Wenn ich du wäre – wenn ich dich wäre

Frage

„Wenn ich du wäre …“
„Wenn ich dich wäre …“

Die Menschen hier in Süddeutschland verwenden letztere Variante mit Vorliebe. Würden Sie bitte, bitte die Freundlichkeit haben und ihnen erklären, weshalb jene nicht richtig ist? Ich wäre Ihnen wirklich unsäglich dankbar – man glaubt mir einfach nicht (das Problem ist eben, daß ich keine grammatikalische Regel „aufsagen“ kann).

Antwort

Sehr geehrte Frau B.,

im südlichen deutschen Sprachraum heißt es umgangssprachlich korrekt:

wenn ich dich wäre

Mit diesem etwas provokativen Anfang möchte ich Sie nur darauf hinweisen, dass es mehr als eine Variante der deutschen Sprache gibt. Worum es Ihnen geht, ist die als Standardsprache bezeichnete Variante – und dann haben Sie recht. Auf gut Standarddeutsch heißt es nur und ausschließlich:

wenn ich du wäre

Das du ist ein prädikativer Nominativ (siehe Prädikativ zum Subjekt). Es heißt ja auch:

wenn ich wer wäre? (nicht: *wenn ich wen wäre?)
wenn ich dein Bruder wäre. (nicht: *wenn ich deinen Bruder wäre)

Analog steht standardsprachlich auch bei den Personalpronomen der Nominativ und nicht der Akkusativ:

wenn ich du wäre
wenn du ich wärst
wenn ich er wäre

Dennoch ist hier in vielen Dialekten und Regionalsprachen der Akkusativ gebräuchlich:

wenn ich dich wäre
wenn du mich wärst
wenn ich ihn wäre

In der Umgangssprache dieser Regionen ist dies eine mindestens gleichwertige, wenn nicht sogar die „richtigere“ Variante. Ich würde deshalb empfehlen, die Leute dort nur dann zu korrigieren, wenn Sie als Lehrerin, Korrektorin, Lektorin oder in einer ähnlichen Funktion auftreten oder wenn Sie gefragt werden, was standardsprachlich als korrekt gilt. Wenn es standardsprachlich wirklich einwandfrei sein soll, heißt es ohnehin besser:

an deiner Stelle

Interessant finde ich weiter, dass die Regionalsprachen mit diesem „Fehler“ nicht allein dastehen. Auch im Englischen heißt es:

if you were me

Die Verwendung des Nominativs I ist ebenfalls möglich, aber if you were I scheint für die meisten Englischsprachigen eher gestelzt zu klingen. Auch in anderen germanischen Sprachen kann Ähnliches beobachtet werden. In zum Beispiel dem Niederländischen und dem Norwegischen steht das Personalpronomen bei dieser Formulierung auch im Akkusativ statt im Nominativ:

als ik jou was
als jij mij was

hvis jeg var deg.
hvis du var meg.

Warum es eine Tendenz gibt, hier den Akkusativ zu verwenden, weiß ich leider nicht. Ich konnte keine Erklärung finden. Es zeigt aber, dass die deutschsprachigen dich-Sagenden nicht die einzigen sind.

Und damit mir nun niemand vorwerfen kann, ich propagiere falsches Deutsch, sei noch einmal gesagt, dass im Standarddeutschen nur der Nominativ als korrekt gilt:

wenn ich du wäre

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Barbecue, Grillparty, Röstfest

Der Sommer ist in unseren Breitengraden ja inzwischen endlich ausgebrochen. Neben den ersten über Hitze Klagenden, vollen Stränden und Schwimmbädern sowie einigen zu stark geröteten Körperteilen ist eine der Auswirkungen, dass die Umsätze bei Holzkohle und Grillwürsten rasant gestiegen sein müssen. Das hat mich auf die Frage gebracht, wie es denn „wortherkünftlich“ um Grill und Barbecue steht, zwei Wörter also, die zu dieser Jahreszeit Hochsaison haben.

Barbecue kommt natürlich aus dem Amerikanischen. Von dort ist es jedenfalls zu uns gelangt, denn wirklich Englisch sieht das Wort ja auf den zweiten Blick nicht aus. Es kommt dann auch vom spanischen Wort barbacoa, das über El Salvador und Mexiko in die Vereinigte Staaten gelangt war. Die eigentliche Ursprungssprache ist eine dahingemordete karibische Sprache der Großen Antillen, in der das Wort einen Rost bezeichnete, auf dem Fleisch getrocknet oder geräuchert werden konnte, der aber unter anderem auch als Bett gedient haben soll.

Echte Barbecue-Fans werden Ihnen genau erklären können, dass es einen signifikanten Unterschied zwischen der Barbecue- und der Grilltechnik gibt, aber im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe fröhlich nebeneinander verwendet. Barbecue und vor allem seine Variante BBQ gehören dabei aber eher zur Sprache der Lifestyle-Magazine, der Gartencenter-Prospekte und der sommerlichen Sonderangebote in der Fleischabteilung.

Echten Anglizismenjägern ist Barbecue dann auch ein Dorn im Auge. Sie möchten es überall durch Grill oder Bratrost bzw. durch Grillen ersetzt haben. Auch in meinem aktiven Wortschatz kommt Barbecue zwar nicht vor, aber ganz so deutsch sind Grill und Grillen nun auch wieder nicht. Grill kommt nämlich ebenfalls aus dem Englischen. Für die weitere Wortgeschichte können wir dann aber diesseits des Atlantiks bleiben. Die Engländer haben das Wort von den Franzosen (gril o. grille) übernommen. Das französische Wort geht über einige Lautveränderungen auf das lateinische craticulum oder craticula (Diminutiv zu cratis = Flechtwerk) zurück, das Geflecht, kleiner Rost bedeutete. Süddeutsche und Schweizer mögen hier auch eine eventuelle Verwandtschaft mit dem Wort Kratten (eine Art Korb) erkennen.

Ob wir nun grillen oder zum Barbecue einladen, beides kommt ursprünglich aus dem Englischen. Grill und grillen haben sich aber (vorläufig noch?) besser im deutschen Wortschatz etabliert. Wer Englisches ganz vermeiden will, muss anstelle von Barbecue, Grillparty oder Grillfest auf ein Wort wie zum Beispiel Röstfest zurückgreifen. So weit gehen aber auch die eifrigsten Anglizismenwehrer nicht.

Zum Schluss noch etwas „Regionales“: Neben grillen gibt es in der Schweiz auch die Form grillieren: Ein gegrilltes Hähnchen ist ein grilliertes Poulet. Doch während Deutschschweizer und Deutschschweizerinnen niemals ihr Auto parken, sondern immer nur parkieren, wundert sich auch in der Schweiz kaum jemand, wenn das Poulet einmal gegrillt und nicht grilliert ist.

Viele schöne Grillabende wünsche ich allen, die Gegrilltes mögen!

An und zu Weihnachten

Mit „an und zu Weihnachten“ ist nicht der adlige Nachname des Weihnachtsmannes gemeint, sondern eine immer wieder auftauchende Frage, die zu Beginn der Adventszeit auch mich erreicht hat:

Frage

Anlässlich der meisten Festtage rege ich mich über die Formulierung der Radiomoderatoren (u. Ä.) auf, wenn sie zeitnah zum jeweiligen Fest von „an Ostern“, „an Weihnachten“ usw. sprechen. Für mich ist das „an“ eine Ortsbestimmung (an die Wand gestellt und zu Weihnachten wieder in die Stube). Was gibt es von Ihrer Seite dazu für eine Meinung?

Antwort

Sehr geehrter Herr W.,

wenn an immer eine Ortsbestimmung anführte, würde auch mit den folgenden Aussagen etwas nicht stimmen:

am Mittwoch
an einem schönen Sommerabend
an diesem 4. Dezember

Das kann also nicht der Grund sein. Bei an und zu spielt in diesem Fall etwas anderes eine Rolle: Die Zeitangaben an Weihnachten und zu Weihnachten (ebenso Ostern, Pfingsten) sind regional bestimmt. Im Norden und Osten Deutschlands sowie in Österreich ist zu Weihnachten verbreitet. Im Westen und Süden Deutschlands und in der Schweiz heißt es in der Regel an Weihnachten. Daneben gibt es auch noch Menschen, die keine Präposition verwenden. Es gibt im Deutschen mehr als eine Formulierung, von denen auch standardsprachlich keine die „Alleinherrschaft“ beanspruchen kann:

Was machst du zu Weihnachten?
Was machst du an Weihnachten?
Was machst du Weihnachten?

Die genauere geografische Verteilung der Varianten finden Sie im Atlas der deutschen Alltagssprache der Uni Augsburg.

Sie ärgern sich also zu Unrecht über eine falsche Formulierung. Die Radiomoderatoren (u. Ä.), die Sie meinen, kommen einfach aus der „an-Region“, während Sie offensichtlich aus der „zu-Region“ stammen.

Bei Geschenken anlässlich des Weihnachtsfestes verwenden übrigens auch die „an-Sager“ und „an-Sagerinnen“ meistens zu:

jemandem etwas zu Weihnachten schenken

Hier ist nicht der Zeitpunkt gemeint, sondern zu welchem Zweck, zu welchem Anlass das Geschenk gegeben wird.

Wenn Sie also in den nächsten Tagen jemand fragt, was Sie zu oder an Weihnachten tun werden, finden Sie in der Frage einen kleinen Anhaltspunkt, woher der Fragesteller oder die Fragestellerin kommen könnte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Können deutsche Autos gehen?

Frage

Wieso heißt es in Deutschland „Umgehungsstraße“? Bei uns in der Schweiz heißt es „Umfahrungsstraße“. Ein Auto fährt doch – oder geht es doch?

Antwort

Dass man in Deutschland Umgehungsstraße und nicht Umfahrungsstraße sagt, liegt daran, dass die Deutschen das Wort umgehen in diesem Zusammenhang ein bisschen anders, abstrakter verwenden als die Schweizer und die Österreicher. Mit umgehen kann nicht nur um etwas herumgehen, sondern auch um etwas herumfahren oder um etwas herumverlaufen gemeint sein. Auf gut „Deutschländisch“ kann man deshalb sagen:

Wir umgehen die Stadt westlich auf der A 81.
Die Schnellstraße umgeht das Dorf in einem weiten Bogen.

Für deutsche Ohren klingt Umgehungsstraße also ganz normal, auch wenn man nicht zu Fuß, sondern im Auto auf ihr unterwegs ist. In der Schweiz und in Österreich versteht man das natürlich auch, man sagt aber:

Wir umfahren die Stadt westlich auf der A3.
Die Schnellstraße führt in einem weiten Bogen um das Dorf.

Entsprechend heißt es dann nicht Umgehungsstraße, sondern Umfahrungsstraße (oder nach gut schweizerischer Orthografie Umfahrungsstrasse).

In Deutschland können Autos also auch nicht wirklich gehen, aber man kann in ihnen – sofern das Straßennetz es zulässt – einen Ort fahrend umgehen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Regelmässig trennen

Wenn Sie denken, im Titel einen Fehler entdeckt zu haben, stimmt das nur bedingt.  Es geht heute um eine Frage, die mich hin und wieder aus der Schweiz erreicht. In der schweizerischen Rechtschreibung gibt es das ß (Eszett) ja nicht. Man verwendet immer ss. Manchmal stellt sich dann am Zeilenende die Frage, wie dieses anstelle von ß verwendete ss zu trennen ist. Wie also trennt man regelmäßig, wenn man regelmässig schreibt?

Frage

Können Sie mir bitte die korrekte Trennung von „regelmässig“ sagen. Im Duden finde ich nur die deutsche Schreibweise.

Antwort

Sehr geehrte Frau W.,

wenn man ss statt ß schreibt, trennt man ss gleich wie andere Doppelkonsonanten:

re-gel-mäs-sig (re-gel-mä-ßig)
schweis-sen (schwei-ßen)
Straus-sen-fe-der (Strau-ßen-fe-der)
gros-se Füs-se (gro-ße Fü-ße)

und

schweiss-te (schweiß-te)
scheuss-lich (scheuß-lich)
Fleiss-ar-beit (Fleiß-ar-beit)
klei-ne Füss-chen (kleine Füß-chen)

Die entsprechende Regel finden Sie hier (unter „x, ss und ß“).

Das war früher, das heißt vor der Rechtschreibreform, übrigens anders. Damals war man „offiziell“ gehalten, für ß stehendes ss gemeinsam abzutrennen (re-gel-mä-ssig). Wahrscheinlich haben sich aber nur wenige an diese Regel gehalten – sofern sie überhaupt bekannt war. Die mit der Reform eingeführte Änderung ist kaum jemandem aufgefallen, geschweige denn, dass es zu Protesten gekommen wäre. Man trennt in der Schweiz heute also nicht nur in der Praxis, sondern auch mit offzieller „Genehmigung“ der Rechtschreibregelung re-gel-mäs-sig.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

NS: Leser und Leserinnen, die diese schweizerische Schreibgewohnheit nicht kennen, und sich nun vielleicht fragen, wie man überhaupt ohne ß auskommen kann, verweise ich auf den schon etwas älteren Blogeintrag „Die Maße und die Masse in der Schweiz“.

Der Bürgersteig

Frage

Bürgersteig! Ist diese Bezeichnung für „Gehweg“ heute noch standesgemäß? Während meines Studiums, wurde uns erklärt, diese Definition stamme aus Kaisers Zeiten! Um den Kaiser bei Besuchen, Paraden etc. besser sehen zu können, sollten die Bürger den höher gelegenen Teil der Straße (den Bürgersteig) benutzen! Warum nicht heute generell „Gehweg“?

Antwort

Sehr geehrter Herr B.

am Wort Bürgersteig gibt es eigentlich nicht so viel auszusetzen. Die Erklärung, die man Ihnen während des Studiums gegeben hat, scheint mir nicht wirklich zutreffend zu sein. Bürgersteige gab es schon vor des Kaisers Zeiten. Vielleicht war aber auch einfach allgemein ein Fürst gemeint oder wurden Bürgersteige erst unter kaiserlicher Herrschaft so genannt. Bürgersteige gab es allerdings auch dort, wo keine kaiserlichen oder sonstigen fürstlichen Paraden zu erwarten waren. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie außerdem häufiger Trottoir genannt. Eine andere überzeugende Erklärung muss ich Ihnen aber ehrlich gesagt auch schuldig bleiben. Ich konnte sie in keiner der mir zur Verfügung stehenden Quellen finden. So behauptet jemand, dass der Bürgersteig so heiße, weil nur die gute Bürgerschaft, nicht aber das gewöhnliche Volk ihn benutzen durfte. Bei dieser Erklärung ist die Benutzung des Bürgersteigs also nicht dem niedrigeren Stand, sondern umgekehrt den Höhergestellten vorbehalten.

Die genaue Herkunft des Wortes ist also ungeklärt oder einfach so unspektakulär, dass ich keine Informationen dazu finden konnte. Heute heißt der erhöhte Gehweg für Fußgänger jedenfalls so, ohne dass ein bestimmter sozialer Stand damit verbunden wäre. Ich finde also keinen Grund, weshalb man das Wort Bürgersteig nicht mehr verwenden sollte. (Man könnte sich höchstens Fragen, ob denn Fahrradfahrer, Motorradfahrer und Automobilisten nicht auch Bürger sind. Nicht alle Verkehrsteilnehmer auf Rädern sind schließlich ungehobelte Rüpel und auch unter den Fußgängern gibt es sich eher proletenhaft Benehmende.) Das Wort Bürgersteig ist allerdings nicht überall üblich und manche finden den Begriff etwas veraltet. Deshalb hört man oft eher Gehweg, Gehsteig (SO-Deutschland, Österreich) oder Trottoir (Schweiz).

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Möbel(stück)

Frage

Schreibt man „Ich brauche ein Möbel für mein Telefon“ oder „Ich brauche ein Möbelstück für mein Telefon“?

Antwort

Sehr geehrte Frau S.,

das Wort Möbel steht meistens in der Mehrzahl. Es ist aber nicht grundsätzlich falsch, es in der Einzahl zu verwenden (steht zum Beispiel auch in Duden, DWDS, Wahrig, Pons, Canoonet). Je nach Region, Alter, Beruf oder was sonst noch eine Rolle spielen mag, finden wir die Einzahl das Möbel unmöglich, ungewöhnlich oder ganz normal. Möbel ist also – anders als das englische furniture und anders als gelegentlich gesagt wird – nicht ein Wort, das ausschließlich in der Mehrzahl verwendet werden darf.

Daneben wird auch das Wort Möbelstück verwendet, vor allem von denjenigen, die sich nicht mit das Möbel anfreunden können oder wollen. Sie können also beides sagen:

Ich brauche ein Möbel für mein Telefon.
Ich brauche ein Möbelstück für mein Telefon.

In meinen Ohren klingen allerdings beide Formulierungen etwas ungewöhnlich. Die Einzahl von Möbel ist wohl deshalb wenig gebräuchlich, weil vom winzigen japanischen Lacktischchen bis hin zum kolossalen Bücherschrank aus Eichenholz alles den Namen Möbel trägt. Wenn man einen einzelnen Einrichtungsgegenstand meint, gibt man deshalb meistens genauer an, was gemeint ist. Zum Beispiel:

Im Korridor versperrt ein großer Schrank den Durchgang.
Wann kaufst du endlich ein neues Sofa?
Ich brauche ein Tischchen für mein Telefon

Wenn Sie aber noch nicht wissen, welche Art Einrichtungsgegenstand Sie sich anschaffen wollen, können Sie auch von einem Möbel oder einem Möbelstück reden. Dabei steht es Ihnen frei, die Variante zu wählen, die Ihnen weniger ungewöhnlich vorkommt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Böden, Bögen, Bröte

Frage
In „Allerhand Sprachdummheiten“ bin ich über die Pluralbildung gestolpert:

„Bei einer Anzahl von Hauptwörtern wird der Plural jetzt oft mit dem Umlaut gebildet, wo dieser keine Berechtigung hat … Ärme, Böte, Bröte, Röhre, Täge, Böden, Bögen.“

Bei „Ärme“ und „Bröte“ hab ich ja noch geschmunzelt, aber bei „Böden“ und „Bögen“ fühle ich mich ertappt und Google liefert jede Menge Belegstelle für z. B. „Bögen“, „Sportbögen“, „Pfeile und Bögen“ etc. Gibt es eine heute gültige Regel, die das teilweise erlaubt, oder ist das nach wie vor schlicht falsch?

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

in den über hundert Jahren, seit „Allerhand Sprachdummheiten“ von Gustav Wustmann (1844 – 1910) erschienen ist*, hat sich in der deutschen Sprache einiges getan; auch in diesem Bereich: Während die umgelauteten Mehrzahlformen Ärme, Böte, Bröte, Röhre und Täge standardsprachlich immer noch als falsch gelten, ist die Bögen heute als die „im Süden“ gebräuchliche Variante zu die Bogen akzeptiert. Die Form die Böden hat den nicht umgelauteten Plural die Boden standardsprachlich sogar ganz verdrängt:

der Bogen – die Bogen, auch: die Bögen
der Boden – die Böden

Eine feste Regel gibt es hier nicht. Entscheidend ist der Gebrauch in der sogenannten Standardsprache. Als Standardsprache gilt – einfach gesagt – die Sprache in der Form, in der sie allgemein akzeptiert im offiziellen und im formelleren Umgang verwendet und auch an Schulen gelehrt wird. Das ist eine recht ungenaue Definition. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass häufiger eine gewisse Uneinigkeit oder Unsicherheit herrscht, welche Formen als standardsprachlich korrekt gelten. So geben einige Wörterbücher bei Kragen auch heute noch nur den Plural die Kragen an (z. B. Wahrig), während andere auch die Krägen als im südlichen deutschen Sprachraum verwendeten Pluralvariante erwähnen (z. B. Duden).

Wenn Sie wissen möchten, was heute als richtiges Deutsch gilt, können Sie also besser in Wörterbüchern und Grammatiken nachschlagen, die etwas jüngeren Datums als „Allerhand Sprachdummheiten“* sind. (Boden, Bogen). Es ist allerdings immer interessant, ältere Beschreibungen der deutschen Sprache zu lesen. Sie zeigen unter anderem, wie zeitgebunden die Etiketten „richtig“ und „falsch“ sein können.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

* Gustav Wustmann: Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen. Ein Hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen. Grunow, Leipzig 1891;
2. erw. Aufl. 1896; 3. erw. Aufl. 1903; 4. erw.. 1908;
Nachdruck der 3. Aufl 2008.

Es hat

Und hier ist sie dann, die schon lange erwartete, berühmte, unvermeidliche Frage nach es hat:

Frage

Wir diskutieren gerade, ob „es noch Joghurt im Kühlschrank hat“ oder ob „noch Joghurt im Kühlschrank ist“. Genauso: „Es hat hier viele gute Restaurants“ oder „Es gibt hier viele gute Restaurants“. Was ist richtig?

Antwort

Guten Tag H.,

grundsätzlich falsch ist keine der beiden Formulierungen.

a) Es gibt hier viele gute Restaurants.
b) Es hat hier viele gute Restaurants.

a) Im Kühlschrank ist noch Joghurt.
b) Im Kühlschrank hat es noch Joghurt

Welche Formulierung man verwendet, hängt von der Region ab. Nach den mir vorliegenden Informationen verwendet man b) es hat im Südwesten Deutschlands, im Westen Österreichs (Vorarlberg) und in der Schweiz. Es ist also nicht, wie manchmal gesagt wird, ein rein schweizerisches Phänomen. In Deutschland gilt es als regionale, landschaftliche Variante der Standardformulierung a) mit es gibt oder sein. In der Schweiz ist es hat die allgemein übliche und akzeptierte Variante.

Wenn Sie also sagen: „Es hat hier viele gute Restaurants“, verwenden Sie eine regionalsprachliche Variante, mit der Sie, ob Sie es nun wollen oder nicht, augenblicklich Ihre Herkunft aus der südwestlichen Ecke des deutschen Sprachraums zu erkennen geben. In der Schweiz gehört diese Formulierung zum Standard.

Wenn Sie sagen: “Es gibt hier viele Restaurants”, verwenden Sie in Deutschland und Österreich die allgemein akzeptierte, standardsprachliche Variante. In der Schweiz hingegen fällt man damit ein wenig auf. Wenn Sie dann auch noch erklären, dass im Kühlschrank noch Joghurt ist, dann outen Sie sich unweigerlich als „Import aus dem großen Nordkanton*“ (oder als „Groschli*“).

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

*Übersetzungshilfe für diejenigen, die die Schweiz (noch) nicht so gut kennen: Der große Nordkanton liegt nördlich der Schweiz und ist im Vergleich zu ihr sehr, sehr groß. Ein(e) Groschli kommt von dort, wo es vor den Eurocents Groschen hatte.

Die Bundeswaldinventur

Hin und wieder fallen mir in den Nachrichten, in einem Zeitungsartikel oder an anderen Orten Wörter und Wendungen auf, die so deutsch sind, dass es sie nur in Deutschland geben kann. Ich meine damit nicht „nur im Deutschen“, sondern tatsächlich „nur in Deutschland“. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass gewisse Wörter einfach diese Auswirkung auf mich haben. Einer meiner Spitzenreiter ist nach wie vor die Aufforderung Tropfmengen sind sofort aufzunehmen, mit der man an bundesdeutschen Zapfsäulen konfrontiert werden kann. Gestern war es das Wort Bundeswaldinventur. Es ist weder neu (es soll bereits die dritte Bundeswaldinventur sein), noch kommt Waldinventur nur in Deutschland vor. In der Schweiz nennt man es einfach Waldinventur und fügt, wenn nötig, ein schweizerische davor. Ähnliches gilt für Österreich, dort natürlich mit dem Adjektiv österreichische. Die Zusammensetzung Bundeswaldinventur kann einfach nur deutsch(ländisch) sein, und das liegt nicht nur daran, dass Deutschland nun einmal eine Bundesrepublik ist. Es geht vor allem um die „Präzision des Ausdrucks“, die das Wort ausstrahlt.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich weiß, dass es in allen Regionen typische, andernorts eher sonderbar wirkende Wörter und Wendungen gibt. Vive la différence! Ich weiß auch, dass es meist mehr oder weniger gute Gründe gibt, weshalb ein Wort so zusammengesetzt ist, wie es das ist. Ich meine auch nicht, dass das Wort im Titel falsch, schlecht oder lächerlich sei. Ich will nur sagen, dass mir gestern Bundeswaldinventur als durch und durch bundesdeutsches Wort aufgefallen ist.