sich einander gegenseitig

Frage

Umgangssprachlich ist klar: Wir verwenden die Formen:

Wir treffen uns in der Bar.
Wir schauten uns an.
Sie sahen sich an.

Wie ist es mit der Schriftsprache? Verwendet man grundsätzlich sich anstatt einander? Heißt es beispielsweise:

Sie blickten sich an oder Sie blickten einander an.
Sie klopften sich auf die Schulter oder Sie klopften einander auf die Schulter

Viele Fragezeichen! Ich bin schon ganz verwirrt und bitte um Aufklärung.

Antwort

Sehr geehrte Frau D.,

es ist auch im Standarddeutschen üblich, bei einem wechselseitigen (reziproken) Verhältnis die Reflexivpronomen des Plurals uns, euch, sich zu verwenden.

Wie treffen uns in der Bar.
Wir sahen uns an.
Sie klopften sich auch die Schultern.

Wenn man befürchtet, dass es zu Missverständnissen kommen könnte, oder wenn man es einfach möchte, kann man das wechselseitige Verhältnis mit einander oder dem weniger gehoben klingenden sich gegenseitig ausdrücken:

Wir treffen einander in der Bar.
Wir sahen uns gegenseitig an.
Sie klopften sich gegenseitig auf die Schulter.

Die Kombinationen einander gegenseitig und sich einander sind standardsprachlich übrigens nicht akzeptiert. Das sieht wohl zu sehr nach „doppelt gemoppelt“ aus. (Die im Titel stehende Dreierkombination sich einander gegenseitig sollte man demnach höchstens bewusst scherzhaft verwenden.)

Wenn man umgekehrt unbedingt ausdrücken möchte, dass es sich um ein rückbezügliches (reflexives) Verhältnis handelt, wird es schwieriger. Dann hilft meist nur noch umformulieren:

Jeder sah sich selbst an.
Jede klopfte sich auf ihre eigene Schulter.

Das ist aber glücklicherweise nur selten der Fall, da in der Regel der engere oder weitere Satzzusammenhang klärt, ob ein rückbezügliches oder ein wechselseitiges Verhältnis gemeint ist.

Natürlich geht es wieder einmal nicht ganz ohne Ausnahmen. Wenn sich mit einer Präposition verwendet wird, hat es meist nur eine rückbezügliche Bedeutung. Für eine wechselseitiges Verhältnis wird dann -einander verwendet:

Sie sind mit sich zufrieden = rückbezüglich (jeder mit sich selbst und mit der Gruppe)
Sie sind miteinander zufrieden = wechselseitig (jeder mit dem anderen)

Ihr denkt nur an euch= rückbezüglich (Richtet sich an Egoisten).
Ihr denkt nur aneinander = wechselseitig (Richtet sich an sehr Verliebte …).

Sehen Sie hierzu auch diese Grammatikseite.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wer hat im (T)raumschiff den Oberbefehl: der Captain, der Kapitän oder der Käpten?

Frage

Ich muss eine kleine Geschichte über ein Raumschiff schreiben und meine Frage ist: Welche der folgenden Formen ist korrekt?

Cepten, Ceptain, Capten, Captain, Cäpten, Cäptain,
Kepten, Keptain, Kapten, Kaptain, Käpten, Käptain

Mein Duden schlägt noch Kapitän vor, der allerdings ein Boot oder Schiff, aber kein Raumschiff dirigiert. Darauf komme ich, weil doch, egal ob „Star Trek“, „Raumschiff Enterprise“ oder „Traumschiff Surprise“, überall nach dem Cäpten und nicht nach dem Kapitän gerufen wird. Oder ist der Ausdruck Cäpten einfach nur Umgangssprache oder vielleicht sogar erfunden?

Antwort

Sehr geehrter Herr W.,

Sie finden den Titel, den Herr Kirk im Raumschiff Enterprise trägt, deshalb nicht in deutschen Wörterbüchern, weil es ein englischer Titel ist. Sehen Sie hierzu den folgenden Wikipedia-Artikel: Captain Kirk. Auch andere Figuren in dieser Raumschiffserie tragen englische Titel: zum Beispiel Commander Spock und Lieutenant Uhura.

Der Film „Traumschiff Surprise – Periode 1“ ist zwar eine deutsche Kinokomödie, aber die Handlung (soweit sie auf der Erde stattfindet) spielt in den Vereinigten Staaten. Außerdem wird dort der Oberbefehlshaber in einer der sehr vielen sehr gewollten Analogien mit dem Raumschiff Enterprise Captain Kork genannt (meist Käpt’n Kork geschrieben).

In der Fernsehserie „Das Traumschiff“ trägt der oberste Schiffsoffizier den deutschen Titel Kapitän. Es wird aber öfter mit dem norddeutschen umgangssprachlichen Ausdruck Käpten nach ihm gerufen. Käpten und Captain klingen aus deutschem Munde genau gleich. Auch die Schreibung Käpt’n Kork greift wohl auf diese norddeutsche Form zurück.

Ein Kapitän ist der Kommandant eines Schiffes oder eines Flugzeuges. Da man bei einem Raumschiff wie bei einem Schiff oder Flugzeug an Bord und von Bord geht, kann man dessen Kommandanten sicher auch Kapitän nennen.

Es gibt also verschieden Möglichkeiten, wie Sie den obersten Chef Ihres Raumschiffes nennen können: Captain W., Kapitän W., Kommandant W. Und wenn man etwas kumpelhaft nach ihm ruft (oder aus Ihrer Geschichte eine deutsche Kinokomödie macht …): Käpten W. oder Käpt’n W.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der ersatzweise Ausbilder

Frage

Beim Lesen des Konzepts eines Berichts über ein Praktikum stieß ich auf folgende Formulierung: „Mein ersatzweiser Ausbilder und ich fuhren zu einem Kunden.“ Der neue Ausbilder hatte den Satz folgendermaßen verbessert: „Mein ersatzweise Ausbilder und ich fuhren zu einem Kunden.“ Letztere Version ist meiner Meinung nach definitiv falsch. Bei der anschließenden Diskussion im Kreise der Mitarbeiter fanden sich dennoch einige, die ersatzweise anstatt ersatzweiser als in diesem Zusammenhang richtige Schreibweise deklarierten.

Um durch die nun entstandene Unsicherheit das hervorragende Betriebsklima nicht zu beeinträchtigen (richtig ist: um nun zu wissen, wer Recht hat), bitte ich um Klärung.

Antwort

Sehr geehrter Herr M.,

um es gleich vorwegzunehmen: niemand hat recht. Weder mein ersatzweiser Ausbilder noch mein ersatzweise Ausbilder sind im Standarddeutschen akzeptierte Formen. Die Begründung ist etwas komplizierter:

Die mit -weise gebildeten Wörter sind eigentlich Adverbien, d. h. sie bestimmen Verben. Zum Beispiel:

ersatzweise ausbilden
ansatzweise verstehen
stichprobenweise prüfen
stufenweise abbauen

Diese Adverbien können unter bestimmten Umständen auch wie Adjektive vor einem Substantiv stehen und dann wie Adjektive gebeugt werden. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn das Substantiv, das sie bestimmen, die Verbhandlung ausdrückt:

ersatzweises Ausbilden
ansatzweises Verstehen
stichprobenweise Prüfung
stufenweiser Abbau

Beim Wort Ausbilder handelt es sich zwar auch um ein von einem Verb abgeleitetes Substantiv, es bezeichnet aber nicht die Handlung, sondern den Handelnden. Deshalb kann das Adverb ersatzweise nicht wie ein Adjektiv vor ihm stehen.

NICHT: ein ersatzweiser Ausbilder
NICHT: ein stichprobenweiser Prüfer
NICHT: ein ansatzweiser Plan
NICHT: stufenweise Stromschnellen

Es ist ebenfalls nicht möglich, von der Wortgruppe ersatzweise ausbilden als Ganzes mit der Endung -er ein Wort abzuleiten:

NICHT: ein ersatzweise Ausbilder
NICHT: ein Ersatzweiseausbilder o. Ersatzweise-Ausbilder

Anstelle von mein ersatzweise Ausbilder oder mein ersatzweiser Ausbilder sollte deshalb eine andere Formulierung verwendet werden. Zum Beispiel:

mit meinem Ersatzausbilder

oder vielleicht besser:

mit dem stellvertretenden Ausbilder
mit dem Stellvertreter meines Ausbilders
mit dem Nachfolger meines Ausbilders
mit meinem neuen Ausbilder

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Haupteingang im/ins Rathaus

Frage

Ich muss ein Protokoll verfassen und bin mit einem Kollegen uneins. Wie lautet der Satz richtig: „Eine Aktion des Rates war die Beteiligung am barrierefreien Umbau des Haupteingangs im Rathaus oder ins Rathaus“?

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

beide Formulierungen klingen eher unüblich. Doch Sie wollen wahrscheinlich wissen, wer recht hat. Die Antwort lautet wieder einmal: Beides ist möglich.

Wenn Sie vom Haupteingang im Rathaus reden, behandeln Sie den Haupteingang als einen Gebäudeteil wie zum Beispiel die Empfangshalle, den Treppenaufgang usw. Wenn Sie Haupteingang ins Rathaus sagen, reden Sie vom Haupteingang als dem Ort, der den Zugang zum Rathaus ermöglicht. Beide Sichtweisen sind möglich.

Das ist aber noch nicht alles: Die meiner Meinung nach üblichste und unproblematischste Formulierung ist Haupteingang des Rathauses: „Eine Aktion des Rates war die Beteiligung am barrierefreien Umbau des Haupteingangs des Rathauses.“

Das Schöne und manchmal ärgerlich Verwirrende an der Sprache ist, dass es fast immer mehrere Ausdrucksmöglichkeiten gibt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Geht man über oder durch die Bahnschranke?

Frage

Ich rufe Sie heute um Hilfe an, weil ich mit einer Lebenssituation nicht fertig werde. Sie passierte mir heute schon wieder und ich weiß nicht, ob ich die richtige Präposition gewählt habe. Evtl. habe ich die Bahnschrankenwärterin auch in eine tiefe Präpositions-Sinn-Krise gestürzt.

Ich war heute mit dem Fahrrad unterwegs, wunderschöne Tour am Mittellandkanal entlang, und stand dann irgendwann wieder vor (m)einer Bahnschranke, die sich nach Betätigung einer Sprechtaste öffnet, sofern kein Zug in unmittelbarer Nähe ist.

Mein Satz lautete: „… ich möchte durch die Schranke.“ Ist das richtig? Hätte ich sagen müssen: „… ich möchte über die Schranke“? Wenn die Bahnschranke hochgezogen ist, gehe ich darunter hindurch. Aber das traute ich mich nun wirklich nicht zu sagen.

Welche Präposition ist in diesem Fall richtig?

Antwort

Sehr geehrter Herr R.,

da ich annehme, dass Sie nicht mehr vor der geschlossenen Schranke stehen, kann ich Ihnen bestätigen, dass Sie diese Lebenssituation ausgezeichnet gemeistert haben, ganz gleich, welche Präposition Sie dabei benutzt haben. Ich nehme weiter an, dass die Bahnschrankenwärterin durch die Präposition durch in keinerlei Krise gestürzt wurde. Sie wird diese Präposition schon des Öfteren gehört haben.

Ihre Zweifel entstehen dadurch, dass Sie eigentlich weder über noch durch die Schranke wollen. Sie möchten auch nicht unter ihr hindurch. Sie wollen, dass die Schranke geöffnet wird, damit Sie über die Gleise gehen können. Die wirklich korrekte Frage wäre also:

Könnten Sie bitte die Schranke öffnen? Ich möchte den Bahnübergang benutzen.

Aber auch wenn Sie durch die Schranke sagen, werden Sie im Alltagsleben alle – außer ein paar Spaßvögeln oder Sprachpuristen – ausgezeichnet verstehen, ohne sich zu wundern. Standardsprachlich würde ich diese Form allerdings nicht empfehlen. Die Verwendung von über oder unter ist auf allen Sprachebenen zweifelhaft, denn es ist nicht nur verboten, sondern auch lebensgefährlich, über eine Bahnschranke zu klettern oder unter ihr hindurchzukriechen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die Verben andenken und aufoktroyieren

Frage

In der letzten Zeit höre ich des Öfteren, dass dieses oder jenes  Thema  bereits „angedacht“ sei. Meines Erachtens kann es doch nur heißen, dass man über etwas nachgedacht habe, oder? Ebenso finde ich in vielen Diskussionen, dass man jemandem etwas „aufoktroyiert“ hat. Ich meine, dass es sich hier um eine Tautologie handelt und einzig und alleine oktroyiert korrekt wäre.

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

das Wort andenken hat nicht die gleiche Bedeutung wie nachdenken:

über etwas nachdenken = sich über etwas Gedanken machen
etwas andenken =  beginnen, sich über etwas Gedanken zu machen

Mit Hilfe der Vorsilbe an wird angegeben, dass der Prozess des Nachdenkens erst angefangen hat bzw. noch nicht abgeschlossen ist.

In der deutschen Sprache gibt es eine starke Tendenz, gewisse Aspekte der Verbhandlung mit Hilfe von Vorsilben wie an und nach anzugeben oder zu betonen. Andere solche Vorsilben oder Partikeln sind aus, auf, ein, hinunter, über u.v.a.m. Dabei kann es oft zu mehr oder weniger tautologischen Aussagen kommen. [Das eher fachsprachliche Wort tautologisch bedeutet ungefähr doppelt ausgedrückt, „doppelt gemoppelt“. Ein Beispiel für eine tautologische Wendung ist das bemerkenswerterweise in der Frage verwendete einzig und alleine.] In den folgenden, korrekten Beispielen steht jeweils ein Verb mit einer Vorsilbe, obwohl das einfache Verb ohne Vorsilbe im Prinzip auch schon ausreichen würde:

auf den Turm hinaufsteigen – auf den Turm steigen
in ein Zimmer hineingehen – in ein Zimmer gehen
gegen den Schlaf ankämpfen – gegen den Schlaf kämpfen
eine Farbe auswählen – eine Farbe wählen
den ganzen Kuchen aufessen – den ganzen Kuchen essen

Manchmal verdrängen die komplexen Formen sogar das entsprechende einfache Verb: Während es früher Brauch war, Gäste zum Essen zu laden, ist es heute üblich, sie zum Essen einzuladen. Ein heutiger Schiller ließe wohl nicht mehr einen Fischerknaben singen: „Es lächelt der See, er ladet zum Bade.“ (Wilhelm Tell I,1) Es ist wahrscheinlicher, dass er einer jungen Hilfskraft bei der Tretbootvermietung eine literarisch ausgefeilte Variante von „Der See lädt zum Baden ein“ in den Mund legen würde (oder etwas Gerapptes mit Fun im Lake, chillen usw.).

Die Tendenz, Verbbedeutungen mit Vorsilben zu verdeutlichen oder zu betonten, ist, wie bereits erwähnt, im Deutschen sehr stark. Sie wirkt auch beim Wort oktroyieren. Es bedeutet jemandem etwas aufzwingen, aufdrängen, auferlegen. Was dem Verb oktroyieren sozusagen fehlt, ist das auf, das bei den deutschen Entsprechungen so bildlich den zwingenden, drängenden Aspekt der Verbhandlung angibt. Das ist der Grund, weshalb auf häufig vor oktroyieren verwendet wird, auch wenn dies sinngemäß gar nicht mehr nötig wäre. Da solche tautologischen Formulierungen im Bereich der deutschen Verben häufig sind, ist die Frage nicht, ob aufoktroyieren grammatisch korrekt ist, sondern höchstens, ob es stilistisch gut gewählt ist.

Der langen Rede kurzer Sinn: Die beiden Verben andenken und aufoktroyieren sind im heutigen Deutschen gebräuchliche, in vielen Wörterbüchern verzeichnete Verben, gegen die grammatisch nichts einzuwenden ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Zu unserer vollsten Zufriedenheit

Frage

In der Zeugnissprache taucht immer wieder die Formulierung auf: „… erledigte die Aufgaben zu unserer vollsten Zufriedenheit“. Das mag inzwischen eine Standardformulierung für einen sehr guten Mitarbeiter sein, drückt aber auch eine gewisse Respektlosigkeit vor der Logik und auch der deutschen Sprache aus. Behelfsweise nutze ich Formulierungen wie zu unserer höchsten Zufriedenheit. Nicht undankbar wäre ich für weitere Alternativvorschläge, vor allem solchen, die eine Leistung als „1a“ bewerten ohne zugleich allzu schwülstig zu sein.

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

die Formulierung zur vollsten Zufriedenheit ist zwar umstritten, aber eindeutig.

stets zu unserer vollsten Zufriedenheit = Note 1
stets zu unserer vollen Zufriedenheit = Note 2
zu unserer vollen Zufriedenheit = Note 3
usw.

Da diese „Benotung“ in Arbeitszeugnissen sehr wenig mit Logik, dafür sehr viel mit verhüllendem Sprachgebrauch zu tun hat, finde ich die Form vollste in diesem Zusammenhang nicht störend. Sie ist Teil einer unter Eingeweihten verwendeten „Geheimsprache“. So muss man zum Beispiel auch wissen, dass jemand, der sich bemühte, ein Versager auf der ganzen Linie war. Ob mir diese „Geheimsprache“ als Ganzes gefällt, ist eine ganz andere Frage.

Es gibt natürlich viele andere mögliche Formulierungen wie zum Beispiel:

stets zu unserer höchsten Zufriedenheit
waren wir äußerst zufrieden

Ich wage es aber nicht, diese oder andere Formulierungen zu empfehlen. Dafür kenne ich die „Geheimsprache“, das heißt die Regeln und Gepflogenheiten der zuständigen Chefs und Manager beim Verfassen von Arbeitszeugnissen, nicht gut genug. Jede Hinzufügung oder Weglassung kann ganz unerwartete Bedeutungsveränderungen bewirken. So liegt die Beurteilung stets zu unserer vollen Zufriedenheit ohne das Wörtchen stets eine ganze Note tiefer (siehe oben). Etwas, das in der Allgemeinsprache positiv klingt, kann in Arbeitszeugnissen ganz anders gemeint sein. Wie bereits erwähnt: Wer sich bemüht, taugt nichts.

Sie können sich deshalb mit dieser Frage besser an Verfasser und Beurteiler von Arbeitszeugnissen als an einen Sprachler wenden. Bei diesem Thema bin ich leider nicht „vom Fach“.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die Anzahl Sekunden seit Mitternacht

Frage

Das Wort Mitternacht wird ja im allgemeinen ohne Artikel verwendet: Es ist Mitternacht. Wenn ich jetzt aber den Sachverhalt die Anzahl Sekunden, die vergangen ist, seit es das letzte Mal Mitternacht war verkürzt ausdrücken möchte, komme ich nicht umhin, einen Artikel zu benutzen: die Anzahl Sekunden seit der letzten Mitternacht. Der Artikel hört sich hier fehl am Platze an. Eine Formulierung wie die Anzahl Sekunden seit Mitternacht lässt aber meiner Meinung nach eine Interpretation bzgl. dessen zu, „welche“ Mitternacht gemeint ist. Daher halte ich die Konkretisierung letzte Mitternacht für notwendig.

Außerdem habe ich mal gehört, dass Deutsch sich besonders gut als Wissenschaftssprache eignet, weil in ihr Sachverhalte sehr exakt ausgedrückt werden können, wobei andere Sprachen, wie Englisch oder Russisch eine vergleichbare Eindeutigkeit entweder gar nicht erreichen, oder nur durch umständliche und lange Formulierungen.

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

es ist mir auch schon zu Ohren gekommen, dass das Deutsche besonders gut für wissenschaftliche und technische Beschreibungen geeignet sei. Ich kann das aber einfach nicht so recht glauben, denn auch das Deutsche besteht wie andere Sprachen aus viel mehr Mehrdeutigkeiten und „Ungenauigkeiten“ als präzise definierten Begriffen und Relationen. Außerdem waren das Russische und das Englische doch wissenschaftlich genug, um eine Technik hervorzubringen, mit der Menschen in den Weltraum geschickt werden können. Auch in Frankreich, im Land, das man mit Chic und guter Küche, aber (zu Unrecht!) nicht mit Wissenschaft assoziiert, fuhren zum Beispiel die TGVs um einiges früher als in deutschen Landen die ICEs. Der deutsche Sprachraum hat ebenfalls viele technische und wissenschaftliche Leistungen hervorgebracht, aber ob dabei die Struktur der Sprache einen Vorteil gegenüber anderen geliefert hat, wage ich zu bezweifeln.

Zu Ihrer Frage: Das Wort Mitternacht wird im Prinzip ohne Artikelwort verwendet. Eine Formulierung wie letzte Mitternacht klingt deshalb ungewöhnlich, aber ausgeschlossen ist sie nicht. Wendungen wie die Anzahl Sekunden seit letzter Mitternacht oder die Anzahl Sekunden seit der letzten Mitternacht sind jedenfalls gut verständlich.

Aber auch die Formulierung die Anzahl Sekunden seit Mitternacht finde ich eigentlich präzise genug. Kaum jemand nimmt wohl an, dass damit Mitternacht vor zwei oder drei Tagen gemeint sein könnte. Mathematisch-logisch ist das natürlich möglich, aber im konkreten Sprachgebrauch – auch unter Technikern und Wissenschaftlern; nur bei Juristen wäre ich da vorsichtiger – eher eine Spitzfindigkeit. Außerdem gibt die Anzahl der Sekunden an, ab „welcher“ Mitternacht gemessen worden ist. Wenn es weniger als 86.400 Sekunden sind, kann es sich nur um die letzte Mitternacht gehandelt haben. Aber wenn Sie wirklich präzise formulieren wollen, gibt es Möglichkeiten wie diese:

die Anzahl Sekunden seit der letzten Mitternacht
die Anzahl Sekunden seit 00.00 Uhr des betreffenden Tages

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Willkommen „zu“ meiner Webseite?

Frage

In letzter Zeit fällt mir immer öfter das Wort zu im Zusammenhang mit willkommen auf. Heißt es tatsächlich willkommen zu meiner Webseite? Und heißt es willkommen bei der Eröffnung oder auf der Eröffnung? Wann benutze ich auf, bei oder zu und gibt es dazu eine Regel?

Antwort

Sehr geehrte Frau O.,

auch meine Ohren stören sich an der Formulierung willkommen zu meiner Webseite. Woran könnte das liegen? Eine genaue Regel zu dieser Frage kenne ich nicht, aber im Allgemeinen kann ich die folgenden Tendenzen beobachten:

Wenn man an einem Ort willkommen geheißen wird, wählt man die Präposition, die man bei der betreffenden Ortsbezeichnung auf die Frage wo? verwendet:

willkommen in Innsbruck (wo? – in Innsbruck)
willkommen auf dem Reiterhof
willkommen am Niederrhein
willkommen bei Canoo
Seid hoch willkommen unter meinem Dach! (Schiller: Willhelm Tell, 1. Akt, 4. Szene)

Man wählt zu, wenn man jemanden zu einem Geschehen, einem Ereignis u. Ä. willkommen heißt:

willkommen zur Eröffnung der Ausstellung
willkommen zur Konferenz
willkommen zum 60. ordentlichen Kreisparteitag
willkommen zu unserem Gartenfest

Hier sind auch andere Formulierungen möglich. Zum Beispiel:

willkommen bei der Eröffnung der Ausstellung
willkommen bei der Konferenz
willkommen auf unserem Gartenfest

Formulierungen wie die folgenden klingen deshalb nicht richtig, weil es sich nicht um ein Ereignis oder Geschehen, sondern (im weiteren Sinne) um einen Ort handelt:

willkommen zu meiner Webseite
willkommen zur Homepage der Familie X
willkommen zur Firma Y
willkommen zum Hotel California

Viel besser klingt:

willkommen auf meiner Webseite
willkommen auf der Hompage der Familie X
willkommen bei der Firma Y
willkommen im Hotel California

Das gilt auch dann, wenn die Homepage dynamisch so gut durchdesignt ist, dass sich alles auf ihr irgendwie bewegt. Es gilt auch trotz der Tatsache, dass die Eagles singen „Welcome to the Hotel California“. Letzteres soll nur ein leiser Hinweis darauf sein, dass viele der weniger gut klingenden willkommen zu dem Einfluss des Englischen zuzuschreiben sein könnten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

In keinster Weise

Frage

In „keinster Weise“, sehr geehrter Herr Dr. Bopp, glaube ich Sie zu überfordern, wenn ich frage ob kein so steigerbar ist, wie es im z.B. Deutschen Bundestag oft gesteigert wird.

Antwort

Sehr geehrter Herr S.,

das Wort kein hat im Prinzip keine Steigerungsformen. Im Standarddeutschen kann man deshalb nur sagen in keiner Weise. In der Umgangssprache – und offenbar auch im Bundestag – hört man allerdings oft die nachdrücklichere Form in keinster Weise. Im Standarddeutschen sollte man diese Form höchstens bewusst scherzhaft übertreibend verwenden, denn sie gilt dort allgemein als nicht korrekt. Irgendwie klingt die Wendung in keinster Weise auch etwas gar gewichtig. Das könnte ihre häufigere Verwendung in Debatten im Bundestag erklären …

Wenn man es mit Nachdruck sagen will, sagt man wohl besser in gar keiner Weise oder ganz schlicht und einfach überhaupt nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp