Da ich nicht unbedingt ein Morgenmensch bin, wälze ich beim Frühstück eigentlich nie komplexe sprachliche Probleme. Komplex wurde es also heute Morgen nicht, auch nicht besonders neu und originell, aber immerhin ein bisschen sprachlich. Obwohl ich die Verpackung bestimmt nicht zum ersten Mal in die Hand nahm und mein Auge schon oft auf das Wort Muesli gefallen sein muss, fragte ich mich aus unerfindlichen Gründen zum ersten Mal, warum es den Getreideflockenfrühstückskostproduzenten behagt hatte, Muesli auf die Verpackung drucken zu lassen. Nicht viel später wurde mir klar, dass eigentlich die ganze Verpackung englisch bedruckt ist. Das hat man halt davon, wenn man seinen Tag unbedingt mit einem Produkt aus angelsächsischem Hause anfangen will, statt heimisches Schaffen zu ehren.
Das englische muesli ist einfach das deutsche Müsli mit ue statt ü. Und – wie wohl den meisten bekannt ist – kommt das deutsche Wort Müsli aus der Schweiz. Dort hat der Schweizer Ernährungswissenschaftler Maximilian Oskar Bircher-Brenner Bircher-Benner, ein Pionier der Vollwertkost, am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts das nach ihm benannte Birchermüesli entwickelt. Er soll es übrigens auf einer Bergwanderung bei Alphirten entdeckt haben. Doch es geht hier weder um die Entstehungsgeschichte des Müslis noch um das Rezept oder darum, dass zu meiner Teenagerzeit ein Mädchen auf unserer Mittelschule eine Großnichte dieses Dr. Bircher gewesen sein soll. Nein, es geht um das fehlende e.
In den meisten deutschen Wörterbüchern steht nämlich nicht nur Müsli, sondern eben auch Müesli. Bei der zweiten Form steht dann oft die Ergänzung schweiz. oder in der Schweiz nur so. Und hiermit sind wir wieder beim Gedankengang, der sich heute mit morgendlicher Trägheit in meinem Hirn entfaltete: ein Müsli ist ein kleines Mus, d.h. ein Müschen oder Müslein. In vielen Schweizerdeutschen Dialekten ist ein Mus ein Mues (für nicht Schweizerdeutsch Sprechende: ue nicht als ü, sondern als Doppelaut aus u und unbetontem e aussprechen). Entsprechend ist ein Müslein ein Müesli (für nicht Schweizerdeutsch Sprechende: hier ist jegliche kurze Beschreibung der Aussprache zum Scheitern verurteilt). Das erklärt aber immer noch nicht, weshalb die Schweizer hier darauf bestehen, die schweizerische Schreibung beizubehalten. Die typisch schweizerische Diminutivendung -li mag dabei eine Rolle spielen, aber vielleicht auch die Tatsache, dass in vielen Deutschschweizer Dialekten Müsli (oder Müüsli) die Verkleinerungsform von Muus = Maus ist. Wer kann es den Schweizer Getreideflockenkonsumenten verübeln, dass sie morgens zum Frühstück keine Mäuschen löffeln wollen?