Woher „ein itzchen“ kommt

Frage

Ich bin auf der Suche nach der Herkunft des schönen Wortes „Itzchen“ („ein Itzchen“ bedeutet „etwas, ein wenig, ein kleines bisschen“). Zum Beispiel: „Könnte ich noch ein Itzchen Sahne haben?“, „Da fehlt noch ein Itzchen Pfeffer“. Leider konnte ich bis dato nur feststellen, dass ich nicht der Einzige bin, der dieses Wort verwendet. Aber woher kommt es?

Antwort

Guten Tag Herr G.,

zwei Dinge muss ich gleich „gestehen”: Erstens kannte ich den Ausdruck „ein itzchen“ nicht (ich schreibe ihn wie „ein wenig“ und „ein bisschen“ klein) und zweitens ist die amüsantere Erklärung leider nicht die zutreffende.

Die schönste, aber leider nur spekulative Erklärung könnte sein, dass „itzchen“ mit einem Hit aus den frühen Sechzigerjahren zu tun hat: „Itsy Bitsy Teenie Weenie Yellow Polka Dot Bikini” von Brian Hyland oder in der deutschen Version „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strand-Bikini“ von Caterina Valente und Silvio Francesco. In dieser Weise könnte der englische Ausdruck „itsy-bitsy” („ein klitzekleines bisschen” – von „little“ und „bit“ im Munde des englischen Kleinkindes) ins Deutsche übernommen und zu „itzchen” abgewandelt worden sein. Doch wie bereits gesagt ist diese Erklärung leider reine Spekulation.

Mit der Itz, einem Nebenfluss des Mains, hat „itzchen“ wohl auch nichts zu tun.

Eine weniger spektakuläre, aber viel einleuchtendere Erklärung findet sich im Rheinischen Wörterbuch, das den Dialektwörtern des Westmitteldeutschen gewidmet ist. Dort findet man das Wort „itzchen“ mit einem Verweis auf „itz“ und „iet“ mit der Bedeutung „etwas“. Mit „ein itzchen“ ist also ein kleines Etwas gemeint. Auch beim Sprachnachbarn Niederländisch gibt es „iets“ mit der Bedeutung „etwas“. Die Antwort auf die Frage nach der weiteren wortgeschichtlichen Herkunft und inwiefern „iet(s)“ und „etwas“ miteinander verwandt sind, möchte ich Ihnen und mir an dieser Stelle ersparen.

Die Wendung „ein itzchen“ kommt also nicht von einem Hit aus den Sechzigerjahren, sondern aus den Dialekten des Rheinlandes, wo es wahrscheinlich auch am häufigsten in der Umgangssprache verwendet wird. Es ist mit dem niederländischen „iet(s)“ verwandt und über ein paar Ecken auch mit „etwas“. Gerne hätte ich es interessanter gemacht, aber das wäre mehr als nur ein itzchen zu spekulativ gewesen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist „Geblinke“ ein gültiges Wort?

Frage

Ich spiele Scrabble und möchte das Wort „Geblinke“ legen. Mein Gegner meint, das sei kein gültiges Wort. Wir warten gespannt auf Ihre Antwort auf die Frage: Ist das ein Wort?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

an der Frage, ob ein Wort in Scrabble gültig ist oder nicht, möchte ich mir nicht die Finger verbrennen. Das hängt nämlich davon ab, was Sie miteinander abgesprochen haben. Ich bin der Meinung, dass man es vor allem nicht zu eng sehen sollte, denn diese Frage hat schon Freundschaften und Ehen beinahe in die Brüche gehen lassen, obwohl Scrabble nur ein Spiel ist.

Wenn Sie nur Wörter akzeptieren, die in einem (bestimmten) Wörterbuch stehen, ist „Geblinke“ ein Problemfall für Sie. Es gibt wahrscheinlich kein Wörterbuch, das dieses Wort aufführt.

Wenn Sie auch Wörter akzeptieren, die korrekt gebildet sind und vorkommen oder vorkommen können, ist „Geblinke“ ein gültiges Wort. Es ist nämlich mit einer gebräuchlichen Wortbildungsregel gebildet worden, die Substantive von Verben ableitet (siehe hier). Andere Beispiele sind:

reden → Gerede
pfeifen → Gepfeife
hasten → Gehaste
jodeln → Gejodel

Die so gebildeten Substantive drücken häufig eine dauernde und meistens als lästig oder störend empfundene Verbhandlung aus. Das ist auch beim Wort, um das es Ihnen hier geht, der Fall:

blinken → Geblinke
Das dauernde Geblinke der LED-Lichter störte sie.

Das Problem der Wörter, die es gibt und geben kann, die aber nicht im Wörterbuch stehen, stellt sich häufiger, als man vielleicht denkt. Es gibt nämlich einige Wortbildungsregeln, die so viele sofort verständliche Wörter gebildet haben, bilden und bilden werden, dass lange nicht alles, was möglich ist, auch im Wörterbuch steht. Suchen Sie einmal diese Wörter in Ihrem Wörterbuch:

analysierbar, Vorsitzendenwahl, dunkelrosa, Privattrainerin, hinunterrollen, Besprengung, unverzeihlicherweise usw. usw.

Dürfte man bei Ihnen diese Wörter in Scrabble legen oder nicht, vorausgesetzt das Spielglück ließe es zu? Bei „Vorsitzendenwahl“ und „unverzeihlicherweise“ ist die Antwort einfach (sie passen nicht auf das Spielbrett), aber wie steht es mit den anderen?

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Warum „unverzeihlicherweise“ verzeihlicherweise nicht im Wörterbuch steht

Bemerkung

Danke für die schnelle Antwort. Übrigens steht Ihr „unverzeihlicherweise“ nicht in der Canoo-Liste, auch „verzeihlicherweise“ nicht.

Reaktion

Guten Tag Herr S.,

man kann von vielen Adjektiven ein mehr oder weniger übliches Adverb auf –erweise bilden. Dies geschieht häufig auch ad hoc, das heißt ganz spontan während des Sprechens oder Schreibens. Deshalb listen Canoonet und andere Wörterbücher lange nicht alle möglichen Ableitungen mit –erweise auf. Dies nicht nur wegen Platzmangels, was ja in der heutigen digitalen Welt viel weniger ein Problem ist als in der Zeit der dicken, vielbändigen Wörterbücher, die noch auf Papier gedruckt und gebunden werden mussten. Es ist auch nicht möglich und nicht sinnvoll, alle Ableitungen zu erfassen, die schon einmal verwendet worden sind oder einmal verwendet werden könnten. Hier ein paar Beispiele möglicher Bildungen, die nicht in (allen) Wörterbüchern zu finden sind:

abartigerweise, blamablerweise, cholerischerweise, diabolischerweise, enttäuschenderweise, fahrlässigerweise, grinsenderweise

… und viele andere mehr – auch mit positiver Bedeutung. Diese Ableitungen sind lange nicht alle stilistische Meisterwerke, aber das bedeutet natürlich nicht, dass sie nicht möglich sind.

Das Gesagte gilt nicht nur für die Adverbbildung mit -erweise, sondern auch für andere Worbildungsarten, mit denen noch neue Wörter gebildet werden können. Beispiele sind Ableitungen von Verben mit den Suffixen -bar und -ung und ganz besonders die Substantivzusammensetzungen, die in unendlicher Zahl bildbar sind.

Ich nenne hier deshalb wieder einmal einen wichtigen Grundsatz: Dass ein Wort nicht in den Wörterbüchern steht, heißt noch lange nicht, dass es das Wort nicht gibt oder nicht geben kann!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Weiterlesen und was sonst (nicht) im Wörterbuch steht  

Immer wieder gibt es Kommentare und Fragen zu Wörtern, die nicht im Wörterbuch verzeichnet sind. Nicht allen ist bewusst, dass ein Wort auch dann möglich, wohlgeformt und richtig sein kann, wenn es nicht in den Wörterbüchern zu finden ist.

Kommentar

Laut [meinem Wörterbuch] „gibt es“ weiterlesen bzw. wird es in einem Wort geschrieben. Nicht kritisch gemeint, sondern nur informativ.

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

danke für die Information. Wir werden prüfen, ob wir weiterlesen auch in die Canoonet-Wörterbücher aufnehmen sollen. Dazu die folgende Bemerkung:

Wenn weiter die Bedeutung fortfahren zu oder vorwärts, voran hat, vor einem einfachen Verb steht und stärker als das Verb betont wird, schreibt man es mit dem Verb zusammen (vgl. hier). Zum Beispiel:

weitergehen = fortfahren zu gehen
weiterleiten = etwas Erhaltenes einer anderen Person, Instanz zuleiten
weiterlesen = fortfahren zu lesen

Das gilt für alle einfachen Verben, bei denen dies sinngemäß möglich ist. Auch andere Wörterbücher listen nicht alle diese möglichen Verben auf, insbesondere dann nicht, wenn sie nicht häufig vorkommen. Dafür sind nicht nur Platzgründe verantwortlich, sondern auch die Tatsache, dass diese Verbverbindungen auch ohne Beschreibung gut verständlich sind.** Ein paar Beispielsätze mit Verben, die nicht in (allen) Wörterbüchern stehen:

Wenn die Löwensippe satt ist, kann die Gazellenfamilie in Ruhe weiteräsen.
Solange das Bier nicht ausgeht, wird weitergehüpft.
Ich falle ins Gras und muss einfach immer nur weiterlachen.
Er ging in die Küche zurück, um weiterzukochen.
10 Minuten weiterköcheln lassen
Gibt es eine Funktion, bei der ich das Gerät vor mir hinlegen und trotzdem weitertelefonieren kann?
u.v.a.m.

Wenn ein Wort nicht im Wörterbuch steht, bedeutet das also noch lange nicht, dass es dieses Wort nicht gibt. Hier nach ein paar zusammengeschriebene Verbverbindungen mit weiter, die in Canoonet, aber – soweit ich weiß – nicht im gelben Wörterbuch stehen:

weitersegeln, weitersingen, weiterstolpern, weiterspedieren, weiterstreiken, weitertanzen, (sich) weitertasten

Ich werde mich weiter bemühen (= weiterhin bemühen), Ihnen bei Sprachfragen weiterzuhelfen – auch dann, wenn es um Wörter geht, die nicht im Wörterbuch stehen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

** Dies gilt in noch viel stärkerem Maße für Substantivzusammensetzungen. Es ist unmöglich, alle korrekt bildbaren Zusammensetzungen aufzulisten: Amselnest, Drosselnest, Finkennest, Starennest usw.

Schicksalhaftigkeit und andere „fehlende“ Wörter

Frage

Ich wüsste gerne, ob das Wort „Schicksalhaftigkeit“ korrekt ist. Bei den mit -igkeit endenden Wörtern auf Canoonet finde ich es leider nicht.

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

das Wort Schicksalhaftigkeit ist korrekt. Wenn eine Sache schicksalhaft ist, kann man von deren Schicksalhaftigkeit sprechen.

Die Wahlbeteiligung für den Reichstag lag bei etwa 84 Prozent und trug der von allen Seiten beschworenen »Schicksalhaftigkeit« Rechnung.
Er ist überzeugt von der Schicksalhaftigkeit dieser großen Liebe und sagt: „Mit Michaela war es schon vor 19 Jahren Liebe auf den ersten Blick.“
Es scheint mir wichtig, dass man die Gestaltbarkeit des Lebens mit der Schicksalhaftigkeit des Alters kombiniert.
Beispielsätze aus: Wortschatz-Portal der Universität Leibzig

Im Prinzip kann von allen Adjektiven auf …haft ein Substantiv der Form …haftigkeit gebildet werden. Lange nicht alle diese möglichen Bildungen sind in Wörterbüchern verzeichnet. Weitere Beispiele von nicht in (allen) Wörterbüchern verzeichneten Substantiven dieser Form:

Amateurhaftigkeit
Bruchstückhaftigkeit
Engelhaftigkeit
Fieberhaftigkeit
Frühlingshaftigkeit [endlich!]
Heldenhaftigkeit
Instinkthaftigkeit
Zwanghaftigkeit
usw.

Ich möchte hier wieder einmal erwähnen, dass Wörterbücher nicht alle möglichen Wörter auflisten können. So sind auch bei Weitem nicht alle möglichen Zusammensetzungen von Substantiven oder alle Verbableitungen mit …bar und …ung in Wörterbüchern zu finden.

Das Umgekehrte muss deshalb immer wieder betont werden: Wenn ein Wort nicht im Wörterbuch steht, heißt das keineswegs zwangsläufig, dass es ein Wort nicht gibt. Die Wortbildungskraft unserer Sprache ist viel zu lebendig und zu mächtig, als dass sie sich in ein Wörterbuch – und sei es noch so groß und digital – packen ließe. Die Regel, dass ein Wort nur dann „gültig“ ist, wenn es im Wörterbuch steht, kann deshalb höchstens beim Scrabble-Spielen angewandt werden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Von frottieren zu frottagieren

Frage

Ich habe einen Text über Frottagen geschrieben und dabei erklärt, wie eine Frottage hergestellt wird. Bei meinen Recherchen stieß ich auf die Tätigkeit „Frottieren“ und hatte dieses Wort auch in meinen Text eingearbeitet. Bei weiteren Recherchen für eine Fortsetzung musste ich heute jedoch feststellen, dass im kreativen Bereich überwiegend vom „Frottagieren“ gesprochen wird. Laut Cannonet und laut Duden gibt es dieses Wort aber nicht. […] Ich schreibe Ihnen, weil das Wort „frottagieren“ so häufig im Internet zu finden ist und ich nicht weiß, ob es sich um ein Modewort handelt und ob ich dieses so einfach übernehmen darf. Was geschieht eigentlich mit neuen Wörtern, die sich im Laufe der Zeit durchsetzen?

Antwort

Sehr geehrte Frau S.,

das Verb frottagieren scheint ein Fachwort zu sein, das es (noch) nicht bis in die Wörterbücher geschafft hat. Es ist im Prinzip eine etwas seltsame Bildung, denn sein Basiswort, das Substantiv Frottage, ist eine (französische) Ableitung des Verbs frottieren. Es ist eher ungewöhnlich, ein neues Verb abzuleiten (frottagieren), anstatt auf das ursprüngliche Verb zurückzugreifen (frottieren). Es ist ein bisschen, wie wenn wir vom Substantiv Reibung ein neues Verb reibungeln oder reibungern ableiten würden, statt auf das Verb reiben zurückzugreifen. Im Bereich der Fremdwörter kommt dies aber hin und wieder vor, dann nämlich, wenn ein Bedeutungsunterschied zwischen dem ursprünglichen und dem neuen Verb angegeben werden soll:

frottieren (reiben, abreiben)
→ Frottage
→ frottagieren (mit Frottagetechnik erzeugen/arbeiten)

Hier noch ein paar Beispiele:

dozieren → Doktor → doktorieren
fundieren → Fundament → fundamentieren
fungieren → Funktion → funktionieren
konzipieren → Konzeption → konzeptionieren

Gestützt wird die Wortbildung frottagieren vielleicht auch durch das Verb collagieren, das von Collage kommt. Ich kann nicht beurteilen, ob es sich um ein Modewort oder um eine in der Fachsprache gebräuchliche Bildung handelt. Ich finde „auf die Schnelle“ sowohl frottieren als auch frottagieren im Zusammenhang mit Frottage.

Wenn neue Wörter sich im Laufe der Zeit durchsetzen, werden sie in die Wörterbücher aufgenommen. Bei Fachwörtern wie diesem dauert es wahrscheinlich etwas länger als bei allgemeiner gebräuchlichen Wörtern – falls frottagieren sich tatsächlich einmal durchsetzt, wie dies zum Beispiel E-Mail, scannen, Tsunami, All-inclusive-Urlaub, Mobiltelefon u.v.a.m. schon gelungen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wie antiquiert sind Widernisse?

Hinweis

Das vielleicht etwas antiquiert wirkende, aber immer noch gebräuchliche Wort „Widernis“ fehlt mir in Ihrer hilfreichen Datenbank.

Reaktion

Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für den Hinweis! Zuerst habe ich mich ein bisschen gewundert, dass das Wort Widernis nicht in Canoonet zu finden ist. Schließlich kommt mir vor allem der Plural Widernisse recht bekannt vor. Es ist zwar kein Wort, das mir täglich mindestens fünfmal begegnet, aber auch kein äußerst seltenes lexikalisches Unikum. Mein Erstaunen wuchs, als ich feststellte, dass das Wort auch in keinem anderen der mir zur Verfügung stehenden Wörterbücher steht. Nur das Wörterbuch der Gebrüder Grimm erwähnt es 1960, allerdings mit der Bemerkung:

in hist. wbb. nicht gebucht und auch literar. nur selten bezeugt

Widernis stand also 1960 nicht in historischen Wörterbüchern und in literarischen Texten war es offenbar nur selten zu finden. Das Wort scheint früher nicht allzu populär gewesen zu sein.

Der Ngram Viewer von Google erlaubt es, größere Mengen von Büchern und Zeitschriften nach einem bestimmten Wort zu durchsuchen. Ich habe dies einmal für Widernisse und die Dativform Widernissen für die Zeitspanne 1850 bis 2000 getan:

So beliebt war das Wort also früher gar nicht. Es kommt in der gemessenen Zeitspanne erst ab ca. 1875 ein paarmal vor. Wenn man dem Graphen weiter glauben darf, erlebte Widernisse(n) Ende der Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts einen bescheidenen Höhepunkt, ging seine Verwendung danach ein paar Jahrzehnte zurück und wird es seit den Neunzigerjahren wieder relativ häufig verwendet.

Könnte es sein, dass Widernisse nur antiquiert wirkt, es aber im Gegenteil gar nicht ist? Wir werden auf jeden Fall genauer prüfen müssen, ob das Wort es nicht doch verdient, in Canoonet aufgenommen zu werden. Vor allem der Plural Widernisse scheint ja „neuerdings“ vergleichsweise häufig vorzukommen.

Ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr, das möglichst frei von Widernissen sein möge!

Dr. Bopp

Umgeschlossen?

Frage

Ich bin beim Verb „umschließen“ auf Ihre Partizip-Perfekt-Form „umschlossen“ gestoßen. Die Form „umgeschlossen“ kann ich in Canoonet nicht finden.

Ich bin auf diese Form einmal im Zusammenhang mit Telefonverträgen gestoßen. Wenn man mit seiner Rufnummer den Telefonprovider wechselt, stellt sich die Frage, wann der Umschluss der Rufnummer auf den neuen Anbieter stattfindet. Also: Wann wird „umgeschlossen“?

Zum anderen finden in Haftanstalten auch Umschlüsse statt. Wenn z. B. Häftlinge temporär von einer in eine andere Zelle verbracht werden, spricht man davon, dass sie „umgeschlossen“ wurden. In beiden Fällen heißt der Infinitiv Präsens „umschließen“.

Antwort

Sehr geehrter Herr S.

wenn ein Wort nicht in den Wörterbüchern zu finden ist, heißt das nicht zwangsläufig, dass es das Wort nicht gibt. Häufig heißt es einfach, dass es eine weniger häufig vorkommende Ableitung oder Zusammensetzung ist, die nach einem gängigen Wortbildungsmuster gebildet wurde und einfach zu interpretieren ist. So auch hier: Neben dem in den meisten Wörterbüchern vorkommenden untrennbaren umschlíéßen (auf schließ betont, Partizip: umschlóssen, Bedeutung: einschließen, umgeben, umfassen) kommt auch das trennbare úmschließen vor (auf um betont, Partizip úmgeschlossen).

Im Deutschen gibt es viele Verben mit um-. Sie lassen sich grob in drei Klassen einteilen.

  • Mit um- werden trennbare Verben mit dem Bedeutungselement zurück, herum, zu Boden gebildet. Zum Beispiel:

úmschauen, úmkehren, úmrühren, úmstürzen, úmwerfen

  • Mit um- werden weiter trennbare Verben mit dem Bedeutungselement neu, anders, allgemein verändern gebildet. Zum Beispiel:

úmbauen, úmbuchen, úmfüllen, úmprogrammieren und úmschließen

  • Mit um- werden auch untrennbare Verben mit dem Beutungselement rundum, um herum gebildet. Zum Beispiel:

umgéhen, umflíéßen, umfássen, umrúnden und umschlíéßen

(Interessant sind die manchmal nicht ganz unwichtigen Bedeutungsunterschiede zwischen trennbaren und untrennbaren Verben. So macht es einen wesentlichen Unterschied, ob ich ein Hindernis umfáhre oder úmfahre: Wenn man nicht zufällig auf einem großen Bulldozer sitzt, ist es einfacher, einen Baum zu umfahren als ihn umzufahren.)

Es gibt, wie gesagt, sehr viele Verben mit um-. Viele davon sind in Wörterbüchern verzeichnet, aber bei weitem nicht alle. Beschränken wir uns einmal auf die Gruppe der trennbaren Verben mit dem Bedeutungselement verändern. In den meisten Wörterbüchern verzeichnet sind zum Beispiel:

umarbeiten, umbauen, umbuchen, umdatieren, umpflanzen, umprogrammieren, umschulen, umschichten, umschminken, umstellen, umziehen …

Nach demselben Muster werden auch Verben gebildet, die es (noch) nicht bis in alle Wörterbücher geschafft haben:

umfädeln, ummontieren, umplanen, umreihen, umschienen, umspuren, umstöpseln, umtüten, umschließen …

Auch wenn man sie nicht im Wörterbuch findet, sind solche Bildungen meistens leicht verständlich. In der Regel hilft nämlich der Kontext, sie richtig zu interpretieren. Als ich Ihre Frage las, war mir nicht sofort klar, was die allein stehende Form umgeschlossen bedeutet. Sobald aber der Kontext hinzukommt (im einen Fall werden Telefonanschlüsse umgeschlossen, im anderen Fall werden Gefangene umgeschlossen), wird deutlich, was mit umschließen gemeint ist: anders anschließen bzw. an einem andern Ort einschließen.

Das Wortbildungselement um- kann mit vielen Verben kombiniert werden. Nicht immer führt dies zu einem stilistischen Meisterwerk, aber meistens zu einem einfach verständlichen Wort. Das trennbare Verb umschließen – schließt um – hat umgeschlossen gibt es also, auch wenn es wie viele andere nicht im Wörterbuch steht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Gibt es „wettbar“?

Frage

Gibt es das Wort “wettbar”? Im Duden habe ich keinen entsprechenden Eintrag gefunden.

Antwort

Sehr geehrte Frau O.,

wenn ein Wort nicht im Duden (oder einem anderen Wörterbuch wie zum Beispiel Canoonet) steht, bedeutet das nicht unbedingt, dass es das Wort nicht gibt. Kaum jemand würde wohl behaupten, dass es die Wörter Badezimmertür, Abwaschbürste oder (ich habe gerade an ausstehende Gartenarbeiten gedacht) verpflanzbar nicht gibt. Keines von ihnen steht aber im Duden. So findet man in den Wörterbüchern auch bei Weitem nicht alle Ajektive auf ­bar (vgl. hier). Wie steht es nun mit wettbar?

Das Adjektiv wettbar ist mit bar vom Verb wetten abgeleitet. Bei transitiven Verben drückt das Suffix bar in der Regel aus, dass die Verbhandlung mit jemandem oder etwas gemacht werden kann:

anwendbar, lieferbar, verpflanzbar

Bei intransitiven Verben drückt es aus, dass die Verbhandlung durch jemanden oder etwas gemacht werden kann:

brennbar, gerinnbar

Manchmal drückt bar auch aus, dass etwas für die Verbhandlung geeignet ist:

tanzbar

Das Wort wettbar kommt nur selten vor, und zwar als Bildung der dritten Art. Bei Wettbüros u. Ä. wird es offenbar in Verbinung mit z. B. Rennen oder Spiel verwendet: Wenn ein Rennen wettbar ist, kann man auf dessen Ausgang wetten.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass wettbar ein Fachwort aus dem Wettgeschäft ist, das in der Allgemeinsprache nicht oder nur sehr selten vorkommt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Konstellieren

Heute wieder einmal etwas dazu, warum es gar nicht so einfach ist, ein neugebildetes Wort zu verwenden.

Frage

Letztens stieß ich in einem wissenschaftlichen Text auf das Wort „konstellieren“ (abgeleitet von „Konstellation“). Ich fand’s sehr hübsch, traue mich aber nicht, es selbst zu verwenden, weil ich nicht weiß, ob es das Wort wirklich gibt. Eine Google-Stichprobe ergab, dass es kaum vorkommt. In den Wörterbüchern taucht es gar nicht auf. Ist es Ihnen bekannt?

Antwort

Sehr geehrter Herr H.,

das Verb konstellieren ist mir nicht bekannt. Auch in den mir zur Verfügung stehenden Wörterbüchern und -listen kommt es nicht vor. Ist es deshalb ein falsches oder unmögliches Wort?

Seine Form passt gut in ein häufig vorkommendes Muster: Zu vielen auf –ieren endenden Verben gibt es ein Substantiv auf –ation:

isolieren – Isolation
konzentrieren – Konzentration
partizipieren – Partizipation
restaurieren – Restauration
u. v. a. m.

Dazu passt mühelos auch dieses Wortpaar:

konstellieren – Konstellation

Die Form ist also kein Problem. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb das Wort bei flüchtigerem Lesen unbemerkt „durchrutscht“. Bei genauerem Lesen stellt sich dann allerdings die Frage der Bedeutung. Doch wie oft kommt es nicht vor, dass man in wissenschaftliche oder wissenschaftlich daherkommenden Texten einem Wort begegnet, dessen Bedeutung man nicht oder nur vage kennt. „Es wird wohl etwa mit zusammenstellen zu tun haben“, war mein erster Gedanke. Erst wenn man es genauer wissen will, stockt man beim Verb konstellieren.

Fangen wir einmal beim in den Wörterbüchern verzeichneten Substantiv Konstellation an: Es geht auf das lateinische constellatio mit der Bedeutung Stellung der Sterne (untereinander) zurück. Diese Bedeutung hat es auch heute noch. Es wird auch im übertragenen Sinne verwendet und bezeichnet dann das Zusammentreffen bestimmter Umstände und die sich daraus ergebende Situation: eine neue politische Konstellation, eine ungünstige Konstellation der Umweltfaktoren.

Im Französischen und Italienischen gibt es ein dazu passendes Verb: consteller bzw. costellare. Beide bedeuten mit Sternen übersäen und figürlich mit etwas besetzten/bestreuen. Ich weiß nun nicht, ob Ihnen bei der deutschen Neuschöpfung eine ähnliche Bedeutung vorschwebt oder ob Sie mit diesem Verb etwas anderes ausdrücken möchten. Vielleicht ist damit zu einer bestimmten Konstellation führen, eine bestimmte Konstellation entstehen lassen gemeint. Es könnte auch sein, dass ganz einfach meine erste Intuition richtig war: Sie möchten konstellieren als eine Art gelehrter klingende Variante von zusammenstellen benutzen.

Damit sind wir beim eigentliche Problem der Verwendung von Neubildungen wie konstellieren angelangt: Das Wort ist weder prinzipiell falsch noch unmöglich, Sie können aber nicht sicher sein, dass man versteht, was Sie genau damit meinen. Ihr Zögern ist also gerechtfertigt. Wenn Ihnen das Wort so gut gefällt, dass Sie es einfach nicht lassen können, es zu verwenden, sollten Sie es kurz erklären oder dafür sorgen, dass aus dem Kontext deutlich hervorgeht, was gemeint ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp