Das Schwarze-Loch-Paar? Wenn schwarze Löcher in Paaren auftreten

Frage

Ich habe immer wieder ein Problem, wenn es um gewisse zusammengesetzte Begriffe geht. Zum Beispiel: Ein Paar von zwei schwarzen Löchern nennt man ein Schwarzes-Loch-Paar? (Gemeint sind die extrem dichten Himmelskörper.) Oder ist es das Schwarze-Loch-Paar? Wenn man einem Schwarzen-Loch-Paar zu nahe kommt, wird man eingesaugt. Oder heißt es: wenn man einem Schwarze-Loch-Paar zu nahe kommt? Die Anziehung des Schwarzen-Loch-Paares oder des Schwarze-Loch-Paares?

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

es ist nicht unmöglich, ein solches Paar von schwarzen Löchern im Deutschen Schwarze(s)-Loch-Paar zu nennen, aber üblich ist es nicht. Das ist auch der Grund, weshalb Ihnen (und mir) die Beugung dieser Wortbildung Schwierigkeiten bereitet. Man spricht zum Beispiel auch selten von einem Schwarze-Pferde-Gespann, der Rote-Meer-Küste oder der Dritte-Zähne-Reinigung, sondern vielmehr von einem Gespann schwarzer Pferde, der Küste des Roten Meeres oder der Reinigung der dritten Zähne. So schreiben Sie auch hier am besten:

ein Paar schwarze Löcher
ein Paar schwarzer Löcher
ein Paar von schwarzen Löchern
ein doppeltes schwarzes Loch

Natürlich gibt es – wie sollte es auch anders sein – auch Ausnahmen wie zum Beispiel Dritte-Welt-Laden oder Erste[r]-Klasse-Abteil. Im Allgemeinen sollte man solche Zusammensetzungen aber vermeiden, insbesondere wenn ein männlicher oder sächlicher Ausdruck in der Einzahl an erster Stelle steht. Solche Erstglieder führen nämlich zu großen Unsicherheiten bei der Beugung. Heißt es Schwarzes-Loch-Paar oder Schwarze-Loch-Paar oder beides, je nachdem ob ein oder das davorsteht?

Ebenfalls nicht grundsätzlich ausgeschlossen wäre das Schwarze-Löcher-Paar. Zu empfehlen ist aber auch diese Wortbildung nicht. Was im Englischen einfach durch eine Zusammensetzung wie black hole pair beschrieben werden kann, muss im Deutschen manchmal durch eine Wortgruppe ausgedrückt werden. Wir sind eben doch nicht die absolut unschlagbaren Wortzusammensetzungsweltmeister (auch wenn dieses letzte Wort schon fast das Gegenteil vermuten ließe).

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Rutschen

Das neue Jahr ist nun gut eine Woche alt. Wenn ein „Wort der ersten Woche im Jahr 2010“ gekürt werden müsste, fiele meine Wahl auf rutschen. Warum? – Zuerst einmal wegen der zum Jahreswechsel oft gehörten Wendungen „Guten Rutsch ins neue Jahr!“, „Rutschen Sie gut rüber!“ und allen anderen Variationen zu diesem Thema, dann aber auch wegen der aktuellen Wetterlage in weiten Teilen Europas.

Ich gehöre zu den Glücklichen, die die täglichen Staus nur von den Verkehrsmeldungen im Rundfunk kennen. Die meisten im Alltag notwendigen Ortsveränderungen kann ich nämlich mit dem Fahrrad unternehmen. Das tue ich bei fast jedem Wetter, auch wenn es nass und kalt ist. Diese Woche aber habe ich das Rad zu Hause stehen lassen und auf gutes Schuhwerk und die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen müssen. Schnee und Glätte einerseits und das Fahrrad andererseits sind nämlich eine sehr ungünstige Kombination. Auf zwei Rädern rutscht es sich so leicht. Geradeaus geht es ja noch, aber Kurven, Steigungen und nur schon leichtes Gefälle sind jedes Mal ein Abenteuer, auf dessen guten Ablauf man nur hoffen kann. Wenn es nicht gut abläuft, liegt man – rutsch! – auf dem Boden. Das kann im Straßenverkehr nicht ganz ungefährlich sein.

Rutschen ist also „das Wort der Woche“. Es ist wieder einmal eines dieser schönen Wörter, deren Klang gut zur Bedeutung passt: rutsch! Wie es im Deutschen bei Bewegungsverben üblich ist, kann man rutschen auch so schön mit vielen verschiedenen Partikeln kombinieren, je nachdem wie oder wohin man rutscht. Zum Beispiel: abrutschen, abwärtsrutschen, ausrutschen, durchrutschen, herumrutschen, herunterrutschen, umherrutschen, wegrutschen, weiterrutschen, zurückrutschen; verrutschen.

Weitere Kombinationsmöglichkeiten gibt es, wenn im übertragenen Sinne gerutscht wird: Man kann hoffentlich gut ins neue Jahr hinüberrutschen, ungewollt in eine Sache hineinrutschen oder etwas kann einem dummerweise einfach so herausrutschen. Obwohl man eigentlich nicht hinaufrutschen kann (das widerspricht irgendwie der Bewegungsart, die rutschen beschreibt), gibt es sogar ein Verb, das nach oben rutschen bedeutet: Ein knapp sitzender Rock oder eine zu enge Jacke können immer wieder hochrutschen.

Ich schweife wieder einmal ab. Ich wollte eigentlich nur wissen, woher das Wort kommt. Die Antworten, die ich finden konnte, sind aber nicht gerade befriedigend. Das Verb rutschen taucht erst relativ spät (im 15. Jahrhundert) als rütschen auf. Eine andere, ältere Form ist rützen. Die weitere Herkunft ist ungeklärt. Es handle sich wahrscheinlich um ein lautmalerisches, das heißt den Klang nachahmendes Wort. Ich finde also nicht als Einziger, dass der Klang des Verbs recht gut seine Bedeutung wiedergibt.

Vielerorts scheint das Streusalz knapp zu werden. Seien Sie also vorsichtig und passen Sie gut auf, dass Sie nicht ausrutschen!

Dr. Bopp

Zum Ende der Nullerjahre

Dieser Eintrag kommt eigentlich zu spät, denn die Rückblicke, Bestenlisten und Aufzählungen der unterschiedlichsten Höhepunkte des sich dem Ende neigenden Jahrzehnts sind ja schon fast alle zusammengestellt und veröffentlicht worden. Mir fällt dabei unter anderem auf, dass eine Frage, die viele am Anfang dieses Jahrhunderts beschäftigte, beantwortet zu sein scheint: Wie nennt man die Jahre des ersten Jahrzehnts eines Jahrhunderts? In sehr vielen Rückblicken findet man dafür das Wort Nullerjahre.

Die Nullerjahre. Ich finde es kein besonders schönes Wort – doch das ist reine Geschmackssache. Es ist ein praktisches Wort. Es bezeichnet ziemlich genau das, was gemeint ist, und es fügt sich problemlos in den Wortschatz des Deutschen ein. Die Siebzigerjahre, die Achtzigerjahre, die Neunzigerjahre – in diese Reihe passen die Nullerjahre ausgezeichnet. Auch strengste Anglizismenjäger können nichts daran auszusetzen haben. Es findet sich bestimmt jemand, der „logische“ oder andere Einwände gegen diese Wortschöpfung hat, doch seit über die Sprache nachgedacht, gesprochen und geschrieben wird, hat es wohl noch nie eine sprachliche Neuerung gegeben, gegen die niemand etwas einzuwenden gehabt hätte. Die Nullerjahre sind also ganz zu Recht auf dem Weg, sich durchzusetzen.

Eigentlich wollte ich nur ganz kurz etwas zur Rechtschreibung sagen. Während man sehr oft ganz richtig die Nullerjahre liest, begegnet man auch hin und wieder anderen Schreibungen wie die Nuller-Jahre und die Nuller Jahre.  Die erste Schreibung enthält einen unnötigen, aber nicht grundsätzlich falschen Bindestrich. Die zweite Schreibung ist falsch. Wenn Nuller ein Substantiv ist, muss es mit Jahre zusammengeschrieben werden: die Nullerjahre. Wenn man es als vorangestelltes Adjektiv interpretierte, müsste es wie zum Beispiel achtziger kleingeschrieben werden: die nuller Jahre (wie achtziger Jahre, neunziger Jahre). Sie schreiben also am besten in den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts (oder, wie ich es rein stilistisch vorziehe, im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts).

Guten Rutsch in die Zehnerjahre und ein glückliches neues Jahr!

Dr. Bopp

Anzischen und zuzischen

Frage

Kann ich jemandem etwas zuzischen oder kann ich ihn nur anzischen? Ich bin der Meinung, dass ich auch jemandem etwas zuzischen kann, z.B.

Er zischte ihm zu: »Und dich will ich in meinem Büro sehen, sofort!«

Meine Freundin ist felsenfest der Meinung, es müsse heißen:

Er zischte ihn an: »Und dich will ich in meinem Büro sehen, sofort!«

Sie sieht sich darin bestätigt, dass bei CanooNet kein entsprechender Eintrag zu finden ist. Ist dem also tatsächlich so, dass es zuzischen nicht gibt? Und falls zuzischen doch möglich sein sollte, gibt es einen Unterschied zwischen anzischen und zuzischen?

Antwort

Sehr geehrte Frau S.,

lassen Sie mich vorausschicken, dass die Tatsache, dass ein Wort nicht im Wörterbuch steht, nicht bedeutet, dass es das Wort nicht gibt. Unser Wörterbuch enthält zwar ca. 250 000 Einträge, aber damit sind lange nicht alle im Deutschen verwendeten und möglichen Wörter abgedeckt.

Die Wendung jemandem etwas zuzischen gibt es. Sie ist in jedem Fall korrekt gebildet. Viele Verben des Sagens, des Sichäußerns haben eine mit zu- abgeleitete Variante: jemandem etwas zuschreien, zurufen, zuflüstern, zuschnauben usw. Wenn Sie also zischen als eine Art des Sagens verwenden, können Sie ohne weiteres sagen, dass Sie jemandem einen Befehl, eine Verwünschung oder etwas anderes zuzischen.

Der Unterschied zwischen anzischen und zuzischen ist gleich wie der Unterschied zwischen zum Beispiel anschreien und zuschreien. Man zischt/schreit jemanden an und man zischt/schreit jemandem etwas zu:

Er zischte ihn an.
Er zischte ihm einen Befehl zu.

In Ihrem Beispiel sind beide Formulierungen möglich. Die Sicht auf das Geschehen ist leicht unterschiedlich, aber die Bedeutung ist weitgehend identisch.

Er zischte ihn an: „Und dich will ich in meinem Büro sehen, sofort!“
Er zischte ihm zu: „Und dich will ich in meinem Büro sehen, sofort!“

Vgl.

Er schrie ihn an: „Und dich will ich in meinem Büro sehen, sofort!“
Er schrie ihm zu: „Und dich will ich in meinem Büro sehen, sofort!“

Ein kleiner Unterschied liegt vielleicht darin, dass man der angezischten Person gegenüberstehen muss, während man die Person, der man etwas zuzischt, nicht unbedingt ansehen muss. Anzischen ist also direkter, konfrontierender. Wirklich freundlich gemeint ist allerdings keines von beiden.

Mir freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Abbildbar, das Suffix -bar und das Wörterbuch

Frage

Ich nutze Ihr Wörterbuch regelmäßig und gerne. Gelegentlich finde ich keine Antwort auf meine Fragen, einfach weil Wörter oder bestimmte Zusammensetzungen fehlen […]. Sind Sie daran interessiert, außer Fragen zur Grammatik auch generell Vorschläge zur Aufnahme neuer Begriffe zu erhalten, oder nervt Sie das? Ich habe zum Beispiel abbildbar vermisst.

Antwort

Sehr geehrter Herr F.,

es nervt keineswegs, wenn Sie neue Wörter zur Aufnahme vorschlagen. Wir nehmen solche Vorschläge sogar sehr gerne entgegen. Wir hoffen nur, dass es Sie dann nicht nervt, wenn wir ein Wort eventuell doch nicht aufnehmen oder wenn es lange dauert, bis ein Vorschlag online auf CanooNet erscheint.

Zu Ihrem konkreten Vorschlag abbildbar: Das Suffix -bar ist ein sehr produktives Suffix, das heißt, es werden sehr viele Adjektive mit ihm gebildet. Es kann nämlich bei sehr, sehr vielen Verben verwendet werden. Einige Beispiele, die dies zu illustrieren:

abbildbar, abänderbar, abbaubar, abberufbar, abbestellbar, abbezahlbar, abbrausbar, abbürstbar, abnehmbar, abschätzbar, abstellbar, …
anstellbar, aufstellbar, ausstellbar, beistellbar, bestellbar, darstellbar, einstellbar, erstellbar, verstellbar, vorstellbar, zustellbar, stellbar usw.

Sehen Sie diese Seite zur Wortbildung für weitere Informationen über -bar.

Unser Wörterbuch enthält über 18 000 Verben, von denen ein großer Teil ein Adjektiv auf -bar bilden kann. Es wird deshalb nicht möglich sein, alle auf -bar endenden Adjektive aufzunehmen. Es ist auch nicht immer unbedingt sinnvoll, denn manchmal sind solche Wortbildungen zwar möglich und korrekt, aber recht ungebräuchlich oder sehr ungewöhnlich. Zum Beispiel:

hinüberziehbar, kratzbar, eingrabbar, abkaubar

Übrigens: Wenn ein Wort nicht in einem Wörterbuch steht, heißt das noch lange nicht, dass es das Wort nicht gibt! Viele Wörter, die mit so produktiven Wortbildungselementen wie -bar gebildet werden (können), sind nicht in Wörterbüchern zu finden. Sie sind von sich aus verständlich und anwendbar, da ihre Bedeutung, Verwendung usw. sich einfach aus der Bedeutung des Grundwortes und der Art des Wortbildungselementes erschließen. Die Aufnahme von abbildbar werden wir natürlich trotzdem prüfen, denn dieses Adjektiv ist zum Beispiel im Bereich der Informatik recht gebräuchlich geworden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Freigebig und freigiebig

Frage

Im CanooNet-Wörterbuch erscheinen die Formen freigiebig und Freigiebigkeit ebenso wenig wie in meinem RS-Duden von 1986, im Warig DWb 1968 […] oder in verschiedenen PONS-Fremdsprach-Wörterbüchern. Andere Wörterbücher verweisen jedoch unter freigiebig, Freigiebigkeit auf freigebig, Freigebigkeit. Das Wort freigiebig taucht auch im gehobenen Sprachgebrauch Deutschlands bis zu Johannes Rau und dem Deutschen Kulturrat sehr häufig auf und ist auch in der NZZ zu finden […]. Gilt freigiebig mittlerweile also als hochsprachlich? Wie kam es überhaupt zur Differenzierung nachgiebig, ausgiebig vs. freigebig?

Antwort

Guten Tag Frau K.,

vielen Dank für diese Frage! Sie zeigt nämlich, dass es an der Zeit ist, unser Wörterbuch um zwei Einträge zu erweitern.

Das Wort freigiebig und das von ihm abgeleitete Freigiebigkeit galten und gelten bei einigen immer noch als falsch, weil es ausschließlich freigebig heißen dürfe. Wie ist das Wort freigiebig entstanden? Es wurde in Analogie mit ausgiebig und ergiebig gebildet. Diese Wörter gehen aber auf die Verben ausgeben und ergeben zurück (über ausgibig resp. ergibig, dann auch mit ie). Ein Verb freigeben gibt es zwar (zum Beispiel jemandem freigeben, Informationen freigeben), aber bedeutungsmäßig kann freigiebig nicht davon abgeleitet sein. Es kommt nämlich von der Wortgruppe frei geben (ungehindert, gern geben). Da es zu geben kein Adjektiv giebig (mehr) gibt, sei also freigiebig eine falsche Wortbildung. Zumindest so wurde und wird auch heute noch manchmal argumentiert.

Inzwischen ist freigiebig aber – wie Sie selbst auch festgestellt haben – im deutschen Sprachraum so weit eingebürgert, dass man es wirklich nicht mehr als falsch bezeichnen kann. Wir werden deshalb bei der nächsten Datenaktualisierung freigiebig und Freigiebigkeit neben freigebig und Freigebigkeit in unser Wörterbuch aufnehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die Ruderin und die Zauberin: ein beliebter Streitfall

Wieder einmal ein bliebtes Thema, wenn Deutschsprachige sich über ihre Sprache streiten:

Frage

Ich diskutiere gerade mit Freunden über die weibliche Form von Bezeichnungen wie Zauberer – Zauberin, Ruderer – Ruderin. Meine Freunde behaupten, es müsse Zaubererin und Rudererin heißen, schließlich sage man auch FahrerFahrerin. Ich weiß zwar, dass ich Recht habe (Zauberin, Ruderin), aber ich würde es gern begründen.

Antwort

Sehr geehrte Frau R.,

der Unterschied zwischen Fahrer und Zauberer liegt darin, dass das erste Wort am Schluss nur ein unbetontes er hat, während das zweite auf zwei unbetonte er (-erer) endet. Wenn die weibliche Endung in an ein Wort angehängt wird, das auf unbetontes erer endet, fällt im Standarddeutschen ein er weg (vgl. CanooNet):

Zauberin (nicht *Zaubererin)
Ruderin (nicht *Rudererin)
Bewunderin (nicht *Bewundererin)
Herausforderin (nicht *Herausfordererin)
usw.

Dies ist nicht etwa eine von Grammatikern frei erfundene Regel, die uns Deutschsprechenden das Leben schwer machen soll, sondern ein historisch gewachsenes lautliches Phänomen. Es handelt sich um eine sogenannte Haplologie. Man verzeihe mir bitte diesen Fachausdruck. Mir gefällt das Wort einfach gut. Man spricht von einer Haplologie, wenn zwei gleichlautende Silben zu einer Silbe zusammenfallen. Der Zweck der Übung: Es vereinfacht die Aussprache ungemein.

Bei den männlichen Formen Zauberer und Bewunderer tritt keine Haplologie auf, weil sonst die Bedeutung der Nachsilbe er (jemand, der die Verbhandlung ausübt) wegfällt: Zauberer => Zauber, Bewunderer => Bewunder. Tritt nun aber noch eine Silbe hinzu, die wie in angibt, dass es sich um eine „ausübende“ Person handelt, kann die Haplologie zuschlagen, ohne dass Bedeutungselemente verloren gehen: Zaubererin, Bewundererin => Zauberin, Bewunderin. Wie bereits gesagt, ist das nicht eine durch Grammatiker ausgetüftelte Spitzfindigkeit, sondern ein lautliches Phänomen, das im Deutschen historisch gewachsen ist. Hätten Grammatiker die Finger im Spiel gehabt, hätte wahrscheinlich diejenige „Logik“ gewonnen, die -ererin vorschreiben würde.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

NS: Wenn das Wort Haplologie dem Phänomen unterliegen würde, das es beschreibt, würde es Haplogie heißen. Es ist sozusagen ein Fachwort mit eingebauter Eselsbrücke.

Entwalden, entleeren, entsinnen. Was bedeutet ent?

Frage

Als Dichter und Rezitator setze ich mich naturgemäß eingehend mit Sprache auseinander. Mir von der Logik her ungereimt Erscheinendes nutze ich gerne, um es in verdichteter Sprache nach meinem Sprachgefühl und -verständnis zu enträtseln. In diesem Zusammenhang stieß ich kürzlich auf den Begriff des Entsinnens. Woher stammt er, was will er beschreiben? Er wird ja synonym zum Begriff des Erinnerns gebraucht.

Antwort

Sehr geehrter Herr K.,

das Verb entsinnen gab es schon im Mittelhochdeutschen: in den Sinn aufnehmen, sich erinnern. Heute verwendet man sich jemandes/einer Sache entsinnen mit der Bedeutung sich erinnern, sich wieder ins Gedächtnis rufen. Bei der Interpretation schwierig und gleichzeitig sehr interessant finde ich hier die Mehrdeutigkeit der Vorsilbe ent-. Sie kann nämlich je nach dem Verb, bei dem sie steht, verschiedene Bedeutungen haben. Zum Beispiel:

  • das Gegenteil zu be-: entkleiden, entwaffnen
  • das Gegenteil zu ver-: entkrampfen, entzaubern
  • das Gegenteil: enttanken, entwarnen
  • entfernen: entwalden, entrußen, entkernen
  • weggelangen, wegnehmen: entfliehen, entreißen
  • so sein rückgängig machen: entmündigen, entmutigen
  • so werden lassen: entblößen, entfremden, entleeren (bei Adjektiven, die Abwesenheit beinhalten)

In diesen Fälle bedeutet ent- im weiteren Sinne etwas wie gegen, wegnehmen, entfernen. Bei gewissen Verben hat es aber auch noch eine ganz andere Bedeutung:

  • beginnen: entbrennen, entsprießen, entstehen

Beim Verb entsinnen mit der Bedeutung erinnern hat ent- wohl am ehesten die letzte Bedeutung. Es gab früher übrigens auch ein Verb entsinnen, bei dem ent- die Bedeutung entfernen hatte: von Liebe entsinnt = durch die Liebe der Sinne beraubt.

Die Gelehrten vermuten, dass das letzte ent- (beginnen) sprachgeschichtlich nicht die gleiche Vorsilbe wie ent- mit den anderen Bedeutungen ist. Erstaunlich ist aber so oder so, dass wir, in der Regel ohne dabei nachzudenken, eine Vorsilbe verwenden und problemlos verstehen, die derart verschiedene, teilweise sogar gegensätzliche Aspekte ausdrücken kann.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Fahrradtürchen und Bergtürlein

Frage

Probleme bereitet mir die Diminutivform von Tour. Kürzlich las ich Türchen. Gibt es überhaupt ein Wort dafür?

Antwort

Sehr geehrte Frau M.,

wenn man zu Tour eine Diminutivform bildet, lautet sie wohl Türchen oder Türlein. Diese Formen fallen lautlich und in der Schreibung mit den Verkleinerungsformen von Tür zusammen, aber das sollte normalerweise dank dem Satzzusammenhang zu keinerlei Verständigungsproblemen führen. Es ist also möglich, einen Diminutiv von Tour zu bilden und zu verwenden. Standardsprachlich sind diese Formen allerdings nicht üblich. Man spricht dann eher von einer kleinen Tour. Umgangssprachlich ist jedoch gar nichts dagegen einzuwenden, am Wochenende bei schönem Wetter je nach landschaftlicher Beschaffenheit der Umgebung ein erholsames Fahrradtürchen oder ein gemütliches Bergtürlein zu unternehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Plural und die Fugenelemente

Frage

Ich habe eine Frage zur Bildung von Nomenkomposita. Ist die Verwendung von Fugenelementen bei der Zusammensetzung zweier Nomen eine „Kann“-Regel oder gibt es klare Regeln? Beispiele:

Dokumentart oder Dokumentenart
Hausreihe oder Häuserreihe

In beiden Begriffen macht meines Erachtens im ersten Nomen nur der Plural einen Sinn. Sind beide Schreibweisen erlaubt oder gibt es Richtlinien?

Antwort

Sehr geehrter Herr T.,

die Fugenelemente bei der Wortzusammensetzung sind ein sehr komplexes Thema. Es gibt ein paar feste Regeln und sonst nur mehr oder weniger starke Tendenzen. Richtig ist, was üblich ist. Deshalb steht auf der zitierten Seite kann.

Zuerst zwei Beispiele für feste Regeln:

  • Nach Substantiven mit der Endungen -heit, -keit, -ling, -schaft, -ung, -ion, -ität muss immer das Fugenelement s stehen. Zum Beispiel:

Einheitswurst, Unabhängigkeitsbewegung, Lehrlingswesen, Eigenschaftswort, änderungswürdig, Munitionsdepot, Universitätsgebäude

  • Nach Substantiven, die den Genitiv und den Plural mit der Endung en bilden, muss das Fugenelement en stehen. Zum Beispiel:

Artisteneingang, Menschenleben, Pilotenbrille, bärenstark, Affenschwanz

In vielen anderen Fällen, kann ein Fugenelement stehen. Sehen Sie dazu die Seite über die Fugenelemente und von dort aus die einzelnen Fugenelemente.

Die Fugenelemente entsprachen ursprünglich meist Flexionsendungen (Plural, Genitiv). Sie haben diese Funktion aber zu einem großen Teil verloren. Ob man ein Fugenelement verwendet oder nicht, hat sehr oft nichts mit einem genitivischen oder pluralischen Charakter der Zusammensetzung zu tun. Zum Beispiel:

  • Ein Hundebiss wird nicht durch mehrere Hunde verursacht.
  • Eine Kinderhand gehört nur einem Kind.
  • Für Erdnussbutter braucht man viele Erdnüsse.
  • In einer Baumreihe steht mehr als ein Baum.

Wichtig ist oft nicht die Bedeutung, sondern die Form. Dabei spielen verschiedene Kriterien eine Rolle. Als Faustregel (die leider lange nicht immer funktioniert) kann gelten, dass man dann ein Fugenelement verwendet, wenn auch andere Zusammensetzungen mit dem gleichen Wort an erster Stelle ein Fugenelement haben. Zum Beispiel:

  1. Hund + Jäckchen = ?
  2. Hundebesitzer, Hundehütte, Hundeleben, Hundesteuer usw.
  3. Hund + Jäckchen = Hundejäckchen

Nun zu Ihren Beispielen:

Dokumentenart ist korrekt gebildet, denn mit Dokument gebildete Zusammensetzungen haben üblicherweise das Fugenelement en (vgl. Dokumentenmappe, Dokumentensammlung, dokumentenecht). Das Pluralargument wäre hier nur zum Teil überzeugend, denn der Plural von Dokument ist Dokumente, nicht Dokumenten. Weiter kommen auch Dokumentsammlung und Dokumentmappe häufiger vor, so dass Dokumentart nicht als falsch, sondern nur als weniger üblich bezeichnet werden sollte.

Sowohl Hausreihe als Häuserreihe sind korrekt gebildet. Zwar gibt Häuserreihe den Plural wieder (man braucht ja mehrere Häuser für eine Reihe), aber das oben stehende Beispiel Baumreihe (nicht Bäumereihe!) zeigt, dass es nicht notwendig ist, den Pluralaspekt in der Zusammensetzung auszudrücken. Es gibt jedoch viele Zusammensetzungen der Form Häuser-, in denen auch mehrere Häuser gemeint sind (Häuserblock, Häusermeer, Häuserschlucht u.a.). Dies ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass in diesem Fall Häuserreihe üblicher ist als Hausreihe.

Wie Sie sehen, sind die Fugenelemente ein wirklich sehr komplexes Thema – so komplex, dass Sie sich meistens besser auf Ihr Sprachgefühl als auf Regeln verlassen können.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp