Reflektion statt Reflexion

Frage

Ich habe eine Frage zum Wort Reflektion: Mir fällt in letzter Zeit auf, dass es sehr häufig gebraucht wird im Sinne von Reflexion. Meines Wissens gibt es das Wort aber im offiziellen“ Wortschatz nicht. Oder ist mir da etwas entgangen? Ist es eine neue, spontan von reflektieren abgeleitete Wortbildung, die noch nicht in den Korpus eingegangen ist?

Anwort

Sehr geehrte Frau S.,

das Wort Reflektion gibt es im Deutschen offiziell“ (noch?) nicht, auch wenn man ihm immer wieder begegnet. Meistens ist damit wohl Reflexion gemeint. In diesem Zusammenhang wird immer wieder der Einfluss des Englischen angeführt. Dort schreibt man tatsächlich reflection, aber mein Wörterbuch sagt mir, dass man im britischen Englisch auch reflexion schreibt. Bei der Aussprache macht das im Englischen übrigens nichts aus. Davon ausgehend, dass das amerikanische Englisch die Welt regiert und dass englisches …ection vielfach deutschem …ektion entspricht, kann man diesen Einfluss sicher nicht ausschließen.

Es gibt aber auch einen Erklärungsversuch, der ohne das Englische auskommt. Ganz unbegreiflich ist diese Wortbildung nämlich nicht, denn Reflektion liegt doch eindeutig näher bei reflektieren als Reflexion. Außerdem gibt es auch noch die Direktion, die Erektion, die Inspektion, die Interjektion, die Kollektion, die Projektion, die Protektion, die Selektion usw. Das sind alles Wörter, die irgendwie von Verben abgeleitet sind und ebenfalls auf …ektion enden. Wie viele Wörter gibt es dahingegen schon, die auf …exion enden? Wenige: Annexion, Flexion, Komplexion (und ein paar davon abgeleitete Wörter). Es sind auch nicht gerade die am häufigsten vorkommenden Wörter. Als Sprachwissenschaftler hab ich zwar öfter mit der Flexion (= Beugung) zu tun, aber im Allgemeinen ist dies kein allzu häufig verwendeter Begriff. Ich begegne ihm übrigens hin und  wieder in der Form Flektion. Ohne Kenntnisse des lateinischen Ursprungs der Wörter reflektieren (reflectere) und Reflexion (reflexio) kommt man nie darauf, wie das zu reflektieren gehörende Substantiv heißen muss. In Analogie mit den vielen anderen Wörtern auf …ektion ist dann Reflektion eigentlich viel naheliegender.

Ich weiß nicht, ob das Wort Reflektion jeweils aus dem Englischen übernommen wird oder ob es ganz unabhängig davon als Analogiebildung innerhalb des Deutschen entsteht. Wahrscheinlich haben beide Phänomene einen einander verstärkenden Einfluss. Zurzeit sollte man die Verwender von Reflektion noch vorsichtig darauf hinweisen, dass Reflexion besser wäre. Aber wer weiß, vielleicht ist das englisch-deutsche Verschwörerpaar so stark, dass Reflexion einmal von seinem Thron als offizieller Alleinherrscher gestoßen werden wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Was haben Kohlmeisen mit Kohl zu tun?

Heute arbeite ich zu Hause. Ich habe Aussicht auf das Gärtchen, das von so bescheidener Größe ist, dass ich es manchmal gerne und maßlos übertreibend unsere Parkanlage“ nenne. An der Hauswand hängt ein Nistkasten, in dem sich dieses Jahr zum ersten Mal ein Kohlmeisenpärchen eingenistet hat. Die Jungen sind ausgeschlüpft und piepsen ununterbrochen, was die armen Eltern zu beinahe pausenloser Nahrungsanfuhr antreibt. In rasendem Tiefflug, der eigentlich manchen Jetpiloten vor Neid erblassen lassen müsste, fliegen sie hin und her. Ich wundere mich immer wieder, wie sie es schaffen, rechtzeitig zu bremsen, bevor sie in ihrem Vogelhäuschen verschwinden. Kurzum, ein schöner Anblick für den menschlichen Beobachter und ein fatales Ereignis für unzählige Räupchen und fliegende Insekten.

Was aber haben nun Kohlmeisen mit Kohl zu tun? Die Antwort lautet: gar nichts. Sie heißen wegen der schwarzen Farbe ihres Kopfes so. Ihr Name hat also etwas mit Kohle zu tun. Weshalb dachte ich dann aber doch erst an den Kohl statt an die Kohle?

Das hat damit zu tun, dass es nur ganz wenige Zusammensetzungen mit Kohle an erster Stelle gibt, die die Form Kohl- haben:

kohlschwarz, Kohlrabe, Kohlmeise

Alle anderen Zusammensetzungen haben die Form Kohle- oder Kohlen-. Zum Beispiel

Kohlebenzin, kohlehaltig, Kohle[n]hydrat, Kohle[n]industrie, Kohlenbergwerk, Kohlenheizung

Die meisten Zusammensetzungen mit Kohl- an erster Stelle haben etwas mit Kohl zu tun. Zum Beispiel:

Kohlgemüse, Kohlkopf, Kohlraupe, Kohlrübe, Kohlsuppe

Es gibt im Deutschen fast keine festen Regeln, wann bei der Wortzusammensetzung ein auslautendes e wegfällt und wann ein Fugenelement eingefügt wird. Es geschieht meistens in Übereinstimmung mit anderen Zusammensetzungen, die das gleiche Wort an erster Stelle haben. Das ist also der Grund, weshalb ich – und vielleicht auch Sie – bei der Kohlmeise zuerst ans Gemüse und dann erst an den Brennstoff dachte. So kann man also seinen Irrtum mit Hilfe der deutschen Wortbildungsprinzipien als zwar falsche, aber doch intelligente Folgerung tarnen. Man kann es wenigstens versuchen …

Ein Redaktor redigiert, ein Korrektor korrigiert, ein Lektor …?

Frage

Wie lautet die Verbentsprechung zum Beruf Lektor? Ein Lektor …?

Antwort

Sehr geehrte Frau M.,

hier gibt es leider keine schnittige „Einwortantwort“. Ursprünglich konnte man sagen: Ein Lektor liest. Das Wort geht auf das lateinische lector zurück, das Leser, Vorleser bedeutete. Das entsprechende Verb war legere (u.a. lesen), das es – soweit ich weiß – nicht als fremdes Verb ins Deutsche geschafft hat. Auf legere gehen aber direkt oder indirekt auch Wörter wie Legende, Lektion und Lektüre zurück. Obwohl es verdächtig ähnlich klingt, hat das Wort legieren im Sinne von binden (von z.B. Saucen), miteinander verschmelzen (vgl. Legierung) einen anderen Ursprung: Es geht über italienisch legare auf lateinisch ligare (binden, festbinden, verbinden) zurück.

Im modernen deutschen Sprachgebrauch hängt es vom Beruf oder der Funktion ab, was Lektoren und Lektorinnen genau tun. Es hat allerdings immer irgendetwas mit Lesen zu tun. An einer Universität geben sie Kurse oder leiten sie praktische Übungen. In einem Verlagshaus lesen, prüfen und bearbeiten sie Manuskripte. In Gottesdiensten lesen sie Texte vor. In evangelischen Kirchen können sie auch anstelle des Pfarrers Lesegottesdienste halten.

Es gibt also für Lektor nicht eine so schöne Entsprechung wie zum Beispiel bei ein Redaktor redigiert, ein Korrektor korrigiert oder ein Revisor revidiert. Das kommt auch bei anderen alten Verbableitungen vor (zum Beispiel Aggressor, Autor, Professor). Und selbst wenn es das Verb, von dem ein Nomen ursprünglich abgeleitet worden ist, im modernen Deutschen noch gibt, ist die direkte Entsprechung manchmal nicht mehr gegeben: Heutzutage ist es üblich, dass eine Direktorin ihr Unternehmen führt und ein Rektor sein Bildungsinstitut leitet. Dirigiert und regiert wird meist an anderen Orten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Berichtigung

In der Zwischenzeit hat eine aufmerksame Blogleserin mich unten in einem Kommentar darauf aufmerksam gemacht, dass es doch eine Einwortantwort gibt: lektoriert. Man sagt: Ein Lektor lektoriert (das Wort steht sogar in Canoonet!). Dies gilt jedenfalls, wenn der Lektor oder die Lektorin für einen Verlag tätig ist. Dieser Kommentar zeigt zwei Dinge, nämlich erstens dass man nicht nur in eine Richtung schauen soll und zweitens dass die Sprache so flexibel ist, dass es meistens keine Lücken gibt, wenn man etwas wirklich braucht.

Ich habe beim Verfassen dieses Beitrags den Fehler gemacht, in Analogie mit den anderen Beispielen auch bei Lektor nur nach hinten zu schauen, nämlich dorthin, wo das Wort herkommt. Ich hätte auch vorwärtsschauen müssen. Wörter haben nicht nur einen Ursprung, sondern sie können selber auch wieder Ursprung sein. Man kann nämlich mit -ieren von Fremdwörtern neue Verben bilden, also lektorieren von Lektor ableiten.

Das Verb lektorieren zeigt auch sehr schön, dass wenn es in der Sprache Lücken gibt, diese oft sehr effizient aufgefüllt werden. Wie ich oben so umständlich dargestellt habe, fehlt im heutigen Deutsch die moderne Variante des Verbs, von dem Lektor abgeleitet ist. Davon lassen sich die Menschen der Verlagsbranche aber nicht beeindrucken. Sie haben ganz korrekt ein neues Verb gebildet, damit sie ein Wort haben, mit dem sie ihre Tätigkeit benennen können. Das nennt man dann Sprachwandel und gehört für mich zu den faszinierendsten Aspekten der Sprache.

Ich bedanke mich herzlich bei Marion K. für ihren Hinweis und bitte Frau M. für meine gelinde gesagt unvollständigen Recherchen um Entschuldigung.

Die Bildung von Einwohnernamen

Einwohnernamen geben immer wieder zu Fragen Anlass (nicht nur bei “Fragen Sie Dr. Bopp?). Deshalb auch hier einmal ein Beitrag mit ein paar allgemeinen Worten zur Bildung von Einwohnernamen:

Frage

Eine ausländische Freundin fragte mich kürzlich, ob es denn im Deutschen eine Regel gäbe zur Bildung der Bezeichnung der Einwohner eines Landes, also z. B.

Deutschland –> der Deutsche / die Deutsche
Schweiz –> der Schweizer / die Schweizerin
Frankreich –> der Franzose / die Französin

Antwort

Sehr geehrte Frau L.,

es gibt im Deutschen keine festen Regeln, wie Einwohnernamen gebildet werden. Dies zeigen schon Ihre drei Beispiele. Wie die Einwohner eines Ortes, einer Region oder eines Landes heißen, wird durch den Gebrauch bestimmt. Dabei spielen historische gewachsene Namen (zum Beispiel Franzose, Italiener) und deutsche Ableitungsregeln (zum Beispiel Österreicher, Liechtensteiner, Japaner), aber auch fremdsprachigen Namen (zum Beispiel Guatemalteke, Madrilene) eine Rolle.

So ist nicht durch Regeln zu erklären, warum in England Engländer, in Holland Holländer, aber in Lettland Letten statt Lettländer und in Griechenland Griechen und nicht Griechenländer wohnen. Und in Deutschland wohnen Deutsche, ein Einwohnername, der als einziger wie ein Adjektiv gebeugt wird. Weiter wohnen in Norwegen Norweger, aber in Schweden nicht etwas Schweder, sondern Schweden. Auch in Dänemark trifft man nicht Dänemarker, sondern Dänen. Und dann gibt es noch die “exotischeren? Namen wie Guatemalteke, Chinese, Togolese, Zypriote, Kosovare, Montenegriner, Brasilianer, Jemenit usw.

Man muss also oft lernen, wie die Einwohner eines Ortes, Gebietes oder Landes heißen. Die häufigste Art, einen Einwohnernamen zu bilden, ist das Suffix -er. Siehe die Ableitungsregel in Canoonet. Auch bei einigen fremdsprachlich beeinflussten Einwohnernamen setzt sich immer mehr die Form auf -er durch. Z.B. Togoer statt Togolese, Zyprer statt Zypriote, Azorer statt Azoreaner. Zum letzten Namen gibt es bereits einen Blogeintrag. Dort finden Sie auch zwei Hinweise, wo Sie Länderlisten mit Einwohnernamen herunterladen können.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

ungut, unteuer, unblau

Frage

Ich habe letztens eine Person kennen gelernt, die sämtliche Adjektive mit der Vorsilbe un verneint. Z.B. ungut, unteuer, unhell, unblau, unschnell usw. Für mich ist es jedoch völlig klar, dass man einige Adjektive mit dem Wort nicht verneint. Also nicht teuer, nicht hell. Gibt es in diesem Fall eine Regelung oder etwas Ähnliches?

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

es ist natürlich nicht verboten, alle Adjektive mit un zu verneinen, aber es ist in gewissen Fällen unüblich bis unmöglich. Die Vorsilbe un hat die Funktion, die Bedeutung des Adjektivs, mit dem es verbunden ist, zu verneinen. Es wird nicht oder nur selten bei Adjektiven verwendet, für deren verneinte Bedeutung es bereits ein anderes Wort gibt:

gut – schlecht
teuer – billig
hell – dunkel
schnell – langsam
schön – hässlich

Dies ist aber keine absolute Regel. Während es unschlecht und unhässlich normalerweise tatsächlich nicht gibt, kann man zum Beispiel problemlos ein ungutes Gefühl oder eine unschöne Szene sagen. Im ersten Fall ist ungut weniger stark als schlecht. Im zweiten Fall ist unschön eine oft ironisch gemeinte beschönigende Umschreibung für hässlich. In gleicher Weise sagt der höfliche Mensch unklug, wenn er das Wort dumm vermeiden will.

Ein anderer Fall ist Ihr Beispiel unblau. Der Grund, weshalb man Farbadjektive nicht mit un verneinen kann, ist mir leider nicht bekannt. Dafür müsste ich länger nachforschen. Man sagt jedenfalls nicht unblau, ungrün, unviolett oder unbeige. Dasselbe gilt für zum Beispiel unviereckig, unoval, unsteinern und ungehäkelt.

Ebenfalls nicht oder nur sehr bedingt mit un verneinbar sind Adjektive, die – grob gesagt – nicht eine Eigenschaft, sondern eine Beziehung ausdrücken (Relativadjektive):

*unbetriebsärztlich
*ungeologisch
*unstaatlich

Sehr schön lässt sich dies anhand von geografischen Adjektiven aufzeigen:

nicht englisch = nicht aus England/dem Englischen stammend
unenglisch = nicht der englischen Art entsprechend

Wie Sie sehen, könnte man zu diesem Thema ganze Bücher füllen. Klar ist, dass nicht alle Adjektive sich mit un verneinen lassen. Auch wenn wir die Regeln dafür nicht kennen, sagt uns in den meisten Fällen unser Sprachgefühl, wann dies möglich ist und wann nicht. Wenn jemand also einfach alle Adjektive mit un verneint, handelt es sich wohl um eine bewusst angelernte, wahrscheinlich witzig gemeinte Marotte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Stahlaktenschrank: Die Bedeutung zusammengesetzter Wörter

Frage

Seit Jahren lässt mich eine Sache nicht ruhen. Ich habe eigentlich per Zufall auf einen Chargenaufkleber eines Stahlschrankes geschaut und folgendes gelesen:

Stahlaktenschrank
Baujahr: 1974
Nummer: xxxxxxx??

Was mich verwunderte, war die Bezeichnung Stahlaktenschrank. Nun meine Frage: Ist ein Stahlaktenschrank ein Schrank für Stahlakten oder ein Stahlschrank für Akten?

Antwort

Sehr geehrter Herr D.,

die Wortbildungsregeln des Deutschen können Ihnen bei dieser Frage nicht behilflich sein. Wenn zwei Wörter miteinander zu einem neuen Wort kombiniert werden, bedeutet das im Prinzip nur, dass die beiden Wörter in irgendeiner Weise etwas miteinander zu tun haben.

So sind die Tischplatte und das Tischbein Teile eines Tisches. Die Tischdecke und der Tischgrill sind Dinge, die man in der Regel auf einen Tisch legt oder stellt. Eine Tischdame oder ein Tischherr ist eine Person, in deren Gesellschaft man bei einem formellen Diner am Tisch sitzt. Ein Tischgespräch ist normalerweise keine Konversation unter Möbelstücken, sondern ein bei Tisch geführtes Gespräch, und die Tischmanieren sagen in der Regel nichts über das Betragen des Tisches aus, sondern darüber, wie man sich bei Tische zu benehmen hat.

All diese zusammengesetzten Wörter sind in gleicher Weise gebildet worden und haben etwas mit Tisch zu tun. Die jeweiligen Bedeutungsbeziehungen zwischen den einzelnen Wortbestandteilen sind aber ganz unterschiedlicher Art. Die Form der Verbindung lässt also keine Rückschlüsse auf die genaue Art der Bedeutungsbeziehung zu. Vereinfacht gesagt: Nicht die Form, sondern der Satzzusammenhang und unsere Kenntnis der Welt helfen uns bei der Interpretation der genauen Bedeutung eines zusammengesetzten Wortes.

Ein Stahlaktenschrank kann also sowohl ein Aktenschrank aus Stahl als auch ein Schrank für Stahlakten sein. Die Form des Wortes gibt uns keinen Aufschluss darüber, welche Bedeutungsbeziehungen zwischen den einzelnen Teilwörtern bestehen. Nur die Kenntnis der Welt sagt uns, dass es wahrscheinlicher ist, dass es sich um einen Aktenschrank aus Stahl handelt. Es gibt viele Aktenschränke aus Stahl, während nicht anzunehmen ist, dass es speziell für Stahlakten (was immer das sein mag) gemachte Schränke gibt. Die zweite Bedeutung ist aber im Prinzip nicht ausgeschlossen. Es ließe sich relativ leicht ein Zusammenhang konstruieren, in dem ein Schrank für Stahlakten vorkommt.

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen fürs neue Jahr

Dr. Bopp

Umlaut bei -in

Frage

Meine Frau lernt gerade Deutsch und hat mich nun etwas gefragt, worauf ich selber keine Antwort habe. Die Bildung der weiblichen Berufsbezeichnungen ist normalerweise durch den Anhang von in vollständig abgehandelt. So zum Beispiel Polizist – Polizistin, Fahrer – Fahrerin. Nun aber wurde ich gefragt, warum es Arzt – Ärztin heißt, speziell der Anfangsbuchstabe Ä. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Antwort

Sehr geehrter Herr D.,

es gibt leider keine festen Regeln, wann bei der Bildung von weiblichen Bezeichnungen mit -in auch ein Umlaut verwendet wird. Den armen Deutschlernenden bleibt somit nichts anderes übrig, als die wichtigsten Fälle auswendig zu lernen. Der Umlaut steht vor allem bei älteren Bildungen. Nach den Angaben im Canoonet-Wörterbuch sind dies die folgenden Ableitungen:

Berufs- und andere Personenbezeichnungen

Amtsrätin (Bundesrätin, Kreisrätin usw.), Anwältin, Ärztin, Bäuerin, Bischöfin, Bübin (Spitzbübin), Gräfin, Göttin, Jüdin, Kräuterin, Köchin, Männin, Muselmännin (veraltet für Muselmanin), Närrin, Obmännin, Päpstin, Pröpstin, Schwägerin, Spitzbübin, Törin, Vögtin

Einwohnernamen:

Flämin, Fränkin, Französin, Sächsin, Schwäbin, Westfälin

Und dann gibt es auch noch Tierbezeichnungen:

Äffin, Bräckin (Art Jagdhündin), Dächsin, Füchsin, Häsin, Hündin, Kätzin, Spätzin, Störchin, Täubin, Wölfin

Weiter gibt es auch die entsprechenden zusammengesetzten Personen- und Tierbezeichnungen wie Amtsärztin, Chefärztin, Großbäuerin, Burggräfin, Südfranzösin, Jagdhündin usw. Der weitaus größte Teil der mit -in gebildeten weiblichen Bezeichnungen wird übrigens nicht umgelautet: Von den ca. 8450 mit diesem Suffix abgeleiteten Wörtern in unserem Wörterbuch wurden nur 230 mit Umlaut gebildet.

Weitere Informationen zur weiblichen Endung -in finden Sie hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wie heißen die Einwohner von Nizza?

Bei frühlingshaft warmem Wetter fragte ich mich vorgestern in Nizza plötzlich, wie denn die Einwohner der Stadt auf Deutsch heißen. Das Resultat meiner Überlegungen, die dank der viel zu schönen Umgebung nicht allzu tiefschürfend waren, lautete, dass man wohl im Deutschen jemand aus Nizza oder das französische Niçois verwendet. Das aus der örtlichen Sprache mit dem gleichen Namen stammende Nissart kann man ja im deutschen Sprachraum kaum als bekannt voraussetzen.

Diese Überlegungen stimmen nicht ganz. Zu meinem Erstaunen fand ich zu Hause auch viele Belege für das Adjektiv und den Einwohnernamen Nizzaer. Das Wort klingt für mich irgendwie gar nicht nach Côte d’Azur und Riviera, aber es hat es sogar in den Duden und ins Canoonet-Wörterbuch geschafft. Die Nizzaerin ist dann die grammatisch korrekte weibliche Form, aber sie findet sich außer im Duden und auf Canoonet kaum irgendwo. Und bei Niçoise stößt man natürlich vor allem auf Salatrezepte. Ich würde es deshalb am ehesten auf Einwohnerin von Nizza halten.

Diese Lösung klingt relativ unbefriedigend, aber sie muss öfter angewendet werden, als man auf Anhieb denken würde. Oder wüssten Sie auch nach längerem Nachdenken, wie die Einwohner von Antibes, einem Ort in der Nähe Nizzas, mit einem Wort genannt werden müssten? Viel weiter als Antibier und Antibioten komme ich nicht, und das ist natürlich reinster Unsinn.

Cola Rum oder Rum Cola?

Frage

In der Umgangssprache heißt ein klassischer Longdrink oft Cola-Rum, was ja laut Wortbildungsregeln eigentlich Rum mit Cola wäre. Da es sich aber bei diesem Getränk um Cola gemixt mit einem Schuss Rum handelt, wäre da nicht eher die Bezeichnung Rum-Cola richtig?

Antwort

Sehr geehrte Frau B.,

zu dieser Frage lässt sich einiges sagen. Ich möchte aber vorausschicken, dass in einem Bereich wie den Bezeichnungen für Cocktails und Drinks, in dem es nur so von Phantasienamen und Fremdwörtern wimmelt, die Grammatikregeln oft an ihre Grenzen stoßen. Hier dann aber trotzdem ein Erklärungsversuch:

Die Bezeichnung Cola-Rum ist gemäß den Wortbildungsregeln nur dann eine Art Rum, wenn bei neutraler Aussprache die Betonung auf dem ersten Teil, d.h. Cola liegt (vgl. Weizenbier, Colaflasche, Strohrum). Der besagte Longdrink wir aber auf dem zweiten Wort betont: Cola-Rum, ähnlich wie Whisky pur, Forelle blau und Herr Bush senior. Ich würde auch für eine Schreibung ohne Bindestrich plädieren: Cola Rum wie zum Beispiel Gin Tonic und Campari Orange. Hier handelt es sich ja um einen Gin mit Tonic beziehungsweise einen Campari mit Orangensaft. Dann braucht eine Cola mit Rum eigentlich auch keinen Bindestrich.

Im Gegensatz zum Gin Tonic und zum Campari Orange, die wie die Grundwörter Gin und Campari männlich sind, scheint das Geschlecht von Cola Rum nicht ganz festzustehen: Man kann einerseits eine Cola Rum (wie die Cola) oder ein Cola Rum (wie das Cola) und andererseits einen Cola Rum (wie der Rum oder wie der Longdrink?) bestellen. Um die Sache weiter zu komplizieren: Man verwendet auch die Bezeichnung Rum Cola, mit der meines Wissens der gleiche Longdrink gemeint ist.

Ich komme deshalb zu folgendem Schluss:

das/die Cola Rum = Cola mit Rum
der Rum Cola = Rum mit Cola

Bei allen anderen, ebenfalls gebräuchlichen Bezeichnungen „versagen“ die Wortbildungsregeln: Der Cola-Rum, das Rum-Cola und die Rum-Cola sind entweder als falsch anzusehen (aber es liegt mir fern, so etwas zu behaupten) oder sie bezeichnen einfach einen Longdrink mit Cola und Rum. Wirklich wichtig ist dies ohnehin nicht. Hauptsache ist, dass es schmeckt, dass man (sorry, Mädchen und Jungs) die Pubertät schon hinter sich hat und dass man zur Vorbeugung von nachträglich bereuten Worten und Taten sowie im Hinblick auf ein katerloses Erwachen nicht allzu viel davon trinkt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Organspendeausweis oder Organspenderausweis?

Frage

Ich lese einen Artikel übers Organspenden und dabei ist mir Folgendes aufgefallen: Einerseits heißt es Spenderausweis, andererseits aber Organspendeausweis. Ist das korrekt, oder müsste es Organspenderausweis heißen?

Antwort

Sehr geehrte Frau E.,

sowohl Organspendeausweis als auch Organspenderausweis sind korrekt nach den Wortbildungsregeln des Deutschen gebildete Wörter. Das erste bezeichnet einen Ausweis, der etwas mit der Organspende zu tun hat (Organspende+Ausweis), das zweite bezeichnet einen Ausweis, der etwas mit einem Organspender zu tun hat (Organspender+Ausweis). Wenn es also um einen persönlichen Ausweis geht, mit dem das Spenden von Organen geregelt wird, sind beide Wörter zutreffend.

Es liegt also am Gebrauch, welches der beiden Wörter „richtig“ ist. Ein kurzer Blick ins Internet zeigt, dass beide Wörter verwendet werden. In Deutschland ist die offizielle Bezeichnung Organspendeausweis (siehe Informationsseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung), aber auch das Wort Organspenderausweis wird häufig für den gleichen Ausweis verwendet. Auch in der Schweiz, wo die Swisstransplant Spendekarten ausstellt, wird daneben häufig sowohl Organspendeausweis als auch Organspenderausweis verwendet. In Österreich gilt die sogenannte Widerspruchslösung, sodass es offiziell nur das Gegenteil von Organspende(r)ausweisen gibt: das Widerspruchregister gegen Organspende. Dennoch werden zum Beispiel beim Blick über die Grenze sowohl Organspendeausweis als auch Organspenderausweis verwendet.

Ganz Ähnliches gilt für die Wörter Spendeausweis und Spendekarte respektive Spenderausweis oder Spenderkarte: Sie sind alle korrekt gebildet, sie bezeichnen alle das Gleiche und werden alle häufig verwendet.

Auch der Gebrauch gibt somit nicht eindeutig an, welche Variante im Deutschen korrekt ist. Sie können also beide verwendent. Stilistisch ist es vielleicht besser, im gleichen Text entweder nur Spendeausweis und Organspendeausweis oder nur Spenderausweis und Organspenderausweis zu verwenden. Aber auch dies ist eher eine schüchterne Empfehlung als eine eiserne Regel.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp