Er macht ein[’n] Fehler – falscher Nominativ oder (fast) unhörbarer Akkusativ?

Frage

Seit geraumer Zeit stelle ich fest, dass für unbestimmte Artikel und Possessivpronomen im Maskulinum Akkusativ gehäuft der Nominativ verwendet wird.

Diesen Wechsel höre ich überall im Alltag, jedoch mittlerweile auch in Filmen, Dokumentationen und Nachrichten. Ist das eine bekannte Entwicklung? Das ist doch einfach fehlerhaft oder habe ich ein Missverständnis?

Beispiele aus dem TV (gestern innerhalb von 3 Stunden):

Ich hab’ kein Schlaf.
Ein Augenblick!
Er macht ein Fehler.
Wir haben ein Hund.
Wenn sie kein Ehevertrag haben, …
Ich mach mir ein Kaffee.
Ich habe auch mein Stolz!
Er soll sich um sein Kram kümmern.
Nehmen Sie ein Schirm mit, es könnte regnen.

Antwort

Guten Tag D.,

auch Muttersprachler und Muttersprachlerinnen verwechseln im „Hochdeutschen“ je nach unterliegendem Dialekt manchmal den Akkusativ und den Nominativ. Das kann dann passieren, wenn es den Unterschied im Dialekt nicht oder kaum gibt. Ich vermute aber, dass dies hier nicht der Fall ist. Es handelt sich bei den Äußerungen, die Sie irritieren, sehr wahrscheinlich nicht um falsche Nominative, sondern um nicht gut hörbare Akkusative.

In der eher informellen (schnell) gesprochenen Sprache fällt bei unbetontem -el, -em und -en am Wortende je nach Region häufig das unbetonte e aus (fachsprachlich unter anderem: optionale Schwa-Tilgung in Reduktionssilben; silbische Konsonanten**). In der geschriebenen Sprache beibt das weggefallene e in der Regel erhalten. Ich schreibe es hier zur Verdeutlichung als Apostroph:

Apf’l (Apfel)
eit’l (eitel)
kein’m (keinem)
rot’m (rotem)
red’n (reden)
les’n (lesen)
Blum’n o. Blum’m (Blumen)

Wenn das unbetonte e der Endung -en nach einem n ausfällt, folgen zwei n aufeinander. Das ist bei schnellerem Sprechen kaum oder gar nicht zu hören**:

Banan’n (Bananen)
spinn’n (spinnen)

Entsprechend auch:

Ich hab kein’n Schlaf.
Ein’n Augenblick!
Er mach ein’n Fehler.
Wir haben ein’n Hund.
Wenn sie kein’n Ehevertrag hab’n …
Ich mach mir ein’n Kaffee.
Ich hab auch mein’n stolz!
Er soll sich um sein’n Kram kümmern.
Nehm’n Sie ein’n Schirm mit!

Ich weiß natürlich nicht mit Sicherheit, ob dies in alle Ihren Beispielen der Fall ist, aber ich vermute, dass es sich in der Regel um eine solchen Ausfall des unbetonten e handelt. Sie haben also sehr wahrscheinlich keine falschen Nominative, sondern kaum/nicht hörbare Akkusative gehört.

Mit freundlich’n Grüß’n

Dr. Bopp

** Was nach dem e-Ausfall übrig bleibt, behält seinen Wert als Silbe. Das ist bei langsamem Sprechen gut zu hören:

A-pf’l
ei-t’l
kei-n’m
re-d’n
ei-n’n
kei-n’n
mei-n’n

4 Gedanken zu „Er macht ein[’n] Fehler – falscher Nominativ oder (fast) unhörbarer Akkusativ?“

  1. Was mir in dem Zusammenhang einfällt: Mein Sohn hatte etwa im Alter 12 bis 17 (also jetzt 4 Jahre her) viele Wörter auf -en als -ne ausgesprochen (also nicht -n, wie oben). Ob er das nur bei Verben/Infinitiven gemacht hatte oder auch bei Substantiven, weiß ich nicht mehr. Mein Eindruck war, das ist Jugendsprache.

  2. Nur wer jugendlich ist oder sich eingehend mit der Jugendsprache befasst, kann Aussagen darüber machen, ohne das Risiko zu laufen, etwas Falsches zu sagen und sich lächerlich zu machen. Da die Jugendsprache nicht meine Spezialität ist und ich das Alter, in der man sie „gefahrlos“ verwenden kann, schon vor vielen Jahren hinter mir gelassen habe, kann ich Ihnen nur für Ihre Beobachtung danken. Eine „Erkärung“ zu geben, wage ich nicht.

  3. Es kommt auch in der geschriebenen Sprache vor: „Mädchen können kein Fußball spielen“ – so heißt
    ein Dokumentarfilm über die Geschichte des Frauenfußballs, nachzulesen in der ARD Mediathek.
    Also doch eine „Entwicklung“, wie die Person „D“ vermutet? Abgesehen davon, dass es nicht „kein“, sondern eher „nicht“ heißen müsste.

  4. Bei kein in der umgangssprachlichen Formulierung kein Fußball spielen (statt nicht Fußball spielen) handelt es sich wahrscheinlich nicht um einen Nominativ, der nicht passt, sondern um ein Neutrum, das standardsprachlich auch nicht ganz richtig ist. Viele Spiele und Sportarten sind sächlich. Vgl.

    Sie spielen kein Tennis / kein Golf / kein Volleyball / kein Schach / kein Fangen / …

    Analog dazu ebenfalls mit „kein“

    Sie spielen kein Fußball
    Sie können kein Fußball spielen

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