Gentiv-s oder Fugen-s?

Auch heute eine ziemlich theoretische Frage:

Frage

Ein Dr.Dr. behauptet, das „s“ in „Einkaufswagen“ sei ein Genitiv-s. Ich denke eher an ein Bindeglied. Wer hat recht?

Antwort

Sehr geehrter Herr R.,

das s, das zwischen den beiden Elementen einer Zusammensetzung stehen kann, ist aus dem Genitiv-s entstanden. Es hat seine Funktion und Bedeutung aber zu einem großen Teil verloren.

Ein Einkaufswagen ist nicht ein Wagen des Einkaufs, sondern ein Wagen für den Einkauf. Die Lebensfreude ist nicht die Freude des Lebens, sondern die Freude am Leben. Die Lieblingsfarbe ist nicht die Farbe des Lieblings usw. usw. Das s entspricht zwar der Form nach dem Genitiv-s (vgl. des Einkaufs, des Lebens, des Lieblings), es hat aber in Zusammensetzungen nicht immer eine genitivische Bedeutung.

In Verbindungen wie den folgenden, die sehr häufig vorkommen, hat das s erst recht nichts mehr mit einem Genitiv-s zu tun: Unterhaltungsmusik, Identitätsausweis, Operationssaal, Hochzeitstorte, Abfahrtsrennen, Ansichtssache … Keines der Wörter, die hier vor dem s stehen, bildet den Genitiv mit s.

Rein formal gesehen, ist das s in Einkaufswagen ein Genitiv-s, denn es entspricht dem s von des Einkaufs. Nach Funktion und (fehlender) Bedeutung ist es aber ein Fugen-s, das heißt ein Bindeglied, das vor allem dazu dient, den Übergang zwischen zwei Elementen einer Zusammensetzung zu markieren.

Je nachdem, wie man die Sache betrachtet, haben Sie beide recht. Das s in Einkaufswagen kann als Genitiv-s interpretiert werden. Es unterscheidet sich dann aber vom s in Unterhaltungsmusik, das ja kein Genitiv-s sein kann. Das s in Einkaufswagen kann auch wie in Unterhaltungsmusik als Fugen-s interpretiert werden. Dann lässt man aber die formale Identität mit dem Genitiv-s außer Acht. Letztlich ist es also vor allem eine theoretische Entscheidung, wie man dieses s nennen will.

Eine sehr ähnliche Diskussion lässt sich übrigens auch über die Fugenelemente führen, die einer Pluralendung entsprechen (z.B. in Rosenblatt, Hundebiss, Kinderhand). Siehe hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Birnbaum und der Birnenbaum

Frage

Ihre Seite führt die Bezeichnung „Birnenbaum“ auf, welche der Duden nicht kennt (er kennt nur den „Birnbaum“). Warum wird dieses Wort auf dieser Plattform genannt und in anderen Wörterbüchern nicht?

Antwort

Sehr geehrter Herr P.,

das Wort Birnenbaum ist eine Variante von Birnbaum. Bei der Entscheidung, ob ein Wort in das Wörterbuch aufgenommen wird, spielen u. a. zwei Dinge eine Rolle: Ist es korrekt gebildet und kommt es relativ häufig vor.

Das Wort Birnenbaum ist korrekt nach den deutschen Wortbildungsregeln gebildet. Schwach gebeugte weibliche Substantive (sie bilden den Plural mit en) haben in Zusammensetzungen oft das Fugenelement en. Ein paar fruchtige Beispiele:

Zwetschgenbaum, Pflaumenbaum, Aprikosenbaum, Olivenbaum, Orangenbaum, Kirschenbaum (neben Kirschbaum; auch z. B. nach dem in der Frage zitierten Duden)
Birnenkuchen, Birnenstiel, Birnenwasser, birnenförmig [1]

Die Form passt also. Wird sie auch verwendet? Birnenbaum ist zwar weniger gebräuchlich als Birnbaum, aber es kommt doch relativ häufig vor. Gemäß einem kurzen Google-Blick ins Internet kommt die en-lose Form (je nach Deklinationsform) drei- bis viermal häufiger vor als die Variante mit Fugenelement. [2]

Es gib aus unserer Sicht keinen Grund, Birnenbaum als „nicht bestehend“ oder als „falsch“ anzusehen. Es ist eine korrekt gebildete, relativ häufig verwendete Variante des gebräuchlicheren Wortes Birnbaum. Deshalb führen wir es in unserer Wörterliste.

Warum Birnenbaum in anderen Wörterbüchern nicht erscheint, weiß ich leider nicht. Diese Frage können Sie besser an die Redaktion der betreffenden Wörterbücher richten. Da es keine allgemein gültigen, rein objektiven Kriterien für die Aufnahme von Wörtern in Wörterbücher gibt (Lexikographen und Lexikographinnen mögen mir diese grobe Vereinfachung verzeihen), ist es übrigens nicht sehr erstaunlich, dass nicht alle Wörterbücher genau die gleichen Wörter aufführen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

[1] Es geht hier nicht um die Pluralendung en, sondern um das Fugenelement en, das heißt, es geht nicht darum, dass mehrere Früchte im Baum hängen können, sondern darum, dass weibliche Wörter wie Birne in Zusammensetzungen oft mit dem Fugenelement en stehen. Siehe auch hier.

[2] Diese Google-Angaben sind natürlich keine wissenschaftlich fundierten Zahlen, sondern nur eine Annäherung zur Illustration. Eine Schwierigkeit hierbei ist zum Beispiel, dass Birnbaum auch ein Familienname und Birnbäumen auch ein Ortsname ist.

Schifffahrtsgesellschaft und Raumfahrtbehörde: …fahrt und das Fugen-s

Dass das Fugen-s in Zusammensetzungen ein Stolperstein sein kann, wusste ich schon, denn es kommt regelmäßig in Ihren Fragen vor. Heute geht es um einen ganz besonders unsystematische Art der Wortzusammensetzung.

Frage

Warum schreibt man Raumfahrtbehörde ohne Fugenelement s?

Antwort

Sehr geehrte Frau P.,

verzeihen Sie mir bitte diese vielleicht überflüssige und ziemlich pedantische erste Antwort: Man schreibt Raumfahrtbehörde ohne Fugen-s, weil man das Wort auch ohne Fugen-s spricht. Es geht hier also nicht um eine Frage der Rechtschreibung, sondern um eine Frage der Wortbildung. Das ist nicht immer allen klar.

Bei zusammengesetzten Wörtern mit einem Wort der Art ...fahrt als erstem Element kommen sowohl Bildungen mit Fugen-s als auch Bildungen ohne Fugen-s vor. Es gibt keine feste Regel, das heißt, richtig ist, was üblich ist. Zum Beispiel:

In Zusammensetzungen im Sport steht Abfahrt immer mit s:

Abfahrtsrennen, Abfahrtsläuferin, Abfahrtssieger

Bei der Bahn usw. ist die Verwendung freier. Üblich sind Formen sowohl mit als auch ohne Fugen-s:

Abfahrtsgleis/Abfahrtgleis, Abfahrtszeit/Abfahrtzeit

Und hier noch ein paar Beispiele, die wenig zu einer eindeutigen Klärung beitragen:

Immer (oder meistens) mit Fugen-s:

Anfahrt: Anfahrtsweg, Anfahrtskosten
Zufahrt: Zufahrtsstraße, Zufahrtsrampe
Wohlfahrt: Wohlfahrtsamt, Wohlfahrtsempfänger
Schifffahrt: Schifffahrtsgesellschaft, Schifffahrtsweg

Mit oder ohne Fugen-s gebräuchlich:

Einfahrt: Einfahrtsstraße/Einfahrtstraße, Einfahrtserlaubnis/Einfahrterlaubnis
Vorfahrt: Vorfahrtsschild/Vorfahrtschild, Vorfahrtsstraße/Vorfahrtstraße
Seefahrt: Seefahrtsschule/Seefahrtschule, Seefahrtsbuch/Seefahrtbuch

Immer ohne Fugen-s:

Luftfahrt: Luftfahrtgesellschaft, Luftfahrtindustrie
Raumfahrt: Raumfahrtbehörde, Raumfahrttechnik

Zusammensetzungen mit Raumfahrt an erster Stelle gehören also zu den Zusammensetzungen, die ohne Fugen-s gebildet werden.

Zur Frage, warum dies so ist, kann ich höchstens sagen, dass es vielleicht in Analogie mit Luftfahrt geschieht. Warum aber Luftfahrt in Zusammensetzungen ohne Fugen-s steht, während Seefahrt häufig mit und ohne stehen kann und Schifffahrt immer ein Fugen-s verlangt, entzieht sich nicht nur meiner Kenntnis, ich kann es nicht einmal erraten. Ich erkenne weder formal noch inhaltlich einen Unterschied zwischen diesen Wörtern, der dies erklären könnte.

Manchmal ist es einfach erstaunlich, wie unsystematisch die (manchmal um ihre Präzision und Deutlichkeit gerühmte) deutsche Sprache sein kann. Im Fall von Zusammensetzungen der Art …fahrt[s]… ist die Situation ganz besonders unklar: Das Fugen-s kommt häufig, aber nicht immer vor. Es ist dann auch nicht erstaunlich, dass selbst in Wörterbüchern nicht überall die gleichen Formen angegeben werden. Am meisten erstaunt mich aber, dass es mir bis zur Beantwortung dieser Frage gar nie aufgefallen war, wie uneinheitlich wir hier vorgehen. Für Muttersprachige scheint dies also kein allzu großes Problem zu sein (solange sie nicht anfangen, darüber nachzudenken …). Deutschlernende haben es hier bestimmt viel schwerer!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Fugenelement in der Bank[en]sprache

Es geht hier weniger um die Bankensprache oder Banksprache an sich als um das Fugenelement en in Zusammensetzungen mit Bank-:

Frage

Ich habe eine Frage zu Komposita mit dem Bestimmungswort Bank. Es gibt einerseits Komposita wie z. B. Bankgeheimnis, Bankkonto und Banknote, die allesamt im Duden aufgeführt sind und die ich auch so schreiben würde.

Daneben gibt es aber eine Reihe von Komposita, bei denen ich unsicher bin: Heißt es Bankensektor oder Banksektor? Bankenwesen oder Bankwesen? Banksprache oder Bankensprache? Interbankengeschäft oder Interbankgeschäft? Interbankzahlungen oder Interbankenzahlungen? Interbankkredite oder Interbankenkredite?

Ich vermute, dass in diesen Fällen beide Varianten möglich sind. Sind Ihnen dazu Tendenzen bekannt?

Antwort

Sehr geehrte Frau H.,

die Faustregel für Fugenelemente in Zusammensetzungen sagt, dass man bei neuen Zusammensetzungen gleich vorgehen sollte wie bei bestehenden Zusammensetzungen mit dem gleichen Bestimmungswort. Neue Zusammensetzungen mit dem Bestimmungswort Bank sollten demnach gleich gebildet werden, wie bestehende Komposita mit Bank an erster Stelle.

Diese „Regel“ führt im Fall von Bank zu einem kleineren Problem: Es gibt gefestigte Komposita ohne Fugenelement (Bankkonto, Bankgeheimnis), aber auch Komposita mit dem Fugenelement en (Bankenaufsicht, Bankenviertel). Mehr als die genannte Faustregel steht uns aber nicht zur Verfügung. Grammatisch gesehen sind also jeweils beide Bildungen korrekt. Nur der allgemeint Gebrauch kann mit der Zeit bestimmen, was in den Wörterbüchern aufgenommen wird.

Ein mit der üblichen Vorsicht zu genießender Blick ins Internet zeigt, dass bei all Ihren Beispielen beide Formen vorkommen – oft allerdings in unterschiedlicher Häufigkeit.

  • Bankensektor häufiger als Banksektor
  • Bankwesen viel häufiger als Bankenwesen
  • Banksprache häufiger als Bankensprache
  • Keine deutliche Tendenz scheint es bei Interbank- vs Interbanken- zu geben.

Wie Sie richtig vermutet haben, dürfen also immer beide Varianten als korrekt angesehen werden. Sie können sich bei Ihrer Wahl nach der Häufigkeit, aber auch nach Ihrem eigenen Sprachempfinden richten. Wichtig ist höchstens, innerhalb eines Textes oder einer Textsorte (oder einer Firmenterminologie) möglichst konsequent immer zum Beispiel Interbankengeschäft oder Interbankgeschäft zu verwenden. Wären doch alle Bank[en]probleme so einfach!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die Einmilliardengrenze

Frage

Was ist korrekt: jenseits der Ein-Milliarden-Grenze oder jenseits der Eine-Milliarden-Grenze?

Antwort

Sehr geehrter Herr F.,

es heißt:

jenseits der Einmilliardengrenze

Millliarde ist ein Zahlwort, aber es ist wie Million oder Dutzend ein Substantiv. Es hat ein Geschlecht (die Milliarde), hat Einzahl- und Mehrzahlformen (Milliarde – Milliarden) und wird entsprechend großgeschrieben. Auch bei der Wortzusammensetzung verhält es sich wie ein Substantiv. Das Wort Einmilliardengrenze hat den gleichen Aufbau wie zum Beispiel:

Einfamilienhaus, Einparteienstaat, Einpersonenhaushalt, Einschienenbahn, Zweiparteiensystem, Mehrfamilienhaus usw.

Die Zusammensetzung Einmilliardengrenze entspricht also einer im Deutschen üblichen Wortbildungsart.

Wenn man „unbedingt“ will, kann man Bindestriche verwenden:

jenseits der Ein-Milliarden-Grenze

Diese Bindestriche sollen der Verdeutlichung dienen. Ich finde aber, dass sie hier im Gegenteil eher verwirren als verdeutlichen. Ist es nicht so, dass Ihre Frage vor allem dann aufkommt, wenn man die einzelnen Elemente der Zusammensetzung durch Bindestriche voneinander trennt? Erst dann fällt so richtig auf, dass die ungebeugte Form ein vor der Form Milliarden steht, die man so isoliert und mit großem M als Pluralform interpretiert:

Ein-Milliarden?Es heißt doch eine Milliarde oder mehrere Milliarden!

Milliarden entspricht zwar formal einer Pluralform, hat aber in einer Zusammensetzung wie Einmilliardengrenze nicht mehr diese Funktion (vgl. Fugenelmente). Und wie zum Beispiel Einfamilienhaus zeigt, verwendet man in Zusammensetzungen die ungebeugte Form ein auch dann, wenn ein weibliches Wort folgt. Zusammensetzungen „funktionieren“ anders als nebeneinanderstehende Wörter in einem Satz. Ich empfehle hier deshalb die Schreibung ohne Bindestriche:

Einmilliardengrenze
Einmillionenstadt
Einfamilienhaus

Und wenn Ihnen das Wort weder mit Bindestrichen noch ohne sie wirklich gefallen will, können Sie natürlich auch einfach jenseits der Grenze von einer Milliarde sagen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Valentinstagsrätsel

Es geht hier weder um die Liebe noch um den Kommerz, sondern einfach um die Wortbildung.

Frage

Mein örtliches Anzeigenblättchen titelte links oben: „Valentinstagsrätsel“. Das klingt furchtbar, aber ist es auch falsch? Das ist gerade mein Rätsel …

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

das Wort Valentinstagsrätsel mag mit seinen beiden Fugen-s nicht allzu melodiös klingen, aber es ist korrekt gebildet. Wenn Zusammensetzungen mit dem Wort Tag an zweiter Stelle in einer weiteren Zusammensetzung an erster Stelle stehen, verwendet man in der Regel ein Fugen-s:

Sonntagsruhe
Bundestagswahl
Reichstagsabgeordneter
Gründonnerstagsliturgie
Geburtstagsüberraschung
Reformationstagsfeier

In den angelsächsischen Ländern ging es, soweit ich weiß, beim Valentinstag eigentlich um (anonyme) Valentinstagskarten. Heutzutage wird man auch bei uns „multimedial“ dazu aufgefordert, mindestens ein persönliches Valentinstagsgeschenk zu überreichen. Ein speziell auf den Valentinstag zugeschnittenes Rätsel ist also auf der Ebene der Wortbildung entsprechend ein Valentinstagsrätsel. Ebenfalls üblich sind allerdings die Bezeichnungen Valentinskarte und Valentinsgeschenk. Im Titel hätte also auch der kürzere Begriff Valentinsrätsel stehen können.

Valentinstagsrätsel ist vielleicht nicht die schönste aller Wortschöpfungen. Es ist aber immerhin ganz erfreulich, dass Ihr Anzeigenblatt nicht der um sich greifenden „Bindestrichmanie“ erlegen ist (Valentinstags-Rätsel) oder die Rechtschreibregeln gänzlich hinter sich lassend Valentinstags Rätsel oder gar Valentinstag’s Rätsel geschrieben hat.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Plural und die Fugenelemente

Frage

Ich habe eine Frage zur Bildung von Nomenkomposita. Ist die Verwendung von Fugenelementen bei der Zusammensetzung zweier Nomen eine „Kann“-Regel oder gibt es klare Regeln? Beispiele:

Dokumentart oder Dokumentenart
Hausreihe oder Häuserreihe

In beiden Begriffen macht meines Erachtens im ersten Nomen nur der Plural einen Sinn. Sind beide Schreibweisen erlaubt oder gibt es Richtlinien?

Antwort

Sehr geehrter Herr T.,

die Fugenelemente bei der Wortzusammensetzung sind ein sehr komplexes Thema. Es gibt ein paar feste Regeln und sonst nur mehr oder weniger starke Tendenzen. Richtig ist, was üblich ist. Deshalb steht auf der zitierten Seite kann.

Zuerst zwei Beispiele für feste Regeln:

  • Nach Substantiven mit der Endungen -heit, -keit, -ling, -schaft, -ung, -ion, -ität muss immer das Fugenelement s stehen. Zum Beispiel:

Einheitswurst, Unabhängigkeitsbewegung, Lehrlingswesen, Eigenschaftswort, änderungswürdig, Munitionsdepot, Universitätsgebäude

  • Nach Substantiven, die den Genitiv und den Plural mit der Endung en bilden, muss das Fugenelement en stehen. Zum Beispiel:

Artisteneingang, Menschenleben, Pilotenbrille, bärenstark, Affenschwanz

In vielen anderen Fällen, kann ein Fugenelement stehen. Sehen Sie dazu die Seite über die Fugenelemente und von dort aus die einzelnen Fugenelemente.

Die Fugenelemente entsprachen ursprünglich meist Flexionsendungen (Plural, Genitiv). Sie haben diese Funktion aber zu einem großen Teil verloren. Ob man ein Fugenelement verwendet oder nicht, hat sehr oft nichts mit einem genitivischen oder pluralischen Charakter der Zusammensetzung zu tun. Zum Beispiel:

  • Ein Hundebiss wird nicht durch mehrere Hunde verursacht.
  • Eine Kinderhand gehört nur einem Kind.
  • Für Erdnussbutter braucht man viele Erdnüsse.
  • In einer Baumreihe steht mehr als ein Baum.

Wichtig ist oft nicht die Bedeutung, sondern die Form. Dabei spielen verschiedene Kriterien eine Rolle. Als Faustregel (die leider lange nicht immer funktioniert) kann gelten, dass man dann ein Fugenelement verwendet, wenn auch andere Zusammensetzungen mit dem gleichen Wort an erster Stelle ein Fugenelement haben. Zum Beispiel:

  1. Hund + Jäckchen = ?
  2. Hundebesitzer, Hundehütte, Hundeleben, Hundesteuer usw.
  3. Hund + Jäckchen = Hundejäckchen

Nun zu Ihren Beispielen:

Dokumentenart ist korrekt gebildet, denn mit Dokument gebildete Zusammensetzungen haben üblicherweise das Fugenelement en (vgl. Dokumentenmappe, Dokumentensammlung, dokumentenecht). Das Pluralargument wäre hier nur zum Teil überzeugend, denn der Plural von Dokument ist Dokumente, nicht Dokumenten. Weiter kommen auch Dokumentsammlung und Dokumentmappe häufiger vor, so dass Dokumentart nicht als falsch, sondern nur als weniger üblich bezeichnet werden sollte.

Sowohl Hausreihe als Häuserreihe sind korrekt gebildet. Zwar gibt Häuserreihe den Plural wieder (man braucht ja mehrere Häuser für eine Reihe), aber das oben stehende Beispiel Baumreihe (nicht Bäumereihe!) zeigt, dass es nicht notwendig ist, den Pluralaspekt in der Zusammensetzung auszudrücken. Es gibt jedoch viele Zusammensetzungen der Form Häuser-, in denen auch mehrere Häuser gemeint sind (Häuserblock, Häusermeer, Häuserschlucht u.a.). Dies ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass in diesem Fall Häuserreihe üblicher ist als Hausreihe.

Wie Sie sehen, sind die Fugenelemente ein wirklich sehr komplexes Thema – so komplex, dass Sie sich meistens besser auf Ihr Sprachgefühl als auf Regeln verlassen können.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Fugen-s und Bindestrich im österreichischen Bahnverkehr

Frage

Was ist richtig:

….. ICE, die durch die ÖBB Personenverkehrs AG angemietet wurden oder
….. ICE, die durch die ÖBB Personenverkehr AG angemietet wurden

Hier kann oder muss man doch auch bei Personenverkehrs AG ein -s anfügen oder?

Antwort

Sehr geehrte Frau H.,

im Prinzip müsste man tatsächlich ÖBB-Personenverkehrs-AG oder ÖBB-Personenverkehrs-Aktiengesellschaft schreiben. In zusammengesetzten Wörtern steht nach Verkehr in der Regel ein Fugen-s: Verkehrsstau, Fremdenverkehrsamt, Luftverkehrsleiter usw. Man würde also auch Personenverkehrs-Aktiengesellschaft erwarten. Wenn aber Institutionen, Firmen usw. bei der Wahl ihres Namens von den allgemeinen Regeln abweichen wollen, dürfen sie das. Ein Blick ins Internet zeigt, dass die Firma sich selbst ÖBB-Personenverkehr AG nennt. Wenn man also über diesen Betrieb schreibt, sollte man dessen eigene Namenswahl respektieren.

Darüber hinaus kann man sagen, dass die Firma mit dem Weglassen eines Bindestrichs zwischen Personenverkehr und AG angibt, dass  AG nicht Teil des eigentlichen Namens ist. Damit meine ich etwas gar spitzfindig, dass die Firma ÖBB-Personenverkehr heißt und eine AG ist und nicht etwa den Namen ÖBB-Personenverkehr-AG trägt. Dann ist natürlich so ein Fugen-s nach Personenverkehr fehl am Platz, denn es handelt sich nicht um eine Zusammensetzung mit AG. Dass dann aber im Text auf der Webseite der Firma die ÖBB-Personenverkehr AG und nicht der ÖBB-Personenverkehr steht, spricht eigentlich wieder eher für eine Zusammensetzung mit einem Fugen-s.

Doch man darf, wie bereits gesagt, bei Eigennamen von den Regeln abweichen, ohne dass einem das gleich als Fehler angerechnet werden sollte. Bei Firmennamen mit AG und GmbH ist ohnehin nicht ganz klar, was die Grammatik und die Rechtschreibregeln nun genau vorschreiben. In diesem Fall ist es viel wichtiger, dass die Züge einigermaßen pünktlich fahren, ganz gleich ob der Betrieb nun ein Fugen-s hat oder nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Gelenkschmerzen oder Gelenksschmerzen?

Heute geht es wieder einmal um regionale Unterschiede, die es überall und in allen Bereichen der Sprache gibt. Diesmal ist weder die Rechtschreibung noch die Schweiz betroffen. Wir bleiben allerdings im Süden:

Frage

Wie schreibt man zusammengesetzte Wörter mit dem Wort Gelenk als Teil, wie z.B. Gelenk(s)arthroskopie, Gelenk(s)kapsel, Gelenk(s)kollaps, Gelenk(s)knorpel etc. – mit oder ohne Fugen-s? Ich bin aus Österreich. Kann es sein, dass es da Unterschiede zu Deutschland gibt?

Antwort

Sehr geehrte Frau R.,

Ihre Vermutung ist richtig. Im Allgemeinen werden Zusammensetzungen mit Gelenk an erster Stelle ohne Fugen-s gebildet:

Gelenkentzündung
Gelenkkapsel
Gelenkschmerzen
usw.

In Österreich sind aber auch die Formen mit Fugen-s üblich:

Gelenksentzündung
Gelenkskapsel
Gelenksschmerzen
usw.

Die letzten Worte richten sich an eingefleischte Teutonen: Die Formen mit Fugen-s sind in Österreich nicht nur üblich, sondern auch korrekt! Regionale Unterschiede gibt es eben auch im Bereich der Wortbildung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Praxisgebühr(en)befreiung

Frage

Wie heißt es richtig: Praxisgebührenbefreiung oder Praxisgebührbefreiung?

Sind folgende Ausdrücke akzeptabel?

Der Patient ist praxisgebührenbefreit bis…
Der Patient ist praxisgebührbefreit bis…

Antwort

Sehr geehrte Frau G.,

beide Begriffe kommen vor und beide Wörter sind korrekt nach den deutschen Wortbildungsregeln gebildet. Praxisgebührbefreiung ohne en scheint allerdings üblicher zu sein.

Wenn Sie diese Variante wählen, können Sie entsprechend auch praxisgebührbefreit bilden. Diesen Ausdruck finde ich aber stilistisch so unschön, dass ich Ihnen dringend eine andere Formulierung empfehlen möchte:

Der Patient ist bis … von der Praxisgebühr befreit.

Oder, wenn es in eine Tabelle o. Ä. passen muss:

Der Patient ist von der Praxigebühr befreit bis: …

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp