Können du und Sie zu ihr werden?

Frage

Wenn ich zwei Personen ansprechen möchte, wobei ich mit der einen per du und mit der anderen per Sie bin (z. B. die Schwiegermama mit ihrer Schwester), spreche ich sie beide mit „ihr“ oder mit „Sie“ an?

Antwort

Sehr geehrter Herr F.,

diese Frage kann ich leider nicht eindeutig beantworten. Welche Anrede Sie wählen, hängt davon ab, wie formell die Situation ist und wie formell Sie mit den beteiligten Personen umgehen. In formellen Situationen empfiehlt es sich, Sie zu verwenden oder die Personen einzeln anzusprechen:

– Darf ich Ihnen etwas anbieten?
– Darf ich Ihnen, Frau Muster, und dir, Anna, etwas anbieten?

In informelleren Situationen darf man meiner Ansicht nach ihr verwenden, auch wenn man sich danach wieder mit Sie an eine der beiden Personen richtet. Es ist sicher nicht grundsätzlich ausgeschlossen und auch nicht völlig unüblich, sich mit ihr an Personen zu richten, die man siezt.  Wenn Sie also sagen

– Darf ich euch etwas anbieten?

wird die Schwester der Schwiegermutter Ihnen das als angeheiratete Tante kaum übel nehmen und je nach Tageszeit und persönlichen Vorlieben gerne ein Tässchen Kaffee oder ein Gläschen Portwein annehmen.

Eine eindeutige Antwort gibt es also nicht. Es geht hier nicht um Grammatik, sondern um gesellschaftliche Umgangsformen. Vieles hängt von der Situation und dem Verhältnis zu den beteiligten Personen ab. Wahrscheinlich spielt daneben auch die Region eine Rolle: Was in Rostock und Kiel üblich ist, braucht noch lange nicht in Dresden, Saarbrücken, Luzern oder Wien gang und gäbe zu sein. Mit etwas Fingerspitzengefühl gelingt es einem aber meistens ganz gut, den richtigen Ton zu treffen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Falles und Stückes oder Falls und Stücks

Frage

Viele Autoren, vor allem solche, die zur Schachtelsatzbildung neigen, verwenden liebend gern bei der Flexion die es-Variante  (Beispiel: Falles, Stückes). In bestimmten Fällen ist es zwingend notwendig, in manchen gebräuchlich. Mich erinnert der penetrante Gebrauch an das Martin-Luther-Deutsch seiner Bibelübersetzungen. Was ist nun gutes Deutsch?

Antwort

Sehr geehrter Herr O.,

die Endung es ist tatsächlich in gewissen Fällen zwingend und in anderen unüblich. In vielen Fällen aber ist sowohl der Genitiv mit s als auch der Genitiv mit es möglich und korrekt (siehe hier).

Ob man Falles, Stückes und Arbeitstages oder Falls, Stücks und Arbeitstags verwendet, ist keine Frage der Grammatik, sondern eine Frage des Stils. Man könnte versuchen hier lange Listen von Kriterien aufzustellen, wann eher der es-Genitiv gewählt wird und wann eher nur das s zum Zuge kommt. Das hilft einem im Alltag aber nicht sehr viel weiter. Oft spielt einfach der Rhythmus des Satzes bei der Wahl der einen oder der anderen Variante ein Rolle. Sehr oft sind eben einfach beide Formen üblich.

Wenn man ausschließlich den es-Genitiv verwendet, kann ein Text recht altmodisch und gestelzt aussehen. Es ist aber auch nicht notwendig, in einem „modernen“ Text so viel wie möglich den s-Genitiv zu verwenden. Wie immer, wenn es um Geschmack und Stil geht, liegt die Kunst darin, die richtige Mischung zu finden. Dabei muss man kein Regelbuch und kein Goldwäglein zur Hand nehmen. Vieles ist grammatisch und stilistisch möglich – und allen recht machen kann man es auch bei dieser Frage nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Schraubenzieher und Schraubendreher, Glühbirnen und Glühlampen, Geranien und Pelargonien

Gestern bin ich wieder einmal über die häufig geführte Diskussion gestolpert, ob man Schraubendreher oder Schraubenzieher sagen müsse. Die Verfechter der ausschließlichen Verwendung von Schraubendreher haben zwei Hauptargumente: 1) Mit diesem Werkzeug zieht man Schrauben nicht, man dreht sie. 2) Nach der Deutschen Industrienorm (DIN) gibt es seit einigen Jahrzehnten nur noch Schraubendreher. Ergo: Schraubenzieher ist falsch.

Das erste Argument ließe sich damit entkräften, dass die Erfinder und anfänglichen Verwender des Schraubenziehers – wie wir auch heute noch – diesen verwendeten um Schrauben an- oder festzuziehen. Deshalb nannten sie ihn auch Schraubenzieher. Doch eigentlich geht es mir vor allem um das zweite Argument.

Hier zeigt sich nämlich der Unterschied zwischen Fachsprache und Allgemeinsprache. Es ist allen klar, dass Kaffeefilter und Kopfschmerzen allgemeinsprachliche Wörter sind, während Hämofiltration und Enzephalitis vor allem in der Fachsprache verwendet werden. Bei solchen Begriffen kann es zu keinen linguistischen Grabenkriegen kommen. Anders sieht es bei fachsprachlichen Ausdrücken aus, die uns weniger fremd sind.

Irgendwann einmal in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde beschlossen, dass es nach DIN nur noch Schraubendreher gebe. Seither wird in der Fachsprache zumindest offiziell nicht mehr von Schraubenziehern gesprochen. Das mag in fachlich-technischer Hinsicht sogar gerechtfertigt sein – ich bin ja nur ein „Sprachler“, der hin und wieder ein lockeres Schräubchen anziehen oder festdrehen muss. Diese fachsprachliche Festlegung des Begriffes heißt aber noch lange nicht, dass sich die Allgemeinsprache unbedingt danach zu richten hat und nun auch nur noch Schraubendreher sagen darf. Schraubenzieher ist ein gebräuchliches, allen verständliches, „natürlich“ entstandenes Wort, das bei sprachlichen Normalverbrauchern zu keinerlei Unfällen, stilistischen Unschönheiten oder anderen Problemen führt.

Ich sage hier mit so vielen Worten, dass die Allgemeinsprache sich nicht unbedingt nach fachsprachlichen Definitionen richten muss. Fachsprachliche Definitionen dienen dazu, die in einem Fachbereich notwendige Präzision bei der Formulierung zu ermöglichen. In der Allgemeinsprache ist diese Präzision in den meisten Fällen gar nicht notwendig. Es ist einem Normalsterblichen auch kaum möglich, sie immer und überall zu erreichen. Wussten Sie zum Beispiel das Folgende:

– Fachsprachlich gibt es keine Glühbirnen, nur Glühlampen. Weiter sind das, was man allgemeinsprachlich Lampen nennt, fachsprachlich Leuchten.

– Fachsprachlich zieren im Sommer nicht Geranien, sondern Pelargonien Fenster und Balkone. Geranium nennt die Fachsprache nämlich die Blume, die in der Allgemeinsprache Storchenschnabel heißt.

– Fachsprachlich sind Tomaten, Gurken, Zucchini, Auberginen und Paprikas Früchte, nicht Gemüse. Trotzdem findet man sie nirgendwo in der Obstabteilung.

– Fachsprachlich liegen Sie falsch, wenn Sie im Park von Enten, Gänsen und Schwänen sprechen. Sie müssten eigentlich von Enten, Echten Gänsen und Schwänen sprechen. Schwäne gehören nämlich zur Unterfamilie der Gänse, zu der übrigens die Pfeifgänse wieder nicht gehören.

– Fachsprachlich sind Spermien keine Samen, denn Samen sind bereits befruchtet und enthalten den Embryo einer Pflanze.
Fachsprachlich kann man nur Tote bergen. Verletzte müssen gerettet werden.

– In der rechtlichen Fachsprache können Sie der stolze Besitzer oder die stolze Besitzerin einer Sache sein, auch wenn diese nicht Ihr Eigentum ist. Das geht so weit, dass juristisch gesehen ein Dieb nach einem Diebstahl Ihr Eigentum in seinem Besitz hat. In der Allgemeinsprache werden die beiden Begriffe mehr oder weniger mit der gleichen Bedeutung verwendet.

– Holländisch ist nur eine Dialektgruppe des Niederländischen, wie auch Holland und Holländer nur einen Teil der Niederlande bzw. der Niederländer bezeichnen.

Die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Sie soll hier aufzeigen, dass man sich als Kenner einer Fachsprache davor hüten sollte, der Allgemeinsprache seine Begriffe und Definitionen aufdrängen zu wollen. Niemand kennt alle Definitionen aller Begriffe in allen Fachsprachen. Das ist auch nicht notwendig, denn in der Alltagssprache versteht man sich ausgezeichnet, ohne immer den genau definierten, vorgeschriebenen Begriff zu verwenden. Deshalb sind fachsprachliche Definitionen keine Begründung und kein „Beweis“ dafür, dass ein allgemeinsprachlich übliches Wort falsch ist!

Wenn dem doch so wäre, wenn also Schraubenzieher falsch ist, weil die DIN Schraubendreher vorschreibt, dann

– schrauben Sie nur noch Leuchten, also keine Lampen, an die Decke;
– müssten wir eigentlich Tomaten und Zucchini beim Obst und nicht beim Gemüse suchen;
– sollten die Bibelübersetzungen dahingehend umgeschrieben werden, dass Onan nicht seinen Samen, sondern seine Spermien auf den Boden fallen lässt;
– bestimmen Sie vorher immer genau die rechtlichen Verhältnisse, bevor Sie vom Besitzer einer Wohnung oder von der Eigentümerin eines Fahrzeuges sprechen;
– behaupten Sie nur noch, dass die Niederländer eigentlich nicht Fußball spielen können und dass es für Automobilisten nichts Schlimmeres gibt, als einen Alpenpass hinter einem niederländischen Wohnwagen überqueren zu müssen, auch wenn solche Klischees mit Holländer und holländisch einfach besser klingen.

Wo bist Du? – Ich bin einkaufen

Dank einer Frage von Frau D. habe ich eine neue Verbalkonstruktion entdeckt! Damit meine ich nicht, dass ich deren Entdecker bin. Diese Ehre kommt wahrscheinlich dem Linguisten Casper de Groot zu (s. u.). Neu ist die Konstruktion nur insofern, als sie erst vor Kurzem beschrieben wurde und ich noch nie etwas über sie gelesen hatte. Es geht also nicht, wie Sie vielleicht vermuten könnten, um das Doppelperfekt (ich habe gesagt gehabt) oder das Doppelplusquamperfekt (ich hatte gesagt gehabt). Diese Formen sind ja fast so bekannt wie sie bei vielen verpönt sind. Nein, es geht um etwas anderes:

Frage

Schon seit vielen Jahren unterrichte ich Deutsch als Fremdsprache und heute hat mir eine Teilnehmerin eine Frage gestellt, auf die mir auch nach längerem Grübeln keine richtige Antwort einfiel. Was hat es mit der Form ich bin laufen gewesen auf sich? Wäre es ein Perfekt, müsste doch das Präsens logischerweise ich bin laufen heißen? Ist es vielleicht tatsächlich nur Umgangssprache und entbehrt einer grammatischen Grundlage? Mache ich einen Denkfehler?

Antwort

Sehr geehrte Frau D.,

der Satz Ich bin laufen gewesen steht im Perfekt. Im Präsens müsste die Form also tatsächlich heißen: Ich bin laufen. Im Präsens klingt der Satz aber recht ungewohnt. Weshalb? – Weil er in der ersten Person steht. Eine etwas ausführlichere Erklärung ist hier sicher angebracht:

Es handelt sich hier um eine Konstruktion, die aus dem Verb sein und einem Infinitiv besteht. Beispiele:

Präs: Wo ist er? – Er ist einkaufen.
Perf: Wo ist sie gewesen? – Sie ist schwimmen gewesen.
Prät: Wo waren sie? – Sie waren Fußball spielen.

Diese Konstruktion kann, vereinfacht gesagt, bei den gleichen Verben verwendet werden, bei denen auch die Konstruktion gehen+Infinitiv verwendet wird:

Er geht einkaufen – Er ist einkaufen.
Sie ist schwimmen gegangen – Sie ist schwimmen gewesen.
Sie gingen Fußball spielen – Sie waren Fußball spielen.

Die Konstruktion sein+Infinitiv wird Absentiv genannt (absent = abwesend). Das Subjekt der Verbhandlung ist nämlich abwesend (und man erwartet, dass die abwesende Person wieder zurückkehrt). Im Perfekt ist das auch in der ersten Person kein Problem:

Ich bin einkaufen gewesen.

Ich bin also abwesend gewesen, bevor ich diese sage. Im Präsens klingt die gleiche Wendung dann aber etwas ungewohnt.

Ich bin einkaufen.

Ich muss also abwesend sein, während ich dies sage. Der Satz klingt deshalb ohne jeden Kontext etwas sonderbar. Aus diesem Grund konnten Sie ich bin laufen auch nicht einordnen. In der heutigen Zeit ist aber dank moderner Kommunikationsmittel vieles möglich, auch ein Absentiv in der ersten Person im Präsens. Der Satz Ich bin einkaufen klingt als Antwort auf die Frage „Wo bist du?“ übers Handy ganz passabel. Während ich dies sage, bin ich im Normalfall für die Person am anderen Ende der Telefonverbindung abwesend. Hier sieht man, das technischer Fortschritt auch neue grammatische Möglichkeiten mit sich bringen kann.

Stilistisch ist diese Konstruktion eher der gesprochenen Umgangssprache zuzuordnen. Wie Sie sehen, entbehrt sie aber keineswegs einer grammatischen Grundlage. Sie hat sogar einen eigenen, richtig eindrücklich grammatisch klingenden Namen: Absentiv.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

de Groot, Casper. 2000. The absentive. In: Dahl, Östen (ed.) Tense and aspect in the languages of Europe. Berlin: Mouton de Gruyter. 641-667.

Ich würde sagen …

Frage

„Spontan würde ich sagen, dass hier ein Komma stehen muss.“ Während des Schreibens dieses Satzes zwang sich mir eine Frage förmlich auf: Quizshowmoderatoren wie beispielsweise Günther Jauch hätten mich beim Hören dieses Satzes unter Umständen gefragt, ob ich das nur sagen würde oder auch sage, und mich darauf hingewiesen, dass sie keine Konjunktive als Antworten annehmen. Wie verhält es sich also mit der Verbindlichkeit dieser Aussage? Müsste ich, wenn ich tatsächlich eindeutig antworten möchte, auf diesen Konjunktiv verzichten und schreiben: „Spontan sage ich, dass hier ein Komma stehen muss“?

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

wenn es sich nicht um wichtige, rechtlich verbindliche Vertragstexte oder Prozessakten handelt,  können Sie ohne Weiteres die würde-Form verwenden. Den Konjunktiv II oder die entsprechende würde-Form verwenden Sie in solchen Fällen nämlich, weil Sie als höflicher, zurückhaltender Mensch eine höfliche, unaufdringliche Aussage machen. Ich würde sagen klingt weniger schroff als ich sage. Mit der würde-Form gibt man hier an, dass man nicht ganz sicher ist oder dass man weiß, dass man sich täuschen könnte. Sehr forsch ausgesprochen kann der Indikativ nämlich den Eindruck erwecken, man sei sich seiner Sache sehr sicher und dulde keinen Widerspruch. Ganz so schwarzweiß ist die Verwendung des Konjunktivs und des Indikativs in solchen Fällen natürlich nicht. Vieles hängt davon ab, wer in welchem Ton was zu wem sagt.

Weitere Beispiele, in denen der Konjunktiv nicht etwas Irreales oder eine Möglichkeit ausdrückt, sondern vor allem der Höflichkeit halber verwendet wird:

Würden Sie bitte etwas zur Seite treten?
Dürfte ich Sie etwas fragen?
Ich würde Ihnen empfehlen vorher anzurufen.
Ich wüsste schon, was ihr tun könntet.

Sehen Sie hierzu auch diesen Abschnitt in der CanooNet-Grammatik.

Quizmoderatoren äußern ihre Forderung nach dem Indikativ wahrscheinlich aus verschiedenen Gründen:

  • Sie interpretieren den höflich gemeinten Konjunktiv absichtlich wörtlich als irrealen Bedingungssatz (Wenn dies und das so wäre, würde ich sagen). Das ist dann scherzhaft gemeint.
  • Die Forderung nach dem Indikativ dient dazu, einen allzu lange zögernden Kandidaten endlich zu einer Entscheidung zu bewegen.
  • Die Forderung nach einer „verbindlichen“ Aussage im Indikativ soll der ganzen Sache mehr Gewicht geben. Es gibt schließlich etwas zu gewinnen.
  • Die würde-Form gibt ihnen die Gelegenheit, etwas zu sagen. Das Erkennen und Benutzen solcher Momente ist eine Fähigkeit, die man als Quizmoderator unbedingt haben muss. Ich wüsste jedenfalls nicht, wie ich eine ganze Sendung vollreden müsste.

Wie dem auch sei, der Konjunktiv und die würde-Form spielen eine wichtige Rolle bei der Formulierung von höflichen Aufforderungen und Aussagen. Man kann ihre Verwendung übertrieben „säuselnd“ oder „alte Schule“ finden, aber ich persönlich höre und lese oft lieber „Könnte das falsch sein?“ als „Das ist falsch!“, ganz egal ob es sich tatsächlich um einen Fehler handelt oder nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Esel kommt zuerst

Eine Frage, die in einem Kommentar (statt hier) gestellt wurde:

Frage

Ist irgendwo verankert, dass man sich bei Aufzählungen nicht zuerst nennen darf, oder ist es nur eine „Anstandsregel“? Zum Beispiel: ich und meine Kinder oder
 meine Kinder und ich?

Antwort

Sehr geehrter Herr P.,

die Grammatik des Deutschen verbietet es nicht, in Aufzählungen sich selbst an erster Stelle zu nennen. Es ist eine reine Anstandsregel. Die Formulierung ich und mein Bruder, die man mich früher häufig sagen hörte, ist grammatisch völlig korrekt. Dennoch brachte sie mir – wie vielen anderen auch – meist ein ermahnendes „Der Esel kommt zuerst“ ein. (Auch „Der Esel nennt sich selbst zuerst“ hört man oft, doch das war bei uns nicht die übliche Variante.) Es ist also keine Frage der Grammatik, sondern eine Frage des Stils.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Sehr geehrte(r) Herr und Frau …

Frage

Kann man in einer Anrede schreiben: Sehr geehrter Herr und Frau Meier oder schreibt man Sehr geehrte Herr und Frau Meier?

Antwort

Sehr geehrter Herr V.,

Ihre Frage zeigt, dass keine der beiden Varianten so richtig befriedigend ist. Beide klingen nicht richtig. Wenn ein Adjektiv (hier: geehrt-) sich auf Wörter bezieht, die nicht das gleiche Geschlecht haben (hier: der Herr und die Frau), kann es nämlich nicht weggelassen werden. Siehe diese Grammatikseite.

Es sieht auch nicht viel besser aus, wenn man einen Klammerausdruck verwendet:

Sehr geehrte(r) Herr und Frau Meier,

Eine solche Klammer ist zwar platzsparend, aber hier ist Platzsparen nicht empfehlenswert. Bei einer höflichen Anrede darf man sich auch in der allzu oft mit dem Ausdruck „schnelllebig“ umschriebenen Moderne ruhig etwas Zeit lassen und etwas Raum in Anspruch nehmen. Am besten ist es deshalb, beide Personen getrennt anzusprechen:

Sehr geehrte Frau Meier,
sehr geehrter Herr Meier,

Auch bei zwei Herren oder zwei Damen sieht die getrennte Anrede besser aus:

Sehr geehrter Herr Meier,
sehr geehrter Herr Schmidt,

Sehr geehrte Frau Meier,
sehr geehrte Frau Schmidt,

Dasselbe gilt auch für persönlichere Anreden. Schreiben Sie also besser nicht Liebe Tom und Jerry oder Liebe(r) Anton und Michaela sondern:

Lieber Tom, lieber Jerry,

Lieber Anton, liebe Michaela,

Mein lieber Onkel, meine lieben Neffen und Nichten,

Dies sind übrigens keine festen Regeln, sondern allgemeine Empfehlungen. Wenn Sie einen Brief mit einer anders formulierten Anrede schreiben oder erhalten, ist das also nicht grundsätzlich falsch.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Spielzeuge und Saatgüter

Frage

Kürzlich korrigierte ich jemand, der meinte, dass Spielzeug nur im Singular verwendet wird. Mein Bertelsmann-Duden („Wie sagt man richtig?“) behauptet allerdings auch, dass Spielzeug nur im Singular verwendet werden sollte. Das Wörterbuch von CanooNet kennt aber auch den Plural Spielzeuge. Vielen Dank!

Bei Saatgut kennt auch CanooNet keinen Plural, obwohl Güter ja auch im Plural gebräuchlich ist. Über die Wortbildung zu Gut kommt man zu vielen Gütern, von denen manche einen Plural haben und andere nicht. Gibt es dazu eine Regel? Kann man ohne Nachschlagen entscheiden, ob Beutegut oder Diebesgut Pluralformen haben? Oder richtet sich das nur nach dem Gebrauch?

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

das Wort Spielzeug hat zwei unterschiedliche Bedeutungen:

Wenn es Gesamtheit der Gegenstände zum Spielen bedeutet, ist es eine Sammelbezeichnung und hat keinen Plural. Es ist dann gleichbedeutend mit Spielsachen und wird in Geschäften als Spielwaren angeboten:

Wie viel Spielzeug besitzt Ihr Kind?
Dieser Laden verkauft Spielzeug.

Wenn es Gegenstand zum Spielen bedeutet, ist es zählbar und hat entsprechend auch einen Plural:

Sie hat ein neues Spielzeug erhalten.
Sie hat drei neue Spielzeuge erhalten.

Die zweite Bedeutung, die offenbar einige für nicht richtig oder für stilistisch schlecht halten, ist auch in anderen Wörterbüchern verzeichnet (zum Beispiel Duden, Wahrig, DWDS u.a.). Es ist bestimmt richtig, dass viele modernen moderne Kinderchen so viel Spielzeug haben, dass die einzelnen Spielzeuge gar nicht mehr auffallen. Wenn es den Plural aber nicht gäbe, könnten die Kleinen nicht mit ihren Eltern darüber unterhandeln, ob sie, wenn sie „großzügig“ auf das große Spielzeug verzichten, dafür mit (mindestens!) zwei kleinen Spielzeugen kompensiert werden müssen.

Es gibt überhaupt nur wenige Wörter, die nie im Plural verwendet werden. Das liegt daran, dass die meisten Wörter nicht nur eine einzige Bedeutung haben. In vielen Fällen hat ein Wort, das in einer Bedeutung keinen Plural hat, in einer anderen Bedeutung doch Pluralformen. Zum Beispiel:

Holz Stoffbezeichnung kein Plural aus Holz
Holz Holzart Plural tropische Hölzer
Freiheit Zustand des Freiseins kein Plural die innere Freiheit
Freiheit Recht, etwas zu tun Plural besondere Freiheiten genießen

Die Frage ist deshalb meistens nicht, ob ein Wort einen Plural haben kann, sondern ob dieser Plural üblich ist und als richtig akzeptiert wird. Ein solcher Fall ist auch Saatgut. Dieses Wort wird im Standarddeutschen (wenn überhaupt) nur im Singular verwendet. Bei Saatguthändlern findet sich aber gelegentlich der Plural Saatgüter mit der Bedeutung Arten von Saatgut. Der Plural ist hier nicht unmöglich und auch nicht falsch, er ist nur nicht allgemein üblich.

Ob ein Wort Pluralformen hat oder nicht, richtet sich also nur nach dem Gebrauch. Entsprechend umstritten können diese Formen gelegentlich sein. Sehen Sie hierzu auch diese Seite in der Canoo-Grammatik:

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Zu unserer vollsten Zufriedenheit

Frage

In der Zeugnissprache taucht immer wieder die Formulierung auf: „… erledigte die Aufgaben zu unserer vollsten Zufriedenheit“. Das mag inzwischen eine Standardformulierung für einen sehr guten Mitarbeiter sein, drückt aber auch eine gewisse Respektlosigkeit vor der Logik und auch der deutschen Sprache aus. Behelfsweise nutze ich Formulierungen wie zu unserer höchsten Zufriedenheit. Nicht undankbar wäre ich für weitere Alternativvorschläge, vor allem solchen, die eine Leistung als „1a“ bewerten ohne zugleich allzu schwülstig zu sein.

Antwort

Sehr geehrter Herr B.,

die Formulierung zur vollsten Zufriedenheit ist zwar umstritten, aber eindeutig.

stets zu unserer vollsten Zufriedenheit = Note 1
stets zu unserer vollen Zufriedenheit = Note 2
zu unserer vollen Zufriedenheit = Note 3
usw.

Da diese „Benotung“ in Arbeitszeugnissen sehr wenig mit Logik, dafür sehr viel mit verhüllendem Sprachgebrauch zu tun hat, finde ich die Form vollste in diesem Zusammenhang nicht störend. Sie ist Teil einer unter Eingeweihten verwendeten „Geheimsprache“. So muss man zum Beispiel auch wissen, dass jemand, der sich bemühte, ein Versager auf der ganzen Linie war. Ob mir diese „Geheimsprache“ als Ganzes gefällt, ist eine ganz andere Frage.

Es gibt natürlich viele andere mögliche Formulierungen wie zum Beispiel:

stets zu unserer höchsten Zufriedenheit
waren wir äußerst zufrieden

Ich wage es aber nicht, diese oder andere Formulierungen zu empfehlen. Dafür kenne ich die „Geheimsprache“, das heißt die Regeln und Gepflogenheiten der zuständigen Chefs und Manager beim Verfassen von Arbeitszeugnissen, nicht gut genug. Jede Hinzufügung oder Weglassung kann ganz unerwartete Bedeutungsveränderungen bewirken. So liegt die Beurteilung stets zu unserer vollen Zufriedenheit ohne das Wörtchen stets eine ganze Note tiefer (siehe oben). Etwas, das in der Allgemeinsprache positiv klingt, kann in Arbeitszeugnissen ganz anders gemeint sein. Wie bereits erwähnt: Wer sich bemüht, taugt nichts.

Sie können sich deshalb mit dieser Frage besser an Verfasser und Beurteiler von Arbeitszeugnissen als an einen Sprachler wenden. Bei diesem Thema bin ich leider nicht „vom Fach“.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Liter Benzin kostet einen Euro und zwanzig Cent.

Frage

Im Radio hörte ich vor kurzem Folgendes: „Der Liter Benzin kostet heute einen Euro und 20 Cent.“ Meine Frage dazu: Heißt es wirklich kostet EINEN Euro, oder ist kostet EIN Euro richtig? Ich tendiere zu Letzterem, aber mein Bekannter ist der festen Meinung, das Radio habe richtig gesprochen. Was sagen Sie?

Antwort

Sehr geehrter Herr W.,

in der Standardsprache verlangt das Verb kosten den Akkusativ. Etwas kostet einen Euro, einen Euro und zwanzig Cent, einen Euro dreißig, einen Franken sechzig Rappen, einen Dollar, einen Rubel und fünfzig Kopeken usw. Ihr Bekannter und die Radiostimme haben also recht.

Eher umgangssprachlich gibt es noch eine andere Variante: „Der Liter Bezin kostet heute eins zwanzig.“ Das geht aber nur, wenn nach eins ein Centbetrag (in der Schweiz ein Rappenbetrag) folgt und die Währungseinheit nicht genannt wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Zum Verb kosten gab es schon einmal einen Blogeintrag.