Ist es zu Sarahs Linker oder zu Sarahs Linken?

Frage

Ich bin über die Frage eines Kollegen gestolpert, bei deren Antwort ich mir recht unsicher bin. Es geht um Folgendes:

Der Korridor führte auf die Terrasse. Zu Sarahs Linker ging es durch eine weitere Tür in den Essbereich.

Müsste es nicht heißen: „Zu Sarahs Linken ging es …“? Ich denke mir das so: „zur Linken von Sarah“, „zu Sarahs Linken“. Es heißt ja auch: „zu ihrer Linken“. Oder denke ich da völlig falsch? Ist vielleicht sogar beides richtig?

Antwort

Guten Tag R.,

das Wort Linke ist eine Substantivierung des Adjektivs linke. Es wird im Prinzip gleich gebeugt, wie wenn es als Adjektiv vor einem Substantiv steht:

zu ihrer linken Seite → zu ihrer Linken
zur linken Seite der Gastgeberin → zur Linken der Gastgeberin

Aber stark gebeugt, wenn ohne Artikel nach einem Genitiv:

zu Sarahs linker Seite → zu Sarahs Linker

Warum steht hier die Endung er? – Ohne Artikelwort wird ein Adjektiv, also auch linke, stark gebeugt:

zu Sarahs großer Freude
mit Sarahs kleiner Schwester
mit Frau Müllers ältester Tochter → mit Frau Müllers Ältester
zu Svens rechter Seite → zu Svens Rechter

Man hört und liest gelegentlich auch Formulierungen wie zu Sarahs Linken und zu Svens Rechten. Das liegt wahrscheinlich daran, dass diese Wendung nur selten mit einem vorangestellten Genitiv erscheint und sonst meist mit der Endung en steht. Grammatisch korrekt ist hier aber die starke Endung er, also zu Sarahs Linker und zu Svens Rechter.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wird oder werden in Kanada Französisch und Englisch gesprochen?

Frage

In einem Textbuch ist der Satz „In Kanada wird Englisch und Französisch gesprochen“ als richtige Lösung angegeben für „In Kanada ___ Englisch und Französisch gesprochen“. Warum nicht „werden gesprochen“?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

hier ist der Singular üblich, weil in Französisch sprechen und Englisch sprechen das Substantiv eng mit dem Verb verbunden ist:

In Kanada wird Französisch und Englisch gesprochen.
In der Schweiz wird Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch gesprochen.

Ebenso zum Beispiel:

Am 5. November wird im Foyer Klavier und Geige gespielt.
ein Ort, an dem Fußball und Volleyball gespielt wird
Im Winter wird dort Ski und Schlittschuh gelaufen.
Bei einem besseren ÖVPN-Angebot wird weniger Auto und Fahrrad gefahren.

Es ist unüblich, hier das Verb im Plural zu verwenden.

Das Verb steht aber in Formulierungen wie den folgenden im Plural:

In Kanada werden zwei Sprachen gesprochen, Französisch und Englisch.
In Kanada werden die Sprachen Französisch und Englisch gesprochen.
In Kanada werden die französische Sprache und die englische Sprache gesprochen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wenn „Bibliotheken als Dritter Ort“ im Genitiv (oder Dativ) steht

Frage

Gerne würde ich Sie zur korrekten Beugung von „dritter“ bei diesen zwei stichwortartigen Einträgen befragen:

Bibliothek als „Dritten Ort“ entwickeln (Akkusativ)
Entwicklung von Bibliotheken als „Dritten Ort“ (auch Akkusativ?)

Vielen Dank für Ihre Hilfe.

Antwort

Guten Tag Frau F.,

wenn eine als-Gruppe sich auf ein Genitivattribut oder ein von-Attribut bezieht kann sie a) eng mit dem Attribut verbunden sein (→ gleicher Kasus). Sie kann sich aber auch b) auf das übergeordnete Substantiv beziehen (→ Nominativ):

a) die Entwicklung der Bibliotheken als „Dritten Ortes“
b) die Entwicklung der Bibliotheken als „Dritter Ort“

a) die Entwicklung von Bibliotheken als „Drittem Ort“
b) die Entwicklung von Bibliotheken als „Dritter Ort“

Mit einem Artikelwort funktioniert das ebenso, gemäß Duden ist die Übereinstimmung im Fall dann aber etwas üblicher als der Nominativ:

a) die Entwicklung der Bibliotheken als eines „Dritten Ortes“
b) die Entwicklung der Bibliotheken als ein „Dritter Ort“

a) die Entwicklung von Bibliotheken als einem „Dritten Ort“
b) die Entwicklung von Bibliotheken als ein „Dritter Ort“

Es kann jeweils einen leichten Bedeutungsunterschied geben, der aber in den meisten Kontexten unwichtig ist. Mir gefällt hier der Nominativ besser, die Fallangleichung (Genitiv bzw. Dativ) ist aber auch möglich und korrekt.

Dann noch eine allgemeine Bemerkung. Der Fall in als-Gruppen führt oft zu Zweifeln. Man begegnet deshalb häufiger auch anderen „Lösungen“, die aber standardsprachlich nicht als korrekt gelten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Gereihte Nebensätze als Subjekt

Frage

Ich habe noch folgende Fragen:

Seine Stärke ist, dass er fleißig ist. Er kann auch gut zuhören.

In diesem Fall heißt es „Stärke“, weil nur eine Stärke („fleißig“) innerhalb des Satzes genannt wird.

Die folgenden Sätze seien aber nicht richtig:

Zu seinen Stärken zählen, dass er fleißig ist und dass er gut zuhören kann.
Zu seinen Schwierigkeiten gehören, dass er nicht lesen und nicht schreiben kann.

Warum sind „zählen“ und „gehören“ hier nicht richtig? Es werden doch zwei Stärken bzw. Schwierigkeiten genannt. Offenbar hat es etwas damit zu tun, ob ich die Stärken bzw. Schwierigkeiten mit Nomen („Fleiß“) benenne oder in Form eines Nebensatzes („dass er fleißig ist“). […]

Antwort

Guten Tag Herr S.,

in Ihren Beispielen geht es darum, dass Nebensätze Subjekt sein können. Hier ein paar Beispiele:

Vorteilhaft ist, dass er fleißig ist.
Dass er fleißig ist, zählt zu seinen Stärken.
Dass er nicht lesen kann, ist schwierig für ihn.
Lesen zu können, wäre wichtig.

Zwei oder mehr Nebensätze bilden aber zusammen kein mehrteiliges Subjekt, das ein Verb im Plural verlangen würde:

nicht: *Vorteilhaft sind, dass er fleißig ist und dass er gut zuhören kann.
nicht: *Dass er fleißig ist und dass er gut zuhören kann, zählen zu seinen Stärken.
nicht: *Nicht lesen zu können und nicht schreiben zu können, sind schwierig für ihn.
nicht: *Lesen zu können und schreiben zu lernen, wären wichtig.

Was ist richtig? – Wenn das Subjekt aus zwei gereihten Nebensätzen (auch Infinitivsätzen) besteht, bleibt das Verb im Singular:

Vorteilhaft ist, dass er fleißig ist und dass er gut zuhören kann.
Dass er fleißig ist und dass er gut zuhören kann, zählt zu seinen Stärken.
Dass er nicht lesen kann und dass er nicht schreiben kann, ist schwierig für ihn.
Lesen zu können und schreiben zu lernen, wäre wichtig.

Gereihte Substantive hingegen bilden zusammen ein mehrteiliges Subjekt mit einem Verb im Plural:

Vorteilhaft sind sein Fleiß und die Fähigkeit, gut zuzuhören.
Sein Fleiß und seine Fähigkeit, gut zuzuhören, zählen zu seinen Stärken.
Seine Leseschwäche und seine Schreibschwäche sind schwierig für ihn.
Das Lesen und das Schreiben sind wichtig für ihn.

Kurz zusammengefasst: Bei gereihten Substantiven als Subjekt, steht das Verb meistens im Plural:

Fleiß und Aufmerksamkeit zählen zu seinen Stärke.

Bilden aber gereihte Nebensätze das Subjekt, bleibt das Verb im Singular:

Dass er fleißig ist und dass er gut zuhören kann, zählt zu seinen Stärken.
Fleißig zu sein und aufmerksam zuhören zu können, zählt zu seinen Stärken.

Normalerweise wählt man hier die richtige Verbform, ohne weiter dabei nachzudenken. Es kann aber nicht schaden, diese Besonderheit hier einmal zu erwähnen, zum Beispiel für den Fall, dass man wie Sie doch einmal darüber nachdenkt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Stellte es sich als einen Fehler oder als ein Fehler heraus?

Frage

Ich habe eine Frage zur Verbvalenz. Auf die Schnelle habe ich leider auch online […] nichts gefunden, daher wende ich mich jetzt an Sie!

Es geht um Verben wie „herausstellen“. Was ist richtig?

Es stellte sich als einen Fehler heraus.
Es stellte sich als ein Fehler heraus.

Ich weiß nicht, ob ich den Nominativ oder den Akkusativ nehmen muss. Ein anderes Beispiel wäre: „Das Problem stellte sich als ein/einen Fehler heraus.“
[…]

Antwort

Guten Tag Herr M.,

es geht hier um das reflexive Verb sich herausstellen, das mit einer als-Gruppe steht. Dann gilt im heutigen Deutschen das Folgende:

Bei reflexiven und reflexiv verwendeten Verben kann eine als-Gruppe sich theoretisch auf das Subjekt oder auf das Reflexivpronomen sich beziehen. Wenn die als-Gruppe sich auf das Subjekt bezieht, steht sie im Nominativ. Wenn sie sich auf sich bezieht, steht sie im Akkusativ. Im heutigen Deutschen steht meistens der Nominativ (vgl. hier).

Worum es geht, ist wahrscheinlich mit Hilfe einiger Beispiele einfacher zu sehen:

Er spielt sich gern als der große Gönner auf.
Der Komponist empfand sich als ein Vertreter der Moderne.
Der Rottweiler hat sich als guter Wachhund bewährt.
Das Museum präsentiert sich als moderner und multimedialer Erlebnisraum.
Du zeichnest dich als perfekter Gastgeber aus.
Franz betrachtet sich als dein bester Freund.
Die Region stellt sich als einzigartiger Kulturraum dar.
Er empfiehlt sich als neuer Leiter des Chors.
Er empfand sich als deutscher Maler.
Er fühlt sich als großer Gönner.
Dieses Vorgehen erwies sich als ein großer Fehler.
Der Fremde gab sich als Deutscher zu erkennen.

Und entsprechend auch:

Das Problem stellte sich als ein Fehler heraus.

Seltener kommt auch der Akkusativ vor, wenn das Verb bei gleicher Bedeutung auch mit einem Akkusativobjekt stehen kann*:

Er stellt sich als guten, besorgten Vater hin.
üblicher: Er stellt sich als guter, besorgter Vater hin.

Der Komponist empfand sich als einen Vertreter der Moderne.
üblicher: Der Komponist empfand sich als ein Vertreter der Moderne.

Das Museum präsentiert sich als modernen und multimedialen Erlebnisraum.
üblicher: Das Museum präsentiert sich als moderner und multimedialer Erlebnisraum.

Du zeichnest dich als perfekten Gastgeber aus.
üblicher: Du zeichnest dich als perfekter Gastgeber aus.

Er sieht sich als den Retter der Menschheit.
üblicher: Er sieht sich als der Retter der Menschheit.

Wenn das Verb (mit einer gewissen Bedeutung) nur reflexiv verwendet wird, ist der Akkusativ veraltet oder er kommt gar nicht vor:

Er spielt sich gern als der große Gönner auf.
(Er spielt sich gern als den großen Gönner auf = veraltet)

Der Rottweiler hat sich als guter Wachhund bewährt.
(Der Rottweiler hat sich als guten Wachhund bewährt = veraltet)

Das Problem stellte sich als ein Fehler heraus.
(Das Problem stellte sich als einen Fehler heraus = veraltet)

Dieses Vorgehen erwies sich als großer Fehler.

Wie so häufig sind die Übergänge bei selten, veraltet und gar nicht fließend. Im Allgemeinen gilt aber, dass man am besten den Nominativ wählt, wenn eine als-Gruppe bei einem reflexiven oder reflexiv verwendeten Verb steht. Das bietet sich als der einfachste Weg an.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

* Mit Akkusativobjekt:

Sie stellen ihn als guten, besorgten Vater hin.
Der Kritiker empfand ihn als einen Vertreter der Moderne.
Das Museum präsentiert den Saal als modernen und multimedialen Erlebnisraum.
Das zeichnet dich als perfekten Gastgeber aus.
Sie sahen ihn als den Retter der Menschheit.

Mehrere solche(r) Berichte – Genitiv oder gleicher Fall?

Frage

Ist der folgende Satz korrekt?

Demnach konnte er sich auf mehrere solcher schriftlicher Berichte stützen.

Die Präposition „auf“ verlangt hier den Akkusativ, aber „solcher“ und „schriftlicher“ stehen im Genitiv. Müsste es nicht heißen: „Demnach konnte er sich auf mehrere solche schriftliche Berichte stützen“?

Antwort

Guten Tag Herr F.,

die einfache Antwort lautet: Beides ist hier möglich.

mehrere solche schriftliche Berichte
mehrere solcher schriftlicher Berichte
auch: mehrere solcher schriftlichen Berichte1

Komplizierter wird es, wenn man erklären möchte, warum das so ist.

Wenn auf mehrere direkt ein Adjektiv folgt, ist mehrere ein Artikelwort, das zur nachfolgenden Wortgruppe gehört. Artikelwort und Wortgruppe stehen im gleichen Fall:

Er ist mit mehreren guten Freunden verreist.
Der Text enthält mehrere kleine Fehler.
Er konnte sich auf mehrere schriftliche Berichte stützen.

Wenn nach mehrere eine Wortgruppe mit einem „eigenen“ Artikelwort folgt, ist mehrere ein Pronomen und die Wortgruppe steht im Genitiv:

Er ist mir mehreren seiner Freunde verreist.
Der Text enthält mehrere dieser kleinen Fehler.
Er konnte sich auch mehrere der genannten schriftlichen Berichte stützen.

Das „Problem“ bei solche ist, dass es sich nicht einfach einer Wortklasse zuordnen lässt. Es hat die Eigenschaften eines Adjektivs, aber auch die Eigenschaften eines Pronomens und Artikelwortes.

So kann solch- zum Beispiel wie ein Adjektiv nach unbestimmten Artikelwörtern wie ein, kein, einige, mehrere stehen:

ein solcher Freund
keine solchen Fehler
einige/mehrere solche Berichte

Anders als ein Adjektiv kann solch- aber nur nach unbestimmten Artikelwörtern stehen, also:

nicht: *der solche Freund
nicht: *meine solchen Fehler
nicht: *diese solchen Berichte

Dann verhält es sich also wie ein „gewöhnliches“ Artikelwort.

Je nachdem ob man solche nun a) als Adjektiv oder b) als Artikelwort empfindet, seht die Wortgruppe, die es einleitet a) im gleichen Fall wie das unbestimmte Artikelwort vor ihm oder b) im Genitiv:

a) mehrere solche schriftliche Berichte
b) mehrere solcher schriftlicher Berichte
b) auch: mehrere solcher schriftlichen Berichte1

Ich ziehe hier die Übereinstimmung im Kasus vor, aber der Genitiv kommt ebenfalls häufig vor.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Zur Deklination des Adjektivs nach solch- siehe Kommentare.

Öffnen Theater am Tag der offenen Tür ihre Tür oder ihre Türen?

Frage

Hier stolpere ich immer wieder drüber – wie ist es richtig mit den Türen?:

Über 100 Theater öffnen ihre Tür für das Publikum.
Über 100 Theater öffnen ihre Türen für das Publikum.

Oder geht einfach beides?

Antwort

Guten Tag Frau P.,

eine enttäuschende Antwort für alle, die denken, dass Deutsch eine so schön logische Sprache sei: Beides ist richtig.

Es sei vorausgeschickt, dass ein Theater wörtlich seine Türen in der Mehrzahl oder im übertragenen Sinne seine Tür in der Einzahl öffnen kann. Die meisten Theater sind so groß, dass sie mehr als eine Tür haben, die geöffnet wird. An einem Tag der offenen Tür kann aber einfach bildlich „die Tür“ als Zugang gemeint sein.

Das Stadttheater öffnet seine Türen für Neugierige.
Das Stadttheater öffnet seine Tür für Neugierige.

Wie sieht es nun aus, wenn mehrere Theater jeweils eine (sprichwörtliche) Tür öffnen? – Auch dann geht beides.

Es gibt im Deutschen den sogenannten distributiven Singular, den man verwendet, wenn mehrere Einheiten oder vor allem mehrere Personen jeweils eine Sache haben:

Alle hatten eine Mütze auf.
Viele Eltern tendieren dazu, ihr Einzelkind zu verwöhnen.
Bei mehreren Hütten hatte der Sturm das Dach abgedeckt.

Es ist aber nicht falsch, hier den Plural zu verwenden:

Alle hatten Mützen auf.
Viele Eltern tendieren dazu, ihre Einzelkinder zu verwöhnen.
Bei mehreren Hütten hatte der Sturm die Dächer abgedeckt.

Das gilt auch für Theater, die ihre Tür(en) öffnen, selbst wenn die eine sprichwörtliche Tür gemeint ist:

Über hundert Theater öffnen ihre Tür für das Publikum.
Über hundert Theater öffnen ihre Türen für das Publikum.

Nur dann, wenn gesagt werden soll, dass alle beteiligten Theater jeweils mehr als eine Tür öffnen, nur dann muss der Plural ihre Türen stehen.

Mehr zu diesem Thema finden Sie in zwei älteren Artikeln (Fragen dieser Art tauchen immer wieder auf): Der erste behandelt die Frage, ob sich unsere Vorfahren in ihrem Grab oder in ihren Gräbern umdrehen würden. Der zweite beschäftigt sich mit dem „Problem“, wie viele Häuser ein Popstar hat, der Häuser in drei Ländern besitzt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das Wohlergehen eines Knirpses wie mir / wie meiner / wie ich?

Frage

Ich hätte wieder einmal eine (zumindest für mich grad sehr) knifflige Frage. Der Satz lautet:

Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen eines Knirpses wie mir interessierte.

Hier tönt „wie mir“ für mich seltsam, aber „wie ich“ irgendwie auch. Was ist richtig?

Antwort

Guten Tag Frau S.,

Die Frage ist nicht nur für Sie knifflig, sie tauch immer wieder auf. Auch ich habe keine einfache Antwort, die ich mit voller Überzeugung präsentieren kann.

In Formulierungen dieser Art kommt der Dativ wie mir zwar vor und er klingt auch gar nicht so falsch, aber er gilt hier standardsprachlich als nicht korrekt. In einer wie-Gruppe wie dieser gilt im Prinzip die Übereinstimmung im Kasus:

ein Knirps wie der kleine Schlingel
einen Knirps wie den kleinen Schlingel
einem Knirps wie dem kleinen Schlingel
eines Knirpses wie des kleinen Schlingels

ein Knirps wie ich/du/er/sie
einen Knirps wie mich/dich/ihn/sie
einem Knirps wie mir/dir/ihm/ihr

Und wie steht es in der zweiten Beispielgruppe mit dem Genitiv? – Wenn die wie-Gruppe sich auf ein Genitivattribut bezieht und kein Artikelwort enthält, steht sie im Nominativ, nicht im Genitiv. Das ist u. a. bei Eigennamen und Pronomen der Fall:

das Leben eines Knirpses wie ich (nicht: wie meiner, wie mir)

das Leben eines Bengels wie du (nicht: wie deiner, wie dir)
das Leben eines Mannes wie er (nicht: wie seiner, wie ihm)
das Leben einer Frau wie sie (nicht: wie ihrer, wie ihr)

das Leben eines Knirpses wie Leon (nicht: wie Leons)
das Leben einer Politikerin wie Thatcher (nicht: wie Thatchers)

Demnach muss es ist hier also heißen:

Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen eines Knirpses wie ich interessierte.

Das klingt tatsächlich ein bisschen ungewohnt. Wenn Sie das „stört“, können Sie auf eine andere Formulierung ausweichen (das würde ich auch tun). Je nachdem was genau gemeint ist, ginge zum Beispiel:

Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen eines Knirpses, wie ich es war, interessierte.
Es war ein magischer Ort, wo man sich für das Wohlergehen des Knirpses, der ich war, interessierte.

Manche Fragen übersteigen auch das Sprachgefühl eines Linguisten wie ich – oder eben eines Linguisten, wie ich es bin.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die Prozentangabe und das Verb

Frage

Ich plage mich gerade mit einem Satz herum und weiß nicht, ob man hier das Verb in der Einzahl oder der Mehrzahl verwendet:

In dunklen Räumen wird/werden 50 Prozent mehr künstliches Licht benötigt.

Antwort

Guten Tag Frau D.,

hier können Sie sowohl den Singular als auch den Plural verwenden:

In dunklen Räumen werden 50 Prozent mehr künstliches Licht benötigt.
In dunklen Räumen wird 50 Prozent mehr künstliches Licht benötigt.

Das Verb richtet sich nach dem Subjekt (50 Prozent mehr künstliches Licht). Weshalb ist dann beides möglich? Der Plural werden richtet sich formal nach der Mehrzahl der Prozentangabe 50 Prozent mehr. Der Singular wird richtet sich sinngemäß nach der Einzahl künstliches Licht. Beides ist bei Formulierungen dieser Art (Prozentangabe mit Substantiv im Nominativ) standardsprachlich möglich.

Ebenso zum Beispiel:

Pro Millimeter Kalkablagerung geht/gehen etwa 10 Prozent Energie verloren.
Acht Prozent mehr Lohn ist/sind nicht zu viel verlangt.
Im letzten Jahr wurde/wurden 20 % weniger Gas verbraucht.

In den Beispielen oben folgt der Prozentangabe ein Substantiv im Nominativ. Auch wenn ihr ein Genitiv im Singular folgt, kann das Verb sowohl im Singular als auch im Plural stehen.

Dabei gehen/geht etwas zehnProzent der Energie verloren.
80 % der Kohle werden/wird auf dem Schienenweg transportiert.

Der Singular gehört dann aber eher zur gesprochenen Sprache und wird von einigen sogar als falsch angesehen. Wer gut gemeinte Verbesserungen oder weniger gut gemeinte Rügen vermeiden will, wählt deshalb in der geschriebenen Sprache besser den Plural für das Verb. Mich persönlich stört der Singular hier allerdings nicht, das heißt, ich halte ihn auch für korrekt. Ich vermute aber, dass nicht 100 Prozent der Leserschaft einverstanden sein werden/wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Mehr zum komplexen Thema der Kongruenz zwischen Subjekt und Verb, wenn das Subjekt eine Mengenangabe ist, finden Sie hier.

Welcher Fall stimmt: im Namen unserer Mitglieder, den Sportvereinen / der Sportvereine?

Frage

Mein Sprachempfinden suggeriert mir gerade, von der Kasuskongruenz abzuweichen. Was ist richtig:

Wir tun dies im Namen unserer Mitglieder, der 128 Sportvereine (kongruent).
Wir tun dies im Namen unserer Mitglieder, den 128 Sportvereinen (mein Sprachempfinden)

Antwort

Guten Tag Herr O.,

es handelt sich hier um eine Apposition, das heißt eine Substantivgruppe  (die 128 Sportvereine), die eine andere Substantivgruppe (hier: unsere Mitglieder) näher bestimmt. Wenn das Substantiv der Apposition wie in Ihrem Satz einen Artikel bei sich hat, steht die Apposition im gleichen Fall wie die Bezugsgruppe:

Unsere Mitglieder, die 128 Sportvereine, haben uns beauftragt.
Wir tun dies für unsere Mitglieder, die 128 Sportvereine.
Wir tun dies zusammen mit unseren Mitgliedern, den 128 Sportvereinen.
Wir tun dies im Namen unserer Mitglieder, der 128 Sportvereine.

Standardsprachlich gilt hier nur die Übereinstimmung im Kasus als korrekt. Es muss also heißen:

Wir tun dies im Namen unserer Mitglieder, der 128 Sportvereine.

Sie stehen aber mit Ihrem Sprachempfinden keineswegs allein. Immer häufiger wird bei Appositionen dieser Art der Dativ anstelle des eigentlich geforderten Falles verwendet:

Wir tun dies im Namen unserer Mitglieder, den 128 Sportvereinen. [?]

Vor allem bei längeren Sätzen fällt das oft gar nicht auf, aber es gilt standardsprachlich (noch?) nicht als korrekt. Hier noch ein paar Beispiele:

die Preiserhöhung für Erdöl, den wichtigsten Grundstoff in der Reifenproduktion
(besser nicht: die Preiserhöhung für Erdöl, dem wichtigsten Grundstoff in der Reifenproduktion)

Er reiste in Begleitung seines Freundes, eines sehr erfahrenen Rangers.
(besser nicht: Er reiste in Begleitung seines Freundes, einem sehr erfahrenen Ranger.)

Das lässt sich am besten am Beispiel Brasiliens, des größten Landes des Subkontinents, zeigen.
(besser nicht: Das lässt sich am besten am Beispiel Brasiliens, dem größten Land des Subkontinents, zeigen.)

Vielleicht finden Sie beim Lesen der Beispiele, dass die „falschen“ Formulierungen gar nicht so falsch klingen. Dennoch gilt – wie gesagt – die Verwendung des Dativs dort, wo er sich nicht auf einen Dativ bezieht, standardsprachlich nicht als korrekt. Das wird sich vielleicht einmal ändern, denn Fragen zu diesem Thema tauchen hartnäckig immer wieder auf. So gab es schon vor Jahren einmal einen Blogartikel mit dem Titel Die Apposition und der Dativ.

Mehr Informationen über das komplexe Thema der Fallkongruenz bei Appositionen finden Sie auf dieser Seite in der LEO-Grammatik.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp