermuten, dass ich beim heutigen Schneefall etwas über Skirennen, globale Erwärmung oder verspätete Züge schreibe, täuschen Sie sich. Mir ist das Wörtchen es aufgefallen. Es geht also um das es in zum Beispiel:

Es schneit.
Es wintert.
Es geht also um …

Wahrscheinlich wissen viele, dass dieses es ein sogenanntes unpersönliches es ist. Es gibt nichts und niemanden, der oder das schneien, wintern oder in diesem Sinne um etwas gehen würde. Dieses es hat also weder Inhalt noch Bedeutung. Wozu dient es denn, wenn es nichts bedeutet?

Das unpersönliche es hat mit dem Satzbau des Deutschen zu tun. Es gibt verschiedene Regeln, wie ein grammatisch korrekter deutscher Satz auszusehen hat. Einige dieser Regeln sind sehr stark, andere wiederum sind eher schwache Tendenzen. Eine sehr starke Regel lautet, dass ein Satz ein konjugiertes Verb und ein Subjekt haben muss, nach dem sich die Verbform richtet. Diese Regel ist so stark, dass wir ein völlig inhaltsleeres Wörtchen benutzen müssen, nur damit sie eingehalten wird. Auch wenn wir beim besten Willen nicht bestimmen können, wer oder was schneit, können wir nicht einfach das Subjekt weglassen. Nein, wir müssen ein es einfügen, weil es nun einmal keine subjektlosen Sätze geben darf.

Nun könnte man meinen, dass dies wieder so etwas typisch Deutsches sei: eine Regel, die so streng gehandhabt wird, dass man sogar Wörter für nicht Bestehendes bemüht, nur um sie einhalten zu können. Das Klischee stimmt aber insofern nicht, als das Deutsche hier unter den europäischen Sprachen nicht allein steht. Während zum Beispiel das Italienische und Spanische ohne die Nennung eines Subjekts auskommen,

Nevica.
Está nevando.

muss man z. B. im Englischen, Französischen, Niederländischen und Schwedischen wie im Deutschen ein unpersönliches Wörtchen für das Subjekt verwenden:

It is snowing.
Il neige.
Het sneeuwt.
Det snöar.

Im Weiteren gibt es „sogar“ im Deutschen Ausnahmen zu dieser Muss-Regel: Wenn man gewisse intransitive Verben im Passiv verwendet, stehen sie manchmal ganz ohne Subjekt. Nicht einmal ein es ist in ihnen zu finden:

Dem Manne kann geholfen werden.
Überall wird gelacht und gesungen.

Hier zeigt sich wieder einmal mehr, dass das Deutsche gar nicht so streng und strikt ist: keine Regel ohne Ausnahme. Mehr zum Wörtchen es finden Sie hier. Ich werde jetzt geeignetes Schuhwerk für einen Spaziergang durch den Schnee anziehen. Inzwischen hat es nämlich aufgehört zu schneien.

Was „ein Buch geschenkt bekommen“ mit „eine geklebt kriegen“ zu tun hat

Gestern fiel mir in einem älteren Film eine Drohung auf, die ich schon länger nicht mehr gehört hatte: „Gleich kriegst du eine geklebt!“ Sie hat mich an eine Frage erinnert, die M. schon vor einiger Zeit gestellt hatte:

Frage

Ich lese soeben von dem sogenannten Dativpassiv: etwas geschenkt bekommen oder geholfen bekommen. Letzteres klingt total falsch. Ersteres ist meinen Ohren gar nicht mal so suspekt […] Ist Ihnen das Dativpassiv ein Begriff?

Antwort

Guten Tag M.,

den Begriff Dativpassiv kenne ich eher als bekommen-Passiv. Ich habe mich aber nie eingehend damit beschäftig. Ich kenne das bekommen-Passiv im Zusammenhang mit Alternativen zum „normalen“ Passiv. Es kann mit bekommen, erhalten und kriegen gebildet werden.

Ich habe ein Buch geschenkt bekommen.
Sie erhalten das Formular per Post zugeschickt.
Du kriegst gleich eine geklebt!

Normalerweise muss das Hauptverb mit einem Dativ und einem Akkusativ verbunden sein, wobei der Dativ eine Person und der Akkusativ eine Sache bezeichnet. Dies ist bei Ich bekomme ein Buch geschenkt der Fall: jemandem (Dativ) etwas (Akkusativ) schenken. Die Formulierung kommt Ihnen deshalb auch vertraut vor. Die gleiche Verteilung von Dativ und Akkusativ findet sich auch bei jemandem etwas zuschicken und jemandem eine kleben.

Anders sieht es bei geholfen bekommen aus. Das Verb helfen hat zwar einen Dativ der Person, aber der Akkusativ fehlt (jemandem helfen). Die Formulierung Ich bekomme geholfen klingt deshalb auch in meinen Ohren falsch. Hier kann man nur das werden-Passiv verwenden: Mir wird geholfen.

Das bekommen-Passiv gilt bis auf wenige Ausnahmen wie etwas geschenkt bekommen und ein Schreiben zugeschickt erhalten als umgangs- oder regionalsprachlich. So sind zum Beispiel Er hat sein Auto repariert bekommen und Du kriegst gleich eine geklebt nur umgangssprachlich akzeptabel.

Sehen Sie hierzu auch diese Angaben in der CanooNet-Grammatik.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Daten vom Laptop auf den Klapprechner migrieren

In der vergangenen Woche gab es in diesem Blog recht wenig zu lesen. Das lag unter anderem daran, dass ich einen neuen Rechner erhalten habe; so einen schönen metallfarbenen mit einem Apfel auf dem Deckel (ich will ja keine Reklame machen). Einen solchen tragbaren Rechner, den man auf- und zuklappen kann, nennt man im Allgemeinen einen Laptop oder ein Notebook. Mit dem neuen Gegenstand kamen neue Wörter auf, denn das Ding musste ja einen Namen haben. Nun sind weder der tragbare Rechner noch sein Name wirklich neu: Laptop und Notebook stehen schon in vielen deutschen Wörterbüchern. Die beiden Wörter sind klassische Beispiele dafür, wie neue Wörter in eine Sprache aufgenommen werden: Ein neues Phänomen taucht auf und muss benannt werden. Oft wird dabei wie in diesem Fall der Name von dort übernommen, wo das Phänomen herkommt.

Es gibt Leute, die es schade, schädlich oder sogar schändlich finden, dass zurzeit so viele neue englische Wörter aufkommen. Der Verein Deutsche Sprache will dieser Tendenz entgegenwirken, indem er unter anderem deutsche Übersetzungen oder Entsprechungen für „unnötige“ Anglizismen vorschlägt. Die meisten dieser Vorschläge sind zwar gut gemeint, haben aber meiner Meinung nach keine allzu großen Überlebenschancen. Die Sprachgemeinschaft lässt sich in der Regel nichts aufdrängen. Anders als viele der bekritisierten Anglizismen haben es, wenn überhaupt, nur sehr wenige der Gegenvorschläge in ein Wörterbuch geschafft.

Ein Vorschlag aber hat es mir angetan. Für Laptop und Notebook schlägt der VDS Klapprechner vor. Auch dieser Vorschlag ist nicht mehr ganz taufrisch, aber ich möchte ihn Ihnen doch noch einmal vorlegen, weil das Wort so schön ist. Es klingt gut und bezeichnet genau das, was ein Laptop ist: ein Rechner den man auf- und zuklappen kann. Schoßcomputer oder Mobilrechner können mich nicht begeistern, aber Klapprechner verdient es, in die deutsche Sprache aufgenommen zu werden. Deshalb will ich den VDS mit diesem Aufruf für einmal in seinem Bestreben unterstützen: Wenn Sie alle dieses Wort von jetzt an in Wort und Schrift verwenden, kann Klapprechner vielleicht schon bei der nächsten oder übernächsten Datenaktualisierung im CanooNet-Wörterbuch aufgenommen werden!

Neben diesen sofort als neu erkennbaren Wörtern, gibt es noch viel subtilere neue Wörter. Ein solches habe ich beim Übertragen der Daten vom alten auf den neuen Rechner entdeckt: migrieren. Dieses Verb gibt es fachsprachlich im Deutschen schon lange: Tierische Parasiten migrieren von einem Wirt auf den anderen; Erdöl oder Erdgas migriert vom Mutter- ins Speichergestein; halb Europa migrierte während der Völkerwanderungen von einem Ort zum anderen. In all diesen Anwendungen bedeutet migrieren so etwas wie wandern. Wie wandern ist es ist ein intransitives Verb, das heißt, es hat kein Akkusativobjekt (man kann nicht fragen: wen oder was migrieren?).

Beim Übertragen der Daten und Einstellungen habe ich festgestellt, dass man diesen Vorgang Migration nennt. Die Daten werden migriert. Man migriert die Daten. Das Erstaunliche und Neue daran ist, dass migrieren ein transitives Verb geworden ist: „Wen oder was migriert man?“ Hier hat sich ein neues Verb mit einer neuen Bedeutung und einer neuen Konstruktion „eingeschlichen“. Da es unter dem Deckmantel eines bestehenden Verbs auftritt, bemerkt man diesen Neuankömmling nämlich kaum. Es könnte sogar ein Anglizismus sein.

Neue Wörter können also in verschiedenster Weise auftauchen. Drei Beispiele haben wir gesehen: der Direktimport bei Laptop und Notebook, die Übersetzung oder Neuschöpfung bei Klapprechner und die Wiederverwendung von bestehendem Material mit neuer Funktion bei migrieren. Was man nicht alles entdeckt, wenn man Daten vom alten Laptop auf den neuen Klapprechner migriert!

Autos als Lebensinhalt und Deutschland als Weltmeisterin

Es geht hier nicht um die Frage, ob die Deutschen ihr Auto mehr lieben als der Rest der Welt.

Frage

Wie erklärt der Sprachwissenschafler das Besondere folgender Opel-Werbung: „Wir leben Autos“ (FAS 13.9.09)? Wodurch entsteht grammatikalisch die Wirkung? Und wie ist es bei der folgenden Mercedes-Werbung: „Deutschland ist Weltmeisterin“ (FAZ 12.9.09)?

Antwort

Sehr geehrter Herr L.,

beide Werbesprüche haben das wichtigste Ziel erreicht: Sie fallen auf. Das beweisen nur schon Ihre Frage und meine Antwort. Doch wie fallen Sie auf? Am besten fällt man auf, indem man abweicht. In beiden Werbeslogans steht eine Formulierung, die vom normalen Sprachgebrauch abweicht.

Wir leben Autos

In der Opelwerbung fällt die Verwendung des Wortes Autos als Akkusativobjekt bei leben auf. Normalerweise sagt man einfach leben, gut leben, an einem Ort leben, für etwas leben, von etwas leben, mit etwas leben usw. usw. Man sagt praktisch nie etwas leben. Dies ist nur üblich, wenn es um Begriffe geht, die man durchleben, vorleben oder im Leben praktizieren kann. Zum Beispiel: ein einfaches Leben leben, Demokratie leben, seinen Glauben leben, seine eigene Geschichte leben u. Ä. Es geht also um abstrakte Begriffe. Autos hingegen sind konkrete Dinge, die man im Prinzip nicht leben kann. Durch den Werbeslogan wird etwas Konkretes wie Autos zu etwas Abstraktem, zu so etwas wie einer Weltanschauung, einem Lebensinhalt. Das fällt auf.

Deutschland ist Weltmeisterin

Der Mercedes-Slogan knüpft an den Weltmeistertitel der deutschen Fußballfrauen an. Mercedes-Benz war ja der Generalsponsor der deutschen Frauen-Fußballnationalelf. Hier fällt auf, dass die weibliche Form Weltmeisterin sich auf Deutschland bezieht. Man kann sich zwar mit weiblichen Personenbezeichnungen auf eine Sache, Institution usw. beziehen, aber das ist nur dann möglich, wenn es sich um ein weibliches Wort handelt:

Antragstellerin ist die Universität
Die Firma AX ist Lieferantin des Produktes.

Bei männlichen und sächlichen Wörtern ist dies im Prinzip nicht möglich. Trotzdem bezieht sich im Mercedes-Slogan die weibliche Personenbezeichnung Weltmeisterin auf das sächliche Wort Deutschland. Obwohl es Frauen waren, die den Weltmeister(innen)titel errungen haben, ist das grammatisch gesehen eigentlich falsch und fällt deshalb entsprechend auf.

Sehen Sie hierzu auch diesen und diesen älteren Blogeintrag.

Werbesprüche können also mit Hilfe „grammatischer Vergehen“ auffallen und dadurch wirkungsvoll sein. Bei Opel und Mercedes hat das jedenfalls insofern gut funktioniert, dass die Markennamen einige Male in diesem Blog genannt werden …

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Sich von jemandem scheiden – lassen

Frage

Man hört immer häufiger: „Ich scheide mich von dir!“ Ist dies einfach nur bedauerlich oder auch grammatikalisch falsch? Kann man sich also aktiv von jemandem scheiden oder muss man sich scheiden lassen?

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

wenn es um eine Ehescheidung geht, ist die scheidende Instanz (= das Subjekt der Verbhandlung) eine Richterin, ein Richter, das Gericht o. Ä. Man kann deshalb in der deutschen Sprache nicht sagen: „Ich scheide mich von dir!“ Das würde bedeuten, dass man die Scheidung selbst aussprechen kann. Man kann es natürlich versuchen, aber eine solche Scheidung ist noch nicht einmal dann rechtsgültig, wenn ein Richter seine eigene Ehe in dieser Weise beenden will.

Wenn man seinem Gatten oder seiner Gattin eine Ehescheidung ankündigt, stehen einem eine Reihe anderer, korrekter Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung. Zum Beispiel:

Ich lasse mich von dir scheiden.
Ich will von dir geschieden werden.
Ich reiche die Scheidung ein.
Du hörst noch von meinen Anwalt.

Man kann im Deutschen auch sagen: „Ich scheide von dir.“ Das bedeutet aber nicht, dass eine Ehescheidung ansteht, sondern nur, dass man jemanden verlässt, bei jemandem weggeht. Außerdem klingt diese Formulierung recht veraltet oder sehr gehoben. Auch sich scheiden gibt es, aber dann geht es zum Beispiel um Wege, die sich scheiden, oder um einen Meeresstrom, der sich in mehrere Arme teilt.

Die richtige Formulierung lautet also: „Ich lasse mich von dir scheiden!“ Auch eine grammatisch korrekte Ausdrucksweise macht aber leider eine Scheidung kein bisschen einfacher.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp