Die Verben andenken und aufoktroyieren

Frage

In der letzten Zeit höre ich des Öfteren, dass dieses oder jenes  Thema  bereits „angedacht“ sei. Meines Erachtens kann es doch nur heißen, dass man über etwas nachgedacht habe, oder? Ebenso finde ich in vielen Diskussionen, dass man jemandem etwas „aufoktroyiert“ hat. Ich meine, dass es sich hier um eine Tautologie handelt und einzig und alleine oktroyiert korrekt wäre.

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

das Wort andenken hat nicht die gleiche Bedeutung wie nachdenken:

über etwas nachdenken = sich über etwas Gedanken machen
etwas andenken =  beginnen, sich über etwas Gedanken zu machen

Mit Hilfe der Vorsilbe an wird angegeben, dass der Prozess des Nachdenkens erst angefangen hat bzw. noch nicht abgeschlossen ist.

In der deutschen Sprache gibt es eine starke Tendenz, gewisse Aspekte der Verbhandlung mit Hilfe von Vorsilben wie an und nach anzugeben oder zu betonen. Andere solche Vorsilben oder Partikeln sind aus, auf, ein, hinunter, über u.v.a.m. Dabei kann es oft zu mehr oder weniger tautologischen Aussagen kommen. [Das eher fachsprachliche Wort tautologisch bedeutet ungefähr doppelt ausgedrückt, „doppelt gemoppelt“. Ein Beispiel für eine tautologische Wendung ist das bemerkenswerterweise in der Frage verwendete einzig und alleine.] In den folgenden, korrekten Beispielen steht jeweils ein Verb mit einer Vorsilbe, obwohl das einfache Verb ohne Vorsilbe im Prinzip auch schon ausreichen würde:

auf den Turm hinaufsteigen – auf den Turm steigen
in ein Zimmer hineingehen – in ein Zimmer gehen
gegen den Schlaf ankämpfen – gegen den Schlaf kämpfen
eine Farbe auswählen – eine Farbe wählen
den ganzen Kuchen aufessen – den ganzen Kuchen essen

Manchmal verdrängen die komplexen Formen sogar das entsprechende einfache Verb: Während es früher Brauch war, Gäste zum Essen zu laden, ist es heute üblich, sie zum Essen einzuladen. Ein heutiger Schiller ließe wohl nicht mehr einen Fischerknaben singen: „Es lächelt der See, er ladet zum Bade.“ (Wilhelm Tell I,1) Es ist wahrscheinlicher, dass er einer jungen Hilfskraft bei der Tretbootvermietung eine literarisch ausgefeilte Variante von „Der See lädt zum Baden ein“ in den Mund legen würde (oder etwas Gerapptes mit Fun im Lake, chillen usw.).

Die Tendenz, Verbbedeutungen mit Vorsilben zu verdeutlichen oder zu betonten, ist, wie bereits erwähnt, im Deutschen sehr stark. Sie wirkt auch beim Wort oktroyieren. Es bedeutet jemandem etwas aufzwingen, aufdrängen, auferlegen. Was dem Verb oktroyieren sozusagen fehlt, ist das auf, das bei den deutschen Entsprechungen so bildlich den zwingenden, drängenden Aspekt der Verbhandlung angibt. Das ist der Grund, weshalb auf häufig vor oktroyieren verwendet wird, auch wenn dies sinngemäß gar nicht mehr nötig wäre. Da solche tautologischen Formulierungen im Bereich der deutschen Verben häufig sind, ist die Frage nicht, ob aufoktroyieren grammatisch korrekt ist, sondern höchstens, ob es stilistisch gut gewählt ist.

Der langen Rede kurzer Sinn: Die beiden Verben andenken und aufoktroyieren sind im heutigen Deutschen gebräuchliche, in vielen Wörterbüchern verzeichnete Verben, gegen die grammatisch nichts einzuwenden ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Heißer Durst

Der Frühling lässt immer noch auf sich warten. Das mag zwar Hamburger auf Skiern freuen (in HH haben nämlich gerade die Ferien angefangen), aber mich und vielleicht auch einige von Ihnen reißt die Hartnäckigkeit dieses Winters nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hin. Darum geht es heute um eine Frage, die zumindest indirekt etwas mit Wärme zu tun hat.

Frage

Heute sagte ein Freund: „Nach dem Schwimmen habe ich mir eine Flasche Ananassaft gekauft und direkt leer getrunken. So einen Heißdurst hatte ich.“ Ich stutzte. Heißhunger, ja, das kannte ich. Aber wo kommt der Begriff her? Und gibt es einen äquivalenten Begriff für einen ähnlichen Durst?

Antwort

Sehr geehrter Herr H.,

nach den Angaben im historischen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (Eingabe „heisz“) zu schließen kommt das Heiß- in Heißhunger ganz einfach vom Adjektiv heiß. Von der wörtlichen Hitze über die innerliche Hitze (vgl. zum Beispiel heißes Blut, heißes Verlangen, etwas heiß ersehnen) wurde heiß ein verstärkendes Element bei Hunger UND Durst. Früher sprach man von heißem Hunger und von heißem Durst. Im heutigen Deutschen sind nur noch Heißhunger und heißhungrig gebräuchlich. Wenn man großen Durst hat, sind andere Ausdrücke üblich. Neben dem wenig spektakulären Riesendurst sind dies zum Beispiel Höllendurst und Mordsdurst. Es würde mich auch gar nicht erstaunen, wenn im deutschen Sprachraum noch eine ganze Palette anderer Wörter für dieses Phänomen zu finden wäre.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Hundertdrei im Nenner

Frage

Wie werden eigentlich Brüche ausgesprochen bzw. in Worten geschrieben, deren Nenner 103 lautet? Wenn die Bruchzahlen von den Ordinalzahlen abgeleitet werden, müsste es beispielsweise ein Hundertdrittel (1/103) lauten, oder? Andererseits heißt es aber auch ein Hunderteintel (1/101).

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

der Nenner in Bruchzahlen wird von der entsprechenden Ordinalzahl (Ordnungszahl) abgeleitet. Es gibt allerdings eine Ausnahme: Wenn ein Ganzes als Bruchzahl ausgedrückt wird, sagt man Eintel: ein Eintel, zwei Eintel usw. Diese Ausnahme gilt auch für andere Zahlenwerte, die auf -eins enden. Bei allen anderen Zahlen gilt die allgemeine Regel. Daraus ergibt sich:

erste || ein Eintel
zweite – ein Zweitel (aber üblicherweise : Hälfte, ein Halbes)
dritte – ein Drittel
vierte – ein Viertel
zwanzigste – ein Zwanzigstel
einundzwanzigste – ein Einundzwanzigstel
usw.

hunderterste || ein Hunderteintel
hundertzweite – ein Hundertzweitel
hundertdritte – ein Hundertdrittel
hundertvierte – ein Hundertviertel
usw.

tausenderste || ein Tausendeintel
tausendzweite – ein Tausendzweitel
tausenddritte – ein Tausenddrittel
tausendvierte – ein Tausendviertel
usw

Der Grund, weshalb man diese Formen nicht in Wörterbüchern findet, ist wohl, dass Wendungen wie „ein Hunderteintel der Gesamtmenge“ oder „ein hundertdrittel Gramm“ kaum je im wirklichen Sprachgebrauch vorkommen.

Den Witz, dass mir einhundert Viertelliter Wein lieber sind als ein hundertviertel Liter Wein, wollte ich hier eigentlich nicht wiederholen, aber manchmal kann ich es eben einfach nicht lassen. Ich bitte Sie um Nachsicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Angaben zur Groß- und Kleinschreibung von Bruchzahlen finden Sie hier.

Snowboard und Skibrett, Gleitbrett fahren und snöben

Da sich dieser Winter hartnäckiger zeigt, als mir eigentlich lieb wäre (aber Mitte Februar darf man ja noch nicht klagen), schreibe ich nach dem letztwöchigen Thema Skifahren heute etwas über Snowboard und snowboarden. Zuerst geht es um die Beugung, dann um die Wortwahl.

Wie alle im Deutschen verwendeten Verben muss sich auch snowboarden den deutschen Beugungsregeln beugen: Man nimmt die Grundform (den Infinitiv) des Verbs, schneidet -en ab und hängt die regelmäßigen deutschen Verbendungen an:

ich snowboarde, du snowboardest, er snowboardet, …
ich snowboardete, du snowboardetes, er snowboardete, …
die snowboardenden Massen

Dies gilt auch für das Partizip Perfekt, das übrigens sowohl mit sein als auch mit haben verwendet wird:

ich bin/habe gesnowboardet

Die Form gesnowboarded ist falsch, auch wenn die Endung -ed so schön zu einem englischen Verbstamm zu passen scheint. Alle Wortformen von snowboarden finden Sie hier.

Die Ableitung des Verbs snowboarden von einem Substantiv wie Snowboard folgt einer ganz normalen deutschen Wortbildungsregel, mit der unter vielen andern auch so schöne Wörter wie ehrgeizen, fuhrwerken, kuhhandeln, ohrfeigen, schauspielern und schulmeistern gebildet wurden. Auch die Wörter für Leute, die sich auf einem Snowboard fortbewegen, werden mit deutschen Endungen gebildet: Snowboarder und Snowboarderinnen wie zum Beipspiel Rodler und Rodlerinnen oder Eisläufer und Eisläuferinnen.

Beugung und Wortbildung folgen also ganz deutschen Mustern, auch wenn das Wort sehr englisch anmutet und es (ursprünglich) natürlich auch ist. Man kann sich aber die Frage stellen, ob es sich hier nicht um einen „unnötigen“ und „hässlichen“ Anglizismus handelt, den man besser durch ein deutsches Wort ersetzt. Aber welches?

Nicht in Frage kommt wohl die wörtliche Übersetzung Schneebrett. Dieses Wort hat bereits eine andere Bedeutung: Ein Schneebrett ist eine bestimmte Lawinenart. Wenn von Schneebrettgefahr die Rede ist, heißt das nicht, dass man sich vor rasenden Snowboardern in Acht nehmen soll, sondern dass man sich nicht abseits der freigegebenen Pisten bewegen sollte. Andere Vorschläge macht der Verein Deutsche Sprache e.V. in seinem Anglizismenindex: Skibrett oder Gleitbrett für Snowboard und Skibrett/Gleitbrett fahren oder schneebrettern für snowboarden.

Beim Wort Gleitbrett kann ich kurz sein, denn für mich klingt es irgendwie einfach nach Bügelbrett. Können Sie sich vorstellen, dass ein sich selbst respektierender, auch nur einigermaßen szenen- und modebewusster Snowboarder jemals von sich sagen wird, er sei ein Gleitbrettfahrer? Welche sportliche junge Frau wird sich je freiwillig als Gleibrettfahrerin bezeichnen?

Dann hat das Wort Skibrett doch die besseren Karten. Es beschreibt, was das Ding ist, es klingt nicht allzu verstaubt und man kann problemlos alle benötigten Wörter davon ableiten: Skibrett fahren, Skibrettfahrer, Skibrettfahrerin, Skibrettweltmeisterschaft usw. Da ich das Wort aber noch fast nie gehört oder gelesen habe, scheint es vorläufig doch nicht packend genug zu sein, um das Snowboard verdrängen zu können.

Ganz besonders gefällt mir der Vorschlag schneebrettern. Das klingt so „fetzig“, dass ich es ab sofort, allerdings eher scherzend als seriös, anstelle von snowboarden verwenden möchte. Am allerbesten gefällt mir aber das auf den Pisten der deutschsprachigen Schweiz gängige Verb snöben! Das ist eine Wortschöpfung, die es verdient, in den restlichen deutschen Sprachraum exportiert zu werden.

Abrechenbar und abrechnungsfähig

Frage

Gibt es in der deutschen Sprache das Wort abrechenbar? Dieses Wort habe ich im medizinischen Kontext gehört: abrechenbare Diagnose oder abrechenbare Leistung. Worin besteht der Unterschied zwischen abrechenbar und abrechnungsfähig?

Antwort

Sehr geehrte Frau G.,

das Wort abrechenbar gibt es, und wenn es das Wort noch nicht gäbe, könnte man es ganz einfach bilden. Das Suffix -bar ist die bei der Bildung von neuen Adjektiven aus Verben am häufigsten vorkommende Endung. Es drückt unter anderem aus, dass die Verbhandlung mit jemandem oder etwas gemacht werden kann (z.B. lieferbar, trennbar, abwaschbar, auswechselbar). Es kann bei sehr, sehr vielen Verben verwendet werden, so dass es ständig zu neuen Wortbildungen kommt: abrufbar, herunterladbar, downloadbar, ergoogelbare Info, scannbare Barcodes usw.

Das Adjektiv abrechenbar bedeutet also so etwas wie sich abrechnen lassend. Auch abrechnungfähig sagt man von etwas, das sich abrechnen lässt. Die Wörter abrechenbar und abrechnungsfähig haben also die gleiche Bedeutung. Ob sie überall in gleicher Weise verwendet werden, weiß ich leider nicht. Im Prinzip müsste aber eine abrechenbare Leistung dasselbe sein wie eine abrechnungsfähige Leistung.

Abrechenbares Laub wäre dann aber wieder etwas ganz anderes. Das könnte man von Laub sagen, das sich vom Rasen abrechen lässt. Da dies für alles Laub gilt, ist dieses abrechenbar wohl eher überflüssig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Schmunzel! Freu! Hüpf!

Frage

Es gibt eine Erscheinungsform des Verbes, die ich in keiner Grammatik beschrieben finde. Ein Beispiel aus einem Chat:

– Du hast gewonnen.
– *freu* *hüpf*

Oder in folgender Situation: A soll B in seinem Zimmer nicht stören. A macht es trotzdem absichtlich, indem er zu B ins Zimmer geht, auf und ab springt und dabei in den Raum ruft: „Stör! Stör!“ Können Sie zu dieser Form etwas sagen?

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

diese Wortformen werden unter anderem Inflektive genannt, weil sie unflektiert, d.h. nicht gebeugt sind. Ihre Form entspricht dem reinen Verbstamm, den man erhält, wenn man bei der Grundform (Infinitiv) die Endung -en resp. -n weglässt: freuen, schmunzeln. Sie werden wie zum Beispiel aha, pfui, hallo und Mensch! zu den Interjektionen gezählt. Wie diese sind sei eine Art Zwischenrufe, die nicht in die Struktur eines Satzes eingebettet sind.

Die Inflektive sind im Deutschen vor allem durch die Comics bekannt geworden. Wer diese Hefte einmal gelesen hat, kennt Wörter wie:

schepper, krach, rumpel
seufz, ächz, stöhn

Dieser Tatsache verdanken die Inflektive – wie ich dank einem Hinweis von Henk nun auch weiß – die eher inoffizielle Bezeichnung Erikative. Die im Jahr 2005 verstorbene Dr. Erika Fuchs hat als Übersetzerin amerikanischer Comics sehr viele dieser Inflektive geprägt und über die Donald-Duck- und Micky-Maus-Hefte im deutschen Sprachraum bekannt gemacht. Sehen Sie hierzu diesen Wikipedia-Eintrag.

Die Inflektive oder Erikative kommen auch in der Werbesprache und noch häufiger in der SMS-, E-Mail- und Chat-Sprache vor, wo sie unter anderem auch für die sogenannten Emoticons (Smileys) stehen:

🙂 = *freu*

Von hier aus sind sie auch in die gesprochene Umgangssprache durchgedrungen, wie Ihr Beispiel „Stör! Stör!“ sehr schön zeigt. Im Standarddeutschen werden Sie in der Regel nicht verwendet.

Grüß!

Dr. Bopp

Altweibersommer

In der Ecke, in der ich weile, konnte man am vergangenen Wochenende prächtigstes Nachsommerwetter genießen: sonnig und warm, ohne dass man ins Schwitzen käme. Ein richtiger Altweibersommer. Ich mag nicht nur diesen Wettertyp, sondern auch das Wort: Altweibersommer.

Ich dachte immer, dass der Altweibersommer so genannt wird, weil er ideal ist für ältere Damen (früher nicht  allzu abschätzig gemeint alte Weiber genannt), die sonst über den Kreislauf belastende Hitze oder Gelenkschmerzen fördernde Nasskälte zu klagen haben. Das würde auch erklären, weshalb ich dieses Wetter mag, denn zu der Katogorie gehöre ich ja auch schon bald. Ich bin zwar keine Dame, aber doch schon etwas älter und hin und wieder über die Gesundheit klagend. Über Gesundheitsprobleme und die aktuelle Wetterlage zu klagen ist bekanntlich nicht nur dem weiblichen Geschlecht eigen. Wie dem auch sei, meine Ideen zur Wortherkunft stimmen nicht. Es gibt nämlich eine poetischere Erklärung:

Der Altweibersommer verdankt seinen Namen den Spinnenfäden, die im Herbst durch den Wind davongetragen werden. Ob diese Spinnenfäden mit den grauen Haaren alter Frauen verglichen wurden? Sie haben auf jeden Fall noch andere schöne Namen wie Marienseide, Marienfäden oder Herbstfäden. Es könnte auch sein, dass weib nicht mit dem alten Wort für Frau, sondern mit weiben, einem alten Wort für weben, zu tun hat. Wie sich die Herkunft des Wortes Altweibersommer genau erklären lässt, ist also nicht völlig geklärt.

Auch wenn es vielleicht nicht ganz stimmt, gehe ich doch noch davon aus, dass Altweibersommer eine Zusammensetzung ist, die aus einem Adjektiv und zwei Substantiven besteht. Dieser Wortbildungstyp kommt relativ häufig vor, insbesondere mit Zahlwörtern an erster Stelle. Er bildet Wörter wie Achtfamilienhaus, Fünfsternehotel, Vielvölkerstaat und Mehrparteiensystem, aber eben auch so schöne Wortschöpfungen wie Dreitagebart, Hinterzungenvokal, Schwarzfersenantilope, Sechstagerennen, Siebenmeilenstiefel, Weißwangengans, Weitstreckenwagen, Zwölfprophetenbuch und (vielleicht) Altweibersommer.

Weitere Beispiele finden Sie auf dieser Seite.

Gelenkschmerzen oder Gelenksschmerzen?

Heute geht es wieder einmal um regionale Unterschiede, die es überall und in allen Bereichen der Sprache gibt. Diesmal ist weder die Rechtschreibung noch die Schweiz betroffen. Wir bleiben allerdings im Süden:

Frage

Wie schreibt man zusammengesetzte Wörter mit dem Wort Gelenk als Teil, wie z.B. Gelenk(s)arthroskopie, Gelenk(s)kapsel, Gelenk(s)kollaps, Gelenk(s)knorpel etc. – mit oder ohne Fugen-s? Ich bin aus Österreich. Kann es sein, dass es da Unterschiede zu Deutschland gibt?

Antwort

Sehr geehrte Frau R.,

Ihre Vermutung ist richtig. Im Allgemeinen werden Zusammensetzungen mit Gelenk an erster Stelle ohne Fugen-s gebildet:

Gelenkentzündung
Gelenkkapsel
Gelenkschmerzen
usw.

In Österreich sind aber auch die Formen mit Fugen-s üblich:

Gelenksentzündung
Gelenkskapsel
Gelenksschmerzen
usw.

Die letzten Worte richten sich an eingefleischte Teutonen: Die Formen mit Fugen-s sind in Österreich nicht nur üblich, sondern auch korrekt! Regionale Unterschiede gibt es eben auch im Bereich der Wortbildung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Praxisgebühr(en)befreiung

Frage

Wie heißt es richtig: Praxisgebührenbefreiung oder Praxisgebührbefreiung?

Sind folgende Ausdrücke akzeptabel?

Der Patient ist praxisgebührenbefreit bis…
Der Patient ist praxisgebührbefreit bis…

Antwort

Sehr geehrte Frau G.,

beide Begriffe kommen vor und beide Wörter sind korrekt nach den deutschen Wortbildungsregeln gebildet. Praxisgebührbefreiung ohne en scheint allerdings üblicher zu sein.

Wenn Sie diese Variante wählen, können Sie entsprechend auch praxisgebührbefreit bilden. Diesen Ausdruck finde ich aber stilistisch so unschön, dass ich Ihnen dringend eine andere Formulierung empfehlen möchte:

Der Patient ist bis … von der Praxisgebühr befreit.

Oder, wenn es in eine Tabelle o. Ä. passen muss:

Der Patient ist von der Praxigebühr befreit bis: …

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Praktikumszeugnis, das Korrekturprogramm und das Fugen-s

Frage

Bei einer Bewerbung hat mein Word-Rechtschreibprogramm mir das Wort Praktikumszeugnis in Praktikumzeugnis korrigiert. Auf allen Zeugnissen, die ich aus Praktika erhalten habe, steht aber Praktikumszeugnis. Was ist richtig?

Antwort

Sehr geehrter Herr M.,

das s ist ein sogenanntes Fugenelement. Es entsprach früher dem s des Genitivs. Zum Beispiel:

Essenszeit = Zeit des Essens
Gesprächsleitung = Leitung des Gesprächs

Diese Funktion hat es aber im Laufe der Sprachgeschichte verloren. So kann es zum Beispiel bei weiblichen Wörtern gar kein Genitiv-s sein, weil diese Wörter kein Genitiv-s haben:

Heiratsanzeige
Flüchtigkeitsfehler
Mitternachtsmahl

Im heutigen Deutschen gibt es einfach nur an, dass zwei Wörter zusammengesetzt sind. Nach bestimmten Endungen (z.B. -heit, -keit, -tum, -ion) MUSS es stehen. Bei anderen Gruppen von Wörtern KANN es stehen. Mehr Angaben dazu finden Sie auf dieser und dieser Grammatikseite.

Wenn man nun zweifelt und ein Wort – wie hier Praktikum(s)zeugnis – nicht im Wörterbuch steht, kann man die folgende grobe Faustregel anwenden: Schauen Sie bei anderen Zusammensetzungen mit dem gleichen Wort an erster Stelle nach, ob sie mit oder ohne Fugenelement gebildet werden, und machen Sie es dann gleich.

In unserem Wörterbuch stehen zwei zusammengesetzte Wörter mit Praktikum an erster Stelle:

Praktikumsplatz
Praktikumsstelle

Sie haben beide ein Fugen-s. Demnach heißt es also tatsächlich auch:

Praktikumszeugnis

Diese Methode funktioniert nicht zu hundert Prozent, sie ist aber im Allgemeinen eine gute Faustregel bei Unsicherheiten.

Man kann natürlich auch mit Hilfe von Webbrowsern das Internet absuchen. Diese Methode ist aber mit sehr großer Vorsicht zu genießen, da vor allem bei einer geringen Anzahl Fundstellen eine ganze Reihe von störenden Faktoren eine Rolle spielen kann. Hier ist die Bilanz aber sehr deutlich: über 40.000 Fundstellen für “Praktikumszeugnis” gegenüber nur etwas mehr als 400 für “Praktikumzeugnis”. Man kann also davon ausgehen, dass die Form Praktikumszeugnis eindeutig die im Deutschen übliche Form ist.

Am besten verlassen Sie sich in solchen Fällen ganz einfach auf Ihr Sprachgefühl und darauf, was Sie in Ihrer sprachlichen Umgebung als allgemein üblich wahrnehmen. Ein Rechtschreibprogramm erfüllt die Kontrolle der Fugenelemente nämlich oft nur (sehr) unvollständig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp