Warum es der Zeichenunterricht, aber das Zeichnenlehren ist

Frage

Ich arbeite an einem Text, in dem die Begriffe Zeichnen lehren und das Zeichnenlehren (jemandem das Zeichnen beibringen) vorkommen. Zum Beispiel:

Wie Zeichnen lehren?
Didaktik des Zeichnenlehrens.

Der Autor des Textes meint, man solle doch besser ZeichENlehren schreiben, weil es auch ZeichENunterrich, ZeichENlehrer oder ZeichENkohle heißt.

Antwort

Guten Tag Frau W.,

beim ersten Zitat, gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann klein zeichnen (vgl. zu zeichnen lehren) oder groß Zeichnen (vgl. das Zeichnen lehren) schreiben:

Wie zeichnen Lehren?
Wie Zeichnen Lehren?

Sie haben sich offenbar entschieden, hier die großgeschriebene Variante zu wählen (Wie Zeichnen lehren?). Das ist richtig, allerdings für die Beantwortung Ihrer eigentlichen Frage gar nicht wichtig.

Beim zweiten Untertitel handelt es sich um die Substantivierung der Infinitivgruppe zeichnen lehren oder eben Zeichnen lehren. Dann wird zusammen und mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben:

das Zeichnenlehren

Es ist hier anders als bei Zusammensetzungen wie Zeichenlehrer oder Zeichenunterricht nicht zu empfehlen, an erster Stelle Zeichen- zu verwenden. Warum nicht?

Bei einer Zusammensetzung mit einem Verb an erster Stelle wird nicht der Infinitiv, sondern „nur“ der Stamm des Verbs verwendet:

schwimm[en] + Lehrer → Schwimmlehrer
mal[en] + Unterricht → Malunterricht
press[en] + Kohle → Presskohle

Bei Verben wie zeichnen und rechnen wird dabei im Stamm ein e eingefügt, das im Laufe der Wortgeschichte weggefallen ist1. Das geschieht, weil sonst Verbindungen wie *Zeichnlehrerin oder *Rechnunterricht entstehen würden. Also:

zeichn[en] + Lehrerin → Zeichenlehrerin
rechn[en] + Unterricht → Rechenunterricht
zeichn[en] + Kohle → Zeichenkohle

Bei den substantivierten Infinitivgruppen der Art, um die es hier geht, steht der ganze Infinitiv an erster Stelle. Dann wird nichts eingefügt und nichts weggelassen:

rechnen + lernen → das Rechnenlernen
zeichnen + lehren → des Zeichnenlehrens

Sie können also guten Gewissens und mit einem Verweis auf die deutschen Wortbildungsregeln darauf bestehen, dass es des Zeichnenlehrens sein sollte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 mittelhochdeutsch rechenen, zeichenen; althochdeutsch: rehhanōn, zeihhanen

Mehrteilige Zusammensetzungen mit „ein-“: Ist “Ein-Seiten-Version“ korrekt?

Frage

Eine Freundin schrieb mir: „Ich würde empfehlen, eine 1-Seiten-Version daraus zu machen.“ Ist die Schreibung „1-Seiten-Version“ korrekt bzw. empfehlenswert?

Antwort

Guten Tag Herr T.,

was man von der Wortbildung und Schreibung Einseitenversion resp. Ein-Seiten-Version und 1-Seiten-Version hält, ist vor allem eine Frage des Geschmacks oder des Stils. Die Wortbildung ist nach den Wortbildungsregeln des Deutschen möglich und korrekt.

Man könnte über die Form Seiten stolpern, weil sie wie eine Pluralform aussieht und eine Pluralform nicht hinter ein passen würde. Es handelt sich aber nicht um eine Mehrzahlform, sondern um das Wort Seite mit dem Fugenzeichen [e]n. Dieses Fugenzeichen hatte zwar ursprünglich eine pluralische Bedeutung/Funktion, es hat sie aber in Zusammensetzungen weitgehend verloren. Zusammensetzungen, in denen Seite vor einem anderen Wort steht, werden immer mit [e]n gebildet – dies unabhängig von der genauen Bedeutung des Wortes und auch dann, wenn es sich nur um eine Seite handelt: Seitenanfang, Seitenende; Seitenblick, Seitentür usw. Es gibt also nichts gegen die Form Seiten in „Ihrer“ Zusammensetzung einzuwenden.

Auch die Rechtschreibung ist bei allen drei Varianten nach der amtlichen Regelung vertretbar. Vorgesehen ist für solche Fälle die Zusammenschreibung (Einseitenversion). Es ist aber möglich, „verdeutlichende“ Bindestriche zu verwenden (Ein-Seiten-Version), und die Verwendung von Ziffern (1-Seiten-Version) ist in Zusammensetzungen nicht grundsätzlich verboten.

Trotzdem gefällt mir zum Beispiel eine einseitige Version viel besser als Bildungen wie eine Einseitenversion, eine Ein-Seiten-Version und eine 1-Seiten-Version. Das ist aber, wie gesagt, eine Frage des Geschmacks und des Stils. Bei Wörtern wie

Einbahnstraße, Einbettzimmer, Einblattdruck, Eineuromünze, Einfamilienhaus, Einkindfamilie, Einklassenschule, Einmannbetrieb, Einpartei[en]system, Einpersonenhaushalt, Einphasenstrom, Einstundentakt, Einwegflasche, Einwortsatz, Einzimmerwohnung, Einzylindermotor,

die gebräuchlich und allgemein anerkannt sind, sträubt sich mein Sprachgeschmack schließlich auch nicht. Weniger gelungen finde ich bei diesen Wörtern allerdings die Schreibung mit Bindestrichen. Vor allem von der Schreibung mit der Ziffer 1 würde ich abraten.

Ihre Freundin kann also 1-Seiten-Version schreiben, besser fände ich aber einseitige Version oder Einseitenversion.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Warum es für jedermann und nicht für jedenmann ist

Frage

Ein Deutschlernender möchte wissen, warum es „eine Untersuchung für jedermann“ und nicht „eine Untersuchung für jedenmann“ heißt. Ich kann das leider nicht begründen. […]

Antwort

Guten Tag Frau F.,

das Pronomen jedermann ist aus jeder Mann entstanden. Seine Bedeutung änderte sich im Laufe der Zeit zu jeder/jede. Mit dieser Bedeutung wurde es nicht mehr als Verbindung von jeder und Mann, sondern als eine selbständige Einheit empfunden. Das zeigt sich auch in der Betonung: Die Hauptbetonung verschob sich (bei neutraler Aussprache) auf die erste Silbe von jedermann:

jéder Mánn → jédermann

Dass der Ausdruck nicht mehr als Verbindung von jeder und Mann, sondern als eine Einheit gedeutet wurde, hatte auch zur Folge, dass man das Wort nun als Ganzes beugt:

jedermann
für jedermann
mit jedermann
jedermanns Sache

Auch die Schreibung widerspiegelt dies: Man schreibt nicht getrennt jeder Mann, sondern klein und zusammen jedermann:

jeder Mann → jedermann

Wir haben es hier mit einer wortgeschichtlichen Entwicklung zu tun, in der eine Wortverbindung zu einem selbständigen Wort mit eigener Bedeutung, Betonung und Beugung geworden ist.

Die ursprüngliche Bedeutung ist allerdings nicht ganz verloren gegangen. Wie auch die Frage des Deutschlernenden zeigt, sieht man dem Wort seine Herkunft noch sehr gut an. Es wird deshalb im Rahmen der geschlechtergerechten Sprache häufig empfohlen, statt jedermann eine andere Formulierung mit zum Beispiel jeder und jede oder alle zu verwenden. Wenn man es jedermann recht machen möchte, sagt man also besser, dass man es allen recht machen möchte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Desertion, Desertation, Desertifikation

Heute ein Beispiel dafür, dass auch bei Fachwörtern nicht immer alles ganz so eindeutig ist:

Frage

Was ist der korrekte Begriff für Fahnenflucht – „Desertion“ oder „Desertation“? Im Duden findet man nur „Desertion“, aber eigentlich scheint mir „Desertation“ geläufiger zu sein.

Antwort

Guten Tag Frau E.,

wenn Fahnenflucht gemeint ist, ist Desertion sicher richtig. Das Wort kommt über das französische désertion vom lateinischen Substantiv desertio, das zum Verb deserere (verlassen, aufgeben, desertieren) gehört. Wir haben also indirekt ein Substantiv übernommen, dass bereits im Lateinischen abgeleitet wurde:

lat. deserere → desertio
→ frz. désertion → dt. Desertion

Die Form Desertation kommt gelegentlich auch vor. Diese Form ist eine Ableitung, die im Deutschen stattgefunden hat. In Analogie mit zum Beispiel dekorieren → Dekoration, imitieren → Imitation, stabilisieren → Stabilisation wird sozusagen „regelmäßig“ (-ieren → -ation) vom Verb desertieren das Substantiv Desertation abgeleitet:

dt. desertieren → Desertation

Was ist nun richtig, die alte lateinische oder die neue heimische Ableitung? – Beides ist vertretbar. Ein kurzer Blick ins Internet und in einige Textkorpora zeigt allerdings, dass Desertation viel weniger häufig vorkommt als Desertion. Auch im schweizerischen und im österreichischen Militärstrafgesetz ist von Desertion die Rede. (Das deutsche Wehrgesetz hilft uns hier nicht viel weiter, denn es kennt nur den Tatbestand der Fahnenflucht.) Ich würde deshalb empfehlen, die gebräuchlichere Variante Desertion zu verwenden.

Dem Begriff Desertation begegnet man gelegentlich auch in der Erdkunde. Dort wird er mit der Bedeutung Wüstenbildung verwendet. Gebräuchlicher ist allerdings auch dort ein anderes Wort, nämlich Desertifikation, womit in der Regel durch menschliches Handeln verursachte Wüstenbildung gemeint ist. Daneben gibt es auch die natürliche Wüstenbildung, die – um es so richtig schön komplex zu machen – manchmal Desertation oder Desertion genannt wird.

Als Nicht-Erdkundler ist es mir leider nicht gelungen, genau herauszufinden, wer welchen Begriff für welche Art der Wüstenbildung verwendet. Das ist hier auch nicht so wichtig, denn bei Ihrer Frage ging es ja um die Fahnenflucht, also die Desertion (o. Desertation), die man wohl in keinem Zusammenhang mit der Wüstenbildung verwechseln kann.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das „emotional safety model“ und die „clean water projects“ auf Deutsch

Frage

Ich übersetze gerade ein Buch, in dem der Autor ein „emotional safety model“ (seine Bezeichnung) vorstellt. Ein „emotionales Sicherheitsmodell“ […] ist m. E. ein Sicherheitsmodell, dessen Eigenschaft es ist, emotional zu sein […] Geht dann „Emotionale-Sicherheit-Modell“? Da befürchte ich dann aber, dass Leser versucht sein wird, das fehlende -s als Fehler meinerseits anzusehen. „Modell für emotionale Sicherheit“? – Auch nicht schön, aber mir gehen da die Optionen aus, denn der deutsche Begriff sollte auch nicht zu lang oder umständlich sein.

Antwort

Guten Tag Frau W.,

unter „emotionales Sicherheitsmodell“ verstehe auch ich ein emotionales Modell der Sicherheit und nicht ein Modell der emotionalen Sicherheit. Es ist also keine gelungene Übersetzung für „emotional safety model“. Zusammensetzungen wie „das Emotionale-Sicherheit[s]-Modell“ sind im Deutschen nicht oder kaum üblich. Ausnahmen sind zum Beispiel „Armesünderglocke“, „Armeleuteessen“, „Rote-Armee-Fraktion“, „Erste-Hilfe-Kurs“.

Meiner Meinung nach wählen Sie deshalb besser „Modell der emotionalen Sicherheit“ oder „Modell für emotionale Sicherheit“. Das ist nicht ganz so griffig kurz wie das englische Original, es entspricht aber einer gebräuchlichen Struktur. Vgl. zum Beispiel:

Taktik der verbrannten Erde – scorched earth policy
Theorie der großen Abweichungen – large deviations theory
Projekte für sauberes Trinkwasser – clean water projects

Zusammensetzungen dieser Art ([Adjektiv+Substantiv]+Substantiv) sind im Englischen einfach zu bilden, im Deutschen kommen sie nur mit Zahlwörtern und einigen Adjektiven ohne Endung regelmäßig vor:

Vierzimmerwohnung, Fünfprozentklausel
Vielvölkerstaat, Allradantrieb
Gelbrandkäfer, Rotschwanzbussard

In vielen anderen Fällen müssen wir auf umständlichere Formulierungen wie „Modell der emotionalen Sicherheit“ für „emotional security model“ ausweichen oder andere Konstruktionen wählen wie „Bürgerrechtsgesetz“ für „Civil Rights Act“ oder „lizenzfreie Bilder“ für „public domain pictures“. Auch meine Rolle als „linguistic problem solver“ ist auf gut Deutsch nicht „sprachlicher Problemlöser“ oder „Sprachliche-Probleme-Löser“, sondern „Löser sprachlicher Probleme“, „Sprachproblemlöser“ oder besser einfach „Sprachberater“. Auch auf dieser Ebene funktioniert die Methode der Eins-zu-eins-Übersetzung also sehr häufig nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wieder einmal das Fugenelement: Zedernüsse oder Zedernnüsse?

Frage

Mir ist gerade das Wort „Zedernüsse“ über den Weg gelaufen. Ich würde „Zedernnüsse“ bevorzugen (analog zu beispielsweise „Zedernholz“ oder „Fichtennadeln“ ). Zahlreiche Produktverpackungen tragen allerdings den Namen mit einfachem n. Was ist korrekt?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

allgemein gültige Regeln dafür, ob bei der Substantivzusammensetzung ein Fugenelement wie n oder s verwendet wird, gibt es nur wenige. Eine allgemeine Faustregel sagt, dass (mehr oder weniger) neue Zusammensetzungen gleich gebildet werden wie andere Zusammensetzungen mit dem gleichen Wort an erster Stelle. Wörter wie „Fichtennadeln“ und „Tannenzapfen“ helfen hier also nicht weiter, denn sie haben ja ein anderes Wort an erster Stelle. Aussagekräftiger sind Bildungen wie „Zedernholz“ und „Zedernwald“. Demnach ist es auch „Zedernnuss“, so wie Sie es bevorzugen.

Eine andere „Regel“ in diesem Bereich lautet: Richtig ist, was üblich ist. Ein kurzer Blick ins Internet zeigt, dass „Zedernuss“ und „Zedernüsse“ häufiger vorkommt als „Zedernnuss“ und „Zedernnüsse“. So findet sich zum Beispiel auch in Wikipedia ein Eintrag mit dem Titel „Zedernussöl“. Das Fehlen eines Fugenelementes ist hier erklärbar: Vor dem n von „-nüsse“ ist bei normaler Aussprache nicht zu hören, ob das Wort ein Fugen-n hat oder nicht.

Was ist also richtig? Ich würde „Zedernnüsse“ wählen und empfehlen. Ich halte aber „Zedernüsse“ nicht für grundsätzlich falsch, weil es häufig vorkommt und nur gegen eine Faustregel, nicht gegen eine allgemein gültige Regel verstößt. Ob mit oder ohne Fugen-n, wichtig ist vor allem, dass das Zeder[n]nussöl schmeckt!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Fremdwörter verkleinern: Kakäuchen, Pülchen, Platöchen

Frage

Wenn man so viel Zeit mit seiner Familie verbringt, stößt man zwangsläufig auf Wörter, die man sonst nicht hört. Manchmal fragt man sich dann auch, wie man die schreibt. Konkret geht es mir um den Diminutiv von „Kakao“, den wir alle „Kakäuchen“ aussprechen, aber unterschiedlich schreiben würden. Im Prinzip betrifft diese Problematik eine ganze Reihe von Fremdwörtern mit Umlaut im Diminutiv, z. B. auch „Pool“ und “Plateau”. […] Gibt es eine Regel oder Empfehlung für die korrekte Schreibung solcher Ableitungen?

Antwort

Guten Tag Herr D.,

die Verkleinerungsformen, um die es Ihnen hier geht, sind in der Standardsprache nicht gebräuchlich, erst recht nicht in der geschriebenen Standardsprache. Da die Formen kein Standarddeutsch sind, gibt es auch keine Standardschreibung für die Diminutivbildung bei Substantiven mit fremdsprachlichen Buchstabenkombinationen.

Einfach ist es, wenn der Diminutiv ohne Umlaut gebildet wird, weil man dann in der Regel einfach ein -chen anhängen kann:

Computer – Computerchen
Smartphone – Smartphonchen
Bungalow – Bungalowchen
Kakao – Kakaochen
Pool – Poolchen
Plateau – Plateauchen

Auch wenn man den Diminutiv mit Umlaut bildet, was eigentlich viel üblicher ist, geht das bei Fremdwörtern häufig problemlos:

Computer – Compüterchen
Smartphone – Smartphönchen
Blog – Blögchen
Automat – Automätchen
Katastrophe – Kataströphchen
Virus – Virüschen

Schwieriger wird es dann, wenn der Vokal, der umgelautet wird, anders als im Deutschen üblich geschrieben wird. Dann ist es am besten, die Schreibung einzudeutschen, um das Ganze noch einigermaßen lesbar zu halten:

Kakao – Kakäuchen
Pool – Pülchen
Plateau – Platöchen
Bungalow – Bungalö[w]chen
Depot – Depöchen
Couch – Käutschchen
Bon – Böngchen

Und manchmal bleibt den Schreibenden einfach nur die Improvisation:

Orange – Orängchen, Orängschchen, Orängelchen
Superman – Supermännchen

Wenn man ungebräuchliche Diminutivformen von Fremdwörtern verwenden und sie auch noch aufschreiben will, sollte man versuchen, eine möglichst einfach lesbare Form zu finden. Oft ist das eine mehr oder weniger eingedeutschte Schreibung. Die einzig richtige Schreibweise gibt es in Fällen wie diesen häufig nicht, weil es keine festen Regeln gibt und diese Formen nicht gebräuchlich und eingebürgert sind.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist dreimonatlich dreimal monatlich?

Es ist keine Frage der höheren Mathematik, aber ein bisschen aufpassen muss man bei der Formulierung schon.

Frage

Ist der Satz „Die Radiosendung wird dreimonatlich ausgestrahlt“ synonym mit „Die Radiosendung wird dreimal monatlich ausgestrahlt”?

Antwort

Guten Tag Frau Z.,

die Antwort lautet nein: „dreimonatlich“ und „dreimal monatlich“ haben nicht die gleiche Bedeutung:

Die Radiosendung wird dreimonatlich ausgestrahlt
dreimonatlich = alle drei Monate, einmal in drei Monaten

Die Radiosendung dreimal monatlich ausgestrahlt
dreimal monatlich = jeden Monat dreimal, dreimal pro Monat

Eine Radiosendung, die dreimal monatlich ausgestrahlt wird, ist also neunmal häufiger zu hören, als eine Radiosendung, die dreimonatlich ausgestrahlt wird.

Auch bei anderen Zahlenangaben gibt es diese Unterscheidung:

zweimonatlich = alle zwei Monate, einmal in zwei Monaten
zweimal monatlich = jeden Monat zweimal, zweimal pro Monat

fünfmonatlich = alle fünf Monate, einmal in fünf Monaten
fünfmal monatlich = jeden Monat fünfmal, fünfmal pro Monat

Etwas, das zweimal monatlich geschieht, kommt viermal häufiger vor als etwas, das zweimonatlich geschieht. Fünfmal monatlich ist schon fünfundzwanzigmal häufiger also fünfmonatlich!

Nur bei „(ein)monatlich“ und „einmal monatlich“ muss man nicht aufpassen, denn einmal in einem Monat und jeden Monat einmal läuft aus das Gleiche hinaus.

Und wer nun ein bisschen verwirrt ist, weicht einfach auf vielleicht nicht ganz ohne Grund häufiger vorkommenden Wendungen wie „alle drei Monate“ („dreimonatlich“) und “dreimal pro Monat” („dreimal monatlich“) aus.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wenn der Vorteil eigentlich ein Nachteil ist: übervorteilen

Frage

Schon seit Längerem beschäftigt mich die Frage nach der Bedeutungsherkunft des Verbes „übervorteilen“. Zunächst scheint seine Bedeutung kontraintuitiv: Übervorteilen klingt danach, als bekomme man zu viel des Vorteils. Nach einer Benachteiligung klingt es gerade nicht. […] Ich hoffe, Sie können etwas Licht in mein Dunkel bringen.

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

die Bedeutung „jemanden benachteiligen, betrügen“ des Verbs „übervorteilen“ ergibt sich tatsächlich nicht gleich aus seiner Form. Ich hatte mir bis vor Kurzem vorgestellt, dass „über“ in „übervorteilen“ irgendwie eine negative Bedeutung hat (wie in „überfragen“ oder „sich überessen“) oder dass die übervorteilende Partei es so einrichtet, dass sie den ganzen Vorteil übernimmt. Richtig geraten? – Nein. Auch des Sprachlers Intuition liegt bei solchen Fragen häufig daneben. Um Ihnen eine fundierte Antwort geben zu können, habe ich in die Wörterbücher geschaut. Dort habe ich eine überraschende Erklärung gefunden:

Das Verb „übervorteilen“ hat seine Bedeutung in einer Zeit erhalten, in der „Vorteil“ auch etwas Negatives sein konnte. Eine der vielen Bedeutungen, die „Vorteil“ hatte, war gemäß dem Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm „unredlicher Gewinn, Lug und Trug …“:

[…] im engeren sinne bezeichnet es unredlichen gewinn, lug und trug im erwerbsleben: irs geytz, wuchers und allen vorteyl und finantzerey (Luther); beschisz, vorteil, betrug (Zwingli); so von zinsen und wucher leben in allerley vorteil und buberey (Eberlin v. Günzburg) […]
(Siehe Grimm, Vorteil, Bedeutung 7)

Auch die Ableitung „vorteilisch“ war alles andere als positiv:

wer vortailisch ist, prauchet vil tüeck und hinderlist
(Wer „vorteilisch“ ist, braucht viel Tücke und Hinterlist)
Siehe Grimm, vorteilisch)

Das hatte ich nicht erwartet. Die größte Überraschung war für mich aber das Verb „bevorteilen“: Bis vor nicht allzu langer Zeit hatte es nämlich nicht die heutige positive Bedeutung. Nach dem Grimmschen Wörterbuch bedeutete es noch Ende des 19. Jahrhunderts “beeinträchtigen, betrügen“:

dies wort ist kein gegensatz von benachtheiligen und drückt nicht aus einen in vortheil bringen, sondern das umgedrehte.
(Siehe Grimm, bevortheilen)

Das Verb „bevorteilen“ wurde demnach nicht vom positiven „Vorteil“, sondern von „Vorteil” mit der Bedeutung „unredlicher Gewinn, Lug und Trug“ abgeleitet. Es wurde also in gleicher o. ähnlicher Weise wie „betrügen“ und „benachteiligen“ gebildet. Später wurde “bevorteilen” umgedeutet, sehr wahrscheinlich weil wir heute „Vorteil“ nur noch im positiven Sinne kennen. Wenn man heute bevorteilt wird, wird man begünstigt.

Und hiermit sind wir endlich wieder bei „übervorteilen“. Auch dieses Verb wurde wie „bevorteilen“ vom negativ beladenen „Vorteil“ abgeleitet. Es bedeutete ungefähr „jemanden mit Lug und Trug überwinden, überlisten“. Das Verb „über-vorteil-en“ wurde somit wie sein Bedeutungsnachbar „über-list-en“ gebildet.

Leicht dramatisierend könnte man also sagen, dass das Wort „Vorteil“ im Laufe seiner Geschichte auch eine sehr negative Bedeutung erhalten hatte, die später wieder verlorenging. Nur im Verb „übervorteilen“ hat die Bedeutung „Lug und Trug, unredlicher Gewinn“ noch ihre Spuren hinterlassen. Auch wortgeschichtlich ist ein Vorteil also manchmal ein Nachteil (gewesen).

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist „Geblinke“ ein gültiges Wort?

Frage

Ich spiele Scrabble und möchte das Wort „Geblinke“ legen. Mein Gegner meint, das sei kein gültiges Wort. Wir warten gespannt auf Ihre Antwort auf die Frage: Ist das ein Wort?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

an der Frage, ob ein Wort in Scrabble gültig ist oder nicht, möchte ich mir nicht die Finger verbrennen. Das hängt nämlich davon ab, was Sie miteinander abgesprochen haben. Ich bin der Meinung, dass man es vor allem nicht zu eng sehen sollte, denn diese Frage hat schon Freundschaften und Ehen beinahe in die Brüche gehen lassen, obwohl Scrabble nur ein Spiel ist.

Wenn Sie nur Wörter akzeptieren, die in einem (bestimmten) Wörterbuch stehen, ist „Geblinke“ ein Problemfall für Sie. Es gibt wahrscheinlich kein Wörterbuch, das dieses Wort aufführt.

Wenn Sie auch Wörter akzeptieren, die korrekt gebildet sind und vorkommen oder vorkommen können, ist „Geblinke“ ein gültiges Wort. Es ist nämlich mit einer gebräuchlichen Wortbildungsregel gebildet worden, die Substantive von Verben ableitet (siehe hier). Andere Beispiele sind:

reden → Gerede
pfeifen → Gepfeife
hasten → Gehaste
jodeln → Gejodel

Die so gebildeten Substantive drücken häufig eine dauernde und meistens als lästig oder störend empfundene Verbhandlung aus. Das ist auch beim Wort, um das es Ihnen hier geht, der Fall:

blinken → Geblinke
Das dauernde Geblinke der LED-Lichter störte sie.

Das Problem der Wörter, die es gibt und geben kann, die aber nicht im Wörterbuch stehen, stellt sich häufiger, als man vielleicht denkt. Es gibt nämlich einige Wortbildungsregeln, die so viele sofort verständliche Wörter gebildet haben, bilden und bilden werden, dass lange nicht alles, was möglich ist, auch im Wörterbuch steht. Suchen Sie einmal diese Wörter in Ihrem Wörterbuch:

analysierbar, Vorsitzendenwahl, dunkelrosa, Privattrainerin, hinunterrollen, Besprengung, unverzeihlicherweise usw. usw.

Dürfte man bei Ihnen diese Wörter in Scrabble legen oder nicht, vorausgesetzt das Spielglück ließe es zu? Bei „Vorsitzendenwahl“ und „unverzeihlicherweise“ ist die Antwort einfach (sie passen nicht auf das Spielbrett), aber wie steht es mit den anderen?

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp