Aus Angst oder vor Angst?

Frage

Erlauben Sie bitte die folgende Frage: Wo liegt in Bezug auf die Semantik der Unterschied zwischen „aus Angst“ und „vor Angst“?

Antwort

Guten Tag Herr M.,

man kann sagen, dass aus Angst den Grund für eine bewusste Handlung angibt. Man hat Angst und diese Angst ist die Ursache für eine bewusste Reaktion:

aus Angst schweigen
aus Angst handeln
aus Angst vor etwas flüchten

Mit vor Angst gibt man den Grund für eine unwillkürliche Reaktion an. Man hat Angst und diese Angst löst eine Reaktion aus, auf die man selbst keinen Einfluss hat:

vor Angst zittern
vor Angst weinen
vor Angst außer sich sein

Die Trennung wird aber nicht immer von allen genau so eingehalten. Sie ist auch nicht immer so eindeutig. So wäre es zum Beispiel bei einem verängstigten Hund schwierig zu entscheiden, ob er sich bewusst aus Angst oder unbewusst vor Angst hinter dem Sofa versteckt.

Auch der bildliche Sprachgebrauch, dessen wir uns häufig bedienen, steht einer genauen Trennung im Weg. Wenn wir aus Angst wegrennen, haben wir Angst und beschließen wir selbst, wegzurennen. Wenn wir vor Angst wegrennen, haben wir Angst und rennen unwillkürlich weg, ohne dass wir dies vorher bewusst entscheiden. Im ersten Fall entscheiden wir selbst, im zweiten Fall übernimmt bildlich die Angst die Entscheidung. Und wenn die Angst groß genug ist oder unerwartet schnell aufkommt, lässt sich wahrscheinlich kaum entscheiden, ob wir nun aus oder vor Angst wegrennen.

Mehr hierzu und dass es auch für zum Beispiel aus/vor Freude, aus/vor Zorn, aus/vor Leidenschaft, aus Überzeugung und vor Anstrengung gilt, finden Sie in diesem schon ziemlich alten Blogartikel.

Mit freundlichem Gruß

Dr. Bopp

Schweizer, Norweger, Ägypter – Einwohnerbezeichnungen als Adjektiv

Frage

Im Zusammenhang mit Toponymen gibt es jeweils Suffixe zur Bildung der Einwohnerbezeichnung und Herkunftsbezeichnung. Für England zum Beispiel haben wir so den Engländer, die Engländerin und die englische Woche. Aber für die Schweiz unterscheide ich die schweizerischen Eisenbahnen, die Schweizerischen Bundesbahnen und den Schweizer (indeklinables Adjektiv) Käse.

Das Suffix -er gibt es anscheinend immer für Bundesländer und Städte, so wie in der Thüringer Rostbratwurst und dem Hamburger Rathaus, nicht aber für alle Länder und Staaten, denn z. B. das Adjektiv „Engländer“ kenne ich nicht. […]

Kennen Sie eine Regel, für welche Toponyme es die zugehörigen Adjektive mit der Endung -er gibt?

Antwort

Guten Tag Herr H.,

viele Einwohnerbezeichnungen auf -er können tatsächlich auch als unveränderliche Adjektive verwendet werden. Bei Städten, Regionen, Bundesländern und Kantonen scheint dies fast überall der Fall zu sein. Wenn es eine Einwohnerbezeichnung auf -er gibt, kann dieselbe Form auch als ungebeugtes Adjektiv verwendet werden:

Berliner Pfannkuchen, Dresd[e]ner Tourismus, Frankfurter Banken, Grazer Bürgermeisterin, Salzburger Verkehrsbund, Thuner Altstadt, Zür[i]cher Bevölkerung; Florentiner Innenstadt, Osloer Verträge, New-Yorker Wolkenkratzer, Pariser Metro, Seouler Garten

Bayerische Weißwurst, Baden-Württemberger Wein, Thüringer Bratwurst, Mecklenburger Sauerfleisch, Tiroler Speck, Vorarlberger Bergkäse, Aargauer Karottenkuchen (Rüeblitorte), Tessiner Luganighe

Nicht alle Einwohnerbezeichnungen sind gleichermaßen auch als Adjektiv gebräuchlich und manche wie Pommer oder Sizilianer kommen nicht oder kaum adjektivisch vor. Im großen Ganzen handelt es sich aber beim oben Gesagten um eine sehr starke Tendenz.

Wie Sie richtig bemerken, sieht die Lage bei Ländern bzw. Staaten anders aus. Während

Schweizer, Liechtensteiner, Luxemburger, Moldauer, Hongkonger, Kameruner, Singapurer

als Adjektive sehr oder relativ gebräuchlich sind, kommen die folgenden Adjektive mehr oder weniger selten vor:

Litauer, Malteser, Norweger, Ukrainer

Nicht als Adjektiv verwendet werden üblicherweise:

Albaner, Andorraner, Belgier, Bosnier (aber: Herzegowiner Bevölkerung), Engländer, Isländer, Italiener, Montenegriner, Niederländer, Österreicher, Spanier;
Ägypter, Amerikaner, Argentinier, Äthiopier, Australier, Brasilianer, Equadorianer, Georgier, Indier, Iraker, Kanadier, Koreaner, Indonesier, Japaner, Mexikaner, Sudaner, Surinamer …

Die Einteilung in drei Gruppen ist mehr oder weniger willkürlich und die Grenzen dazwischen sind fließend.

Der langen Rede kurzer Sinn: Ich kann keine festen Regeln finden oder herleiten, die beschreiben, bei welchen Ländern die Einwohnerbezeichnung auf -er auch als nicht beugbares Adjektiv verwendet wird. Warum Formulierungen wie die Schweizer Berge üblich, die Norweger Fjorde selten und die Ägypter Pyramiden unüblich sind, vermag ich also leider nicht zu erklären.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ein Personendatum, gibt es das?

Frage

Ich wurde gefragt, ob es einen Singular für „personenbezogene Daten“ gibt und habe das verneint. Im Speziellen ging es hier darum, ob man sagen könne, ein Nachname sei ein „personenbezogenes Datum“.

Für mich klingt das absurd. Ich würde immer sagen, ein Nachname ist eine personenbezogene Information oder ähnliches. Aber vielleicht liege ich auch falsch.

Als Begründung hatte ich geantwortet, dass „Daten“ sich in diesem Kontext nicht auf die Pluralform von „Datum“ (ein Name ist kein Datum) bezieht, sondern hier gleichbedeutend mit zum Beispiel „Fakten/Angaben/Informationen“ ist. Mit dieser Bedeutung ist das Wort „Daten“ ein Pluralwort.

Antwort

Guten Tag Frau S.,

die Antwort lautete hier „Jein“. Ihre Begründung ist im Prinzip korrekt. Daten mir der Bedeutung Angaben, Informationen ist ein Pluralwort. Der Singular Datum wird im Allgemeinen nur für einen Kalendertag oder einen Zeitpunkt verwendet. Siehe zum Beispiel die Angaben in DWDS unter Daten und Datum.

So sind auch Zusammensetzungen wie Eckdaten, Konjunkturdaten, Kontaktdaten, Kundendaten, Messdaten, Nutzerdaten, Stammdaten, Unternehmensdaten, Wetterdaten, Vorratsdaten, Zugangsdaten u.v.a.m. nur im Plural gebräuchlich. Auch das Wort Personendaten und die Verbindung personenbezogene Daten werden im Allgemeinen nur im Plural verwendet. So weit herrscht Einigkeit zwischen Ihnen, mir und den Wörterbüchern.

Und nun kommt das Aber: Fachsprachlich wird selten auch der Singular Personendatum bzw. personengebundenes Datum verwendet (sagt auch ein Wörterbuch, siehe hier):

Weil die Religionszugehörigkeit aber ein besonderes Personendatum ist, ist eine unmittelbare gesetzliche Grundlage notwendig.

Am Begriff des Personendatums hat sich auch mit der DSGVO nichts geändert.

Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass die Wohnadresse ohne Namensnennung kein personenbezogenes Datum ist.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, eine dynamische IP-Adresse sei in Verbindung mit dem Zeitpunkt des über sie vorgenommenen Zugriffs ein personenbezogenes Datum, sofern der Nutzer der Website während des Vorgangs seine Personalien angegeben habe […]

Ich kannte diesen Singular auch nicht und hielt ihn zunächst für falsch. Ich würde sowieso empfehlen, Personendaten und personenbezogene Daten nur im Plural zu verwenden und im Singular eine andere Formulierung zu wählen:

Der Nachname ist eine personenbezogene Angabe/Information.
Der Nachname gehört zu den personenbezogenen Daten.

In einem rein fachsprachlichen Kontext – zum Beispiel unter Datenschutzbeauftragten oder juristischen Fachleuten – ist der Singular Personendatum bzw. personenbezogenes Datum offenbar nicht völlig ungebräuchlich. Auch für andere Fachbegriffe der Form -daten kommt wahrscheinlich fachsprachlich gelegentlich der entsprechende Singular -datum vor. Außerhalb eines solchen fachlichen Kontextes wirkt ein Singular wie Personendatum oder personenbezogenes Datum aber irritierend.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Suppe als oder zur Vorspeise?

Auch bei der Verwendung der Präpositionen und Konjunktionen gibt es häufig keine hieb- und stichfesten Regeln, die immer und überall gelten. Das zeigt auch die Antwort auf die folgende Frage:

Frage

Wie sollte man bei einer Bestellung im Restaurant lieber sagen:

Zur Vorspeise nehme ich …
Als Vorspeise nehme ich …

Antwort

Guten Tag Herr M.,

die beste Wahl ist hier als:

Als Vorspeise nehme ich die Tagessuppe.

Das liegt daran, dass die Suppe die Vorspeise ist. Eine Vorspeise ist ein Gericht, nicht der Zeitpunkt, zu dem ein Gericht serviert wird. Das gilt auch für Hauptspeise und Nachspeise:

Mit Brot und einem Salat kann man die Muscheln auch als Hauptspeise servieren.
Als Nachspeise wurden frische Erdbeeren mit Schlagsahne gereicht.

Die Präposition zu passt dann gut, wenn angegeben wird, was diese Speisen begleitet:

Brot mit Butter zur Vorspeise reichen
einen italienischen Rotwein zur Hauptspeise einschenken
zur Nachspeise einen starken Kaffee mit Zucker nehmen

Ein bisschen anders sieht es bei Nachtisch und Dessert aus. Diese beiden Wörter werden häufig nicht als Bezeichnungen für ein Gericht, sondern auch als Namen für die „Etappe“ einer Mahlzeit angesehen. Deshalb steht hier neben als auch zum:

Es wurde Himbeereis als/zum Nachtisch serviert.
Als/Zum Dessert gibt es selbstgebackene Brownies.

Hüten Sie sich aber davor, diese Angaben als feste Regeln zu sehen, an die sich alle halten oder halten müssen! Vielleicht unter dem Einfluss von Nachtisch und Dessert hört und liest man auch immer wieder, dass ein Carpaccio zur Vorspeise oder ein frischer Fruchtsalat zur Nachspeise serviert wird. Das ist nicht unbedingt falsch, aber aus den oben genannten Gründen stilistisch weniger gelungen. Zur Streitfrage sollte es sowieso nicht werden, denn die Hauptsache ist ja, dass es schmeckt!

Mir freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Billig und günstig

Frage

Seit einiger Zeit wird das Wort „billig“ durch „günstig“ ersetzt, was mich jedesmal schaudern macht. Da ist dann von „günstigen Ostern“ oder „günstig serviert“ (Supermarkt-Prospekt) die Rede. […] Woher kommt diese Wortwandlung und bin ich der einzige der sich daran stört?

Antwort

Guten Tag Herr R.,

manchmal wird die Verwendung von günstig im Sinne von billig als umgangssprachlich bezeichnet. In zum Beispiel Duden werden aber keine stilistischen Angaben gemacht:

a) durch seine Art oder [zufällige] Beschaffenheit geeignet, jemandem einen Vorteil oder Gewinn zu verschaffen, die Vorzüge einer Person oder Sache zur Geltung zu bringen, ein Vorhaben oder das Gedeihen einer Sache zu fördern: […]

b) billig, preiswert:  […]

[Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Eintrag „günstig“]

Es ist also üblich, das Wort günstig auch in Bezug auf Preise und Kosten zu verwenden. Dazu, wo genau die Bedeutung billig von günstig herkommt, finde ich leider keine Angaben. Es ist aber gut verständlich, denn ein niedriger Preis ist für Käufer und Käuferinnen oder zumindest deren Geldbeutel vorteilhaft, also günstig. In dieselbe Richtung weisen auch Wortbildungen wie preisgünstig und kostengünstig. In diesem Sinne könnte günstig auch einfach als Verkürzung dieser Begriffe angesehen werden.

Weiter umgeht günstig wie zum Beispiel auch preiswert oder preisgünstig die negative Beibedeutung, die billig haben kann. Etwas, was billig ist, kann qualitativ schlecht sein. Bei günstig schwingt diese Bedeutung nicht mit. Deshalb klingt in einen Reklamepropekt günstige Ostern besser als billige Ostern. Ersteres kostet vergleichsweise wenig, Letzteres kann auch einen eher dürftigen, ärmlichen Eindruck machen. Als Gebrauchtwagen kann eine Ferrari vielleicht günstig sein, wirklich billig wird er aber nie. Bei billigen Luxusuhren würde ich zu noch größerer Vorsicht raten als bei günstigen Angeboten. Und ich habe – vielleicht ganz zu Unrecht – mehr Vertrauen in die Qualität günstiger Schuhe als in die Qualität billiger Schuhe.

Ob Sie sich als Einziger an der Verwendung von günstig im Sinne von preislich vorteilhaft stören, weiß ich natürlich nicht, aber ich kannte diese Kritik bis jetzt nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

An etwas leiden und unter etwas leiden

Frage

Zurzeit beschäftige ich mit dem Verb „leiden“. Unter dem Duden-Eintrag „leiden“ finden wir folgende Beispiele:

• an Rheuma, an Bronchitis leiden
• sie leidet an einem hartnäckigen Ekzem, unter ständigen Kopfschmerzen
• sie leidet sehr unter seiner Unzuverlässigkeit, unter ihrer Einsamkeit, unter ihrem Chef
•  er litt an, unter dem Gefühl der Unsicherheit

Wie man den Beispielen entnehmen kann, steht das Verb „leiden“ mal in Verbindung mit der Präposition „an“, mal mit der Präposition „unter“. Wann verwende ich welche Präposition? […]

Antwort

Guten Tag Herr B.,

es gibt keine strenge Abgrenzung zwischen leiden an und leiden unter. Den Bedeutungsunterschied könnte man wie folgt zu beschreiben versuchen:

an X leiden = man hat das Leiden X
unter X leiden = X verursacht, dass man leidet

Wenn man ein Leiden hat (leiden an), kann dieses Leiden Beschwerden verursachen (leiden unter). Der Übergang ist häufig fließend, denn wenn man ein Leiden hat, leidet man häufig auch darunter. Zum Beispiel:

Ich leide an Kopfschmerzen
= Ich habe häufig/regelmäßig Kopfschmerzen
Ich leide unter Kopfschmerzen
= Kopfschmerzen verursachen mir Beschwerden

Ich leide an Schlafstörungen
= Schlafstörungen sind meine Krankheit
Ich leide unter Schlafstörungen
= Schlafstörungen bewirken, dass ich leide

Aber nicht immer ist beides möglich. Es gibt Formulierungen, in denen nur die eine oder nur die andere Variante in Frage kommt:

Sie leiden an Selbstüberschätzung.

Wer das „Leiden“ hat, das man Selbstüberschätzung nennt, empfindet deswegen keine Beschwerden (im Gegenteil).

Die Natur leidet unter dem Massentourismus.

Der Massentourismus ist nicht ein Leiden oder eine Krankheit der Natur. Er verursacht aber Leiden/Schaden für die Natur.

Ob man an oder unter etwas leidet, hängt davon ab, ob angegeben wird, welches Leiden jemand/etwas hat (leiden an), oder ob etwas als als Ursache von Leiden genannt wird (leiden unter). In vielen, aber nicht allen Fällen sind beide Sehensweisen möglich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Passiv und passivisch

Frage

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Unterschied zwischen „passiv“ und „passivisch“ erhellen könnten.

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

außerhalb der Linguistik oder ohne Bezug auf die Sprache kommt passivisch kaum vor. Ich beschränke die Antwort deshalb auf die Verwendung der beiden Adjektive in der Sprachwissenschaft. Um es gleich vorwegzunehmen: Einen eindeutigen Unterschied gibt es nicht.

Das Adjektiv passivisch ist eine Ableitung des Substantivs Passiv:

passiv →  Passiv → passivisch

Im Allgemeinen wird in der Sprachwissenschaft passivisch verwendet, wenn im Passiv stehend, das Passiv betreffend gemeint ist:

die passivischen Formen des Verbs
eine Satz im Aktiv mit passivischer Bedeutung
die passivische Adjektivendung „-bar“

Die sprachwissenschaftliche Terminologie wäre aber nicht die sprachwissenschaftliche Terminologie, wenn man nicht an jeder zweiten Ecke einer Ausnahme begegnete. So wird des Öfteren passiv verwendet, wo man nach dem oben Gesagten passivisch erwarten würde:

die passiven Formen des Verbs
eine Konstruktion mit passiver Bedeutung

Wenn ein Bezug zum grammatischen Passiv gemeint ist, kommen daneben oft Zusammensetzungen mit Passiv- vor:

die Passivformen des Verbs
eine Passivkonstruktion

Das Adjektiv passiv wird in der Sprachwissenschaft häufig in Verbindungen wie der passive Wortschatz verwendet. Der passive Wortschatz ist der Teil des Wortschatzes, den ein Mensch versteht, selbst aber nicht aktiv gebraucht (ebenso zum Beispiel: passive Sprachkompetenz, passive Sprachkenntnisse, passive Sprachbeherrschung usw.).

Eine eindeutige Unterscheidung gibt es wie gesagt nicht. Wenn Sie passivisch verwenden, wenn es um das Passiv geht, und passiv, wenn von Sprachkenntnissen und Sprachbeherrschung die Rede ist, dann liegen Sie in der Regel richtig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Im Jahr 2100 (zweitausendeinhundert oder einundzwanzighundert?)

Frage

Wie schreibt man die Jahreszahlen ab 2100 in Worten? Wie spricht man sie aus? Zum Beispiel 2113: „zweitausendeinhundertdreizehn“ oder „einundzwanzighundertdreizehn“? Welche Variante ist korrekt?

Antwort

Guten Tag K,

es gibt keine verbindliche Regel, wie man solche Jahreszahlen aussprechen muss. Es gibt aber einige allgemein bekannte Konventionen:

Es ist üblich, die Jahreszahlen zwischen 1100 (elfhundert) und 1999 (neunzehnhundertneunundneunzig) mit Hunderterzahlen anstatt mit (ein)tausend…hundert auszusprechen. Für zum Beispiel 1905, 1789 oder 1291 sagt man entsprechend neunzehnhundertfünf, siebzehnhundertneunundachzig und zwölfhunderteinundneunzig. Es ist aber nicht grundsätzlich falsch, tausendneunhundertfünf oder im Jahr tausendzweihunderteinundneunzig zu sagen, es ist nur nicht üblich.

Ab 2000 zählt man nicht mehr mit Hunderterzahlen, sondern man geht wieder zum „normalen“ Tausendersystem über. Für 2005 sagt man zweitausendfünf, nicht zwanzighundertfünf. (Daneben hört man auch öfter das wahrscheinlich zum Teil englisch inspirierte zwanzig fünf.) Das gilt auch für Jahreszahlen ab 2100 wie zweitausendeinhundert, zweitausendeinhundertfünf, zweitausendeinhundertdreizehn usw. Auch hier ist einundzwanzighundertfünf oder einundzwanzighundertdreizehn nicht grundsätzlich falsch, aber (vorläufig?) nicht üblich. Was im 22. Jahrhundert gebräuchlich sein wird, wissen wir jetzt natürlich noch nicht.

Für Jahreszahlen wie 2100, 2105 und 2113 sagen Sie also am besten:

zweitausendeinhundert
zweitausendeinhundertfünf
zweitausendeinhundertdreizehn

Dann noch zu dieser Frage: Warum heißt es üblicherweise neunzehnhundertfünf, aber zweitausendfünf und zweitausendeinhundertfünf? Das hat unter anderem mit sprachlicher Effizienz zu tun:

neunzehnhundertfünf = 5 Silben
tausendneunhundertfünf = 6 Silben

zweitausendfünf = 4 Silben
zwanzighundertfünf = 5 Silben
(zwanzig fünf = 3 Silben)

zweitausendeinhundertfünf = 7 Silben
einundzwanzighundertfünf = 7 Silben
(einundzwanzig fünf = 5 Silben)

Von 1100 bis 1999 und von 2000 bis 2099 ist die Silbenanzahl der üblichen Variante geringer als die der jeweiligen Alternative. Ab 2100 gibt es keinen „Silbengewinn“, so dass es sich eigentlich nicht lohnt, von der normalen Zählung abzuweichen. (Vielleicht wird sich bis dann – oder dann erst recht – die Zählweise einundzwanzig fünf durchsetzen.)

Es kann auch noch andere Gründe geben: Vor allem, aber nicht nur im älteren Sprachgebrauch trifft man bei Angaben zwischen 1100 und 1999 häufig die Hunderterzählweise an, auch wenn es sich nicht um Jahreszahlen handelt:

ein Konzert vor zwölfhundert Leuten
ein Grundstück von fünfzehnhundert Quadratmetern
Sie ließen eine Flotte in die See gehen, die mit neunzehnhundert Mann Seetruppen bemannt war.

Ob diesen Angaben die „Silbeneffizienz“ zu Grunde liegt oder ob es sich wie bei Dutzend um eine ältere Zählweise handelt (wirklich regelmäßig zählen wir ja auch heute noch erst ab zwanzig), weiß ich leider nicht. Vielleicht spielt auch beides eine Rolle. Bei Jahreszahlen größer als 2000 waren und sind Angaben mit Hunderterzahlen jedenfalls nicht allgemein gebräuchlich. Ob sich das bis zur nächsten Jahrhundertwende noch ändern wird, weiß ich natürlich nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

„Von Montag bis Donnerstag“ und „ab Montag bis Donnerstag“

Frage

Ich habe eine Frage, die mich seit längerer Zeit beschäftigt. Ist dieser Gebrauch korrekt: „Heute ist ab 8 Uhr bis 12 Uhr geöffnet.“ oder „Die Angebote sind ab Montag bis Freitag gültig.“

Aus meiner Sicht erfüllt „ab“ als temporale Präposition den Zweck einen Anfangspunkt anzugeben, jedoch KEINEN Endpunkt. Es müsste „von-bis“ heißen. Auf zahlreichen Anzeigen, Plakaten und Prospekten findet man jedoch „ab-bis“.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

Ihr Zweifel ist berechtigt. Im Allgemeinen gibt man mit ab (wie mit von … an) einen Zeitpunkt an, der Anfangspunkt eines zeitlichen Ablaufs oder Zustandes ist:

Das Geschäft ist erst ab 8 Uhr geöffnet.
Ab dem 1. Februar sind wir wieder erreichbar.
Die Angebote sind ab Montag vier Tage lang gültig.

Mit von … bis … werden der Anfangs- und der Endpunkt eines zeitlichen Ablaufs oder Zustandes angegeben:

Das Geschäft ist heute von 8 bis 12 Uhr geöffnet.
Wir sind von Montag bis Freitag erreichbar.
Die Angebote sind von Montag bis Donnerstag gültig

In den meisten Fällen, in denen ab … bis … steht, wäre es deshalb besser, von … bis … zu verwenden.

Das ist aber keine festzementierte Regel. Wenn der Anfangspunkt betont wird und der Endpunkt als zusätzliche Information gemeint ist, sind auch Formulierungen mit ab … bis … gut vertretbar:

Ein Geschäft darf erst ab 8 Uhr und bis spätestens 17 Uhr geöffnet sein.
Wir sind ab nächstem [o. nächsten] Montag bis zum Monatsende täglich erreichbar.
Die Angebote sind ab Montagmorgen gültig, und dies bis Donnerstagabend.

Die Verbindung ab … bis … ist also nicht ausgeschlossen, es ist aber in den in der Regel stilistisch besser, sie nicht anstelle von von … bis … zu verwendet. Es ist also meist besser von Montag bis Donnerstag als ab Montag bis Donnerstag zu sagen und zu schreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Kommt „zum einen“ ohne „zum anderen“ aus? 

Frage

In der Dudengrammatik, Rz 1832, findet man diese Formulierung:

(…) Das Tempus codiert zum einen den zeitlichen Zusammenhang von Aussagen im Text. Darüber hinaus geben Tempora Informationen über die Diskurssituation, in der der Textinhalt zur Sprache kommt (…)

Muss nicht „zum anderen“ folgen statt „darüber hinaus“, wenn der Satz (wie oben) mit „zum einen“ beginnt? […] Gehören „zum einen“ und „zum anderen“ zwingend zusammen? Dasselbe gilt auch für „einerseits“ und „andererseits“. Kann in einem Satz, der „einerseits“ folgt, „andererseits“ auch mal ersatzlos fehlen?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

wer A sagt, muss auch B sagen. Das gilt häufig, aber nicht immer. Wer zum einen, einerseits oder erstens verwendet, weckt bei den Leserinnen oder Hörern automatisch die Erwartung nach zum anderen, andererseits bzw. zweitens. Es empfiehlt sich deshalb, diese Gliederungselemente immer zusammen zu verwenden. Lässt man den zweiten Teil weg, kann das verwirrend sein, weil etwas stark Erwartetes nicht realisiert wird.

Ersatzloses Weglassen des zweiten Elementes ist nicht möglich. Wie Ihr Zitat aus der Dudengrammatik zeigt (Zum einen … Darüber hinaus …), ist das paarweise Auftreten aber dennoch nicht zwingend.  Wenn es dem Verständnis nicht im Wege steht, kann der zweite Teil durch ein anderes verbindendes Element wie darüber hinaus oder aber auch ersetzt werden. Ich würde dieses Vorgehen nicht empfehlen, aber für grundsätzlich falsch halte ich es nicht – immer vorausgesetzt, dass die Gliederung dessen, was gesagt werden soll, deutlich bleibt.

Zum einen kann also ohne zum anderen auskommen, falls ein anderes Element die Gliederung verdeutlicht. Zu empfehlen ist es aber nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp