Frage
Mich quält seit einiger Zeit die Frage, wie der folgende Satz eigentlich richtig lautet:
Mein Onkel war verwirrt, er wusste gestern nicht mehr, wo er war.
Oder müsste es wie folgt heißen:
Mein Onkel war verwirrt, er wusste gestern nicht mehr, wo er ist.
Ich denke, ich würde es spontan vielleicht sogar richtig sagen, doch sobald man anfängt über etwas nachzudenken, geht es nicht mehr.
Antwort
Guten Tag Herr B.,
es gibt im Deutschen kaum feste Regeln zur Abfolge der Zeiten. Vieles ist möglich. Welche Zeitform man in Ihrem Beispiel wählt, hängt unter anderem davon ab, ob ein Gegenwartsbezug besteht oder nicht.
Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er ist.
Hier wird ein deutlicher Gegenwartsbezug hergestellt. Der Onkel ist zum Sprechzeitpunkt immer noch an demselben Ort, an dem er auch gestern war (und normalerweise ist).
Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er war.
Hier wird kein Gegenwartsbezug hergestellt. Es wird nichts darüber ausgesagt, ob der Onkel zum Sprechzeitpunkt noch am gleichen Ort wie gestern ist oder ob er jetzt an einem anderen Ort ist. Was zutrifft, ergibt sich (wenn es überhaupt wichtig ist) aus dem weiteren Zusammenhang. Zum Beispiel:
Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er war, aber jetzt ist er wieder zu Hause und nicht mehr verwirrt.
Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er ist/war, aber jetzt erkennt er sein Zimmer wieder.
Das Präteritum wusste im Hauptsatz und das Verb sein in Nebensatz machen die Wahl für war in diesem Satz wahrscheinlicher. Falsch ist ist aber nicht. Vgl. zum Beispiel:
Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er wohnt.
Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er wohnte.
Hier sind sogar noch weitere Zeitverhältnisse denkbar. Welche Zeitform man in solchen Fällen wählt, ist also eine Frage, die sich oft nicht so einfach und eindeutig beantworten lässt. Wichtig für das genaue Verständnis ist nicht unbedingt die gewählte Zeitform, sondern – wie so oft – der engere und weitere Zusammenhang.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp