Suppe als oder zur Vorspeise?

Auch bei der Verwendung der Präpositionen und Konjunktionen gibt es häufig keine hieb- und stichfesten Regeln, die immer und überall gelten. Das zeigt auch die Antwort auf die folgende Frage:

Frage

Wie sollte man bei einer Bestellung im Restaurant lieber sagen:

Zur Vorspeise nehme ich …
Als Vorspeise nehme ich …

Antwort

Guten Tag Herr M.,

die beste Wahl ist hier als:

Als Vorspeise nehme ich die Tagessuppe.

Das liegt daran, dass die Suppe die Vorspeise ist. Eine Vorspeise ist ein Gericht, nicht der Zeitpunkt, zu dem ein Gericht serviert wird. Das gilt auch für Hauptspeise und Nachspeise:

Mit Brot und einem Salat kann man die Muscheln auch als Hauptspeise servieren.
Als Nachspeise wurden frische Erdbeeren mit Schlagsahne gereicht.

Die Präposition zu passt dann gut, wenn angegeben wird, was diese Speisen begleitet:

Brot mit Butter zur Vorspeise reichen
einen italienischen Rotwein zur Hauptspeise einschenken
zur Nachspeise einen starken Kaffee mit Zucker nehmen

Ein bisschen anders sieht es bei Nachtisch und Dessert aus. Diese beiden Wörter werden häufig nicht als Bezeichnungen für ein Gericht, sondern auch als Namen für die „Etappe“ einer Mahlzeit angesehen. Deshalb steht hier neben als auch zum:

Es wurde Himbeereis als/zum Nachtisch serviert.
Als/Zum Dessert gibt es selbstgebackene Brownies.

Hüten Sie sich aber davor, diese Angaben als feste Regeln zu sehen, an die sich alle halten oder halten müssen! Vielleicht unter dem Einfluss von Nachtisch und Dessert hört und liest man auch immer wieder, dass ein Carpaccio zur Vorspeise oder ein frischer Fruchtsalat zur Nachspeise serviert wird. Das ist nicht unbedingt falsch, aber aus den oben genannten Gründen stilistisch weniger gelungen. Zur Streitfrage sollte es sowieso nicht werden, denn die Hauptsache ist ja, dass es schmeckt!

Mir freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Billig und günstig

Frage

Seit einiger Zeit wird das Wort „billig“ durch „günstig“ ersetzt, was mich jedesmal schaudern macht. Da ist dann von „günstigen Ostern“ oder „günstig serviert“ (Supermarkt-Prospekt) die Rede. […] Woher kommt diese Wortwandlung und bin ich der einzige der sich daran stört?

Antwort

Guten Tag Herr R.,

manchmal wird die Verwendung von günstig im Sinne von billig als umgangssprachlich bezeichnet. In zum Beispiel Duden werden aber keine stilistischen Angaben gemacht:

a) durch seine Art oder [zufällige] Beschaffenheit geeignet, jemandem einen Vorteil oder Gewinn zu verschaffen, die Vorzüge einer Person oder Sache zur Geltung zu bringen, ein Vorhaben oder das Gedeihen einer Sache zu fördern: […]

b) billig, preiswert:  […]

[Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Eintrag „günstig“]

Es ist also üblich, das Wort günstig auch in Bezug auf Preise und Kosten zu verwenden. Dazu, wo genau die Bedeutung billig von günstig herkommt, finde ich leider keine Angaben. Es ist aber gut verständlich, denn ein niedriger Preis ist für Käufer und Käuferinnen oder zumindest deren Geldbeutel vorteilhaft, also günstig. In dieselbe Richtung weisen auch Wortbildungen wie preisgünstig und kostengünstig. In diesem Sinne könnte günstig auch einfach als Verkürzung dieser Begriffe angesehen werden.

Weiter umgeht günstig wie zum Beispiel auch preiswert oder preisgünstig die negative Beibedeutung, die billig haben kann. Etwas, was billig ist, kann qualitativ schlecht sein. Bei günstig schwingt diese Bedeutung nicht mit. Deshalb klingt in einen Reklamepropekt günstige Ostern besser als billige Ostern. Ersteres kostet vergleichsweise wenig, Letzteres kann auch einen eher dürftigen, ärmlichen Eindruck machen. Als Gebrauchtwagen kann eine Ferrari vielleicht günstig sein, wirklich billig wird er aber nie. Bei billigen Luxusuhren würde ich zu noch größerer Vorsicht raten als bei günstigen Angeboten. Und ich habe – vielleicht ganz zu Unrecht – mehr Vertrauen in die Qualität günstiger Schuhe als in die Qualität billiger Schuhe.

Ob Sie sich als Einziger an der Verwendung von günstig im Sinne von preislich vorteilhaft stören, weiß ich natürlich nicht, aber ich kannte diese Kritik bis jetzt nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

An etwas leiden und unter etwas leiden

Frage

Zurzeit beschäftige ich mit dem Verb „leiden“. Unter dem Duden-Eintrag „leiden“ finden wir folgende Beispiele:

• an Rheuma, an Bronchitis leiden
• sie leidet an einem hartnäckigen Ekzem, unter ständigen Kopfschmerzen
• sie leidet sehr unter seiner Unzuverlässigkeit, unter ihrer Einsamkeit, unter ihrem Chef
•  er litt an, unter dem Gefühl der Unsicherheit

Wie man den Beispielen entnehmen kann, steht das Verb „leiden“ mal in Verbindung mit der Präposition „an“, mal mit der Präposition „unter“. Wann verwende ich welche Präposition? […]

Antwort

Guten Tag Herr B.,

es gibt keine strenge Abgrenzung zwischen leiden an und leiden unter. Den Bedeutungsunterschied könnte man wie folgt zu beschreiben versuchen:

an X leiden = man hat das Leiden X
unter X leiden = X verursacht, dass man leidet

Wenn man ein Leiden hat (leiden an), kann dieses Leiden Beschwerden verursachen (leiden unter). Der Übergang ist häufig fließend, denn wenn man ein Leiden hat, leidet man häufig auch darunter. Zum Beispiel:

Ich leide an Kopfschmerzen
= Ich habe häufig/regelmäßig Kopfschmerzen
Ich leide unter Kopfschmerzen
= Kopfschmerzen verursachen mir Beschwerden

Ich leide an Schlafstörungen
= Schlafstörungen sind meine Krankheit
Ich leide unter Schlafstörungen
= Schlafstörungen bewirken, dass ich leide

Aber nicht immer ist beides möglich. Es gibt Formulierungen, in denen nur die eine oder nur die andere Variante in Frage kommt:

Sie leiden an Selbstüberschätzung.

Wer das „Leiden“ hat, das man Selbstüberschätzung nennt, empfindet deswegen keine Beschwerden (im Gegenteil).

Die Natur leidet unter dem Massentourismus.

Der Massentourismus ist nicht ein Leiden oder eine Krankheit der Natur. Er verursacht aber Leiden/Schaden für die Natur.

Ob man an oder unter etwas leidet, hängt davon ab, ob angegeben wird, welches Leiden jemand/etwas hat (leiden an), oder ob etwas als als Ursache von Leiden genannt wird (leiden unter). In vielen, aber nicht allen Fällen sind beide Sehensweisen möglich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Passiv und passivisch

Frage

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Unterschied zwischen „passiv“ und „passivisch“ erhellen könnten.

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

außerhalb der Linguistik oder ohne Bezug auf die Sprache kommt passivisch kaum vor. Ich beschränke die Antwort deshalb auf die Verwendung der beiden Adjektive in der Sprachwissenschaft. Um es gleich vorwegzunehmen: Einen eindeutigen Unterschied gibt es nicht.

Das Adjektiv passivisch ist eine Ableitung des Substantivs Passiv:

passiv →  Passiv → passivisch

Im Allgemeinen wird in der Sprachwissenschaft passivisch verwendet, wenn im Passiv stehend, das Passiv betreffend gemeint ist:

die passivischen Formen des Verbs
eine Satz im Aktiv mit passivischer Bedeutung
die passivische Adjektivendung „-bar“

Die sprachwissenschaftliche Terminologie wäre aber nicht die sprachwissenschaftliche Terminologie, wenn man nicht an jeder zweiten Ecke einer Ausnahme begegnete. So wird des Öfteren passiv verwendet, wo man nach dem oben Gesagten passivisch erwarten würde:

die passiven Formen des Verbs
eine Konstruktion mit passiver Bedeutung

Wenn ein Bezug zum grammatischen Passiv gemeint ist, kommen daneben oft Zusammensetzungen mit Passiv- vor:

die Passivformen des Verbs
eine Passivkonstruktion

Das Adjektiv passiv wird in der Sprachwissenschaft häufig in Verbindungen wie der passive Wortschatz verwendet. Der passive Wortschatz ist der Teil des Wortschatzes, den ein Mensch versteht, selbst aber nicht aktiv gebraucht (ebenso zum Beispiel: passive Sprachkompetenz, passive Sprachkenntnisse, passive Sprachbeherrschung usw.).

Eine eindeutige Unterscheidung gibt es wie gesagt nicht. Wenn Sie passivisch verwenden, wenn es um das Passiv geht, und passiv, wenn von Sprachkenntnissen und Sprachbeherrschung die Rede ist, dann liegen Sie in der Regel richtig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Im Jahr 2100 (zweitausendeinhundert oder einundzwanzighundert?)

Frage

Wie schreibt man die Jahreszahlen ab 2100 in Worten? Wie spricht man sie aus? Zum Beispiel 2113: „zweitausendeinhundertdreizehn“ oder „einundzwanzighundertdreizehn“? Welche Variante ist korrekt?

Antwort

Guten Tag K,

es gibt keine verbindliche Regel, wie man solche Jahreszahlen aussprechen muss. Es gibt aber einige allgemein bekannte Konventionen:

Es ist üblich, die Jahreszahlen zwischen 1100 (elfhundert) und 1999 (neunzehnhundertneunundneunzig) mit Hunderterzahlen anstatt mit (ein)tausend…hundert auszusprechen. Für zum Beispiel 1905, 1789 oder 1291 sagt man entsprechend neunzehnhundertfünf, siebzehnhundertneunundachzig und zwölfhunderteinundneunzig. Es ist aber nicht grundsätzlich falsch, tausendneunhundertfünf oder im Jahr tausendzweihunderteinundneunzig zu sagen, es ist nur nicht üblich.

Ab 2000 zählt man nicht mehr mit Hunderterzahlen, sondern man geht wieder zum „normalen“ Tausendersystem über. Für 2005 sagt man zweitausendfünf, nicht zwanzighundertfünf. (Daneben hört man auch öfter das wahrscheinlich zum Teil englisch inspirierte zwanzig fünf.) Das gilt auch für Jahreszahlen ab 2100 wie zweitausendeinhundert, zweitausendeinhundertfünf, zweitausendeinhundertdreizehn usw. Auch hier ist einundzwanzighundertfünf oder einundzwanzighundertdreizehn nicht grundsätzlich falsch, aber (vorläufig?) nicht üblich. Was im 22. Jahrhundert gebräuchlich sein wird, wissen wir jetzt natürlich noch nicht.

Für Jahreszahlen wie 2100, 2105 und 2113 sagen Sie also am besten:

zweitausendeinhundert
zweitausendeinhundertfünf
zweitausendeinhundertdreizehn

Dann noch zu dieser Frage: Warum heißt es üblicherweise neunzehnhundertfünf, aber zweitausendfünf und zweitausendeinhundertfünf? Das hat unter anderem mit sprachlicher Effizienz zu tun:

neunzehnhundertfünf = 5 Silben
tausendneunhundertfünf = 6 Silben

zweitausendfünf = 4 Silben
zwanzighundertfünf = 5 Silben
(zwanzig fünf = 3 Silben)

zweitausendeinhundertfünf = 7 Silben
einundzwanzighundertfünf = 7 Silben
(einundzwanzig fünf = 5 Silben)

Von 1100 bis 1999 und von 2000 bis 2099 ist die Silbenanzahl der üblichen Variante geringer als die der jeweiligen Alternative. Ab 2100 gibt es keinen „Silbengewinn“, so dass es sich eigentlich nicht lohnt, von der normalen Zählung abzuweichen. (Vielleicht wird sich bis dann – oder dann erst recht – die Zählweise einundzwanzig fünf durchsetzen.)

Es kann auch noch andere Gründe geben: Vor allem, aber nicht nur im älteren Sprachgebrauch trifft man bei Angaben zwischen 1100 und 1999 häufig die Hunderterzählweise an, auch wenn es sich nicht um Jahreszahlen handelt:

ein Konzert vor zwölfhundert Leuten
ein Grundstück von fünfzehnhundert Quadratmetern
Sie ließen eine Flotte in die See gehen, die mit neunzehnhundert Mann Seetruppen bemannt war.

Ob diesen Angaben die „Silbeneffizienz“ zu Grunde liegt oder ob es sich wie bei Dutzend um eine ältere Zählweise handelt (wirklich regelmäßig zählen wir ja auch heute noch erst ab zwanzig), weiß ich leider nicht. Vielleicht spielt auch beides eine Rolle. Bei Jahreszahlen größer als 2000 waren und sind Angaben mit Hunderterzahlen jedenfalls nicht allgemein gebräuchlich. Ob sich das bis zur nächsten Jahrhundertwende noch ändern wird, weiß ich natürlich nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

„Von Montag bis Donnerstag“ und „ab Montag bis Donnerstag“

Frage

Ich habe eine Frage, die mich seit längerer Zeit beschäftigt. Ist dieser Gebrauch korrekt: „Heute ist ab 8 Uhr bis 12 Uhr geöffnet.“ oder „Die Angebote sind ab Montag bis Freitag gültig.“

Aus meiner Sicht erfüllt „ab“ als temporale Präposition den Zweck einen Anfangspunkt anzugeben, jedoch KEINEN Endpunkt. Es müsste „von-bis“ heißen. Auf zahlreichen Anzeigen, Plakaten und Prospekten findet man jedoch „ab-bis“.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

Ihr Zweifel ist berechtigt. Im Allgemeinen gibt man mit ab (wie mit von … an) einen Zeitpunkt an, der Anfangspunkt eines zeitlichen Ablaufs oder Zustandes ist:

Das Geschäft ist erst ab 8 Uhr geöffnet.
Ab dem 1. Februar sind wir wieder erreichbar.
Die Angebote sind ab Montag vier Tage lang gültig.

Mit von … bis … werden der Anfangs- und der Endpunkt eines zeitlichen Ablaufs oder Zustandes angegeben:

Das Geschäft ist heute von 8 bis 12 Uhr geöffnet.
Wir sind von Montag bis Freitag erreichbar.
Die Angebote sind von Montag bis Donnerstag gültig

In den meisten Fällen, in denen ab … bis … steht, wäre es deshalb besser, von … bis … zu verwenden.

Das ist aber keine festzementierte Regel. Wenn der Anfangspunkt betont wird und der Endpunkt als zusätzliche Information gemeint ist, sind auch Formulierungen mit ab … bis … gut vertretbar:

Ein Geschäft darf erst ab 8 Uhr und bis spätestens 17 Uhr geöffnet sein.
Wir sind ab nächstem [o. nächsten] Montag bis zum Monatsende täglich erreichbar.
Die Angebote sind ab Montagmorgen gültig, und dies bis Donnerstagabend.

Die Verbindung ab … bis … ist also nicht ausgeschlossen, es ist aber in den in der Regel stilistisch besser, sie nicht anstelle von von … bis … zu verwendet. Es ist also meist besser von Montag bis Donnerstag als ab Montag bis Donnerstag zu sagen und zu schreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Kommt „zum einen“ ohne „zum anderen“ aus? 

Frage

In der Dudengrammatik, Rz 1832, findet man diese Formulierung:

(…) Das Tempus codiert zum einen den zeitlichen Zusammenhang von Aussagen im Text. Darüber hinaus geben Tempora Informationen über die Diskurssituation, in der der Textinhalt zur Sprache kommt (…)

Muss nicht „zum anderen“ folgen statt „darüber hinaus“, wenn der Satz (wie oben) mit „zum einen“ beginnt? […] Gehören „zum einen“ und „zum anderen“ zwingend zusammen? Dasselbe gilt auch für „einerseits“ und „andererseits“. Kann in einem Satz, der „einerseits“ folgt, „andererseits“ auch mal ersatzlos fehlen?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

wer A sagt, muss auch B sagen. Das gilt häufig, aber nicht immer. Wer zum einen, einerseits oder erstens verwendet, weckt bei den Leserinnen oder Hörern automatisch die Erwartung nach zum anderen, andererseits bzw. zweitens. Es empfiehlt sich deshalb, diese Gliederungselemente immer zusammen zu verwenden. Lässt man den zweiten Teil weg, kann das verwirrend sein, weil etwas stark Erwartetes nicht realisiert wird.

Ersatzloses Weglassen des zweiten Elementes ist nicht möglich. Wie Ihr Zitat aus der Dudengrammatik zeigt (Zum einen … Darüber hinaus …), ist das paarweise Auftreten aber dennoch nicht zwingend.  Wenn es dem Verständnis nicht im Wege steht, kann der zweite Teil durch ein anderes verbindendes Element wie darüber hinaus oder aber auch ersetzt werden. Ich würde dieses Vorgehen nicht empfehlen, aber für grundsätzlich falsch halte ich es nicht – immer vorausgesetzt, dass die Gliederung dessen, was gesagt werden soll, deutlich bleibt.

Zum einen kann also ohne zum anderen auskommen, falls ein anderes Element die Gliederung verdeutlicht. Zu empfehlen ist es aber nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Reflexivpronomen oder Personalpronomen: Fragte er die Frau vor sich oder vor ihm in der Reihe?

Frage

Beim Lektorieren eines Werkes stieß ich einerseits auf Sätze wie:

Er sah die Lampe über sich
Er hörte die Frau hinter sich.

und andererseits:

Er fragte die Frau vor ihm in der Schlange.

Oder könnte auch „Er sah die Glocke über ihm“, „Er hörte die Frau hinter ihm“ oder „Er fragte die Frau vor sich in der Schlange“ richtig sein? Seit Tagen zermartere ich mein Hirn, weil ich dieses Phänomen einfach nicht logisch für mich klären kann und weil ich einfach nicht weiß, was richtig ist. […]

Antwort

Guten Tag Frau W.,

im Prinzip verwendet man das Reflexivpronomen sich dann anstelle des Personalpronomens, wenn das Pronomen sich auf das Subjekt bezieht. Dazu gibt es einige Ausnahmen (siehe hier), aber der Fall, um den es hier geht, gehört nicht dazu. Dennoch sind Ihre Zweifel gut verständlich.

Sicher richtig ist:

Er sah die Lampe über sich.
Er hörte die Frau hinter sich.
Er fragte die Frau vor sich in der Schlange.

Bezugswort des Pronomens ist jeweils das Subjekt des Satzes (Er). Die Verwendung des Reflexivpronomens sich ist also gerechtfertigt.

Warum zweifeln Sie trotzdem? Es ist bei diesen Sätzen in mehr oder weniger starkem Maße möglich, die Präpositionalgruppe zu einem Nebensatz zu erweitern. Das Pronomen bezieht sich dann nicht mehr auf das Subjekt dieses Nebensatzes, sondern auf das Subjekt des nun übergeordneten Satzes. Dann steht das Personalpronomen:

Er sah die Lampe [die] über ihm [hing]
Er hörte die Frau [die] hinter ihm [stand]
Er fragte die Frau [die] vor ihm in der Schlange [stand]

Vgl.

Er sah die über ihm hängende Lampe.
Er hörte die hinter ihm stehende Frau.
Er frage die vor ihm in der Schlange stehende Frau.

Möglich sollten also auch diese verkürzten Varianten sein:

Er sah die Lampe über ihm.
Er hörte die Frau hinter ihm.
Er fragte die Frau vor ihm in der Schlange.

Ich zweifle allerdings, ob die Varianten mit ihm von allen akzeptiert werden, zumal ohne Kontext nicht klar ist, ob dieses ihm sich nicht auch auf ein anderes männliches Substantiv beziehen könnte. Obwohl ich die Formulierung mit dem Personalpronomen ihm (insbesondere beim dritten Beispielsatz) nicht für falsch halte, würde ich empfehlen, in Fällen wie diesen das Reflexivpronomen sich zu verwenden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die vielen Male, die oder dass?

Frage

Was ist korrekt: „die vielen Male, wo …“, „die vielen Male, dass …“ oder „die vielen Male, die …“ – oder sonst etwas? Ich bin ratlos und finde nirgends etwas, das mir weiterhilft.

Antwort

Guten Tag Frau S.,

am besten wählen Sie hier dass:

Die vielen Male, dass ich das getan habe.

Ebenso wie:

Das erste/zweite/einzige/letzte/sovielte Mal, dass ich das getan habe.

Die Verwendung von wo gilt hier als umgangssprachlich und das Relativpronomen die bzw. im Singular das passt hier nicht.

Warum steht hier nicht das Relativpronomen das oder die, sondern die Konjunktion dass? Dafür gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten. Die erste lautet, dass man das Relativpronomen das immer durch welches und die durch welche ersetzen kann. Die zweite geht mehr auf die Funktion des Wörtchens ein:

Wenn man das Relativpronomen wählt, muss es im Relativsatz eine Funktion haben. Das ist zum Beispiel in seltenen Fällen wie diesen so:

Das ist das eine Mal, das mir noch in Erinnerung geblieben ist.
das = Subjekt; durch „welches“ ersetzbar

Das ist das einzige Mal, das ich hier erwähnen will.
das = Akkusativobjekt; durch „welches“ ersetzbar

Ebenso (die ist durch welche ersetzbar):

die vielen Male, die mir in Erinnerung geblieben sind
die wenigen Male, die ich hier erwähnen will

Die Sätze klingen zum Teil etwas ungewöhnlich.

In den meisten Fällen folgt aber auf Mal kein Relativsatz, sondern ein dass-Satz. Die Konjunktion dass hat keine andere Funktion, als den Nebensatz einzuleiten. Sie hat im Nebensatz selbst keine Funktion:

Das ist das einzige Mal, dass ich das getan habe.
dass = Konjunktion; nicht durch „welches“ ersetzbar
(nicht: Das ist das einzige Mal, *das ich das getan habe.)

die vielen Male, dass ich das getan habe
dass = Konjunktion; nicht  durch „welche“ ersetzbar
(nicht: die vielen Male, *die ich das getan habe)

die wenigen Male, dass sie ihre Eltern besucht haben
dass = Konjunktion; nicht  durch „welche“ ersetzbar
(nicht: die wenigen Male, *die sie ihre Eltern besucht haben)

Sie kommen nicht häufig vor, aber es gibt auch andere Konstruktionen, in denen ein dass-Satz von einem (nicht von einem Verb abgeleiteten) Substantiv abhängig ist:

Es ist (höchste) Zeit, dass ihr geht.
Das Problem, dass die beiden Wörter gleich klingen, macht das Schreiben nicht einfacher.

Im letzten Beispielsatz steht der Grund, weshalb das und dass manchmal zu Unsicherheiten und Zweifeln führen – und häufig auch einfach zu Flüchtigkeitsfehlern.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Desertion, Desertation, Desertifikation

Heute ein Beispiel dafür, dass auch bei Fachwörtern nicht immer alles ganz so eindeutig ist:

Frage

Was ist der korrekte Begriff für Fahnenflucht – „Desertion“ oder „Desertation“? Im Duden findet man nur „Desertion“, aber eigentlich scheint mir „Desertation“ geläufiger zu sein.

Antwort

Guten Tag Frau E.,

wenn Fahnenflucht gemeint ist, ist Desertion sicher richtig. Das Wort kommt über das französische désertion vom lateinischen Substantiv desertio, das zum Verb deserere (verlassen, aufgeben, desertieren) gehört. Wir haben also indirekt ein Substantiv übernommen, dass bereits im Lateinischen abgeleitet wurde:

lat. deserere → desertio
→ frz. désertion → dt. Desertion

Die Form Desertation kommt gelegentlich auch vor. Diese Form ist eine Ableitung, die im Deutschen stattgefunden hat. In Analogie mit zum Beispiel dekorieren → Dekoration, imitieren → Imitation, stabilisieren → Stabilisation wird sozusagen „regelmäßig“ (-ieren → -ation) vom Verb desertieren das Substantiv Desertation abgeleitet:

dt. desertieren → Desertation

Was ist nun richtig, die alte lateinische oder die neue heimische Ableitung? – Beides ist vertretbar. Ein kurzer Blick ins Internet und in einige Textkorpora zeigt allerdings, dass Desertation viel weniger häufig vorkommt als Desertion. Auch im schweizerischen und im österreichischen Militärstrafgesetz ist von Desertion die Rede. (Das deutsche Wehrgesetz hilft uns hier nicht viel weiter, denn es kennt nur den Tatbestand der Fahnenflucht.) Ich würde deshalb empfehlen, die gebräuchlichere Variante Desertion zu verwenden.

Dem Begriff Desertation begegnet man gelegentlich auch in der Erdkunde. Dort wird er mit der Bedeutung Wüstenbildung verwendet. Gebräuchlicher ist allerdings auch dort ein anderes Wort, nämlich Desertifikation, womit in der Regel durch menschliches Handeln verursachte Wüstenbildung gemeint ist. Daneben gibt es auch die natürliche Wüstenbildung, die – um es so richtig schön komplex zu machen – manchmal Desertation oder Desertion genannt wird.

Als Nicht-Erdkundler ist es mir leider nicht gelungen, genau herauszufinden, wer welchen Begriff für welche Art der Wüstenbildung verwendet. Das ist hier auch nicht so wichtig, denn bei Ihrer Frage ging es ja um die Fahnenflucht, also die Desertion (o. Desertation), die man wohl in keinem Zusammenhang mit der Wüstenbildung verwechseln kann.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp