Wortstellung am Nebensatzende: wie es hätte sein sollen / sein sollen hätte / sein hätte sollen

Frage

Schon seit einer Weile quäle ich mich mit dem Thema Verbstellung im Nebensatz. Ich habe schon mehrere Bücher gewälzt und denke, den Ersatzinfinitiv verstanden zu haben.

… dass sie hätte mitmachen können.
… dass er hatte kochen müssen.

So weit, so gut. Es scheint auch so zu sein, dass in Österreich „mitmachen hätte können“ (das verwenden alle, sogar die Profs an der Germanistik) oder seltener „mitmachen können hätte“ verwendet wird. Am „richtigsten“ ist aber „hätte mitmachen können“. Liege ich so weit richtig? Kann ich das als Regel formulieren?

Problematisch wird es für mich jetzt bei „werde“ und „würde“. Da liegt ja kein Ersatzinfinitiv vor.

… dass er genug sparen können würde.
… dass sie helfen müssen wird.

Ist es eine Übergeneralisierung, wenn ich analog zu „hätte mitmachen können“ instinktiv „würde sparen können“ sagen will?

… dass er würde sparen können / … dass er sparen können würde
… dass sie wird helfen müssen / … dass sie helfen müssen wird

Ich blicke da leider gar nicht durch. Geht beides? Wenn ja, was ist „richtiger“?

Antwort

Guten Tag Frau W.,

das Bestreben, die Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes vollumfänglich zu verstehen, kann sehr schnell zu Verwirrung und dann zu Resignation führen. Vieles ist möglich, vieles ist nicht eindeutig geregelt und das, was „eindeutig“ geregelt ist, wird häufig nicht von allen eingehalten.

Bei Verbgruppen mit mehreren Infinitiven am Ende eines Nebensatzes gilt im Standarddeutschen allgemein Folgendes als korrekt: Die finite (nach Person und Zahl bestimmte) Verbform wird vorangestellt:

… dass sie hätte mitmachen können.
… dass er hatte kochen müssen.
… obwohl sie nicht haben mitkommen dürfen.
… wie es hätte sein sollen.

Seltener kommt überall auch die Nachstellung der finiten Verbform vor. Sie gilt im Standarddeutschen beim Ersatzinfinitv der Modaleverben als nicht richtig:

… dass sie mitmachen können hätte.
… dass er kochen müssen hatte.
… obwohl sie nicht mitkommen dürfen haben.
… wie es sein sollen hätte.

Eine dritte Variante, die Zwischenstellung der finiten Verbform, ist vor allem in Österreich anzutreffen:

… dass sie mitmachen hätte können.
… dass er kochen hatte müssen.
… wie es sein hätte sollen.

Ob oder inwieweit diese Wortstellung im österreichischen Standarddeutschen akzeptiert ist, weiß ich nicht. Dazu liegen mir leider keine Informationen vor. Ich vermute, dass sie zumindest toleriert ist, wenn sie so häufig vorkommt. Im restlichen deutschen Sprachgebiet ist die Zwischenstellung selten oder gar nicht gebräuchlich.

Mehr zur regionalen Verteilung der verschiedenen Varianten finden sie in der Variantengrammatik.

Etwas anders sieht es aus, wenn das Hilfsverb werden bzw. würden mit mehreren Infinitiven am Ende eines Nebensatzes steht. Dann sind standardsprachlich sowohl die Voranstellung als auch die Nachstellung üblich und akzeptiert:

… dass er würde sparen können / … dass er sparen können würde
… dass sie wird helfen müssen / … dass sie helfen müssen wird

Keine der beiden Varianten ist standardsprachlich „besser“.

Eine Übersicht über die wichtigsten Aspekte der Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes finden Sie auf dieser Seite in der LEO-Grammatik (allerdings ohne Erwähnung regionaler Varianten).

Auch für mich gilt übrigens, dass ich es nie wirklich vollständig werde verstehen können oder verstehen können werde. Die Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes hat nämlich noch mehr Tücken.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Konjunktiv II: Bräuchte es auch „wöllte“ und „söllte“?

Frage

Ich höre immer mehr die Verbform „wöllte“ statt „wollte“ (als Konjunktiv). Dies scheint mir eine Analogie-Bildung zu „könnte“ zu sein, ist aber wohl (noch?) nicht korrekt. Wann kommt dann „söllte“? Was meinen Sie?

Antwort

Guten Tag Herr D.,

es ist tatsächlich anzunehmen, dass die Form wöllte eine Analogiebildung zu könnte, dürfte, müsste und wüsste ist. Durch den Umlaut unterscheiden sich diese Konjunktivformen deutlich vom Indikativ konnte, durfte, musste und wusste. Bei wollen und sollen hingegen wird nicht umgelautet (die Antwort auf die Frage nach dem Warum muss ich Ihnen an dieser Stelle schuldig bleiben). Dadurch gibt es bei wollen und sollen wie bei den regelmäßig konjugierten Verben keinen Unterschied zwischen dem Indikativ Präteritum und dem Konjunktiv II (Konjunktiv Präteritum): Die Form lautet in beiden Fällen wollte bzw. sollte.

Indikativ Präteritum Konjunktiv II (Präteritum)
durfte dürfte
konnte könnte
musste müsste
wusste wüsste
sollte sollte
wollte wollte

Es ist deshalb gar nicht so erstaunlich, dass die Formen wöllte und seltener auch söllte gebildet werden. Sie sind nicht nur in Übereinstimmung mit den entsprechenden Formen der anderen Modalverben (sowie von wissen), sondern auch ganz praktisch, weil sie den Konjunktiv so schön deutlich angeben.

Üblich und akzeptiert sind wöllte und söllte aber dennoch nicht. Ob oder wann es ihnen einmal gelingen wird, in die Standardsprache einzudringen, ist schwierig zu sagen. Vorläufig kommen sie dafür noch nicht häufig genug vor.

Eine andere Form, die mit den Modalverben verwandt ist, hat dies schon geschaft: bräuchte. In vielen Wörterbüchern und Grammatiken gilt bräuchte neben der regelmäßigen Form brauchte als standardsprachlich akzeptierte Konjunktivform.

Indikativ Präteritum Konjunktiv II (Präteritum)
brauchte brauchte/bräuchte

Während also die Verwendung von bräuchte mittlerweile mehr oder weniger problemlos ist (es gibt immer noch strengere Sprachhüter und -hüterinnen, denen diese Form gar nicht zusagt), sollte man die Formen wöllte und söllte (noch?) vermeiden, so praktisch sie auch sein mögen.

Diese Formen zeigen sehr schön, dass vieles, was in der Sprache als richtig gilt, weniger mit Logik und Effizienz als vielmehr mit allgemeinem Gebrauch und Konsens zu tun hat: Wenn es konnte/könnte, durfte/dürfte und musste/müsste heißt (Indikativ/Konjunktiv), müsste es logischerweise und praktischerweise auch wollte/wöllte und sollte/söllte sein. Gebräuchlich und akzeptiert sind aber nur wollte/wollte und sollte/sollte. Bei brauchte/brauchte bzw. brauchte/bräuchte ist heute sogar beides (mehr oder weniger) akzeptiert.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Kongruenz: Frau M., Sie sind es, die verwirrt sind/ist?

Frage

Ich habe kürzlich folgenden Satz gelesen: „Frau Meier, Sie sind es, die verwirrt sind“. Ist „sind“ hier korrekt oder müsste es nicht vielmehr „ist“ heißen?

Antwort

Guten Tag Frau P.,

richtig ist hier tatsächlich die dritte Person Einzahl:

Frau Meier, Sie sind es, die verwirrt ist.

Das Verb des Relativsatzes richtet sich nach dem Relativpronomen die (das hier ein Singular ist), nicht nach dem Sie im übergeordneten Satz. Dass hier sind nicht allzu falsch klingt, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Form die auch ein Plural sein kann, der zur Pluralform sein passt:

Meine Damen und Herren, Sie sind es, die verwirrt sind.

In Ihrem Beispielsatz ist die aber eine weibliche Singularform. Das sieht man gut, wenn man nicht Frau Meier, sondern Herrn Meier Verwirrtheit unterstellt:

Herr Meier, Sie sind es, der verwirrt ist.

Wenn in einem Relativsatz das Relativpronomen Subjekt ist und sich auf ein Personalpronomen der 1. oder der 2. Person oder die Höflichkeitsform Sie bezieht, richtet sich das Verb des Relativsatzes nach dem Relativpronomen und nicht nach dem Bezugswort im übergeordneten Satz. Also auch zum Beispiel:

Ich bin es, der /die es zuerst gesehen hat.
Du bist es, der/die immer alles besser weiß.

Wenn dies einmal holprig klingt oder einfach nicht gefällt, kann das Personalpronomen wiederholt und in den Relativsatz „eingebaut“ werden. Dann richtet sich das Verb nach dem Personalpronomen:

Wie geht es dir, der/die so krank gewesen ist?
→ Wie geht es dir, der/die du so krank gewesen bist?

Ich, der/die sich nie geweigert hat
→ Ich, der/die ich mich nie geweigert habe

Das verstehen Sie, Herr M., der schon lange hier wohnt, besser als wir.
→ Das verstehen Sie, Herr M., der Sie schon lange hier wohnen, besser als wir.

Das verstehen Sie, Frau M., die schon lange hier wohnt, besser als wir.
→ Das verstehen Sie, Frau M., die Sie schon lange hier wohnen, besser als wir.

Ich hoffe nur, dass Sie, Frau P., die diese Frage gestellt hat / die Sie diese Frage gestellt haben, nach dieser Erklärung nicht verwirrter sind als vorher.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Komplizierte Verbformen: „bis es eingeführt sein werden wird“?

Frage

Gestern Abend habe ich im Fernsehen [eine Politikerin] gesehen. Sie sagte:

… bis dies eingeführt sein werden wird

Äh, was?? Gehe ich recht in der Annahme, dass wir es hier mit einer Passiv-Konstruktion 3. Person Singular im Futur 2 Indikativ im Nebensatz zu tun haben? Wäre es nicht besser so: „… bis dies eingeführt sein wird“ oder „… bis dies eingeführt worden ist“? Haben Sie noch eine andere Idee?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

die Form, die Sie gehört haben, gibt es nicht. Es ist aber nicht erstaunlich, dass der Politikerin die Verbformen durcheinandergeraten sind. Gerade in der gesprochenen Sprache sind solche Anhäufungen von Verbformen oft schwierig zu meistern, auch für Menschen, die das Deutsche im Allgemeinen gut beherrschen.

Gemeint war wahrscheinlich Folgendes:

 … bis dies eingeführt worden sein wird

Das ist tatsächlich die 3. Person Singular Futur II Indikativ Passiv des Verbs einführen. Solche Formen kommen relativ selten vor, nicht zuletzt, weil sie so komplex sind. Oft ist es einfacher und nicht weniger präzise, das Futur durch das Präsens zu ersetzen (das ist im Deutschen fast immer möglich) oder das Aktiv anstelle des Passivs zu verwenden:

… bis dies eingeführt worden ist
… bis dies eingeführt ist

… bis man dies eingeführt haben wird / eingeführt hat
… bis wir dies eingeführt haben werden / eingeführt haben

Es gibt also verschiedene einfachere Formulierungen. Doch beim freien Sprechen kommt man nicht immer sofort auf die ideale Formulierung, vor allem wenn der Inhalt des Gesagten auch noch stimmen sollte.  Wir sollten deshalb der Politikerin diesen Verbformen-Ausrutscher nicht übel deuten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wird, werdet oder werden euresgleichen dies nie verstehen?

Frage

Welcher der folgenden Sätze ist korrekt? Verwendet man hier „wird“, „werdet“ oder „werden“?

Euresgleichen wird dies nie verstehen.
Euresgleichen werdet dies nie verstehen.
Euresgleichen werden dies nie verstehen.

Antwort

Guten Tag Herr A.,

mit dem Wort euresgleichen richtet man sich zwar an eine zweite Person Mehrzahl, aber das Verb steht trotzdem in der dritten Person Einzahl. Die Pronomen meinesgleichen, deinesgleichen, seinesgleichen usw. bedeuten nämlich jemand wie …, und wie jemand werden sie als dritte Person Einzahl behandelt, wenn sie allein stehend Subjekt sind:

Meinesgleichen hat das nicht nötig.
Deinesgleichen sollte nicht so reden.
Ist unseresgleichen dort noch sicher?
Ihresgleichen wird immer etwas zu klagen haben.

Richtig ist also:

Euresgleichen wird dies nie verstehen.

Anders sieht es aus, wenn man meinesgleichen usw. mit einem anderen Wort zu einem mehrteiligen Subjekt erweitert. Dann geht man gleich vor, wie wenn mit einer anderen dritten Person Einzahl kombiniert wird (vgl. hier):

Ich und meinesgleichen haben das nicht nötig.
Du und deinesgleichen solltet nicht so reden.
Sind wir und unseresgleichen dort noch sicher?
Hans und seinesgleichen werden immer etwas zu klagen haben.

Ihr und euresgleichen werdet dies nie verstehen.

Zu guter Letzt noch eine zwar gut gemeinte, aber forcierte und stilistisch wenig gelungene abschließende Formulierung: Meinesgleichen wünscht, dass Ihresgleichen ein gutes Wochenende haben möge. Besser und meiner Meinung nach auch freundlicher:

Schönes Wochenende!

Dr. Bopp

Wonach richtet sich das Verb bei Subjekten mit „nicht (nur) … sondern (auch) …“?

Frage

Mal wieder ein Kongruenzproblem, für das ich in den einschlägigen Nachschlagewerken keine befriedigende Lösung finde. Es geht um diesen Satz: „Es wird so sein, dass nicht die Mutter die Blicke auf sich ziehen wird, sondern ihre Kinder.“ In der Leo-Grammatik steht zwar, dass sich die Personalform des Verbs nach dem ihm am nächsten stehenden Subjekt richtet, aber das kann hier ja nicht gelten. Wie würde hier die Regel lauten? Ist der Satz so korrekt?

Antwort

Guten Tag Herr H.,

nach der „Regel“, die Sie in der LEO-Grammatik gefunden haben, richtet sich das Verb bei einem mehrteiligen Subjekt mit nicht (nur)  – sondern (auch) tatsächlich nach dem Teil des mehrteiligen Subjekts, der am nächsten beim Verb steht:

Nicht nur die Bank, sondern auch die Lieferbetriebe erheben zusätzliche Gebühren.
Nicht nur die Lieferbetriebe, sondern auch die Bank erhebt zusätzliche Gebühren.

Nicht die Mutter, sondern ihre Kinder werden die Blicke auf sich ziehen.
Nicht die Kinder, sondern ihre Mutter wird die Blicke auf sich ziehen.

So weit ist die Lage übersichtlich. Ihr Beispielsatz ist deshalb komplizierter, weil er zwei verschiedene Phänomene in sich birgt:

1) Das mehrteilige Subjekt steht in einem Nebensatz:

Stimmt es, dass nicht nur die Bank, sondern auch die Lieferbetriebe zusätzliche Gebühren erheben?
Stimmt es, dass nicht nur die Lieferbetriebe, sondern auch die Bank zusätzliche Gebühren erhebt?

Es wird so sein, dass nicht die Mutter, sondern ihre Kinder die Blicke auf sich ziehen werden.
Es wird so sein, dass nicht die Kinder, sondern ihre Mutter die Blicke auf sich ziehen wird.

Auch hier gilt, dass das Verb sich nach dem Teil des mehrteiligen Subjekts richtet, der ihm am nächsten steht.

2) Die sondern-Gruppe wird vom anderen Subjektteil getrennt an des Schluss des Satzes ins Nachfeld verschoben. In einem Hauptsatz ist das immer noch relativ problemlos:

Nicht nur die Bank erhebt zusätzliche Gebühren, sondern auch die Lieferbetriebe.
Nicht nur die Lieferbetriebe erheben zusätzliche Gebühren, sondern auch die Bank.

Nicht die Mutter wird die Blicke auf sich ziehen, sondern ihre Kinder.
Nicht die Kinder werden die Blicke auf sich ziehen, sondern ihre Mutter.

1) + 2) Problematischer wird es erst, wenn die sondern-Gruppe wie in Ihrem Beispiel in einem Nebensatz steht und von der nicht-Gruppe getrennt ins Nachfeld ausgelagert wird. Dann steht die sondern-Gruppe direkt nach dem abschließenden Verb des Nebensatzes. Gemessen am reinen Wortabstand steht sie nun zwar näher beim Verb, sie ist aber trotzdem „weiter weg“, weil sie sozusagen aus dem Satz ausgelagert worden ist. Das Verb richtet sich dann nach dem Subjektteil, der vor ihm im Mittelfeld steht:

Stimmt es, dass nicht nur die Bank zusätzliche Gebühren erhebt, sondern auch die Lieferbetriebe?
Stimmt es, dass nicht nur die Lieferbetriebe zusätzliche Gebühren erheben, sondern auch die Bank?

Es wird so sein, dass nicht die Mutter die Blicke auf sich ziehen wird, sondern die Kinder.
Es wird so sein, dass nicht die Kinder die Blicke auf sich ziehen werden, sondern ihre Mutter.

Die Angabe, die Sie in der LEO-Grammatik gefunden haben, müsste eigentlich für Fälle wie diesen präzisieren, dass mit „näher“ nicht immer der reine Wortabstand gemeint ist. Wie die Antwort auf Ihre Frage vielleicht zeigt, kann es aber manchmal eher verwirrend als hilfreich sein, wenn man ganz präzise sein will. Deshalb für den Allgemeingebrauch einfacher: In den meisten Fällen richtes sich das Verb bei mehrteiligen Subjekten mit nicht (nur) – sondern (auch) nach dem Teil des Subjekts, das ihm am nächsten steht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Verbform bei Subjekt mit verschiedenen Personen: du und er wirst/werdet/werden?

Frage

Wir haben hier wieder einmal große Diskussionen, wie es richtig heißt. Unsere Sätze lauten:

  1. Der Platzanweiser wird Ihnen zeigen, wo Sie und Ihr Neffe sitzen werden.
  2. Der Platzanweiser wird euch zeigen, wo ihr und euer Neffe sitzen werden/werdet[?]
  3. Der Platzanweiser wird dir zeigen, wo du und dein Neffe sitzen wirst/werdet/werden[?]

Der erste Satz scheint klar zu sein. In den Sätzen 2 und 3 wäre von der Logik her wohl „werdet“ angebracht, aber „werden“ klingt auch nicht falsch. „Wirst“ klingt falsch in Satz 3.

Antwort

Guten Tag Frau L.,

der erste Satz wird tatsächlich wie folgt formuliert:

  1. Der Platzanweiser wird Ihnen zeigen, wo Sie und Ihr Neffe sitzen werden.

Die dritte Person Sie und die dritte Person Ihr Neffe bilden zusammen ein Subjekt. Ein Subjekt mit zwei durch und verbundenen dritten Personen verlangt ein Verb in der dritten Person Plural, also werden.

Der zweite und der dritte Satz sind etwas schwieriger, weil sie ein mehrteiliges Subjekt haben, in dem unterschiedliche Personen miteinander verbunden sind. Das und verbindet nicht zwei gleiche Personen wie im ersten Satz, sondern eine zweite und eine dritte Person. In welcher Person steht dann das Verb? – Wenn von zwei Subjektteilen einer eine zweite und einer eine dritten Person ist, wählt man für das Verb die zweite Person Plural:

ihr und er = ihr
du und er = ihr

Es heißt also:

  1. Der Platzanweiser wird euch zeigen, wo ihr und euer Neffe sitzen werdet.
  2. Der Platzanweiser wird dir zeigen, wo du und dein Neffe sitzen werdet.

Weitere Informationen zu mehrteiligen Subjekten mit unterschiedlichen Personen stehen auf dieser Seite in der LEO-Grammatik, damit Sie und ich, wenn nötig, alles nachschlagen können.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Komplexe Modalverbkonstruktionen: „Es müsste operiert worden sein“

Frage

Um was für eine Konstruktion handelt es sich hierbei: „Es müsste gestern operiert worden sein“? „Es müsste“ scheint mir Konjunktiv II zu sein. Aber der Rest? Ich freue mich, wenn Sie Licht in die Sache bringen könnten.

Antwort

Guten Tag Herr H.,

es handelt sich hier um eine Modalverbkonstruktion. Bei einer Modalverbkonstruktion wird ein Modalverb (dürfen, können, müssen, mögen, sollen, wollen) mit dem Infinitiv eines Vollverbs kombiniert. Hier wird müsste mit operiert worden sein verbunden:

müsste = Konjunktiv II Präteritum 3. Person Singular von „müssen“ (vgl. hier)
operiert worden sein = Infinitiv Perfekt Passiv von „operieren“  (vgl. hier)

Nach seiner Bedeutung wird der Konjunktiv II Präteritum auch Konjunktiv II Gegenwart genannt. Hier drückt müssen im Konjunktiv II zusammen mit einem Partizip Perfekt eine Vermutung in der Gegenwart über etwas Vergangenes aus:

Es müsste operiert worden sein.
= Es ist anzunehmen/wahrscheinlich, dass operiert worden ist.

Siehe auch die Angaben in der LEO-Grammatik zu dieser Verwendung von müssen.

Das ist nicht dasselbe wie:

Es hätte operiert werden müssen.

Damit wird gesagt, dass in der Vergangenheit nicht operiert wurde, obwohl hätte operiert werden müssen. Es ist also keine Vermutung, sondern eine Aussage über etwas, das in der Vergangenheit nicht geschehen ist, obwohl es hätte geschehen müssen (vgl. diesen älteren Blogartikel).

Noch komplexer ist diese Formulierung:

Es hätte operiert worden sein müssen.

Wenn die Formulierung überhaupt noch entzifferbar ist, bedeutet sie, dass zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit nicht operiert worden war, obwohl dies hätte geschehen sein müssen (verstehen Sie’s noch?). Es ist jedenfalls auch keine Vermutung.

Und wie sieht es mit einer Vermutung in der Vergangenheit aus? Sie lässt sich u. a mit dem Indikativ Präteritum von müssen ausdrücken:

Es musste operiert worden sein.
= Es war wahrscheinlich, dass operiert worden war.

Der langen Abschweifung kurzer Sinn: Das Problem bei komplexeren Modalverbkonstruktionen ist weniger, wie man sie korrekt benennt, als vielmehr, was genau mit ihnen gesagt wird oder gesagt werden soll. Häufig ist dann eine Umschreibung mit anderen Worten anzuraten, damit nicht diese Kritik laut wird: „Es hätte leichter verständlich formuliert werden können“.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wer könnte es getan haben oder wer hätte es tun können?

Frage

Neulich habe ich den folgenden Satz gelesen:

Wir haben uns gefragt, welche Faktoren das dargestellte Blühphänomen ausgelöst haben könnten.

Ich habe mich dann gefragt, ob er auch wie folgt umformuliert werden könnte:

Wir haben uns gefragt, welche Faktoren das dargestellte Blühphänomen hätten auslösen können.

Gibt es einen Bedeutungsunterschied?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

beide Formulierungen sind möglich, sie haben aber nicht dieselbe Bedeutung.

Welche Faktoren könnten das dargestellte Blühphänomen ausgelöst haben?
… welche Faktoren das dargestellte Blühphänomen ausgelöst haben könnten.

Wenn Sie so formulieren, hat das Blühphänomen stattgefunden. Es wird gefragt, welche Faktoren es möglicherweise ausgelöst haben.

Welche Kulturfaktoren hätten das dargestellte Blühphänomen auslösen können?
… welche Kulturfaktoren das dargestellte Blühphänomen hätten auslösen können.

Bei dieser Formulierung hat das Blühphänomen nicht stattgefunden. Es wird gefragt, welche Faktoren es hätten auslösen können.

Der Unterschied lässt sich nur schwer in Worte fassen. Hier noch ein Beispiel:

Wer könnte es getan haben?

Es wurde getan. Wer hatte (vermutlich) die Möglichkeit, es zu tun?

Wer hätte es tun können?

Es wurde nicht getan. Wer hätte die Möglichkeit gehabt, es zu tun?

Es ist übrigens fraglich, ob der Unterschied wirklich immer so eingehalten wird. Die Verbgruppen sind komplex und einander ähnlich.

Im ersten Fall wird der Konjunktiv II Gegenwart von können (könnte) mit dem Infinitiv Perfekt von tun (getan haben) kombiniert: könnte getan haben. Es wird eine Vermutung über etwas Vergangenes geäußert. 

Im zweiten Fall wird der Konjunktiv II Vergangenheit von können (hätte können) mit dem Infinitiv Präsens von tun (tun) kombiniert: hätte tun können. Es wird etwas Irreales in der Vergangenheit ausgedrückt.

Wenn Sie all dem nicht mehr folgen können oder wollen oder es Ihnen allzu spitzfindig vorkommt, keine Sorge: Die Bedeutungsunterscheidung wird, wie schon oben gesagt, nicht immer so eingehalten. In der Regel ergibt sich aus dem weiteren Zusammenhang, was genau gemeint ist. Ohne jeglichen Kontext ist es sowieso oft schwierig, solche Äußerungen zu interpretieren.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Behängt und behangen, verhängt und verhangen

Frage

Die Erklärung in meinem Grammatikbuch zu „hängen“ ist meiner Meinung nach nicht  vollständig: Es müsse „hing, gehangen“ heißen, wenn KEINE Ergänzung im Akkusativ vorliege. Liege eine Ergänzung im Akkusativ vor, so müsse es „hängte, gehängt“ heißen.

Das Problem ist, dass es Satzkonstruktionen gibt, bei denen weder ein Dativ- noch ein Akkusativobjekt in Erscheinung tritt, so dass man dann anhand dieser Regelung keine Entscheidung treffen kann:

Der Himmel war wolkenverhangen.
Er hat eingehängt (Telefon).
Der Baum war mit Kugeln behängt.
…, so muss ein -n angehängt werden.

Wie kann man hier die Verwendung der jeweiligen Form begründen bzw. erklären? […]

Antwort

Guten Tag Herr G.,

die Erklärung aus dem Grammatikbuch ist so, wie Sie sie zitieren, vielleicht etwas zu einfach formuliert. Es geht hier nicht so sehr darum, ob im Satz ein Akkusativobjekt vorhanden ist, als darum, ob das Verb transitiv ist. Transitive Verben sind Verben, die ein Akkusativobjekt fordern. Wo ist dann aber der Gegensatz, den ich soeben erwähnt habe? Auf den ersten Blick macht es keinen Unterschied, ob ein Akkusativobjekt vorhanden ist oder ob das Verb transitiv ist. Ganz so einfach ist es aber nicht immer.

Die schwachen Formen hängte, gehängt stehen beim transitiven Verb hängen (resp. anhängen, aufhängen, einhängen, behängen, verhängen …), also beim hängen, das ein Akkusativobjekt fordert:

Wir hängten das Bild an die Wand.
Wir hängten ein n an. [Das Akkusativobjekt ist hier „ein n“]
Er hat den Hörer eingehängt.
Sie behängten den Baum mit Kugeln.
Sie haben die Fenster (mit Tüchern) verhängt.

Und nun kommen wir zum oben erwähnten Unterschied. Beim transitiven Verb einhängen kann das Akkusativobjekt den Hörer auch weggelassen werden. Das Akkusativobjekt ist dann nicht mehr vorhanden, einhängen ist aber immer noch ein transitives Verb:

Er hat eingehängt.

Auch wenn wir die Sätze ins Passiv umwandeln, gibt es kein Akkusativobjekt mehr, denn es wird im Passiv ja zum Subjekt:

Das Bild wurde an die Wand gehängt.
Ein n wurde angehängt.
Der Hörer wurde eingehängt.
Der Baum wurde mit Kugeln behängt.
Die Fenster wurden mit Tüchern verhängt.

Das gilt auch für das sein-Passiv (soweit es möglich/sinnvoll ist):

Der Hörer ist eingehängt.
Der Baum war mit Kugeln behängt.
Die Fenster waren mit Tüchern verhängt.

Die schwachen Formen gehören also zu den transitiven Verben hängen, aufhängen, einhängen, behängen, verhängen usw.

Und nun wird es noch etwas komplizierter: Das Partizip Perfekt von behängen und verhängen wird auch in Sätzen verwendet, die wie ein sein-Passiv aussehen, die aber nicht in ein Aktiv umgewandelt werden können. Dann verwendet man in der Regel die starken Formen behangen und verhangen:

Der Baum war mit Früchten behangen.
mit Schnee behangene Zweige
Der Himmel ist mit Wolken verhangen (o. wolkenverhangen)
Der Keller war mit Spinnweben verhangen.

Etwas ist behängt oder verhängt, wenn ein Subjekt es aktiv behängt oder verhängt hat. Etwas ist behangen oder verhangen, wenn kein aktives Subjekt es behängt oder verhängt hat. Niemand hat den Baum mit Früchten behängt. Der Himmel wurde von niemandem mit Wolken verhängt und die Spinnen haben die Netz nicht gewebt, um den Keller damit zu verhängen (sondern um Beutetiere zu fangen).

So weit die Theorie. Die Unterscheidung zwischen den starken und schwachen Partizipien von behängen und verhängen wird in der Sprachpraxis nicht immer so eingehalten. Es ist auch schwierig, so schnell genau zu unterscheiden zwischen zum Beispiel mit Fähnchen behängten und mit Äpfeln behangenen Bäumen oder mit Tüchern verhängten und mit Efeu verhangenen Fenstern.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp