Praxisgebühr(en)befreiung

Frage

Wie heißt es richtig: Praxisgebührenbefreiung oder Praxisgebührbefreiung?

Sind folgende Ausdrücke akzeptabel?

Der Patient ist praxisgebührenbefreit bis…
Der Patient ist praxisgebührbefreit bis…

Antwort

Sehr geehrte Frau G.,

beide Begriffe kommen vor und beide Wörter sind korrekt nach den deutschen Wortbildungsregeln gebildet. Praxisgebührbefreiung ohne en scheint allerdings üblicher zu sein.

Wenn Sie diese Variante wählen, können Sie entsprechend auch praxisgebührbefreit bilden. Diesen Ausdruck finde ich aber stilistisch so unschön, dass ich Ihnen dringend eine andere Formulierung empfehlen möchte:

Der Patient ist bis … von der Praxisgebühr befreit.

Oder, wenn es in eine Tabelle o. Ä. passen muss:

Der Patient ist von der Praxigebühr befreit bis: …

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Praktikumszeugnis, das Korrekturprogramm und das Fugen-s

Frage

Bei einer Bewerbung hat mein Word-Rechtschreibprogramm mir das Wort Praktikumszeugnis in Praktikumzeugnis korrigiert. Auf allen Zeugnissen, die ich aus Praktika erhalten habe, steht aber Praktikumszeugnis. Was ist richtig?

Antwort

Sehr geehrter Herr M.,

das s ist ein sogenanntes Fugenelement. Es entsprach früher dem s des Genitivs. Zum Beispiel:

Essenszeit = Zeit des Essens
Gesprächsleitung = Leitung des Gesprächs

Diese Funktion hat es aber im Laufe der Sprachgeschichte verloren. So kann es zum Beispiel bei weiblichen Wörtern gar kein Genitiv-s sein, weil diese Wörter kein Genitiv-s haben:

Heiratsanzeige
Flüchtigkeitsfehler
Mitternachtsmahl

Im heutigen Deutschen gibt es einfach nur an, dass zwei Wörter zusammengesetzt sind. Nach bestimmten Endungen (z.B. -heit, -keit, -tum, -ion) MUSS es stehen. Bei anderen Gruppen von Wörtern KANN es stehen. Mehr Angaben dazu finden Sie auf dieser und dieser Grammatikseite.

Wenn man nun zweifelt und ein Wort – wie hier Praktikum(s)zeugnis – nicht im Wörterbuch steht, kann man die folgende grobe Faustregel anwenden: Schauen Sie bei anderen Zusammensetzungen mit dem gleichen Wort an erster Stelle nach, ob sie mit oder ohne Fugenelement gebildet werden, und machen Sie es dann gleich.

In unserem Wörterbuch stehen zwei zusammengesetzte Wörter mit Praktikum an erster Stelle:

Praktikumsplatz
Praktikumsstelle

Sie haben beide ein Fugen-s. Demnach heißt es also tatsächlich auch:

Praktikumszeugnis

Diese Methode funktioniert nicht zu hundert Prozent, sie ist aber im Allgemeinen eine gute Faustregel bei Unsicherheiten.

Man kann natürlich auch mit Hilfe von Webbrowsern das Internet absuchen. Diese Methode ist aber mit sehr großer Vorsicht zu genießen, da vor allem bei einer geringen Anzahl Fundstellen eine ganze Reihe von störenden Faktoren eine Rolle spielen kann. Hier ist die Bilanz aber sehr deutlich: über 40.000 Fundstellen für “Praktikumszeugnis” gegenüber nur etwas mehr als 400 für “Praktikumzeugnis”. Man kann also davon ausgehen, dass die Form Praktikumszeugnis eindeutig die im Deutschen übliche Form ist.

Am besten verlassen Sie sich in solchen Fällen ganz einfach auf Ihr Sprachgefühl und darauf, was Sie in Ihrer sprachlichen Umgebung als allgemein üblich wahrnehmen. Ein Rechtschreibprogramm erfüllt die Kontrolle der Fugenelemente nämlich oft nur (sehr) unvollständig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Reflektion statt Reflexion

Frage

Ich habe eine Frage zum Wort Reflektion: Mir fällt in letzter Zeit auf, dass es sehr häufig gebraucht wird im Sinne von Reflexion. Meines Wissens gibt es das Wort aber im offiziellen“ Wortschatz nicht. Oder ist mir da etwas entgangen? Ist es eine neue, spontan von reflektieren abgeleitete Wortbildung, die noch nicht in den Korpus eingegangen ist?

Anwort

Sehr geehrte Frau S.,

das Wort Reflektion gibt es im Deutschen offiziell“ (noch?) nicht, auch wenn man ihm immer wieder begegnet. Meistens ist damit wohl Reflexion gemeint. In diesem Zusammenhang wird immer wieder der Einfluss des Englischen angeführt. Dort schreibt man tatsächlich reflection, aber mein Wörterbuch sagt mir, dass man im britischen Englisch auch reflexion schreibt. Bei der Aussprache macht das im Englischen übrigens nichts aus. Davon ausgehend, dass das amerikanische Englisch die Welt regiert und dass englisches …ection vielfach deutschem …ektion entspricht, kann man diesen Einfluss sicher nicht ausschließen.

Es gibt aber auch einen Erklärungsversuch, der ohne das Englische auskommt. Ganz unbegreiflich ist diese Wortbildung nämlich nicht, denn Reflektion liegt doch eindeutig näher bei reflektieren als Reflexion. Außerdem gibt es auch noch die Direktion, die Erektion, die Inspektion, die Interjektion, die Kollektion, die Projektion, die Protektion, die Selektion usw. Das sind alles Wörter, die irgendwie von Verben abgeleitet sind und ebenfalls auf …ektion enden. Wie viele Wörter gibt es dahingegen schon, die auf …exion enden? Wenige: Annexion, Flexion, Komplexion (und ein paar davon abgeleitete Wörter). Es sind auch nicht gerade die am häufigsten vorkommenden Wörter. Als Sprachwissenschaftler hab ich zwar öfter mit der Flexion (= Beugung) zu tun, aber im Allgemeinen ist dies kein allzu häufig verwendeter Begriff. Ich begegne ihm übrigens hin und  wieder in der Form Flektion. Ohne Kenntnisse des lateinischen Ursprungs der Wörter reflektieren (reflectere) und Reflexion (reflexio) kommt man nie darauf, wie das zu reflektieren gehörende Substantiv heißen muss. In Analogie mit den vielen anderen Wörtern auf …ektion ist dann Reflektion eigentlich viel naheliegender.

Ich weiß nicht, ob das Wort Reflektion jeweils aus dem Englischen übernommen wird oder ob es ganz unabhängig davon als Analogiebildung innerhalb des Deutschen entsteht. Wahrscheinlich haben beide Phänomene einen einander verstärkenden Einfluss. Zurzeit sollte man die Verwender von Reflektion noch vorsichtig darauf hinweisen, dass Reflexion besser wäre. Aber wer weiß, vielleicht ist das englisch-deutsche Verschwörerpaar so stark, dass Reflexion einmal von seinem Thron als offizieller Alleinherrscher gestoßen werden wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Was haben Kohlmeisen mit Kohl zu tun?

Heute arbeite ich zu Hause. Ich habe Aussicht auf das Gärtchen, das von so bescheidener Größe ist, dass ich es manchmal gerne und maßlos übertreibend unsere Parkanlage“ nenne. An der Hauswand hängt ein Nistkasten, in dem sich dieses Jahr zum ersten Mal ein Kohlmeisenpärchen eingenistet hat. Die Jungen sind ausgeschlüpft und piepsen ununterbrochen, was die armen Eltern zu beinahe pausenloser Nahrungsanfuhr antreibt. In rasendem Tiefflug, der eigentlich manchen Jetpiloten vor Neid erblassen lassen müsste, fliegen sie hin und her. Ich wundere mich immer wieder, wie sie es schaffen, rechtzeitig zu bremsen, bevor sie in ihrem Vogelhäuschen verschwinden. Kurzum, ein schöner Anblick für den menschlichen Beobachter und ein fatales Ereignis für unzählige Räupchen und fliegende Insekten.

Was aber haben nun Kohlmeisen mit Kohl zu tun? Die Antwort lautet: gar nichts. Sie heißen wegen der schwarzen Farbe ihres Kopfes so. Ihr Name hat also etwas mit Kohle zu tun. Weshalb dachte ich dann aber doch erst an den Kohl statt an die Kohle?

Das hat damit zu tun, dass es nur ganz wenige Zusammensetzungen mit Kohle an erster Stelle gibt, die die Form Kohl- haben:

kohlschwarz, Kohlrabe, Kohlmeise

Alle anderen Zusammensetzungen haben die Form Kohle- oder Kohlen-. Zum Beispiel

Kohlebenzin, kohlehaltig, Kohle[n]hydrat, Kohle[n]industrie, Kohlenbergwerk, Kohlenheizung

Die meisten Zusammensetzungen mit Kohl- an erster Stelle haben etwas mit Kohl zu tun. Zum Beispiel:

Kohlgemüse, Kohlkopf, Kohlraupe, Kohlrübe, Kohlsuppe

Es gibt im Deutschen fast keine festen Regeln, wann bei der Wortzusammensetzung ein auslautendes e wegfällt und wann ein Fugenelement eingefügt wird. Es geschieht meistens in Übereinstimmung mit anderen Zusammensetzungen, die das gleiche Wort an erster Stelle haben. Das ist also der Grund, weshalb ich – und vielleicht auch Sie – bei der Kohlmeise zuerst ans Gemüse und dann erst an den Brennstoff dachte. So kann man also seinen Irrtum mit Hilfe der deutschen Wortbildungsprinzipien als zwar falsche, aber doch intelligente Folgerung tarnen. Man kann es wenigstens versuchen …

Ein Redaktor redigiert, ein Korrektor korrigiert, ein Lektor …?

Frage

Wie lautet die Verbentsprechung zum Beruf Lektor? Ein Lektor …?

Antwort

Sehr geehrte Frau M.,

hier gibt es leider keine schnittige „Einwortantwort“. Ursprünglich konnte man sagen: Ein Lektor liest. Das Wort geht auf das lateinische lector zurück, das Leser, Vorleser bedeutete. Das entsprechende Verb war legere (u.a. lesen), das es – soweit ich weiß – nicht als fremdes Verb ins Deutsche geschafft hat. Auf legere gehen aber direkt oder indirekt auch Wörter wie Legende, Lektion und Lektüre zurück. Obwohl es verdächtig ähnlich klingt, hat das Wort legieren im Sinne von binden (von z.B. Saucen), miteinander verschmelzen (vgl. Legierung) einen anderen Ursprung: Es geht über italienisch legare auf lateinisch ligare (binden, festbinden, verbinden) zurück.

Im modernen deutschen Sprachgebrauch hängt es vom Beruf oder der Funktion ab, was Lektoren und Lektorinnen genau tun. Es hat allerdings immer irgendetwas mit Lesen zu tun. An einer Universität geben sie Kurse oder leiten sie praktische Übungen. In einem Verlagshaus lesen, prüfen und bearbeiten sie Manuskripte. In Gottesdiensten lesen sie Texte vor. In evangelischen Kirchen können sie auch anstelle des Pfarrers Lesegottesdienste halten.

Es gibt also für Lektor nicht eine so schöne Entsprechung wie zum Beispiel bei ein Redaktor redigiert, ein Korrektor korrigiert oder ein Revisor revidiert. Das kommt auch bei anderen alten Verbableitungen vor (zum Beispiel Aggressor, Autor, Professor). Und selbst wenn es das Verb, von dem ein Nomen ursprünglich abgeleitet worden ist, im modernen Deutschen noch gibt, ist die direkte Entsprechung manchmal nicht mehr gegeben: Heutzutage ist es üblich, dass eine Direktorin ihr Unternehmen führt und ein Rektor sein Bildungsinstitut leitet. Dirigiert und regiert wird meist an anderen Orten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Berichtigung

In der Zwischenzeit hat eine aufmerksame Blogleserin mich unten in einem Kommentar darauf aufmerksam gemacht, dass es doch eine Einwortantwort gibt: lektoriert. Man sagt: Ein Lektor lektoriert (das Wort steht sogar in Canoonet!). Dies gilt jedenfalls, wenn der Lektor oder die Lektorin für einen Verlag tätig ist. Dieser Kommentar zeigt zwei Dinge, nämlich erstens dass man nicht nur in eine Richtung schauen soll und zweitens dass die Sprache so flexibel ist, dass es meistens keine Lücken gibt, wenn man etwas wirklich braucht.

Ich habe beim Verfassen dieses Beitrags den Fehler gemacht, in Analogie mit den anderen Beispielen auch bei Lektor nur nach hinten zu schauen, nämlich dorthin, wo das Wort herkommt. Ich hätte auch vorwärtsschauen müssen. Wörter haben nicht nur einen Ursprung, sondern sie können selber auch wieder Ursprung sein. Man kann nämlich mit -ieren von Fremdwörtern neue Verben bilden, also lektorieren von Lektor ableiten.

Das Verb lektorieren zeigt auch sehr schön, dass wenn es in der Sprache Lücken gibt, diese oft sehr effizient aufgefüllt werden. Wie ich oben so umständlich dargestellt habe, fehlt im heutigen Deutsch die moderne Variante des Verbs, von dem Lektor abgeleitet ist. Davon lassen sich die Menschen der Verlagsbranche aber nicht beeindrucken. Sie haben ganz korrekt ein neues Verb gebildet, damit sie ein Wort haben, mit dem sie ihre Tätigkeit benennen können. Das nennt man dann Sprachwandel und gehört für mich zu den faszinierendsten Aspekten der Sprache.

Ich bedanke mich herzlich bei Marion K. für ihren Hinweis und bitte Frau M. für meine gelinde gesagt unvollständigen Recherchen um Entschuldigung.

Jein!

Frage

Gibt es bereits ein Wort das weder Ja noch Nein beschreibt. Wie wäre es mit Jain oder Jein?

Antwort

Ein solches Wort gibt es. Es ist sogar ein ziemlich bekanntes und vielverwendetes Wort: jein.

Seine Bedeutung ist meistens ja, aber; nein, außer; einerseits ja, andererseits nein. Es verlangt normalerweise eine sowohl die Jaseite als auch die Neinseite erläuternde Ergänzung. Als allein stehende Antwort kann jein eigentlich nur scherzhaft oder abwertend gemeint sein:

Auf die Frage, ob sie bereit sei, antwortete sie mit einem eindeutigen Jein.
Im Brustton der Überzeugung antwortet er: „Jein!“
Klare Antworten erhält man von ihm nie, er sagt immer nur jein.

Falls Sie an der Groß- und Kleinschreibung interessiert sind: Es gelten die gleichen Regeln wir für ja und nein.

Ein Wort wie jein wird Kofferwort (engl. portmanteau) genannt. Der Ausdruck stammt aus dem 6. Kapitel von Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln:

“That’s enough to begin with,? Humpty Dumpty interrupted: “there are plenty of hard words there. ‘Brillig’ means four o’clock in the afternoon – the time when you begin broiling things for dinner.?

“That’ll do very well?, said Alice, “and ‘slithy’??

“Well, ‘slithy’ means ‘lithe and slimy’. ‘Lithe’ is the same as ‘active’. You see it’s like a portmanteau – there are two meanings packed up into one word.?

„Das ist erst mal genug“, unterbrach Hampti Dampti, „da sind ja schon eine ganze Menge schwerer Wörter. ,Brollig’ bedeutet vier Uhr nachmittags – die Zeit also, zu der man mit dem Brodeln von Sachen für das Abendessen beginnt.“

„Das passt sehr gut“, freute sich Alice, „Und ,schleimdig’?“

„Nun, ,schleimdig’ bedeutet ,schleimig’ und ,geschmeidig’. Siehst du, das ist wie bei einem Koffer – du packst zwei Bedeutungen in ein Wort.”

(Übersetzung von Dieter H. Stündel)

Andere Kofferwörter sind zum Beispiel:

Demokratur (Demokratie + Diktatur)
Eurasien (Europa + Asien)
Teuro (teuer + Euro)
Transistor (engl. transfer + resistor)
verschlimmbessern (verschlimmern + verbessern)
Nescafé (Nestlé + Café)
Osram (Osmium + Wolfram)

Und auf gut Denglisch (Deutsch + Englisch):

Brunch (breakfast + lunch)
Infotainment (Information + Entertainment)
Podcasting (iPod + broadcasting)

Natürlich gibt es in der Sprachwissenschaft noch ein paar andere Ausdrücke für die gleiche oder ähnliche Erscheinungen: Neben den leicht verständlichen Ausdrücken wie Wortkreuzung, Wortmischung und Wortverschmelzung gibt es Begriffe wie Kontamination und Amalgamierung. Der erste klingt nach Verunreinigung und der zweite – zumindest für die Älteren unter uns – nach Zahnfüllungen. Kontaminierung geht auf das lateinische contaminare zurück, das tatsächlich durch Berührung, Verschmelzung, Vermengung verderben bedeutete. Deshalb wurden und werden manchmal nur fehlerhafte Vermengungen von Wörtern und Ausdrücken als Kontaminationen bezeichnet (zum Beispiel unzweifellos oder Auch ein blindes Huhn legt einmal ein Ei). Ein Amalgam ist in erster Linie eine Legierung mit Quecksilber. Amalgame wurden für Zahnfüllungen verwendet, sind aber in dieser Verwendung mittlerweile sehr umstritten. Im übertragenen Sinne wird das Wort auch mit der Bedeutung Mischung verwendet. Und über diesen letzten Schritt versteht man den Begriff Amalgamierung für Wörter wie jein wahrscheinlich etwas besser.

Die Sprachwissenschaft wäre nicht die Sprachwissenschaft, wenn sich alle über die genaue Definition der genannten Begriffe einig wären. Wenn Sie mich also fragen, ob alle obengenannten Wörter eindeutig Kofferwörter sind, müsste ich mit einem klaren Jein antworten.

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Die heutige Frage ist eigentlich ein Kommentar zu einem anderen Beitrag, der aber schon etwas weiter zurücklieg. Ich wollte deshalb nicht dort, sondern etwas prominenter an dieser Stelle darauf reagieren.

ungut, unteuer, unblau

Frage

Ich habe letztens eine Person kennen gelernt, die sämtliche Adjektive mit der Vorsilbe un verneint. Z.B. ungut, unteuer, unhell, unblau, unschnell usw. Für mich ist es jedoch völlig klar, dass man einige Adjektive mit dem Wort nicht verneint. Also nicht teuer, nicht hell. Gibt es in diesem Fall eine Regelung oder etwas Ähnliches?

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

es ist natürlich nicht verboten, alle Adjektive mit un zu verneinen, aber es ist in gewissen Fällen unüblich bis unmöglich. Die Vorsilbe un hat die Funktion, die Bedeutung des Adjektivs, mit dem es verbunden ist, zu verneinen. Es wird nicht oder nur selten bei Adjektiven verwendet, für deren verneinte Bedeutung es bereits ein anderes Wort gibt:

gut – schlecht
teuer – billig
hell – dunkel
schnell – langsam
schön – hässlich

Dies ist aber keine absolute Regel. Während es unschlecht und unhässlich normalerweise tatsächlich nicht gibt, kann man zum Beispiel problemlos ein ungutes Gefühl oder eine unschöne Szene sagen. Im ersten Fall ist ungut weniger stark als schlecht. Im zweiten Fall ist unschön eine oft ironisch gemeinte beschönigende Umschreibung für hässlich. In gleicher Weise sagt der höfliche Mensch unklug, wenn er das Wort dumm vermeiden will.

Ein anderer Fall ist Ihr Beispiel unblau. Der Grund, weshalb man Farbadjektive nicht mit un verneinen kann, ist mir leider nicht bekannt. Dafür müsste ich länger nachforschen. Man sagt jedenfalls nicht unblau, ungrün, unviolett oder unbeige. Dasselbe gilt für zum Beispiel unviereckig, unoval, unsteinern und ungehäkelt.

Ebenfalls nicht oder nur sehr bedingt mit un verneinbar sind Adjektive, die – grob gesagt – nicht eine Eigenschaft, sondern eine Beziehung ausdrücken (Relativadjektive):

*unbetriebsärztlich
*ungeologisch
*unstaatlich

Sehr schön lässt sich dies anhand von geografischen Adjektiven aufzeigen:

nicht englisch = nicht aus England/dem Englischen stammend
unenglisch = nicht der englischen Art entsprechend

Wie Sie sehen, könnte man zu diesem Thema ganze Bücher füllen. Klar ist, dass nicht alle Adjektive sich mit un verneinen lassen. Auch wenn wir die Regeln dafür nicht kennen, sagt uns in den meisten Fällen unser Sprachgefühl, wann dies möglich ist und wann nicht. Wenn jemand also einfach alle Adjektive mit un verneint, handelt es sich wohl um eine bewusst angelernte, wahrscheinlich witzig gemeinte Marotte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Blutbäder oder Blutbade?

Bemerkung

Anfang Jänner berichtete Ingrid Turnherr im ORF in der Nachrichtensendung „Zeit im Bild“ über Blutbäder im Irak. Grammatikalisch stimmt es so. Aber gefühlsmäßig hätte ich Blutbade gesagt um einen Unterschied zu Badeanstalten mit Bademeistern herzustellen.

Reaktion

Sehr geehrter Herr W.,

nach allen mir zur Verfügung stehenden Quellen lautet die korrekte Mehrzahlform von Blutbad: die Blutbäder. So auch in Canoonet. Dies entspricht der allgemeinen im Deutschen geltenden Regel, dass zusammengesetzte Wörter gleich gebeugt werden, wie der rechts stehende Wortbestandteil (siehe Wortbildung).

Das Wort Bad hat in allen Bedeutungen (Flüssigkeitsmenge, das Baden, Badezimmer, Badeanstalt) den Plural Bäder. Auch ein Bad in der Menge muss – wenn Prominente so gerne im Mittelpunkt stehen, dass sie es einfach nicht lassen können – in der Mehrzahl Bäder in der Menge lauten. Bei der Form Bäder handelt es sich also nicht nur um Badeanstalten, sondern ebenfalls um die Mehrzahl von Bad in anderen, auch übertragenen Bedeutungen. Ein neue, differenzierende Mehrzahlform anstelle von Blutbäder ist in diesem Sinne also gar nicht notwendig.

Es steht Ihnen im Rahmen der dichterischen Freiheit natürlich frei, trotzdem den Plural Blutbade zu verwenden. Strengere Grammatiker und Deutschlehrer werden Sie dann allerdings darauf hinweisen, dass dies nicht die grammatikalisch korrekte Mehrzahlform ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Einen anderen Aspekt zusammengesetzter Wörter behandelt der Blogeintrag Stahlaktenschrank.

Stahlaktenschrank: Die Bedeutung zusammengesetzter Wörter

Frage

Seit Jahren lässt mich eine Sache nicht ruhen. Ich habe eigentlich per Zufall auf einen Chargenaufkleber eines Stahlschrankes geschaut und folgendes gelesen:

Stahlaktenschrank
Baujahr: 1974
Nummer: xxxxxxx??

Was mich verwunderte, war die Bezeichnung Stahlaktenschrank. Nun meine Frage: Ist ein Stahlaktenschrank ein Schrank für Stahlakten oder ein Stahlschrank für Akten?

Antwort

Sehr geehrter Herr D.,

die Wortbildungsregeln des Deutschen können Ihnen bei dieser Frage nicht behilflich sein. Wenn zwei Wörter miteinander zu einem neuen Wort kombiniert werden, bedeutet das im Prinzip nur, dass die beiden Wörter in irgendeiner Weise etwas miteinander zu tun haben.

So sind die Tischplatte und das Tischbein Teile eines Tisches. Die Tischdecke und der Tischgrill sind Dinge, die man in der Regel auf einen Tisch legt oder stellt. Eine Tischdame oder ein Tischherr ist eine Person, in deren Gesellschaft man bei einem formellen Diner am Tisch sitzt. Ein Tischgespräch ist normalerweise keine Konversation unter Möbelstücken, sondern ein bei Tisch geführtes Gespräch, und die Tischmanieren sagen in der Regel nichts über das Betragen des Tisches aus, sondern darüber, wie man sich bei Tische zu benehmen hat.

All diese zusammengesetzten Wörter sind in gleicher Weise gebildet worden und haben etwas mit Tisch zu tun. Die jeweiligen Bedeutungsbeziehungen zwischen den einzelnen Wortbestandteilen sind aber ganz unterschiedlicher Art. Die Form der Verbindung lässt also keine Rückschlüsse auf die genaue Art der Bedeutungsbeziehung zu. Vereinfacht gesagt: Nicht die Form, sondern der Satzzusammenhang und unsere Kenntnis der Welt helfen uns bei der Interpretation der genauen Bedeutung eines zusammengesetzten Wortes.

Ein Stahlaktenschrank kann also sowohl ein Aktenschrank aus Stahl als auch ein Schrank für Stahlakten sein. Die Form des Wortes gibt uns keinen Aufschluss darüber, welche Bedeutungsbeziehungen zwischen den einzelnen Teilwörtern bestehen. Nur die Kenntnis der Welt sagt uns, dass es wahrscheinlicher ist, dass es sich um einen Aktenschrank aus Stahl handelt. Es gibt viele Aktenschränke aus Stahl, während nicht anzunehmen ist, dass es speziell für Stahlakten (was immer das sein mag) gemachte Schränke gibt. Die zweite Bedeutung ist aber im Prinzip nicht ausgeschlossen. Es ließe sich relativ leicht ein Zusammenhang konstruieren, in dem ein Schrank für Stahlakten vorkommt.

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen fürs neue Jahr

Dr. Bopp

Umlaut bei -in

Frage

Meine Frau lernt gerade Deutsch und hat mich nun etwas gefragt, worauf ich selber keine Antwort habe. Die Bildung der weiblichen Berufsbezeichnungen ist normalerweise durch den Anhang von in vollständig abgehandelt. So zum Beispiel Polizist – Polizistin, Fahrer – Fahrerin. Nun aber wurde ich gefragt, warum es Arzt – Ärztin heißt, speziell der Anfangsbuchstabe Ä. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Antwort

Sehr geehrter Herr D.,

es gibt leider keine festen Regeln, wann bei der Bildung von weiblichen Bezeichnungen mit -in auch ein Umlaut verwendet wird. Den armen Deutschlernenden bleibt somit nichts anderes übrig, als die wichtigsten Fälle auswendig zu lernen. Der Umlaut steht vor allem bei älteren Bildungen. Nach den Angaben im Canoonet-Wörterbuch sind dies die folgenden Ableitungen:

Berufs- und andere Personenbezeichnungen

Amtsrätin (Bundesrätin, Kreisrätin usw.), Anwältin, Ärztin, Bäuerin, Bischöfin, Bübin (Spitzbübin), Gräfin, Göttin, Jüdin, Kräuterin, Köchin, Männin, Muselmännin (veraltet für Muselmanin), Närrin, Obmännin, Päpstin, Pröpstin, Schwägerin, Spitzbübin, Törin, Vögtin

Einwohnernamen:

Flämin, Fränkin, Französin, Sächsin, Schwäbin, Westfälin

Und dann gibt es auch noch Tierbezeichnungen:

Äffin, Bräckin (Art Jagdhündin), Dächsin, Füchsin, Häsin, Hündin, Kätzin, Spätzin, Störchin, Täubin, Wölfin

Weiter gibt es auch die entsprechenden zusammengesetzten Personen- und Tierbezeichnungen wie Amtsärztin, Chefärztin, Großbäuerin, Burggräfin, Südfranzösin, Jagdhündin usw. Der weitaus größte Teil der mit -in gebildeten weiblichen Bezeichnungen wird übrigens nicht umgelautet: Von den ca. 8450 mit diesem Suffix abgeleiteten Wörtern in unserem Wörterbuch wurden nur 230 mit Umlaut gebildet.

Weitere Informationen zur weiblichen Endung -in finden Sie hier.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp