Sich von jemandem scheiden – lassen

Frage

Man hört immer häufiger: „Ich scheide mich von dir!“ Ist dies einfach nur bedauerlich oder auch grammatikalisch falsch? Kann man sich also aktiv von jemandem scheiden oder muss man sich scheiden lassen?

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

wenn es um eine Ehescheidung geht, ist die scheidende Instanz (= das Subjekt der Verbhandlung) eine Richterin, ein Richter, das Gericht o. Ä. Man kann deshalb in der deutschen Sprache nicht sagen: „Ich scheide mich von dir!“ Das würde bedeuten, dass man die Scheidung selbst aussprechen kann. Man kann es natürlich versuchen, aber eine solche Scheidung ist noch nicht einmal dann rechtsgültig, wenn ein Richter seine eigene Ehe in dieser Weise beenden will.

Wenn man seinem Gatten oder seiner Gattin eine Ehescheidung ankündigt, stehen einem eine Reihe anderer, korrekter Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung. Zum Beispiel:

Ich lasse mich von dir scheiden.
Ich will von dir geschieden werden.
Ich reiche die Scheidung ein.
Du hörst noch von meinen Anwalt.

Man kann im Deutschen auch sagen: „Ich scheide von dir.“ Das bedeutet aber nicht, dass eine Ehescheidung ansteht, sondern nur, dass man jemanden verlässt, bei jemandem weggeht. Außerdem klingt diese Formulierung recht veraltet oder sehr gehoben. Auch sich scheiden gibt es, aber dann geht es zum Beispiel um Wege, die sich scheiden, oder um einen Meeresstrom, der sich in mehrere Arme teilt.

Die richtige Formulierung lautet also: „Ich lasse mich von dir scheiden!“ Auch eine grammatisch korrekte Ausdrucksweise macht aber leider eine Scheidung kein bisschen einfacher.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Zweimal werden in einem Satz

Frage

In einer Zeitung las ich folgenden Satz: Die Weltmeisterschaft wird ohne uns stattfinden werden. Es scheint mir übeflüssig zu sein, in diesem Satz zweimal das Wort werden zu schreiben. Ist dieser Satz grammatisch richtig? Mir ist auch eingefallen, dass dieser Satz eine Wahrscheinlichkeit ausdrücken könnte.

Antwort

Sehr geehrter Herr H.,

ich vermute, dass der Zeitung hier ein Fehler unterlaufen ist. Man kann tatsächlich mit werden eine Vermutung ausdrücken:

Niemand reagiert auf das Klingeln. Sie werden nicht zu Hause sein.

Dieses werden der Vermutung wird aber in der Regel nicht wie im aus der Zeitung zitierten Satz zusammen mit einem werden der Zukunft verwendet. Das Hilfsverb werden kommt eigentlich nur im Zusammenhang mit dem werden-Passiv (dem Vorgangspassiv) zweimal in einem Satz vor.

werden-Passiv + Zukunft mit werden

Die WM wird von uns organisiert werden.

werden-Passiv + werden der Vermutung:

Das WC wird wohl gerade gereinigt werden.

Auch als sogenanntes Kopulaverb (= zusammen mit einem Adjekiv oder einem Substantiv) kann werden mit dem Hilfsverb werden kombiniert werden:

Das Wetter wird morgen schön werden.
Sie wird wohl Pilotin werden.

Vielleicht gibt es sogar noch andere Möglichkeiten, die mir im Moment nicht einfallen. Man darf richtig froh sein, dass man sich bei all diesen verschiedene Funktionen und Bedeutungen von werden (meistens) einfach auf sein Sprachgefühl verlassen kann! Erst wenn man anfängt, darüber nachzudenken, kann man so richtig schön unsicher werden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Verbformen mit “sein”, Aktiv oder Passiv?

Auch Grammatikfragen werden an Canoonet gestellt:

Wir sitzen derzeit über der Frage: was ist der Unterschied zwischen Aktiv und Zustandspassiv; es war passiert, es war besetzt, er war angekommen, er war überzeugt, es war eingezäumt. Welche Erkennungsmerkmale gibt es?

Für einen Hinweis wären wir dankbar!!

Antwort:

Sehr geehrte Frau B.,

Der wichtigste Unterschied liegt in der Bedeutung. Beim Aktiv tut/tat jemand etwas, geschieht/geschah etwas. Mit dem Zustandspassiv wird das Resultat einer Handlung oder eines Geschehens ausgedrückt. Siehe in Canoonet Aktiv und Passiv, Bedeutung.

Dieser Unterschied ist aber offenbar nicht immer ganz so einfach ersichtlich, vor allem dann nicht, wenn man Vergangenheitsformen verwendet. Deshalb hier ein paar formale Faustregeln:

Im Wörterbuch steht, mit welchem Hilfsverb ein Verb die Formen der Vergangenheit bildet. Wenn ein Verb, das die Vergangenheit mit haben bildet, mit dem Hilfsverb sein steht, handelt es sich in der Regel um ein Zustandspassiv:

besetzen, Hilsverb haben:
er hat die Stadt besetzt = Aktiv, Vorgegenwart
die Stadt ist besetzt = Zustandspassiv, Gegenwart

Verben, die die Vergangenheit mit sein bilden, können kein Zustandspassiv haben. Wenn ein solches Verb mit sein steht, handelt es sich somit um das Aktiv:

passieren, Hilfsverb sein:
es ist passiert = Aktiv, Vorgegenwart

Ein Zustandspassiv (sein-Passiv) kann in ein Vorgangspassiv (werden-Passiv) oder ein Aktiv mit man umgewandelt werden:

es war besetzt – es wurde besetztman besetzte es
er ist überzeugt – er wird überzeugtman überzeugt ihn

Bei einer mit sein gebildeten Form des Aktivs, ist dies nicht möglich:

es war passiert NICHT: es wurde passiert NICHT: man passierte es
er ist angekommen NICHT: er wird angekommen NICHT: man kommt ihn an

Weitere Informationen hierzu finden Sie in Canoonet unter Zustandspassiv und andere Konstruktionen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

erleuchtet haben

Herr S. schreibt:

Hallo zusammen,

wie sagen die erleuchteten Redakteure? Ich habe erleuchtet, oder ich bin erleuchtet?

Viel Spaß

Antwort:

Sehr geehrter Herr S.,

erleuchtete Redakteure werden wohl eher sagen, dass sie erleuchtet sind. Redakteure können aber durchaus auch sagen, dass sie etwas erleuchtet haben.

Das Verb “erleuchten” steht mit dem Hilfsverb “haben”, d.h. das Perfekt (die Vorgegenwart) wird mit “haben” gebildet. Siehe Eintrag “erleuchten” in Canoonet.

Dies gilt sowohl für den wörtlichen als auch für den übertragenen Sinn:

“Er hat den Raum mit einer Taschenlampe erleuchtet.”
“Dieses Buch hat ihn in seinem ganzen Leben am meisten erleuchtet.”

Diese Sätze können in das Zustandspassiv gesetzt werden:

“Der Raum ist [von einer Taschenlampe] erleuchtet.”
“Er ist [durch dieses Buch] erleuchtet.”

Ein erleuchteter Raum oder ein erleuchteter Redakteur ist also erleuchtet (= Zustandspassiv), weil ihn jemand oder etwas erleuchtet hat (= Perfekt).

Die Angabe des Hilfsverbes in Wörterbüchern bezieht sich immer auf die Bildung der Formen des Perfekts. Sie wird deshalb gemacht, weil die Formen des Perfekts je nach Verb mit “haben” oder mit “sein” gebildet werden (“ich habe gegessen” vs “ich bin gegangen”). Für die Bildung des Zustandspassiv muss keine Angabe gemacht werden, da die Verben, bei denen es möglich ist, es immer mit “sein” bilden.

Aus diesem Grund gibt unser Wörterbuch an, dass das Verb “erleuchten” mit dem Hilsverb “haben” steht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp