Hätte ich es begreifen können oder begriffen haben können?

Frage

In der Netflix-Serie „Sandman“ gibt es dieses Zitat:

Weißt du, zuerst mal war es falsch, einen Plan für den Tag zu machen, damit meine Erwartungen erfüllt werden. Das hat es mir vollkommen unmöglich gemacht, zu genießen, was der Tag an neuen Erfahrungen bereithielt. Das hätte ich inzwischen doch begriffen haben können, oder?

Ich kann die Verbform des letzten Satzes nicht richtig einordnen. […] Wie unterscheiden sich „hätte begreifen können“ und „hätte begriffen haben können“? Ich dachte, es gäbe nur einen Konjunktiv 2 der Vergangenheit.

Auf Englisch lautet dieser Satz übrigens: „You’d think I would have learned that by now.“

Antwort

Guten Tag N.,

die Modalverben (dürfen, können, mögen, müssen, sollen, wollen) können mit dem Infinitiv Präsens und mit dem Infinitiv Perfekt stehen.

  • Gleichzeitigkeit: Partizip Präsens

Du musst es [jetzt] tun.
Du müsstest es [jetzt] tun.
Du hättest es [damals] tun müssen.

  • Vorzeitigkeit: Partizip Perfekt

Du musst es [vorher/bereits] getan haben.
Du müsstest es [vorher/bereits] getan haben.
Du hättest es [vorher/bereits] getan haben müssen.

Ebenso:

Ich kann es [jetzt] begreifen
Ich könnte es [jetzt] begreifen.
Ich hätte es [damals] begreifen können.

Ich kann es [vorher/bereits] begriffen haben.
Ich könnte es [vorher/bereits] begriffen haben.
Ich hätte es [vorher/bereits] begriffen haben können.

In Ihrem Zitat kann man hätte können auch mit zum Beispiel müsste ausdrücken:

Ich hätte es doch inzwischen begreifen können.
Ich müsste es doch inzwischen begreifen.

Ich hätte es doch inzwischen begriffen haben können.
Ich müsste es doch inzwischen begriffen haben.

Ob es darum geht, inzwischen zu begreifen oder inzwischen begriffen zu haben, ist nicht dasselbe, aber es gibt in diesem Kontext dennoch keinen großen Unterschied. Wenn man es nicht begriffen hat, begreift man es nicht. Deshalb geht hier m.M.n. beides:

Das hätte ich inzwischen doch begreifen können, oder?
Das hätte ich inzwischen doch begriffen haben können, oder?

In beiden Sätzen steht das Modalverb im Konjunktiv II der Vergangenheit (hätte können); im ersten Satz mit dem Infinitiv Präsens (begreifen) im zweiten Satz mit dem Infinitiv Perfekt (begriffen haben). Eine andere Übersetzung des Zitats zeigt, wie groß oder eben klein der Unterschied zwischen den beiden Formulierungen ist:

Man sollte meinen, dass ich das inzwischen begreife.
Man sollte meinen, dass ich das inzwischen begriffen habe.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Dr. Bopp ist auf den Kopf gefallen

Vielleicht haben Sie sich gewundert, weshalb länger als sonst nichts mehr im Blog erschienen ist. Der Grund ist folgender: Dr. Bopp ist auf den Kopf gefallen. Es kann sein, dass einige schon immer zu wissen glaubten, dass dies im übertragenen Sinne der Fall ist, aber hier ist es im wörtlichen Sinne gemeint.

Zwei- bis dreimal in der Woche raffe ich mich meist eher widerwillig dazu auf, mich sportlich zu betätigen. Viel am Schreibtisch Tippenden wird das wärmstens empfohlen. Ich fühle mich tatsächlich besser, wenn ich es regelmäßig tue, auch wenn mich das noch lange nicht zum fanatischen Sportler macht.

Auch Mitte letzter Woche war ich joggend im Park unterwegs. Als ich wieder zu Hause war, wies alles darauf hin, dass ich im Wald gestürzt sein musste. Ich konnte mich bloß an nichts mehr erinnern, weder an einen Sturz noch an den Heimweg. Vor allem am Bildschirm zu arbeiten, war leider nicht angesagt, aber jetzt geht es dank ärztlicher und guter privater Unterstützung schon wieder viel besser.

Eine Beule habe ich übrigens nicht. Es bleibt deshalb ein Rätsel, ob ich wirklich auf den Kopf gefallen bin. Wie dem auch sei, bald geht es hoffentlich wieder normal weiter.

Dr. Bopp

An Weihnachten, zu Weihnachten oder einfach nur Weihnachten

Ob Sie einen Weihnachtsbaum oder einen Christbaum schmücken oder ob bei Ihnen der Weihnachtsmann oder das Christkind die Geschenke darunterlegt, kann verraten, aus welcher Sprachregion Sie (ungefähr) kommen. Aber auch ob Sie etwas an Weihnachten tun, zu Weihnachten tun oder einfach Weihnachten tun, kann ein Hinweis auf Ihre sprachliche Herkunft sein.

In der Schweiz, in Süddeutschland und in Westdeutschland bis nach Westfalen geht man – wenn man geht – an Weihnachten in die Kirche. Im Norden und Osten Deutschlands und in Österreich tut man dies zu Weihnachten. In der nördlichen Hälfte Deutschlands wird daneben auch ganz ohne Präposition Weihnachten zur Kirche gegangen.

Wie diese Verteilung auf einer Karte aussieht, sehen Sie auf der entsprechenden Seite des Atlas zur deutschen Alltagssprache.

Natürlich sind dies verallgemeinernde Angaben. Durch die wachsende Mobilität und den Einfluss der Massenmedien verwischen solche regionalen Sprachgrenzen immer mehr. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie an Weihnachten sagen, obwohl Sie in einer Region wohnen, in der man gemäß der Karte zu Weihnachten sagt.

Ganz egal, ob das Wort Weihnachten bei Ihnen mit an, mit zu oder ohne Präposition steht: Schöne Feiertage!

Dr. Bopp

Linksversetzung und Rechtsversetzung

Frage

In den letzten Jahren habe ich gelegentlich eine Satzstellung gehört, die ein Journalist beim Deutschlandfunk […] offenbar zum Markenzeichen entwickelt hat. Ist das eine klassische Form oder ein Trend, das Satzsubjekte voranzustellen und direkt mit einem Personalpronomen wieder aufzugreifen?

Der Präsident, er hat das Land verlassen.
Die Katze, sie begrüßt alle, die ins Haus kommen.

[…]

Antwort

Guten Tag Herr L.,

diese Konstruktion wird in der Regel Linksversetzung genannt. Dabei steht ein Ausdruck links vor einem vollständigen Satz, in dem er durch ein Pronomen oder ein anderes Verweiswort wiederaufgenommen wird. Wo möglich, stehen der Ausdruck und das Verweiswort im gleichen Fall.

Der Präsident, er hat das Land verlassen.

Die Linksversetzung kommt nicht nur beim Subjekt, sondern auch bei anderen Satzteilen vor. Hier ein paar Beispiele:

Diesen Vorschlag, den kannst du am besten gleich wieder vergessen.
Meiner Schwester, ihr musst du danken, nicht mir.
Mit diesem Lügner, mit dem rede ich nicht mehr.
Über eine solche Sache, darüber kann man besser schweigen.
Am ersten Adventssonntag, dann zünden wir die erste Kerze an.
Nach Sizilien, dahin zog es sie schon lange.

Die Linksversetzung kommt vor allem in der gesprochenen Sprache vor. Sie dient meist dazu, etwas besonders hervorzuheben. Bei längeren Ausdrücken kann die Linksversetzung auch der Verdeutlichung der Satzstruktur dienen:

Der Hund, der immer wieder hier herumschnüffelt und den ich schon viele Male weggejagt habe, er läuft schon wieder im Hof herum.


Es ist mir leider nicht bekannt, ob die Linksversetzung speziell im Journalismus oder ganz allgemein häufiger vorkommt als früher. Es könnte sich auch einfach um den persönlichen Sprachgebrauch des Journalisten handeln.

Neben der Linksversetzung gibt es übrigens auch die Rechtsversetzung. Dabei steht ein Ausdruck – wie könnte es anders sein – ganz rechts, also hinter einem vollständigen Satz:

Er hat das Land verlassen, der Präsident.
Den kannst du am besten gleich vergessen, diesen Vorschlag.
Mit dem rede ich nicht mehr, mit diesem Lügner.
Darüber kann man besser schweigen, über eine solche Sache.
Die erste Kerze zünden wir dann an, am ersten Adventssonntag.
Dahin zog es sie schon lange, nach Sizilien.

Auch die Rechtsversetzung gehört vor allem (aber nicht nur)  zur gesprochenen Sprache.

Zur Linksversetzung und zur Rechtsversetzung, dazu gäbe es noch einiges zu sagen, aber für diesmal schließe ich es ab, dieses Thema.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Mit oder ohne Artikel: »auf (der) Grundlage«

Frage

Können Sie mir sagen, ob es bei „auf (der) Grundlage“ grundsätzlich falsch ist, den Artikel wegzulassen? (Im Internet findet sich das als eine Art Gerücht.) Kann man beispielsweise schreiben: „ auf Grundlage der Originalausgabe neu ediert“?

Zumindest kann man sicherlich schreiben „auf Basis der …“. – Sollte es dann nicht auch bei „Grundlage“ möglich sein?

Antwort

Guten Tag Frau G.,

die Formulierung auf Grundlage ist nicht grundsätzlich falsch, nur weniger üblich.

Im Prinzip stehen die Wörter Basis und Grundlage in einem Satz mit einem Artikelwort. Es müsste also heißen:

auf der Basis einer Vereinbarung
auf der Grundlage einer Vereinbarung

auf der Basis von Messdaten
auf der Grundlage von Messdaten

auf der Basis der Originalausgabe
auf der Grundlage der Originalausgabe

Im Deutschen gibt es aber viele feste Wendungen, die aus einer Präposition und einem artikellosen Substantiv bestehen (auf See, an Bord, gegen Abend, über Nacht, ohne Gewähr, außer Konkurrenz usw. siehe hier). Feste Wendungen können von den allgemeinen Grammatikregeln abweichen, sie sind aber „trotzdem“ richtig, weil sie gebräuchlich und akzeptiert sind. Ob etwas eine feste Wendung ist, hängt davon ab, ob es regelmäßig in dieser Weise verwendet wird.

Ein Blick in die Korpora (Textsammlungen) von IDS und  DWDS zeigt, dass auf Basis etwa gleich häufig bzw. etwas weniger häufig vorkommt als auf der Basis. Anders sieht es bei Grundlage aus: Die Wendung auf Grundlage kommt relativ häufig vor, aber auf der Grundlage ist weitaus gebräuchlicher.

Zusammenfassend: Sowohl auf Basis als auch auf Grundlage kommen regelmäßig vor. Man kann also sagen, dass beides ohne Artikel verwendet wird. Dabei ist auf Basis allgemein akzeptiert und es wird auch in den Wörterbüchern erwähnt. Bei Grundlage ist die Variante auf der Grundlage gebräuchlicher als auf Grundlage. Artikelloses auf Grundlage ist nicht falsch, aber weniger gebräuchlich.

Die obenstehenden Beispiele sind also auch ohne Artikel möglich:

auf Basis einer Vereinbarung
auf Grundlage einer Vereinbarung

auf Basis von Messdaten
auf Grundlage von Messdaten

auf Basis der Originalausgabe
auf Grundlage der Originalausgabe

Es liegt an Ihnen, ob Sie lieber das knappe auf Grundlage oder das üblichere auf der Grundlage wählen. Auf (der) Grundlage der Daten lässt sich sagen, dass beides möglich ist und dass beides als richtig anzusehen ist. Mir persönlich gefällt übrigens die Variante auf der Grundlage besser, doch das könnte einfach auf Gewohnheit beruhen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Eine halb wahre Geschichte oder eine halbwahre Geschichte?

Frage

Können Sie mir die richtige Schreibweise von halbwahr/halb wahr mitteilen?

Antwort

Guten Tag Frau P.,

bei Adjektivverbindungen mit halb an erster Stelle gibt es verschiedene Schreibweisen, die zum Teil von der jeweiligen Bedeutung von halb abhängig sind. Ich werde jedenfalls häufig unsicher, wie es genau sein sollte.

Wenn halb die Bedeutung nicht ganz hat, können Sie getrennt oder zusammenschreiben. Beides ist richtig:

das Glas ist halb voll / das Glas ist halbvoll
ein halb automatisches Dosiersystem / ein halbautomatisches Dosiersystem
eine halb wahre Geschichte / eine halbwahre Geschichte

Das Glas ist nicht ganz voll, das Dosiersystem nicht vollständige automatisch und die Geschichte nicht ganz wahr.

Wenn halb die abschwächende Bedeutung nicht sehr hat, schreibt man nur zusammen:

halbgebildetes Gerede
ein halblautes Gespräch
halblanges Haar

Das Gerede beruht auf mangelhaftem Wissen, das Gespräch ist nicht sehr laut und das Haar nicht sehr lang.

Aber schon bei diesen Beispielen ist zu sehen, dass es nicht immer ganz klar ist, wo der Übergang zwischen abstufendem nicht ganz und abschwächendem nicht sehr ist. Ist zum Beispiel halbfetter Käse nicht ganz fett oder nicht sehr fett? → Im Zweifelsfall eher zusammen (siehe aber unten).

Immer zusammen ist dann zu schreiben, wenn der zweite Teil der Zusammensetzung [so] allein nicht vorkommt:

nur halbherzig mitmachen
eine halbseitige Anzeige
zwei halbwüchsige Kinder

Und in diesen Fällen wird nur getrennt geschrieben:

In Verbindung mit einem zweiten halb (Bedeutung: teils) schreibt man nur getrennt:

halb lachend, halb ernst
ein halb wollenes, halb seidenes Gewebe
eine halb wahre, halb erlogene Geschichte

So viele Worte – und wirklich eindeutig ist es immer noch nicht. So könnte man zum Beispiel hierüber halb wahnsinnig werden, aber nicht halbwahnsinnig …

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wusste der Onkel nicht mehr, wo er war oder wo er ist?

Frage

Mich quält seit einiger Zeit die Frage, wie der folgende Satz eigentlich richtig lautet:

Mein Onkel war verwirrt, er wusste gestern nicht mehr, wo er war.

Oder müsste es wie folgt heißen:

Mein Onkel war verwirrt, er wusste gestern nicht mehr, wo er ist.

Ich denke, ich würde es spontan vielleicht sogar richtig sagen, doch sobald man anfängt über etwas nachzudenken, geht es nicht mehr.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

es gibt im Deutschen kaum feste Regeln zur Abfolge der Zeiten. Vieles ist möglich. Welche Zeitform man in Ihrem Beispiel wählt, hängt unter anderem davon ab, ob ein Gegenwartsbezug besteht oder nicht.

Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er ist.

Hier wird ein deutlicher Gegenwartsbezug hergestellt. Der Onkel ist zum Sprechzeitpunkt immer noch an demselben Ort, an dem er auch gestern war (und normalerweise ist).

Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er war.

Hier wird kein Gegenwartsbezug hergestellt. Es wird nichts darüber ausgesagt, ob der Onkel zum Sprechzeitpunkt noch am gleichen Ort wie gestern ist oder ob er jetzt an einem anderen Ort ist. Was zutrifft, ergibt sich (wenn es überhaupt wichtig ist) aus dem weiteren Zusammenhang. Zum Beispiel:

Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er war, aber jetzt ist er wieder zu Hause und nicht mehr verwirrt.

Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er ist/war, aber jetzt erkennt er sein Zimmer wieder.

Das Präteritum wusste im Hauptsatz und das Verb sein in Nebensatz machen die Wahl für war in diesem Satz wahrscheinlicher. Falsch ist ist aber nicht. Vgl. zum Beispiel:

Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er wohnt.
Mein Onkel wusste gestern nicht mehr, wo er wohnte.

Hier sind sogar noch weitere Zeitverhältnisse denkbar. Welche Zeitform man in solchen Fällen wählt, ist also eine Frage, die sich oft nicht so einfach und eindeutig beantworten lässt. Wichtig für das genaue Verständnis ist nicht unbedingt die gewählte Zeitform, sondern – wie so oft – der engere und weitere Zusammenhang.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wie viele Personen – zu wievielt

Frage

Meine Frage betrifft das Adjektiv „wievielte“, und zwar wie man auf Deutsch jemanden fragen kann, wie viele Personen sie zu Hause sind. Mir fallen folgende zwei Alternativen ein, obwohl ich mir der zweiten ziemlich unsicher bin:

Zu Wievielten seid ihr zu Hause? Zu Hause sind wir zu dritt (mit dem substantivierten Adjektiv „Wievielten“)

Zu wievielt seid ihr zu Hause? Zu Hause sind wir zu dritt (mit der ungebeugten Form „wievielt“)

[…]

Antwort

Guten Tag Herr N.,

hier passt die Form wievielt, die nur zusammen mit zu üblich ist: zu wievielt. Dabei gilt, dass wie bei zu zweit, zu dritt, zu fünft usw. kleingeschrieben wird. Die relativ häufig vorkommende Getrenntschreibung *zu wie vielt ist nicht richtig. Man schreib zwar getrennt wie viele [Personen], aber das Adjektiv wievielte und die ungebeugte Form wievielt schreib man zusammen.

Für Ihren Beispielsatz bedeutet dies, dass Sie am besten so formulieren und schreiben:

Zu wievielt seid ihr zu Hause? – Wir sind zu dritt.

Ebenso:

Zu wievielt habt ihr die Aufgabe erledigt? – Zu zweit.
Ihr seid willkommen, ganz egal zu wievielt ihr kommt.

Großgeschrieben wird wievielte, wenn es substantivisch verwendet wird:

Der wievielte Tag des Monats ist heute?
Der Wievielte ist heute?

am wievielten Tag des Monats?
am Wievielten?

Und hier alle genannten Schreibweisen auf einen Blick:

Mit wie vielen Personen oder zu wievielt kommt ihr am Wievielten zum wievielten Mal zu uns?

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp